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Sobald sich die Wohnzimmertür schließt, umarmt mich Victoriana. »Oh Johnny! Lieber Junge, du ’ast alles gerettet! Meine Bruder – er ist wieder da! Isch muss nischt Wolfgang ’eiraten!«

Ich senke den Blick. »Ja, was das angeht …« Dann sticht mir etwas ins Auge. Sie sieht total heiß aus in ihrem pink-weißen Strandkleid mit den passenden … »Hey, woher hast du diese Schuhe?«

»Gefallen sie dir?« Kokett dreht sie ihren Fuß nach allen Seiten, wobei sie zum Wandschrank schaut. »Ein Geschenk von Philippe. Mein geliebter Bruder war so dankbar, dass isch disch zu ihm geschickt ’abe. Sie sind von einem neuen Designer, Gianni Marco. Kennst du ihn vielleischt?«

»Ob ich ihn kenne? Das bin ich.«

Victorianas blaue Augen werden groß. »Ein ’eld und ein Schuhdesigner? Jetzt bin isch völlig aus dem ’äuschen.« Sie stützt sich auf meine Schulter, hebt den einen Fuß, danach den anderen. »Diese, sie sind wirklich sehr ’übsch.«

»Danke.« Ich starre auf ihre Hand auf meiner Schulter. Es hat etwas Berauschendes, in ihrer Gegenwart zu sein, selbst jetzt noch. Vielleicht liegt es nur daran, dass sie meine Schuhe trägt. Trotzdem bin ich wie hypnotisiert.

Meg räuspert sich. »Du kannst mir später dafür danken, dass ich sie Philippe gegeben habe. Aber wolltest du der Prinzessin nicht etwas sagen?«

Ich entferne mich einen Schritt von Victoriana und bringe sie dadurch fast zum Stolpern. Nachdem sie sich wieder gefangen hat, sage ich: »Ähm … ja. Ich kann dich nicht heiraten.«

»Du kannst misch nicht ’eiraten? Pourquoi? « Sie schaut wieder zum Wandschrank.

Ich gucke ihre Schuhe an. Es wäre so perfekt, wenn ich sie dazu bringen könnte, sie in der Öffentlichkeit zu erwähnen, als eine Art alternative Belohnung. Mir fällt die Marketingstrategie der Brownies wieder ein. Doch nachdem ich gesagt habe, was ich ihr gleich sagen werde, wird sie das niemals tun. »Ähm … es ist so … irgendwie habe ich mich in eine andere verliebt.«

Der Mund der Prinzessin verzieht sich zu einem überraschten O. Der Blick aus ihren blauen Augen wandert von mir zu Meg und dann wieder zurück. »Ah, verstehe.«

»Tut mir leid«, sage ich.

Auf ihrem Gesicht breitet sich ein fettes Grinsen aus. »Es tut dir leid? Oh, nein. Isch bin ziemlisch erleichtert. Isch wollte auch nischt ’eiraten.«

»Erleichtert?« Obwohl ich das auch bin, bin ich ein bisschen beleidigt.

Ihr Blick huscht wieder zum Wandschrank. Was hat es damit auf sich – ist es irgendein nervöser Tick? »Natürlisch. Isch war verzweifelt. Isch brauchte meine Bruder zurück, und was für eine andere Belohnung wäre für einen Auftrag von der Prinzessin angemessen?«

»Oh, ich weiß nicht«, meldet sich Meg zu Wort, »Geld?«

»Geld?« Victoriana sieht verblüfft aus. »Du ’ättest das für Geld getan?«

Ich nicke. Ich nicke eifrig. »Das ist für viele Menschen ziemlich wichtig, vor allem für Leute, die Stromrechnungen bezahlen müssen.«

»Isch weiß nicht mal, was eine Stromreschnung ist.« Auf Victorianas Gesicht breitet sich ein strahlendes Lächeln aus, bei dem ihre Zähne aufblitzen. »Aber isch ’abe Geld. Isch ’abe sehr viel Geld! Es schien mir nur eine geringe Belohnung für eine so große Schuld zu sein. Also sag mir einfach, wie viel du brauchst.«

Meg räuspert sich, und ich will gerade sagen, dass Victoriana einfach ein paar Magazinen von meinen Schuhen erzählen könnte, wenn sie das möchte, und wir wären quitt, als plötzlich ein lautes Krachen aus dem Wandschrank dringt.

»Au, verdammt!«, sagt eine männliche Stimme.

»Ich glaube, da drin ist jemand«, sage ich.

»Könnte gefährlich sein«, fügt Meg hinzu, und ohne Victorianas Zustimmung abzuwarten, geht sie mit großen Schritten auf den Wandschrank zu und reißt die Tür auf.

Ein Haufen Kleider und Röcke und etwa zehn Schuhschachteln fallen heraus. Ganz oben liegt ein Mensch.

»Ryan!«, ruft Meg.

»Ryan?«, sage ich gleichzeitig.

Die Prinzessin stakst auf ihren Schuhen durch das Zimmer. »Ihr kennt euch?«

»Klar. Wir haben dich gemeinsam kennengelernt.« Ich bin mehr als nur ein bisschen pikiert. Ich meine, ich habe mich auf diese wirklich große Suche gemacht, bin auf den ganzen Key-Inseln rumgerannt, um diesen Frosch zu finden, wurde von einer Hexe praktisch lebendig begraben, und die ganze Zeit hatte sie Ryan im Wandschrank? »Bist du in Ryan verliebt?«

Ryan grinst. »So ist das Leben, Johnny-Boy.«

Aber Victoriana lacht. »Non, non, non. Du verstehst misch falsch. Isch ’abe einen kleinen – wie würde man sagen – einen Flirt mit Ryan. Aber isch liebe ihn nischt. Isch möchte niemanden ’eiraten. Isch bin zu jung. Meine Bruder, Philippe, schwört bei seiner Ehre, dass er jetzt, wo diese Achterbahnfahrt vorbei ist, nach Aloria zurückkehren, sisch mit dem Mädschen, das ihn geküsst ’at, niederlassen und auf verantwortliche Weise das Land regieren möchte – und wir werden uns vor Sieglinde und den ’exen in Acht nehmen.«

Sich niederlassen.

»Ähm …«, sagt Meg.

»Isch bin frei, wie ihr seht. Tatsächlisch kehre isch nach Aloria zurück, sobald Philippe die junge Dame erreicht hat. Wisst ihr vielleischt, wo sie ist?«

Jetzt bin ich an der Reihe, Meg anzuschauen. Sie lacht ein wenig und starrt auf ihre Schürze hinunter. »Ähm … das bin ich, und weißt du, ich möchte Philippe auch nicht heiraten.«

Die Tür des Zimmers fliegt auf. »Meinst du das ernst, mein kleiner Wombat?«

»Ja.« Meg zuckt bei diesem Wombat-Dings ein bisschen zusammen. Ich fürchte, wir müssen die Verlobung auflösen.«

»Sie auflösen? Isch verstehe nischt.«

Victoriana schüttelt den Kopf. »In diesem Land wollen die Leute nischt den Prinz und die Prinzessin ’eiraten. Das ist mir unerklärlisch.«

Meg schüttelt den Kopf. »Ich bin nicht in dich verliebt, Philippe.«

»Mon dieu!« Philippe schickt einen Blick gen Himmel oder zumindest an die Decke. »Gott sei Dank.« Dann sammelt er sich und sagt: »Isch meine damit nur, dass wir uns noch nischt so gut kennen.«

»Schon okay«, sagt Meg. »Ich bin sicher, es wäre … interessant gewesen, aber ich bin nicht unbedingt der Stoff, aus dem Prinzessinnen sind, oder?«

»Nein.« Philippe schaudert. »Isch meine, doch. Isch meine, isch möchte doch nur, dass du glücklisch bist, mein kleiner Nacktmull.«

Meg lächelt, aber sie lächelt nicht Philippe an, sondern mich. »Das bin ich. Es hat Spaß gemacht, dich zu retten.«

Philippe nimmt Megs Hand und führt sie an seine Lippen. »Es war mir ein Vergnügen. Euch und meiner lieben, süßen Schwester werde isch ewig dankbar sein.«

»Isch auch«, sagt Victoriana. »Aber isch wünschte, isch könnte mehr für euch tun, als euch nur … Geld zu geben.« Sie spricht das Wort aus, als wäre es etwas, was man vor einem Lehrer nicht sagen würde.

Meg stupst mich an.

»Wenn du schon so fragst«, sage ich, »da gäbe es tatsächlich noch was.«

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