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Der Fuchs rief: »Schieß mich nicht, ich will dir dafür einen guten Rat geben.«
~~~ Der goldene Vogel ~~~
Mom und ich waren im Urlaub meistens Campen in Key Largo, weil das gerade so weit weg ist, dass wir es uns noch leisten können. Wir fuhren dann immer nach Süden auf dem U.S. Highway 1 mit seinen unzähligen Fastfood-Restaurants, Einkaufsmeilen und Tankstellen. Nach einer Stunde erreichten wir die Straße, die auf beiden Seiten von blauem Wasser umgeben ist.
Dieses Mal werfe ich mir jedoch den Umhang über die Schultern, bevor es mir jemand ausreden kann. »Ich wünschte, ich wäre im Underwater Hotel.«
Und dann bin ich da.
Oder zumindest irgendwo.
An einem dunklen Ort.
Eigentlich habe ich eine Lobby erwartet. Oder ein Restaurant. Vielleicht auch ein Hotelzimmer. Stattdessen ist es stockfinster, dunkler als in den Everglades bei Nacht. Dort sieht man wenigstens Sterne. Ich ziehe an meinem Umhang. Vielleicht habe ich ihn mir ja aus Versehen über den Kopf gezogen, aber das ist nicht der Fall. Dann blicke ich nach oben. Keine Sterne. Es ist gespenstisch still. Ich spüre einen Druck und ein Pochen in meinem Kopf, als wäre ich im Mission Space in Disney World. Ich strecke die Hände aus und stolpere vorwärts. Eine Wand, so glatt wie Glas. Ein Fenster. Ich streiche mit der Hand darüber und fühle die kühle Glätte. Ich erreiche eine Wand. Ein paar Zentimeter weiter ertaste ich einen Lichtschalter.
Ich lege ihn um.
Spitze Zähne blitzen in der plötzlichen Helligkeit auf. Ein Hai. Ein Hai! Ich mache einen Satz nach hinten und stürze zu Boden, aber dann merke ich, dass ich gar nicht nass bin. Der Hai schon. Ich drehe mich um und kombiniere, dass es eine Art Aquarium sein muss. Das beweist der Hai, weil er einfach weiterschwimmt, ohne zu bemerken, was er nicht riechen kann. Bin ich in einem Aquarium? Ich schaue durch das Fenster. Über mir kein Licht, kein Ende.
Ich sehe mich im Zimmer um. Es ist eingerichtet wie ein normales Wohnzimmer. An einem anderen Fenster schwimmt der gleiche Hai vorbei.
Underwater Hotel. Könnte es tatsächlich unter Wasser sein?
Der Druck in meinen Ohren sagt mir, dass es so sein muss. Ich stolpere zum Sofa und versuche, einen klaren Gedanken zu fassen. So etwas wie diese Stille habe ich noch nie zuvor gehört. Sie dröhnt in meinen Ohren.
Dann plötzlich ein Geräusch aus einem anderen Zimmer. »Haha! Wir haben es geschafft. Wie cool ist das denn?«
Jemand ist hier!
Eine Frau kichert. Ich höre, wie sich nasse Schritte nähern, das unverkennbare Geräusch von Flossen auf dem Boden. »Jemand hat das Licht in diesem Zimmer angelassen.«
Ich raffe den Umhang um mich. »Ich wünschte, ich wäre über der Erde.«
»Was war das?«, höre ich eine Stimme sagen.
Ein Geländewagen rast auf mich zu. Schlitternd kommt er zum Stehen. Der Fahrer drückt auf die Hupe und brüllt etwas Unverständliches. Ich springe ihm aus dem Weg, nur um in der Fahrspur eines Smarts zu landen. Na, wenigstens werden die Autos kleiner.
»Wahnsinniger!« Der Fahrer hupt, während er mir ausweicht.
»Ich wünschte, ich wäre im Sally’s«, sage ich rennend.
Und schon sitze ich auf einem Barhocker in einem verqualmten Raum, der selbst morgens um acht dunkel ist. Aus der Jukebox plärrt Elvis, halb übertönt von betrunkenem Gelächter und dem Gackern eines schmuddlig aussehenden gelben Vogels. Zwei Betrunkene unterbrechen ihr Gespräch, als sie mich sehen.
»Hey, wo bist du denn jetzt so plötzlich hergekommen?«, sagt ein Kerl mit einem Bart bis zum Hals.
»Er ist ein bisschen jung für den Laden hier«, sagt sein Freund, dessen rechte Hand fehlt. So wie der Typ aussieht, hat er sie bestimmt bei einer Kneipenschlägerei verloren.
»Aber niedlich.« Der erste Kerl befingert meinen Umhang. »Was ist denn das für ein Kleidchen?«
Ich ziehe den Stoff an mich, schließe die Augen und wünsche mich – hoffentlich zum letzten Mal – woandershin. »Ich wünschte, ich wäre draußen hinter diesem Gebäude, nicht auf der Straße, nicht unter Wasser, aber versteckt, sodass mich niemand sehen kann.«
Einen Augenblick später stecke ich in einem Müllcontainer. Der Umhang hat einen kranken Humor, aber wenigstens sieht mich niemand. Ich bin mit Pommes frites bedeckt, und als ich aufstehen will, fällt eine halbvolle Bierflascheum, und der Inhalt ergießt sich über mich. Ich spähe hinaus und muss im Sonnenlicht blinzeln. Niemand da.
Niemand außer einem roten Fuchs, der etwas frisst, was aussieht wie ein Teller Fish and Chips. Von meiner Bewegung gestört, blickt er nach oben, zwei weiß-grüne Augen über einer schimmernden schwarzen Nase. Er hält noch immer eine dicke Scheibe Fisch zwischen zwei schwarzen Pfoten, als er die Lefzen nach oben zieht und mich anknurrt.
»Entschuldigen Sie bitte«, sage ich.
Keine Reaktion.
»Mr Fox, ich muss mit Ihnen reden.«
Der Fuchs schiebt den Fisch in sein weiß umrandetes Maul und rennt los.
»Hey, warten Sie! Nein! Mr Fox!« Ich sehe seinen buschigen Schwanz zwischen ein paar Büschen verschwinden, deshalb versuche ich, schnellstmöglich aus dem Müllcontainer zu klettern. Aber die Seitenwände sind glitschig von Fett und Bier und von was auch immer Leute in Müllcontainer vor Kneipen werfen. Wie hieß der Fuchs noch mal?
»Todd!«
Keine Antwort. Der Fuchs hat seinen Fischteller dagelassen. Der Fisch sieht aus, als wäre er noch warm; er ist goldbraun, auf der einen Seite ist Remoulade, auf der anderen Ketchup. Jemand hat das Essen für den Fuchs hierhin gestellt. Er wird zurückkommen. Ich mache es mir in dem miefigen Müllcontainer gemütlich, denn ich stinke ohnehin schon. Während ich warte, beschließe ich darüber nachzudenken, was ich heute gelernt habe.
Wenn man mit einem magischen Umhang reist, ist Genauigkeit das A und O. Man teilt ihm mit, wohin man möchte, und fügt hinzu:
nicht unter Wasser;
nicht dahin, wo viele Menschen sind;
nicht mitten auf die Straße;
keine Biker-Kneipen mit Typen, die einen umbringen oder mit einem ausgehen wollen.
Langsam schließe ich die Augen. Es war ein harter Tag.
Eine Stimme lässt mich mit einem Ruck hochfahren. »Entschuldige?«
»Hä?« Ich bewege mich, mit dem Ergebnis, dass drei Bierflaschen auf mich draufkullern. Haben die Leute hier noch nie etwas von Recycling gehört?
»Hast du nach Todd gerufen?«
Der Fuchs. Ich starre ihn an. Noch nie war ich einem wilden Tier so nahe, einem sprechenden wilden Tier. Könnte er Tollwut haben? Nein. Kein Schaum vor dem Mund. Eigentlich ist er ganz süß mit dem weißen Flaum auf der Brust. »Bist du Todd?« Ich rücke die Ohrstöpsel zurecht, die ich noch immer in den Ohren habe.
»Kommt darauf an, wer fragt.«
»Ich bin Johnny. Cornelius schickt mich.« Als ich seinen verwirrten Gesichtsausdruck sehe, ergänze ich: »Die Ratte.«
Und obwohl das eigentlich nicht sein kann, fängt der Fuchs langsam an zu grinsen, wobei er seine scharfen Zähne zeigt.
»Dann bin ich Todd.«