19

Nimm nicht den goldenen Käfig, sonst wird ein großes Unglück geschehen.

~~~ Der Feuervogel und der graue Wolf ~~~

Ich muss gar nicht nach ihm suchen. Sobald ich die Straße überquere, kommt der Fuchs hinter dem Müllcontainer hervor. Er hat schon auf mich gewartet.

»Hey«, begrüße ich ihn.

»Ich hab dir nichts zu sagen«, sagt er.

»Hör mal, ich hab’s versaut.«

»Findest du?« Der Fuchs dreht sich um und geht.

»Aber ich habe den Frosch gesehen.«

Er wendet sich wieder zu mir um und grinst hämisch mit seinen kleinen schwarzen Fuchslippen.

»Den Frosch? Oh, yeah, ich bin sicher, das war der Frosch. Idiot! Es war eine Illusion. Ich kann nicht mit jemandem arbeiten, der auf solche Tricks reinfällt. Er setzt vor dem Müllcontainer zum Sprung an. »Wenn du mich jetzt entschuldigst, ich muss etwas zum Frühstück finden.«

»Warte!« Mir fallen die Muffins wieder ein. »Möchtest du etwas, das kein Abfall ist?«

Der Fuchs ist bereits abgesprungen, aber er dreht sich in der Luft und schafft es, auf seinen Füßen zu landen. Als er sich wieder gefangen hat, verengt er seine Augen zu Schlitzen und schaut mich an. »Wovon redest du?«

Ich komme näher, mache die Tüte auf und halte sie ihm hin. »Muffins. Scones. Plunderstückchen. Alle selbstgebacken von der netten Dame in dem Bed and Breakfast, in dem ich die ganze Nacht gefangen war.«

»Gefangen!« Der Fuchs lacht, streckt aber vorsichtig eine schwarze Pfote nach einem Johannisbeer-Scone aus.

»Nicht so hastig!« Ich ziehe die Tüte weg. »Ja, ich saß in der Falle, gefangen wie ein Sträfling in einem Gefängnis voller alter Leute. Und wenn du Scones willst oder ein Croissant mit etwas, das Clotted Cream heißt, dann musst du mir zuhören, sonst …« Ich mache die Tüte zu und tue so, als würde ich sie in meinen Rucksack stopfen.

»Sonst was?« Der Fuchs beäugt die geschlossene Tüte.

»Sonst kannst du Essensreste aus der Kneipe fressen, die wahrscheinlich mit Kotze bedeckt sind.« Ich öffne die Tüte und wedle dem Fuchs mit der Hand den Duft zu. Auch wenn er ein ehemaliger Mensch ist, hat er offensichtlich den feinen Geruchssinn seiner Spezies, denn er schnüffelt genüsslich.

»Bitte«, flehe ich. »Ich muss diesen Frosch finden. Nicht für mich. Für meine Mutter.«

»Für deine Mutter?«

»Sie macht sich so große Sorgen.« Ich halte die Tüte weiter auf. »Hattest du denn keine Mutter?«

»Oh, schon gut!« Der Fuchs schluchzt schon fast. »Aber nur weil es schon Jahre her ist, seit ich zum letzten Mal etwas Süßes gegessen habe. Die alte Dame im Bed and Breakfast wirft nie etwas weg.«

»Wolltest du deshalb nicht, dass ich dort übernachte, weil du sie hasst?«

»Nein, der Grund, weshalb ich nicht wollte, dass du dort übernachtest, ist …« Er verstummt und blickt sich um, dann springt er auf den Rand des Müllcontainers und schaut auch dort nach.

»Was?«

»Pst. Ich muss sicherstellen, dass mich niemand hört.« Der Fuchs springt vom Container, dann rennt er zur Ecke des Gebäudes und späht um sie herum.

»Niemand kann dich verstehen, selbst wenn dich jemand hören sollte.«

»Falsch: Kein Mensch kann mich verstehen. Aber da könnten Tiere sein. Denk mal genau nach. Als du auf dem Weg hier rüber warst, hast du da etwas gesehen? Einen Hund vielleicht oder eine Katze? Der Kneipenbesitzer hat ein paar echt neugierige Katzen.«

Ich denke darüber nach, dann schüttle ich den Kopf.

»Sieh noch mal nach. Aber gib mir zuerst einen Cranberry-Orangen-Muffin.«

»Okay, aber nur einen.« Ich reiche ihm den Muffin und nehme die Tüte dann mit. Ich mache eine Runde, um mich selbst zu vergewissern, dass niemand uns beobachtet, und um den Fuchs zufriedenzustellen. Ich hatte es verdrängt, aber jetzt, wo ich wieder draußen bin, frage ich mich, wer mich dort gefangen gehalten, wer mich beobachtet hat. Wird er es noch einmal versuchen?

Als ich jeden Busch und jeden Baum überprüft habe, kehre ich zum Fuchs zurück, der den Muffin verputzt hat und sich jetzt die Barthaare leckt. »Hat’s geschmeckt?«

»Ja! Mehr! Mehr!«

»Erst wenn du mir geholfen hast.«

»Na ja, das sollte ich eigentlich nicht. Du hast dich nicht gerade als besonders vertrauenswürdig entpuppt.«

»Aber …« Ich nehme zwei Scones. Das Gebäck ist noch ofenwarm, und ich puste es an.

»Oh, okay.« Der Fuchs setzt sich auf seine Hinterläufe, wobei er die Scones nicht aus den Augen lässt. »Aber da du den ersten Test nicht bestanden hast, musst du etwas anderes für mich tun. Statt einfach nur in dem Motel zu übernachten, musst du etwas für mich stehlen.«

»Stehlen?«

Der Fuchs nickt. »In der Kneipe lebt ein goldener Vogel, er ist der ganze Stolz und die Freude des Barkeepers. Nachts schläft er in einem goldenen Käfig, tagsüber in einem Käfig aus Holz. Die Kneipe hat täglich drei Stunden geschlossen, von vier Uhr bis sieben Uhr morgens. Die Bar ist dann abgeschlossen, aber die Tür wird nicht bewacht. Ein Gast des Hotels kann also hineingelangen – vor allem, wenn er im Besitz eines magischen Umhangs ist.«

»Aber ich stehle nicht.« Ich denke an die Schwäne im Hotel und wie sehr Farnesworth sie liebt. Vielleicht bedeutet dieser Vogel dem Barkeeper genauso viel. Außerdem denke ich an die Typen, die mich verprügeln könnten oder noch Schlimmeres. »Ich kann nicht.«

»Gut.« Der Fuchs wendet sich ab.

»Warte! Gibt es nichts anderes, was ich tun kann?«

»Nein. Du hast bereits einmal versagt. Wenn du die Information willst, wie du den Frosch finden kannst, dann brauche ich den Vogel. Ich versuche, dir zu helfen, dir und deiner armen Mutter. Aber niemand hat jemals behauptet, dass es einfach ist, eine Prinzessin zu gewinnen.«

Die Scones in meiner Hand sind jetzt kalt und hart. »Wirst du den Vogel töten?«

»Und wenn ja? Ist das Leben eines Vogels so viel Wert wie das eines Prinzen? Aber nein. Ich werde ihn nicht töten. Ich will ihn mir nur anschauen.«

Darüber denke ich nach. Es muss wirklich übel sein, wenn man in einen Fuchs verwandelt wird und Abfall fressen muss. Vielleicht ist der Vogel auch ein Ehemaliger. »Ist der Vogel ein Freund von dir?«

»Was macht das für einen Unterschied? Willst du die Information oder nicht?«

Ich will. Es spielt keine Rolle. Wenn es die einzige Möglichkeit ist, den Frosch zu finden, dann stehle ich den Vogel. Manchmal darf man eben nicht so wählerisch sein, wenn man kriegen will, was man braucht.

»Okay«, sage ich.

»Guter Junge. Nur an eins musst du denken. Der Vogel schläft in einem goldenen Käfig. Sein normaler Holzkäfig steht bis zum Morgen neben ihm. Bevor du ihn mitnimmst, musst du den Vogel vom einen Käfig in den anderen verfrachten. Wenn du das nicht tust, wirst du den Vogel nicht mitnehmen können.«

»Holzkäfig. Verstanden. Aber warum?«

»Das ist Teil der Prüfung.«

Ich nicke. Ich versuche, nicht über den Teil nachzudenken, in dem ich diesen Furcht einflößenden Bartypen tatsächlich etwas stehle.

»Und jetzt gib mir meine Scones.«

Ich behalte ein paar Muffins für mich, reiche ihm den Rest der Tüte, und will gerade gehen, als mich seine Stimme zum Anhalten zwingt. »Johnny?«

Ich bleibe stehen.

»Wie heißt deine Mutter?«

Die Frage überrascht mich, aber ich antworte: »Marie.«

Der Fuchs nickt. »Hübscher Name.« Er wendet sich wieder seinen Scones zu.

Ich mache mich auf den Weg zum Motel. Bis zum Abend ist es noch lange. Sehr lange. Aber ich will nicht, dass mir heute etwas dazwischenkommt. Vielleicht gibt mir der Fuchs keine weitere Chance mehr. Als ich den Weg zum Motel hinaufgehe, sehe ich einen Frosch. Den Frosch! Er blickt mich direkt an, dann hüpft er auf das Bed and Breakfast zu. Ich will gerade einen Schritt auf ihn zu machen. Er lungert da herum und glotzt mich an.

Nein. Er ist nicht echt, und ich muss ihn ignorieren. Ich kehre ihm den Rücken zu und gehe zur Tür des Motels. Zu meiner Erleichterung lässt sie sich öffnen. Als ich einen Blick über die Schulter zurückwerfe, ist der Frosch verschwunden.

KISSED
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