2. Kapitel
Während Alaspin eine ganze Menge Besucher anlockte, so waren doch nur wenige davon Touristen. Die Mehrheit waren Wissenschaftler, für die ein unfreundliches Klima lediglich eine unbedeutende Behinderung ihrer Forschungen darstellte. Hier wenigstens bot sich ihnen ein gleichförmiges Hindernis. Das Wetter in den weitläufigen, mit hohem Gras bewachsenen Savannen und in dem dichten Dschungel, der sie säumte, veränderte sich von Monat zu Monat nur geringfügig. Es gab eigentlich nur zwei Wetterverhältnisse: naß und nicht ganz so naß.
Die Wissenschaftler kamen, um die Tausende von Tempeln und Ruinen zu untersuchen, die von einer hochentwickelten Zivilisation zurückgelassen worden waren, die zu scheu gewesen war, um sich selbst einen Namen zu geben, und die daher in Ermangelung eines solchen Namens Alaspinianer getauft worden waren. Sie hatten ausführliche Berichte von ihren Reisen durch diese Region des Weltraums hinterlassen, doch so gut wie nichts über sich selbst.
Dabei hatten sie in primitiven Bauwerken aus Stein und Holz gelebt und gearbeitet. Nichts war über ihr Verschwinden bekannt, wenngleich die Theorie eines rassischen Selbstmords viele Anhänger hatte. Es war fast so, als ob sie, verblüfft von ihren Leistungen, vor rund siebzigtausend Jahren einfach verschwunden wären. Andere meinten, sie wären weggezogen. Denn wenn sie wirklich einen rassischen Selbstmord begangen hätten, wo waren dann ihre Überreste?
Besonders instabile Körper, meinten die Selbstmordanhänger. Oder sie waren im Dschungel verbrannt worden. Dies waren Theorien über Theorien, die auch von Natur aus ruhige, gelassene Xenoarchäologen um den Verstand zu bringen vermochten, allesamt unbeweisbar, denn unter den Millionen von Schnitzereien und Aufzeichnungen, die auf kleinen Würfeln aus Metall mit mikroskopisch kleinen Gravuren zurückgelassen worden waren, gab es nicht eine einzige Darstellung eines Alaspinianers. Es existierten wohl zahllose Bilder von Tieren und Landschaften und Konstruktionen, aber von den Leuten, die das alles geschaffen hatten, existierte nichts.
Es war eine jener Welten, auf denen die Thranx sich wohler fühlten als ihre menschlichen Verbündeten. Das heiße feuchte Klima war wie der Hauch frisch verdampfter Luft daheim. Die größeren, auf Dauer erbauten Forschungseinrichtungen wurden alle von den Thranx betrieben, während ihre menschlichen Gefährten sehr schnell kamen und gingen, sich ein paar Informationen verschafften, damit es für einen Artikel oder einen Doktortitel reichte, ehe sie wieder auf kühlere trockenere Welten flohen.
In den Grenzregionen, am Rand der Wildnis, waren mehr Prospektoren als Wissenschaftler anzutreffen. Auf Alaspin gab es reichliche Vorkommen wertvoller Mineralien. Viele von denen, die sich selbst Prospektoren nannten, mieden jedoch die weiten fruchtbaren Ebenen der Savannen zugunsten der Suche in zahllosen Ruinen, wo das Graben einfacher war und die ›Erze‹ in höherer Konzentration gefunden wurden. Tatsächlich sogar in reinem Zustand. Zwischen den Prospektoren und den Wissenschaftlern war ein ständiger Kleinkrieg im Gange.
Für jene, die sich der Forschung verschrieben hatten, waren die Prospektoren Grabschänder und Zerstörer einer immer noch kaum untersuchten fremdartigen Hinterlassenschaft. Einige der rücksichtsloseren und weniger sorgfältigen Forscher waren durchaus bereit, ein gerade neu entdecktes Bauwerk auf der Suche nach einem einzigen verkäuflichen Artefakt auseinanderzureißen, womit der gesamte Fundort für wissenschaftliche Studien nutzlos wurde.
Unterdessen beklagten sich die Prospektoren, die nicht aus großzügigen Forschungsfonds schöpfen konnten und vorwiegend dank ihrer Gewitztheit in einer feindseligen Umgebung überlebten, daß die Regierung sich stets auf die Seite der großen Institute stellte, wo sie doch mehr Fundorte und Ruinen ausgegraben hatten, die zu studieren man tausend und mehr Jahre gebraucht hätte. Sie meinten, daß jeder zusätzlich eröffnete Fundort, den sie entdeckten, weitere wissenschaftliche Erkenntnisse erbrachte und sie nicht etwa minderte.
Zwischen diesen Gruppen existierte noch eine kleine Schar von Hybriden, die von beiden Seiten akzeptiert wurden, einzeln auftretende Individuen, die sowohl Prospektoren wie auch Wissenschaftler waren, Reisende, in denen der Drang zu lernen ständig gegen ihre Geldgier ankämpfte.
Von den Streitenden und ihren ständigen Auseinandersetzungen hielten sich jene fern, die nach Alaspin gekommen waren, um ihr Glück auf andere Art und Weise und mit anderen Dingen zu machen. Sie kamen, um den Bedürfnissen sowohl der Wissenschaftler wie auch der Prospektoren dienlich zu sein. Für Geld, da niemand nach Alaspin kam, weil es dort etwa so gesund war. Das Klima war furchtbar, und die eingeborenen Lebensformen reagierten feindselig. Nicht jeder Wissenschaftler wurde von einem anerkannten Institut unterstützt. Nicht jeder Prospektor wurde von einer größeren Firma oder einer kriminellen Vereinigung unterhalten. Daher brauchte man Läden, Zerstreuungsmöglichkeiten und gewisse Serviceeinrichtungen, die einfach und wirkungsvoll funktionierten. Die Leute, die solche Unternehmen betrieben, waren die einzigen wirklichen Bürger von Alaspin. Sie brauchten den Planeten zum Leben. Sie richteten sich auf einen langen Aufenthalt ein, ganz im Gegensatz zu den Wissenschaftlern, die von der großen Entdeckung träumten, oder den Prospektoren, die auf den einen großen Schlag hofften, der vielleicht im nächsten von Weinranken überwucherten Tempel, im nächsten jungfräulichen Fluß verborgen lag.
Und schließlich war da Flinx.
Er gehörte zu keiner der anerkannten Gruppen, die über die feuchte Oberfläche Alaspins flitzten. Er war nicht gekommen, um nach Bodenschätzen zu suchen, und er wollte auch keine Forschung betreiben, obgleich er sich intensiv mit allem beschäftigte, was ihm begegnete. Seine eigentliche Absicht war es, etwas Einsamkeit zu finden.
Die Wissenschaftler hielten ihn für einen recht seltsamen Studenten, der an seiner Doktorarbeit werkelte. Die Prospektoren erkannten einen Einzelgänger auf den ersten Blick und hielten ihn für einen der Ihren. Wer sonst außer einem Prospektor besaß eine alaspinianische fliegende Schlange, einen Minidrach, der ihm ständig auf der Schulter saß? Wer sonst mied nähere Bekanntschaften oder beiläufige Gespräche? Nicht daß der junge Mann sich bewußt abweisend verhielt. Die Anwesenheit seines grauenvoll tödlichen Schoßtiers hielt die Neugierigen erfolgreich von ihm fern.
Zu jenen, die frech oder auch ahnungslos genug waren, um sich auf der Straße oder im Speisesaal des kleinen Hotels in seine Nähe zu wagen, war er stets höflich und zuvorkommend. Nein, er sei kein Student. Auch kein Prospektor. Er arbeite auch nicht für eine der planetaren Dienstleistungsfirmen. Er sei auf Alaspin, gab er freimütig zu, um eine Heimkehr zu ermöglichen. Nachdem sie das gehört hatten, zogen sich die Frager ausnahmslos zurück, ratloser als vor ihrem Versuch, ihn näher kennenzulernen.
Flinx behandelte alles, was ihm begegnete, mit Höflichkeit, sowohl diejenigen, die ihn ausfragten, als auch alle jene, welche Pips einzigartige blaue und rosafarbene funkelnde Färbung erkannten und eilig auf die andere Straßenseite wechselten, wenn sie ihn kommen sahen. Je älter er wurde, desto mehr war er von der Menschheit fasziniert. Bis vor kurzem hatte es ihm seine Unreife verboten, den einzigartigen, vielschichtigen Organismus angemessen zu würdigen, den die menschliche Rasse darstellte.
Was die Thranx betraf, so waren sie auf ihre Art genauso interessant. Ihr Gesellschaftssystem unterschied sich grundlegend von dem der Menschen. Dennoch kamen die beiden Rassen überaus gut miteinander aus - trotz ihrer unterschiedlichen Ziele und Auffassungen. Ja, er entwickelte sich zu einem Kenner der verschiedenen Arten und Rassen, ungeachtet ihrer Größe und Gestalt und ihrer vielfältigen Skelettformen. Das kam zum Teil daher, daß er in Wirklichkeit nach jemandem suchte, der genauso einzigartig war wie er selbst. Bisher hatte er ein solches Wesen nicht gefunden.
Während er seinen Gedanken nachhing, schärfte er eine Machete. Es war ein außerordentlich primitives Werkzeug, eigentlich nicht mehr als ein ziemlich großes Stück geschliffenen Metalls. Billige Laserschneider waren in jedem Werkzeugladen in Mimmisompo käuflich zu erwerben, aber er hatte sich statt dessen für diese Antiquität entschieden. Mit einem Schneider zu zielen und den Auslöser zu betätigen, vermittelte nicht das gleiche Gefühl tiefer Befriedigung, wie er es beim Schwingen der schweren Klinge empfand. Ein Schneider arbeitete sauber und geräuschlos. Beim Einsatz der Machete roch man den Erfolg seiner Bemühungen, wenn man sich durch die grünen und violetten Stengel und gestreiften Blätter hackte. Dieses Zerstörungswerk verursachte ihm kein schlechtes Gewissen, denn er wußte, wie kurzzeitig es war. Innerhalb einer Woche würde der Weg, den er sich geschlagen hatte, längst verschwunden sein. Wenn ihn nämlich die Pflanzen aufs neue zuwucherten, um das Sonnenlicht aufzunehmen, das bis auf den Dschungelboden drang.
Um ihn herum ragten hohe Bäume auf. Besonders fasziniert war er von einem, der vorwiegend aus dicken Wurzelsträngen und einem kurzen Stamm bestand. Er war überwuchert von Schmarotzerpflanzen mit einem Gewirr von hellroten Blüten. Schwärme von winzigen blauschwarzen Insekten wimmelten um trompetengleich geformte Blütenkelche. Vierflügelige Verwandte der terranischen Lepidoptera drängten heran und stritten sich um einen günstigen Platz an der Nektarquelle.
Weniger dekorative Lebewesen versuchten sich durch seine Stiefel zu beißen, die drei Zentimeter und mehr im grauen Schlamm versanken, durch den er watete. Sie witterten Blut. Der Hochfrequenzabweiser, der an seinem Gürtel befestigt war, wehrte die meisten geflügelten Vampire von ihm ab. Das langärmelige Hemd und die Hose waren mit starken Antipheromonen getränkt, desgleichen der breitkrempige Hut. Bisher hatten das Geräusch, das ihn umgab, sowie der Gestank ihn unversehrt bleiben lassen.
Obgleich ihm das nicht bewußt war, unterschied er sich in seiner äußeren Erscheinung nur unwesentlich von Dschungelforschern alter Zeiten. Solche Männer hätten für die Chemie und Elektronik sogar getötet, die die schlimmsten Geißeln Alaspins in sicherer Entfernung hielten. Die Thranx brauchten zum Glück keine komplizierten Schutzvorrichtungen. Nur wenige Käfer konnten sich durch ihre Chitinhülle bohren. Auch brauchten sie die Kühlvorrichtung nicht, die in seine Hose eingebaut war und für angenehme Temperaturen sorgte, indem sie seinen Schweiß wiederverwendete. Es war nicht lebensnotwendig, aber es lieferte einen luxuriösen Ausgleich zu anderen Unannehmlichkeiten.
Es war auch teuer, aber Geld war etwas, worüber Flinx sich nicht den Kopf zerbrach. Wenngleich er nicht ausgesprochen reich war, so hatte er doch dafür gesorgt, finanziell weitgehend unabhängig zu sein.
Ein vielstimmiges Summen drang ihm ans Ohr. Er hatte ihre Anwesenheit längst gespürt, ehe er sie hörte. Pip entrollte sich auf seiner Schulter und schwang sich in die Luft. Dort waren sie wieder, in den Bäumen rechts von ihm.
Jeder war größer als der größte Kolibri. Sie schossen in gestaffelter Formation auf ihn zu und umtanzten seinen Kopf. Er lächelte sie liebevoll an, dann wandte er sich um und setzte seinen Marsch zu dem See fort, den er auf der Luftkarte gefunden hatte. Er war ihm als geeigneter Ort erschienen, um dort endgültig Abschied zu nehmen.
Die Wirklichkeit ist weitaus schöner als das Bild, dachte er, während er sich durch die letzten Ausläufer des Unterholzes arbeitete und an einem steilen Ufer stand. Es war noch recht früh. Nebel stieg von der spiegelglatten Oberfläche des Sees auf und milderte die scharfen Konturen der Bäume und Schlingpflanzen, die das gegenüberliegende Ufer säumten. Es waren Traumgebilde, in Gold gefaßt, leuchtende Bilder, die aufstiegen, als strebten sie der von Dunst umhüllten Sonne entgegen.
Die weite Fläche reizte seine Mitreisenden. Sie schossen hinaus über die Wasserfläche und kreisten fröhlich um Pip. Sie war der Stern, um den sie sich anordneten.
Bis zu diesem Tag. Der Zeitpunkt war nahe, und er wußte es. Er wußte es, weil er es im Geist seines Schoßtieres spüren konnte. Pip war eine Empathie-Telepatin, fähig, Gefühle ihres Herrn zu wecken wie auch zu empfangen. Das halbe Dutzend Nachkommen, das in verwirrenden Kreisen um sie herumsegelte, war in ähnlicher Weise begabt.
Sie waren während eines Besuchs auf dieser ihrer Heimatwelt empfangen worden, und an diesen Ort hatte Flinx sie zur Entwöhnung zurückgebracht, obgleich dieser Begriff eigentlich auf fliegende Schlangen nicht anwendbar war. Er glaubte, daß dies der richtige Schritt sei, allerdings konnte er nicht genau feststellen, inwieweit diese Auffassung ihm selbst entsprang oder durch Pip ausgelöst worden war. Nun wußte er, daß er richtig entschieden hatte. Er hatte die Anwesenheit der Jährlinge genossen, aber nun wuchsen sie sehr schnell. Sieben Meter lange, hochgradig giftige empathische Minidrachs waren mehr, als eine Person ertragen konnte; daher hatte er die verlorenen Söhne zurückgebracht.
Schlangen waren sie nur dem Namen nach, denn denen ähnelten sie am meisten. Sogar die Xenotaxonomen nannten sie Miniaturdrachen, obgleich sie mit den ausgestorbenen terranischen Dinosauriern weitaus enger verwandt waren. Er konnte ihre Verwirrung spüren, als er dort mit der Machete in der rechten Faust am Ufer stand.
Wogen mütterlicher Abneigung breiteten sich um Pip aus wie die Kreise auf einem Teich, dessen Oberfläche durch einen Stein bewegt worden war. Diese Wogen spülten über ihre Abkömmlinge, drangen auf sie ein und vertrieben sie. Nach und nach setzte sich ihr Instinkt dort durch, wo das Verständnis noch fehlte. Während sie in immer größer werdenden Kreisen um sie herumflogen, spürte Flinx, wie die Bindungen zwischen Mutter und Sprößlingen schwächer wurden. Sie zerrissen nicht vollständig, sondern verloren nur stetig an Intensität. Es war ein zugleich schöner wie auch schmerzhafter Anblick, und er erfüllte ihn mit einem rechtschaffenen Gefühl des Friedens.
Er fragte sich nicht länger, ob er richtig gehandelt hatte, als er sie hierher gebracht hatte. Der Tanz der Minidrachs dauerte an, und die unglaublich beweglichen Körper schossen und flitzten hin und her, wobei sich die Sonne in den glänzenden Schuppen funkelnd widerspiegelte. Am Ende lösten sie sich einer nach dem anderen ganz aus der Formation, wie Kinder, die ausprobieren, wie weit sie sich von ihren Eltern entfernen können, ohne zurückgerufen zu werden, um schließlich zwischen den Bäumen am gegenüberliegenden fernen Ufer des Sees zu verschwinden. Nun waren sie endgültig auf die Welt zurückgekehrt, welche sie hervorgebracht hatte. Flinx atmete tief ein.
»Gut gemacht«, sagte er laut, wohl wissend, daß die Worte nicht verstanden würden, daß aber Pip genau begriff, was er empfand. »Das wär’s, altes Mädchen. Zeit für dich und mich zurückzugehen. Es wird allmählich warm.«
Pip kaum augenblicklich zu ihm zurückgeflogen, hielt blitzartig inne und verharrte etwa einen Meter vor seinem Gesicht. Die lange spitze Zunge zuckte vor gegen seine Nase und seine Augen, ehe das Wesen sich drehte und sich auf seinem Nacken und seinen Schultern niederließ.
Er gestattete sich einen letzten Blick auf den See, dessen Oberfläche immer noch so glatt war wie Glas. Dann wandte er sich um und ging auf dem Weg zurück, den er sich durch den Dschungel geschlagen hatte. Wenn Pip wirklich Bedauern darüber verspürte, ihre Nachkommenschaft davonfliegen zu sehen, so ließ sie es sich nicht anmerken. Falls er überhaupt etwas bei ihr spürte, so war es eine unendliche Zufriedenheit.
Natürlich konnte er nicht mit letzter Sicherheit entscheiden, ob das, was er empfand, dem entsprach, was sie empfand, oder ob ihre Gefühle nichts anderes waren als eine Reflexion seiner eigenen Gefühle. Seine seltsame Sensibilität war nach wie vor ein unergründliches Geheimnis für ihn, obgleich er sie jedes Jahr besser zu beherrschen schien. Es war genauso, als versuchte man, eine Nebelschwade festzuhalten. In dem einen Augenblick war die Begabung zuverlässig und fast greifbar, und schon im nächsten, wenn er versuchte, sie gezielt einzusetzen, rührte sich nichts, aber auch gar nichts.
Er gab sich große Mühe, dieses Rätsel zu verstehen.
Während er sich durch den Schlamm wühlte, versuchte er nach Möglichkeit eine Berührung mit der Vegetation in der nächsten Umgebung zu vermeiden. Im Dschungel schien jedes Blatt irgend etwas mit Zähnen Bewehrtes oder Giftiges unter sich zu verstecken. Er fing an, seine Fähigkeiten zu respektieren, wertzuschätzen, anstatt sich vor ihnen zu fürchten oder sie gar zu hassen. Wenn ihre Wirksamkeit doch nur etwas besser vorhersagbar gewesen wäre! Es war schwierig, einen Zaun zu bauen, wenn einem irgend etwas stets den Hammer wegnahm, ehe man auf den Nagel traf. Bisher hatten seine Talente ihm mehr Schwierigkeiten als Nutzen eingebracht. Unglücklicherweise mußte er lernen, damit zu leben. Er konnte sie genausowenig ablegen, wie er sich selbst verstümmeln konnte.
Pip rührte sich auf ihrem Platz, als dieser Widerstreit der Gefühle in ihm ablief. Er verharrte und wandte sich um, als er das Summen vernahm.
Ein einzelner junger Minidrach schwebte lärmend vor ihm. Als er sich zu ihm umwandte, wich der Jährling zurück, bis er etwa zwei Meter entfernt war. Dort verharrte er und starrte ihn eindringlich an.
Flinx wußte, daß er nicht das erste menschliche Wesen war, das eine enge emotionale Verbindung mit einem Minidrach eingegangen war. Es gab Geschichten von anderen Prospektoren, die ähnliches getan hatten. Er selbst hatte einen solchen Typen vor mehr als einem Jahr kennengelernt. Der Minidrach dieses Mannes, Balthasar, hatte sich mit Pip gepaart. Aber er hatte noch nie von jemandem gehört, der sich mit mehr als nur einer fliegenden Schlange verbunden hätte. Ein Mensch, ein Minidrach. Das war die Regel. Der Jährling mußte verschwinden.
»Hau ab! Sieh zu, daß du wegkommst!« Er sprang auf ihn zu, fuchtelte mit den Armen und der Machete. Das kleine Lebewesen zog sich einen weiteren Meter zurück. »Flieg weg! Verschwinde! Du hast bei mir und deiner Mutter nichts mehr zu suchen! Es heißt Abschied nehmen!« Er jagte den Minidrach. Dieser schoß zwei Meter rückwärts und hielt inne, wobei er sich schwebend hinter dem mächtigen Stamm eines Baumes mit blauer Rinde versteckte.
Flinx drehte sich um und setzte seinen Marsch fort. Er hatte kaum zwanzig Meter zurückgelegt, als er erneut das Summen vernahm. Als er sich verärgert umdrehte, landete der Jährling schnell auf einem einladenden Ast, legte die gefältelten Flügel eng an den schlanken Körper und schwang den Schwanz um das Holz.
»Was ist los mit dir?« Er schaute auf Pip hinab, die stumm ihren widerspenstigen Sprößling anstarrte. »Du hast da ein Kind, das das Nest nicht verlassen will. Was gedenkst du zu tun?«
Flinx staunte ständig über die Gedankenfülle, die durch Gefühle vermittelt werden konnte. Pip verstand nicht ein Wort, das er gesagt hatte, doch das daraus entstehende Gefühl war deutlich erkennbar. Sie streckte sich, breitete die Flügel aus und schoß auf ihren Nachkommen zu.
Der Jährling fiel beinahe vom Baum, als er versuchte, ihrem Angriff zu entgehen. Flinx schaute zu, wie die beiden Minidrachs um Baumstämme und Äste herumhuschten und die dort hausenden Lebewesen aufscheuchten und in alle Richtungen davonjagten.
Schließlich kehrte Pip etwas außer Atem zurück und hockte sich wieder auf seine Schulter. Diesmal blieb er einfach stehen und wartete. Eine Minute verstrich, eine zweite, ehe er das erwartete Summen wieder hörte. Der Jährling verharrte in der Gabel zweier dicker Äste, offensichtlich erschöpft, aber genauso offensichtlich nicht gewillt, sich vertreiben zu lassen. Als Flinx spürte, wie Pip sich auf seiner Schulter anspannte, legte er ihr eine Hand auf den Hals, um sie zu beruhigen.
»Still!« Sie fühlte es, ohne zu verstehen. Ihr Atem wurde ruhiger. »Alles in Ordnung.«
Der Sprößling fing das gleiche Gefühl auf und schwebte auf ihn zu. Er betrachtete das Lebewesen, während es sich um sein linkes Handgelenk schlang.
»Nein, du kannst nicht hierbleiben. Verstanden?« Er schlenkerte die Hand ruckartig zur Seite und schleuderte so die fliegende Schlange in die Luft. Sobald er die Hand wieder sinken ließ, kehrte der Minidrach zurück und klammerte sich an seinen Arm, ein leuchtendbuntes Armband mit funkelnden roten Augen.
Er schleuderte es mehrere Male von sich. Jedes Mal landete es wieder an seinem Handgelenk oder seinem Unterarm. »Was zum Teufel soll ich mit dir anfangen?« Wenn eine fliegende Schlange tatsächlich katzbuckeln konnte, dann tat der Minidrach genau das. Er vergrub den Kopf unter einem Flügel.
Reizend, verdammt noch mal, dachte er. Jeder von Pips Sprößlingen war reizend gewesen, allerliebste kleine lederartige Skulpturen. Jeder von ihnen enthielt genug Neurotoxin in den Giftdrüsen, um ein Dutzend erwachsene Männer in genauso vielen Minuten zu töten. Das war nicht mehr so reizend.
Die Ausstrahlungen des Minidrachs waren schwach und unbestimmt wie die seiner Mutter. Zuneigung, Verwirrung, Einsamkeit, Angst, Ratlosigkeit - alles durcheinander. Da der Intelligenzgrad der fliegenden Schlange weit unter dem eines Menschen lag, waren die Empfindungen nicht genau zu definieren.
Dieser war sehr klein, selbst für einen einjährigen Minidrach. Pip war sich ganz eindeutig unschlüssig und versuchte ihre Aufmerksamkeit zwischen ihrem Herrn und ihrem Sprößling aufzuteilen. Er fragte sich, wie sie wohl reagieren würde, wenn er gegenüber dem Kind handgreiflich würde. Wenn er genügend Wut gegen das Junge aufbaute, dann würde sie es wohl irgendwie schaffen, das Kleine zu vertreiben, selbst wenn sie es dabei verletzen müßte.
Seiner Größe nach zu urteilen, war es wahrscheinlich als letztes geschlüpft, infolgedessen hatte es wenig Lust, entwöhnt zu werden. Aber er hatte nicht die Absicht, auf Alaspin einen Tag länger zu bleiben als unbedingt nötig, ganz gewiß nicht, um die Gefühle eines widerspenstigen halbwüchsigen Minidrachs zu schonen. Auf dieser Welt hatte er nichts mehr zu tun, und er wollte nichts mehr sehen. Er wollte sich nur wieder auf den Weg machen, wohin auch immer. Er brauchte keine zusätzliche Lebensform, die in seinem Schiff ein Chaos verursachte. Er seufzte laut. Das tat er seit kurzem recht häufig, wie er feststellte.
»Viel hältst du ja nicht davon, oder?« Ein winziger bunter dreieckiger Kopf linste unter einem Flügel hervor. »So geht es aber nicht. Ein Minidrach, ein Mensch. Man kann keine empathische Dreierbeziehung haben.« Der Minidrach reagierte nicht.
Vielleicht war er noch nicht reif genug. Sicherlich war er der Tolpatsch des ganzen Geleges. Flinx hob den linken Arm, bis ihre Augen sich auf gleicher Höhe befanden.
»Wenn du schon hierbleiben willst, dann mußt du wenigstens einen Namen haben. Was ist kleiner als Pip? Knöpfchen? Nein, eher eine Krabbe.
Ach, ich meine, daß man dich Scrap nennen sollte.«
Das war seiner Meinung nach durchaus passend. Der kleine Muskelring spannte sich um seinen Arm, ob nun als Reaktion auf die Namensgebung oder einfach nur des festeren Halts wegen, das konnte Flinx nicht beurteilen. Viel Platz nähme er ja nicht weg, sagte Flinx sich. Pip könnte ja an Bord der Teacher auf ihn aufpassen, wo es Brocken und Fetzen und Abfall von ganz anderer Art gab. Das Wesen würde sich dort richtig zu Hause fühlen.
Der große Minidrach hatte es sich jetzt wieder an seinem Hals gemütlich gemacht, da die Feindseligkeit des Herrn gegenüber dem Sprößling sich verflüchtigt hatte. Pip achtete nicht mehr auf den Jährling. Offenbar meinte sie, alles getan zu haben, um ihren mütterlichen Pflichten nachzukommen. Wenn ihr Herr das Junge nicht mehr von sich stieß, dann sah sie keine Notwendigkeit, es ihrerseits zu tun.
Er dachte nicht mehr an den neuen Gefährten, während er seinen Weg zurückverfolgte. Alaspin war keine freundliche Welt. Es war die Heimat einer eindrucksvollen Ansammlung von fleischfressenden und giftigen Lebensformen, die in ihren Freßgewohnheiten keinen Unterschied zwischen einheimischer und fremdweltlicher Beute machten. Wie Flinx bereits bei seinen vorherigen Besuchen festgestellt hatte, war dies kein Ort, um Risiken einzugehen, kein Land zum Erholen und Besichtigen. Daher dachte er weder an Pip noch an Scrap, während er darauf achtete, wohin er die Füße setzte, und dabei die schlammigen Eindrücke zu treffen versuchte, die er hinterlassen hatte, als er sich seinen Weg zum See freigeschlagen hatte. Blätter und Ranken streichelten ihm das Gesicht, und bei jeder Berührung zuckte er instinktiv zurück.
Obgleich es Dschungel gab, die noch unwirtlicher waren als die auf Alaspin, empfand er diesen als ausgesprochen bedrohlich. Er hatte niemals den Wunsch gehabt, sich den Scouts anzuschließen, diesen halbwahnsinnigen Männern, Frauen und Thranx, die jeweils die ersten waren, die den Fuß auf eine neuentdeckte Welt setzten. Nicht einmal Pip konnte ihn vor Parasiten und winzigen Blutsaugern beschützen. Er umklammerte krampfhaft die altertümliche Machete. Wenigstens, so dachte er, waren die Ahnen schlau genug, diese Dinger aus Titan herzustellen. Alles andere wäre einfach zu schwer gewesen, um es wirkungsvoll einzusetzen.
Nach weiteren dreißig Metern gelangte er zu der kleinen Lichtung, wo sein Kriecher wartete. Dies war der Punkt, bis zu dem er mit dem Gefährt hatte vordringen können. Die Maschine konnte ohne Schwierigkeiten über Wasser und durch die meisten Dschungelformationen fahren, aber dicht beieinander stehende dicke Bäume hielten sie an.
Daher war er gezwungen gewesen, sie hier zurückzulassen und den restlichen Weg bis zum See zu Fuß zurückzulegen.
Der Kriecher sah aus wie ein überdimensionales Chromkanu auf Rädern mit einer Kuppel aus Plexmix und mit einem Gelenk in der Mitte. Die auf Hochglanz polierten Seitenflächen reflektierten eine Menge glühenden Sonnenschein, was hier unter den Bäumen nicht so wichtig war, jedoch zur Kühlung geradezu lebensnotwendig wurde, wenn das Fahrzeug draußen auf einem See oder einem Fluß unterwegs war. Gitterkonstruktionen schützten die Unterseite und bewahrten die empfindliche Technik vor Beschädigungen. Das Fahrzeug war nicht viel breiter als der Fahrersitz; daher konnte es zwischen Bäumen hindurchschlüpfen, die es nicht umzulegen vermochte. Tatsächlich handelte es sich bei dem Fahrzeug um einen riesigen mobilen Wärmeaustauscher, der seine Insassen in relativem Komfort durch die feuchte und heiße Landschaft Alaspins kutschierte.
Flinx hatte den Kriecher in Mimmisompo gemietet, wobei er mit einer KredKarte zahlte, deren Guthaben, wenn auch nicht gerade astronomisch hoch, zumindest den Angestellten, der den Mietvertrag ausfüllte, die Augenbrauen heben ließ. Der Kriecher bewegte sich auf Doppelprofilen vorwärts, eines vorn und das andere hinten. Er konnte drei Passagiere befördern, die hintereinander hinter dem Fahrer Platz nehmen mußten. Es gab keine anderen Passagiere außer Pip, und er brauchte wirklich kein so großes Fahrzeug, aber es war das kleinste gewesen, das er so kurzfristig hatte auftreiben können. Daher hatte er schulterzuckend den viel zu hohen Preis bezahlt. Das Fahrzeug war auf dem Wasser sogar noch schneller als zu Lande. Ein Luftwagen wäre noch schneller gewesen, aber so etwas konnte man in Mimmisompo nicht mieten. Die Prospektoren und die Wissenschaftler hatten sie alle besetzt und transportierten damit ihre Freunde und ihre Versorgungsgüter. Flinx war nur mit Geld und ohne Beziehungen aufgetreten. In einer kleinen Pioniersiedlung kann letzteres manchmal als Tauschobjekt und Zahlungsmittel weitaus wichtiger sein. Daher war er gezwungen gewesen, sich mit dem Kriecher zufriedenzugeben.
Nicht so schlimm! Er hatte sich nur wenige Tage außerhalb der Stadt aufgehalten und befand sich bereits auf dem Rückweg. Da er auf dem Hinweg einen Weg geschaffen hatte, würde er nur noch ein Viertel der Zeit brauchen, um zum Fluß zurückzukehren, wobei er vorsichtig die belaubten Hindernisse umfuhr, die der Kriecher nicht hatte beiseiteschieben können. Wenn er erst einmal den Fluß erreicht hätte, dann ginge die Weiterfahrt flußabwärts, und er würde nicht gegen die Strömung kämpfen müssen. Er freute sich schon darauf, eine Nacht im Hotel verbringen zu können anstatt in der engen Koje im Kriecher.
Mimmisompo stand am Rand eines weitläufigen Sandstrandes, wo es in der wolkenarmen Jahreszeit sauber und trocken und in der feuchten triefnaß war. Der Raumhafen befand sich ein Stück weiter landeinwärts. Er besetzte eines der höherliegenden Gebiete in dieser Region und war sicher vor den jahreszeitlichen Hochwassern. Es war nicht gerade ein Ort, den man sich aussuchte, um sich dort zu erholen, doch Flinx war geradezu begierig, wieder dorthin zurückzukehren.
Auf der obersten Sprosse der Leiter, die seitlich am Kriecher angebracht war, hielt er inne, strich mit dem Magnetschlüssel über die Verriegelung und hörte ein Klicken, als sie sich öffnete. Ein Schwall kalter Luft fächelte ihm entgegen, als er einstieg, sich in seinen Sitz zwängte und einen Schalter betätigte, um die Tür hinter sich zu schließen. Wahrscheinlich war es gar nicht nötig, hier mitten im Urwald das Fahrzeug zu verriegeln, aber er hatte schon sehr frühzeitig gelernt, daß ›mitten in der Wildnis‹ eine Gegend sein konnte, die häufig von höchst unangenehmen Typen frequentiert wurde, und während die Wahrscheinlichkeit, daß jemand auf den Kriecher stieß, nur sehr gering war, fühlte er sich doch sicherer, wenn die Chancen allein auf seiner Seite lagen. Der Anblick eines teuren Kriechers, der offen und unbewacht im Dschungel herumstand, mochte sogar für einen ehrlichen Prospektor eine allzu große Verlockung darstellen.
Der mentale Nachgeschmack der fünf davongeflogenen Minidrachs war völlig aus seinem Bewußtsein gewichen, jedoch hing ihr Duft immer noch in der Kabine des Kriechers. Er war leicht süßlich, aber nicht unangenehm. Der Recycler würde ihn schon bald entfernt haben. Gebogene Stahlstäbe verstärkten die ansonsten durchsichtigen PleMixwände und das gewölbte Dach. Nachdem er kurz seine Umgebung in Augenschein genommen hatte, begann er die Instrumente einzuschalten. Gelbe Bereitschaftslichter wechselten zu Grün und meldeten Betriebszustand.
Wie jede moderne Maschine brauchte der Kriecher nur einen kurzen Moment, um ein Selbst-Prüfungsprogramm laufen zu lassen und seinen einwandfreien Zustand zu melden. Danach schaltete Flinx den Recycler auf höhere Leistung und holte ein Handtuch hervor, um sich das Gesicht abzutrocknen. Man mußte vorsichtig sein, wenn man Umgebung und Milieu wechselte. Während die Klimaanlage, die er trug, seinem Körper angenehme Bedingungen geschaffen hatte, war sein Gesicht der Luft ausgesetzt gewesen. Schweiß rann ihm über die Stirn und die Wangen, lief am Hals herunter und versickerte im Hemdkragen. Die Kombination von Luftklimatisierung und Schweiß konnte einem schneller eine Erkältung einbringen als alle anderen Gefahren, die der Mensch kannte.
Es war eigentlich nur eine Frage der persönlichen Entscheidung. Er hätte einen Helm tragen können und sich total vom lokalen Klima abschotten können, doch irgendwie schien das beim Abschied der kleinen Minidrachs genau das Verkehrte zu sein. Daher hatte er den Helm im Kriecher zurückgelassen und die Hitze und Feuchtigkeit auf dem kurzen Marsch durch den Dschungel ertragen.
Nachdem er das durchnäßte Handtuch beiseite gelegt hatte, nahm er einen tiefen Schluck gekühlten Fruchtsaft aus der Speiseleitung des Fahrers, ehe er den Motor anwarf. Der Elektroantrieb summte melodisch hinter ihm. Pip glitt ihm von der Schulter, um sich in ein Ausrüstungsfach neben dem Sitz hinter ihm zu hocken. Wenn sie wegen des Abschieds ihrer fünf Sprößlinge traurig oder melancholisch war, so zeigte sie es nicht.
Scrap hatte kaum Lust, sich einen Sitzplatz zu suchen. Trotz Flinx’ ständigen Versuchen, ihn vom Handgelenk zu lösen, beharrte der Minidrach darauf, weiterhin dort hängenzubleiben. Schließlich gab Flinx seine Versuche auf und setzte den Kriecher in Bewegung. Das Kind war überhaupt nicht schwer, und über kurz oder lang würde es sich sowieso langweilen und sich von selbst einen anderen Platz suchen.
Der Pfad, den er vom Fluß aus geschaffen hatte, war einfach zu verfolgen. Schnellwuchernde Dschungelpflanzen kämpften bereits um ihren Anteil an dem neugeschaffenen Zugang zum Himmel. Er bog um eine enge Kurve, knickte den Kriecher in der Mitte ab, um sich damit um einen drei Meter dicken Baumstamm zu schlängeln. Das Fahrzeug knickte auch vertikal ein, als er danach durch ein ausgetrocknetes Flußbett fuhr.
Nun da er erledigt hatte, weshalb er nach Alaspin gekommen war, sah er sich zu der Überlegung gezwungen, was er als nächstes tun sollte. Das Leben war nicht länger einfach. Früher war es einfach gewesen, damals auf Moth, als er sich um nichts anderes hatte kümmern müssen, als trocken zu bleiben und genug zu essen zu bekommen und sich vielleicht ein bißchen Luxus zu leisten und Mutter Mastiff auszuhelfen, wenn die Geschäfte schleppend liefen. Die letzten vier Jahre hatten sein Leben unglaublich schwierig gemacht. Er hatte mehr gesehen und erlebt, als die meisten Menschen in einer ganzen Lebensspanne sahen und erlebten, halbwüchsige Jungen schon gar nicht.
Er war immer noch sehr jung, aber sowohl körperlich als auch geistig gewachsen. Tatsächlich fast neun Zentimeter. Entscheidungen ließen sich nicht mehr so einfach fällen, und eine Wahl ließ sich nicht mehr spontan und unbehelligt treffen. Neunzehn Jahre alt zu sein, brachte eine Menge Verantwortung mit sich, für ihn noch mehr als für die meisten. Von dem Gefühlsballast ganz zu schweigen, der damit einherging und sich nicht einfach wegdrängen ließ.
Er hatte eine Menge erlebt, sagte er sich, während er den Kriecher durch den Halbdämmer des Dschungels lenkte, aber das meiste hatte ihm nicht sonderlich gefallen. Im großen und ganzen waren die Menschen und die Thranx für ihn eine Enttäuschung gewesen. Zu viele Individuen waren bereit und gewillt, ihre Prinzipien und Freunde zu verkaufen, wenn der richtige Preis geboten wurde. Selbst grundsätzlich gute Menschen wie der Händler Malaika versuchten letztendlich nur ihre eigenen Interessen zu wahren. Mutter Mastiff machte da keine Ausnahme, aber sie hatte wenigstens nichts Scheinheiliges an sich. Sie genoß es, geizig und geldgierig zu sein. Er erfreute sich an ihrer Ehrlichkeit. Sie war der beste Mensch, der sie sein konnte, wenn man ihre traurigen Lebensumstände bedachte.
Und was sollte aus ihm werden? Ein ganzes Universum von Möglichkeiten lag vor ihm. Vielleicht zu viele. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, wonach er greifen sollte.
Und es waren nicht nur gewichtige Fragen der Philosophie und Moral, die im Augenblick auf ihn einstürmten. Da war zum Beispiel auch das zunehmend faszinierende und komplizierte Phänomen des anderen Geschlechts. Da er die meiste Zeit der letzten vier Jahre damit verbracht hatte, nur am Leben zu bleiben, waren Frauen für ihn noch immer ein überaus reizvolles Geheimnis.
Es hatte einige gegeben. Die schöne und leidenschaftliche Lauren Walder vor vielen Jahren auf seiner Heimatwelt Moth. Atha Moon, Maxim Lalaikas Leibpilotin. Ein paar andere, jünger und weniger erinnerungswürdig, die wie kleine blaue Flämmchen durch sein Leben getanzt waren und Erinnerungen hinterlassen hatten, die gleichermaßen brannten wie ihn verwirrten. Er fragte sich, ob Lauren sich wohl an ihn erinnerte, ob sie immer noch in ihrer seltsamen Fischerhütte arbeitete oder ob sie schon von dort weggezogen war, vielleicht sogar den Planeten verlassen hatte. Ob er in ihrer Erinnerung immer noch der ›Stadtjunge‹ war.
Er straffte sich in seinem Sitz. Damals war er kaum mehr als ein Kind gewesen, und schüchtern dazu. Vielleicht war er immer noch ein richtiger Junge, aber nun war er bei weitem nicht mehr so schüchtern. Er sah auch nicht mehr jungenhaft aus. Das machte ihm Sorgen. Jede Veränderung bereitete ihm Unbehagen, denn er konnte sich niemals sicher sein, ob sie das Ergebnis eines natürlichen Wachstumsprozesses war oder sich aus seiner unnatürlichen Herkunft ergab.
Man mochte nur einmal die Körpergröße betrachten. Er hatte erfahren, daß es bei den meisten jungen Männern zur normalen Entwicklung gehörte, wenn sie ihre volle Körpergröße bis zum siebzehnten oder achtzehnten Lebensjahr erreichten. Dennoch hatte er seine volle Jungengröße im Alter von fünfzehn Jahren erreicht und dann aufgehört zu wachsen. Nun jedoch war er plötzlich und unerklärlicherweise in zwölf Monaten weitere neun Zentimeter gewachsen, und nichts wies darauf hin, daß diese Entwicklung bald aufhören sollte. Hatte er vorher größenmäßig knapp unter dem Durchschnitt gelegen, so war er jetzt knapp überdurchschnittlich groß. Größe veränderte die Lebenssicht, die man hatte, genauso wie die Betrachtungsweise der Umwelt.
Leider wurde es schwieriger, unauffällig zu bleiben. Er fühlte sich weniger als Junge und statt dessen mehr als Mann - doch, wenn ein Junge zum Mann wurde, sollte er dann in bestimmten Dingen nicht genau Bescheid wissen? Flinx stellte fest, daß er nun weitaus verwirrter und unsicherer war als mit sechzehn, und das betraf nicht nur die Frauen.
Wenn überhaupt jemand das Recht hatte, verwirrt und unsicher zu sein, dann war es Philip Lynx, alias Flinx. Er war kein normaler Geist in einem normalen Körper. Es war besser, dauernd verwirrt zu sein als ängstlich. Er schaffte es, die Angst zu unterdrücken, sie zu verdrängen, sie in die finstersten Nischen seines Geistes zu verbannen. Es kam ihm nicht in den Sinn, daß es im Grunde seine Verwirrtheit und seine Angst waren, die ihn davon abhielten, mit Angehörigen des anderen Geschlechts in engeren Kontakt zu treten. Er wußte nur, daß er wachsam war.
Wenn doch nur Bran Tse-Mallory oder Truzenzuzex da wären, um ihn zu leiten! Er vermißte sie sehr, fragte sich, wo sie wohl sein mochten und was sie wohl gerade taten, welche Geheimnisse sie mit ihren einmalig scharfsinnigen Geistern erforschten. Ein eisiges Frösteln erfaßte ihn, als er sich sagte, daß sie ebensogut auch tot sein konnten.
Nein, unmöglich! Diese beiden waren unsterblich. Beide waren lebende Denkmäler, Geist und Intelligenz, eingeschlossen in die Ewigkeiten überdauernde Materie, beide Teile, die zusammen ein großes Ganzes bildeten. Sie mußten ihr eigenes Leben leben, sagte er sich zum tausendsten Mal, sie mußten ihrer eigenen Bestimmung folgen. Man konnte nicht von ihnen erwarten, daß sie Zeit erübrigten, um einen seltsamen jungen Mann zu unterrichten, ganz gleich wie interessant er auch sein mochte.
Da er als Junge immer alles allein geschafft hatte, würde ihm das als Erwachsenem gewiß ebenso gelingen. Er würde verdammt noch mal alles mögliche selbst herausfinden, sich darüber Klarheit verschaffen, anstatt von anderen zu erwarten, daß sie es für ihn täten. Warum sollte er es nicht schaffen? Er war zu bestimmten Dingen fähig, zu denen - soweit er wußte - niemand sonst fähig war.
Sie haben mich recht gut ausgestattet, dachte er bitter. Meine pränatalen Ärzte. Die schurkischen Männer und Frauen, die sich seine DNS verschafft hatten, um damit zu spielen. Was hatten sie eigentlich bei ihm und seinen ungeborenen Testgefährten zu erreichen gehofft? Wären sie heute stolz auf ihn, oder wären sie von ihm enttäuscht, wie sie es offensichtlich von allen anderen waren? Oder wären sie ganz einfach nur neugierig, total unberührt und gleichgültig? Diese Frage blieb rein spekulativer Natur, da sie längst tot oder hirngelöscht waren.
Nun, ihr Produkt bereitete sich darauf vor, ein eigenes Leben aufzubauen, unabhängig und unbeobachtet. Er war bereits kreuz und quer durch das Commonwealth gereist in dem Bemühen, seine natürlichen Eltern zu finden, um schließlich zu erfahren, daß seine Mutter tot und die Identität seines Vaters ein Geheimnis war, welches sich im Dunst und den Gerüchten verlor, die seine Herkunft umgaben.
Dieser Drang zu wissen, hatte ihn mehrere Jahre umgetrieben. Nun lag das hinter ihm. Wenn er jemals die Wahrheit über seine Herkunft erfahren wollte, dann müßte er sie aus irgendeinem Computerchip herausholen, der irgendwo außerhalb des menschlichen Lebensbereichs versteckt war. Es wurde Zeit, die Geschichte hinter sich zu lassen und sich der Zukunft zuzuwenden, die sich wahrscheinlich als genauso kompliziert erweisen würde wie seine Vergangenheit.
Dennoch betrachtete er sich selbst als vom Glück begünstigt. Während seine unkontrollierbaren Talente ihn häufig in Schwierigkeiten gebracht hatten, hatten sie ihm jedoch auch geholfen, ihn davor zu bewahren oder daraus zu befreien. Er hatte die Gelegenheit gehabt, einige einzigartige Individuen kennenzulernen: Bran Tse-Mallory und Truzenzuzex, Lauren Walder und andere, die nicht so angenehm waren. Und dann waren da die Ujurrier. Er ertappte sich bei der Frage, welche Fortschritte ihr Tunnelbau wohl machte. Dann die Aann, natürlich, die gegen die Humanxheit intrigierten und Komplotte schmiedeten, stets nach einer Schwäche suchten, Ausschau hielten nach einer Öffnung, beobachteten und warteten und sich auszubreiten hofften, wann immer das Commonwealth schwach oder unschlüssig erschien.
Seine Gedanken gerieten ins Taumeln, irrten umher, aber er konnte nichts dagegen tun. Der Kriecher lenkte sich im großen und ganzen selbst, und nun, da er getan hatte, weshalb er hergekommen war, fühlte er sich entspannt und erleichtert. Er konnte sich vorstellen, wie er selbst ein zurückgezogen lebender Mystiker wurde, der alte Eremit der Handelslinien, der kreuz und quer durch das Commonwealth zog und sogar in jenem wundervollen Schiff zu den äußersten Grenzen vordrang, das die Ujurrier für ihn gebaut hatten. Die Teacher. Das war es, wie sie ihn nannten. Lehrer. Ein Paradoxon, denn je mehr er lernte, desto unwissender kam er sich vor.
Truzenzuzex hätte das wahrscheinlich als Zeichen für zunehmende Reife interpretiert. Er war ein Schüler, kein Lehrer, und interessierte sich brennend für alles um ihn herum: Leute und Orte, Zivilisationen und Individuen. Er hatte Bruchstücke großer Geheimnisse und Rätsel kennengelernt. Abalamahalamatandra, der nicht der Überlebende einer uralten Rasse war, sondern statt dessen ein biomechanischer Schlüssel, mit dem ein furchtbares Gebilde in Gang gesetzt werden konnte. Die Kräng, die radikalste Waffe der längst verschwundenen Tar-Aiym, deren seltsame mechomentalen Störungen nach all den Jahren immer noch durch seinen Geist hallten. Soviel hatte er gesehen, und soviel gab es für ihn noch zu erfahren und zu besuchen. Soviel, das er verstehen wollte.
Intelligenz war eine schreckliche Last.
Er zuckte zusammen, der Kriecher blieb stehen, als er den Beschleunigungshebel losließ. Pips Kopf erhob sich jäh von dem Sitz, auf dem sie sich zusammengerollt hatte, und Scraps kleine Flügel flatterten nervös, als Flinx beide Hände gegen den Kopf preßte. Die Kopfschmerzen wurden schlimmer. Er hatte sie schon immer gehabt, aber während des vergangenen Jahres waren sie zu einem ständigen Begleiter geworden und machten sich nun häufig und immer öfter bemerkbar.
Ein weiterer Grund, dauerhaften Beziehungen aus dem Weg zu gehen. Es war durchaus möglich, hatte er sich in seinen düsteren Augenblicken klargemacht, daß er nur ein weiteres fehlgeschlagenes Experiment darstellte, und er hatte kein Interesse daran, jemand anderen mit sich in den Untergang zu ziehen. Er hatte es ganz einfach geschafft, etwas länger am Leben zu bleiben als die übrigen spektakulären Fehlschläge. Wirklich beängstigend war die Tatsache, daß in den medizinischen Texten der Unterschied zwischen Kopfschmerzen und einem Schlaganfall kaum mehr als eine Frage der jeweiligen Stärke war.
Die schmerzenden Lichter verblaßten allmählich auf der Innenseite seiner Netzhäute. Er tat einen langen flatternden Atemzug, dann setzte er sich gerade auf. Irgend etwas geschah mit ihm. Etwas veränderte sich in seinem Kopf, und er hatte keine größere Kontrolle darüber als der Kontrollturm eines Raumhafens über eine mit einem Dieb an den Kontrollen davonrasende Fähre. Weitere Veränderungen. Verdammt sollten seine Schöpfer sein, diese Hurensöhne, die sich selbst das Recht verliehen hatten, mit Ungeborenen ihre Spielchen zu treiben.
Daran ließ sich nichts ändern. Er konnte kaum in eine größere medizinische Einrichtung hineinspazieren und gelassen eine umfangreiche Untersuchung aufgrund der Tatsache fordern, daß er das Bastardprodukt einer illegalen und allgemein verhaßten Gemeinschaft von abtrünnigen Eugenikern war. Andererseits, sagte er sich und fühlte sich etwas besser, als der Schmerz im Kopf nachließ, war es möglicherweise nur so, daß er für Kopfschmerzen besonders anfällig war. Er brachte ein Grinsen zustande. Wie erfreulich, wenn alle seine Ängste und Sorgen sich als grundlos erweisen sollten, und das einzige, worunter er litt, wäre das normale Unbehagen, das mit dem Wechsel von der Jugend ins Erwachsenenalter einhergeht. Es wäre auch wunderbar.
Es war außerdem unwahrscheinlich.
Die Kopfschmerzen wurden gewöhnlich von der heftigen seelischen Zuckung einer anderen Person begleitet, aber es war niemand in der Nähe. Vielleicht war es ein echter Kopfschmerz. Gegen den Schmerz an sich hatte er nichts einzuwenden, wenn dies wirklich der Fall wäre. Manchmal konnte Schmerz sogar etwas Beruhigendes sein.
Die Tatsache, daß er hier mitten im Dschungel immer noch eine heftige seelische Erschütterung durchmachen konnte, war ein weiterer Beweis für die sprunghafte Natur seiner Fähigkeiten, auch wenn er dafür keine zusätzliche Bestätigung brauchte. Die Tatsache, daß er sich mit seinen Eigentümlichkeiten intellektuell abgefunden hatte, trug nicht dazu bei, deren Auswirkung auf ihn zu mindern. Sie waren eine ständige Erinnerung an seine Unnormalität, ein Hinweis auf die Tatsache, daß er - was immer er tun mochte - niemals fähig sein würde, so etwas wie ein normales Leben zu führen.
Wenn er es doch nur lernen könnte, seine Talente zu steuern, sie zu lenken, ihren Fluß in Gang zu setzen oder versiegen zu lassen wie Wasser aus einer Leitung. »Wenn ich«, murmelte er wütend vor sich hin, »doch nur normal wäre! Aber ich bin weder normal, noch weiß ich genau, was ich bin.«
Ein Leichtgewicht landete auf seiner rechten Schulter. Ein Blick zeigte ihm das schuppige, allerdings auch verständnisvolle Gesicht Scraps. Er lächelte.
»Was fange ich nur mit dir an? Du wirst dort draußen keinen Partner finden, niemanden, mit dem du dich unterhalten kannst. Du wirst in einem Gefühlsvakuum leben und davon zehren, was Pip und ich übrig haben. Du wirst nur empfangen und niemals verstärken.«
Was fingen Minidrachs in der Wildnis an? fragte er sich. Konnten sie sich gegenseitig empathisch ergänzen? Gewiß funktionierten sie nicht als telepathische Sammellinse, wie Pip es für ihn vermochte. Er fragte sich manchmal, was die fliegenden Schlangen außer physischer Nähe aus ihren seltenen Beziehungen zu bestimmten Menschen gewannen.
Genau das, was ich jetzt brauche, dachte er, wenngleich nicht unbedingt unfreundlich. Noch ein Verrückter im Geist. Aber wer könnte sich für einen selbsterklärten Ausgestoßenen als Gefährte besser eignen als ein anderer Ausgestoßener, wie er selbst einer war? Er fühlte sich schon viel besser.
Er wußte nun, was er tun würde, nämlich mit Hilfe dieses wundervollen Raumschiffs so lange durch das Commonwealth ziehen, wie Zeit und Gesundheit es ihm gestatteten. Legenden würden sich um ihn ranken, den Wanderer mit den fliegenden Schlangen, der einmal kurz auf dieser und dann auf jener Welt auftauchte, um schnell weiterzueilen und weder einen Namen noch Hinweise auf seine Herkunft oder seine Ziele zu hinterlassen. Der Eremit des Commonwealth. Das klang gewichtig. Nach Gelassenheit und Geheimnis. Es gab nur ein einziges Problem mit dem erhabenen Dasein, das er sich da ausgesucht hatte.
Es war die ungünstigste Daseinsform, um Frauen kennenzulernen.
Wer immer mein Gehirn durcheinandergebracht hat, dachte er düster, und meinen genetischen Code in einer Weise umgerührt hat, wie ein Barkeeper mit dem Rührlöffel Eiswürfel in einem Cocktail herumwirbelt, hat meine Hormone unangetastet gelassen. Hehre Lebensziele und aufkeimender Sexualtrieb, so entschied er, paßten nicht gut zusammen. Dies war ein Problem, das vielen Schwierigkeiten der Menschheit seit Anbeginn der Zeit zugrunde lag.
Mit Hilfe von Zeit, Geduld und Wissen könnte er vielleicht eines Tages einen mitfühlenden Arzt finden, der erfahren und geschickt genug wäre, um ihn von seinen Kopfschmerzen zu befreien, wenn nicht gar von deren Ursache. Vielleicht fand er auf diesem Weg auch zu einer Möglichkeit, etwas mehr Kontrolle über sein Leben zu gewinnen. Er hatte genug Außergewöhnliches gesehen und geleistet. Alles, was er sich jetzt für sich selbst wünschte, waren etwas Frieden und Ruhe und eine Gelegenheit, mehr zu lernen.
Noch während er diesen Gedanken zu Ende dachte, spürte er diesen vertrauten, abscheulich störenden Druck in seinem Geist. Diesmal war es kein Kopfschmerz, eher ein mentales Pochen. Da er es aber nicht ausschalten konnte, war es auf seine ganz spezielle Art mindestens genauso unangenehm. Es war eine leicht erkennbare Empfindung, denn er hatte sie vorher schon oft durchlebt. Irgendwo war irgend jemand in Schwierigkeiten geraten.
Pip und Scrap spürten es ebenfalls, wobei Scrap ihm vor dem Gesicht umhertanzte und sich wie eine verrückte Hummel gegen das PlexMix warf. Der Minidrach versperrte ihm die Sicht.
»Hör auf, geh aus dem Weg!« Er wischte die fliegende Schlange mit dem Handrücken beiseite, ohne darüber nachzudenken, daß der gerade ein Jahr alte Minidrach, wenn er es denn gewollt hätte, ihn blitzschnell hätte töten können.
Während er sich vorbeugte, versuchte er zwischen den Bäumen etwas zu erkennen. Gekühlte Luft, die zwischen der Doppelschicht PlexMix zirkulierte, verhinderte, daß sich an der Innenseite Kondenswasser bildete. Vor ihm lag nichts als grüner Dschungel, und Augenblicke später nicht einmal mehr das.
Ein Strand war dem Fluß vorgelagert. Hundert Meter sauberer zusammengebackener Sand. In der Regensaison verschwand dieser Streifen. Nun erstreckte er sich vor ihm wie der schönste Badestrand auf New Riviera.
Niemand auf Alaspin wäre jedoch auf die Idee gekommen, sich zur Erholung an einen solchen Strand zu legen. Es gab Tausende von ähnlichen Flächen an den Ufern von Dutzenden größerer Flüsse, und hundert davon konnte man für eine geradezu lächerliche Summe kaufen - die Blutsauger und die anderen Insekten würden einen Körper aussaugen wie einen Schwamm, den man ihnen zum Spiel vorgeworfen hat, falls jemand versuchte, auf irgendeinem Strand im Dschungel ohne totalen Körperschutz ein Sonnenbad zu nehmen.
Der Strand war makellos; leer. Es gab keine Deckung, keinen Schatten. Der Kriecher wirbelte Sand auf, als Flinx den Spuren folgte, die er vorher hinterlassen hatte. Seine Gedanken waren nicht mehr so finster, und er schmiedete bereits Pläne, von Mimmisompo nach Alaspinport zurückzuhüpfen, wo eine Fähre darauf wartete, ihn zur Teacher zurückzubringen, die sich über dem Planeten in einem Synchronorbit befand.
Pips Flügel zerzausten ihm das Haar von hinten. Die fliegende Schlange war hellwach und von irgend etwas erregt.
»Was nun?«
Dann riß er jäh den Lenkhebel des Kriechers herum, und die Vorderketten schleuderten den Sand nach links, als er eine scharfe Kurve fuhr.