»Was meinst du, Gracie – wird Betty am Ende der Sendung Millionärin sein?«

In den letzten paar Tagen habe ich mir eine Unmenge halbstündiger Vormittagssendungen angesehen, und jetzt sind wir gerade bei der Antiquitäten-Roadshow. Betty ist siebzig Jahre alt, aus Warwickshire und wartet gespannt, während der Antiquitätenhändler versucht, den Preis der alten Teekanne zu schätzen, die sie mitgebracht hat.

Ich beobachte, wie der Mann die Kanne vorsichtig begutachtet, und ein angenehmes, vertrautes Gefühl steigt in mir auf. »Tut mir leid, Betty«, sage ich zum Fernseher, »das ist kein Original aus dem achtzehnten Jahrhundert. Damals haben die Franzosen so was zwar benutzt, aber Bettys Kanne stammt aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert. Das sieht man an der Form des Griffs. Keine gute Arbeit.«

»Ach wirklich?«, sagt Dad und sieht mich interessiert an.

Gebannt starren wir beide auf den Bildschirm, wo der Händler meine Aussage soeben bestätigt. Die arme Betty ist am Boden zerstört, tut aber so, als hätte sie die Teekanne eigentlich sowieso nicht verkaufen wollen, weil sie das gute Stück von ihrer Großmutter geschenkt bekommen hat.

»Lügnerin!«, ruft Dad. »Betty hat garantiert schon ihre Kreuzfahrt gebucht und sich einen Bikini gekauft. Aber weshalb weißt du so gut Bescheid über Kannen und die Franzosen, Gracie? Hast du das in einem deiner Bücher gelesen?«

»Vielleicht.« Aber ich habe keine Ahnung. Wenn ich über meinen neuen Wissensschatz nachdenke, bekomme ich regelmäßig Kopfweh.

Dad bemerkt meinen Gesichtsausdruck. »Warum rufst du nicht mal eine Freundin an oder so? Ein kleines Schwätzchen tut dir bestimmt gut.«

Ich habe nicht die geringste Lust, aber ich weiß, dass er recht hat. »Na ja, wahrscheinlich sollte ich mich mal bei Kate melden.«

»Dieses kräftige Mädel, das dich mit schwarzgebranntem Whiskey abgefüllt hat, als ihr sechzehn wart?«

»Genau die«, lache ich. Mein Vater hat Kate das nie verziehen.

»Also wirklich. Eine Chaotin, das Mädchen. Was ist eigentlich aus ihr geworden?«

»Nicht viel. Sie hat bloß grade ihren Laden in der Stadt für zwei Millionen verkauft, um Hausfrau und Mutter zu werden.« Ich muss mir auf die Zunge beißen, um nicht laut loszulachen, als ich sein schockiertes Gesicht sehe.

Er spitzt die Ohren. »Na klar, ruf sie an. Plaudert ein bisschen, das macht ihr Frauen doch so gern. Gut für die Seele, hat deine Mutter immer gesagt. Deine Mutter hat auch gern geredet – ständig hat sie mit irgendwem über irgendwas geplappert.«

»Ich frage mich, wo sie das herhatte«, sage ich leise, aber wie durch ein Wunder funktionieren die Ohren meines Vaters plötzlich ganz hervorragend.

»Ihr Sternzeichen war schuld daran. Stier. Hat ’ne Menge Mist geredet.«

»Dad!«

»Was denn? Ich habe sie von ganzem Herzen geliebt, aber sie hat trotzdem eine Menge Mist geredet. Es reichte ihr nicht, über etwas zu reden, nein, ich musste mir auch noch in allen Einzelheiten anhören, was sie darüber dachte. Zehnmal mindestens.«

»Du glaubst doch gar nicht an Sternzeichen«, sage ich und versetze ihm einen Knuff.

»Oh doch. Ich bin Waage.« Er beugt sich von einer Seite zur anderen. »Perfekt ausgewogen.«

Ich lache und ziehe mich dann in mein Zimmer zurück, um Kate anzurufen. Das Zimmer ist praktisch unverändert seit der Zeit, als ich hier gewohnt habe. Obwohl gelegentlich Gäste hier übernachtet haben, nachdem ich weg war, haben meine Eltern die Überreste meiner Siebensachen nie weggeräumt. Sticker von The Cure kleben noch an der Tür, und wo ich Plakate aufgehängt hatte, ist die Tapete gerissen. Als Strafe dafür, dass ich die Tapete zerstört hatte, musste ich den Rasen vor dem Haus mähen und fuhr mit dem Rasenmäher dabei aus Versehen über einen Strauch. Mein Vater sprach den Rest des Tages kein Wort mehr mit mir. Anscheinend hatte der Strauch ausgerechnet da zum ersten Mal geblüht. Damals konnte ich seine Frustration nicht verstehen, aber nachdem ich nun über so viele Jahre harte Arbeit in die Pflege meiner Ehe gesteckt habe und mit ansehen musste, wie sie verwelkt und gestorben ist, kann ich seinen Kummer verstehen. Obwohl ich wette, dass er die Erleichterung nicht empfunden hat, die ich jetzt fühle.

In meinem Zimmer ist nicht mehr Platz als für ein Bett und einen Schrank, aber das war meine Welt. Meine persönliche Zuflucht. Hier konnte ich denken und träumen, weinen und lachen und darauf warten, endlich erwachsen zu werden und all die Dinge zu tun, die ich nicht durfte. Damals war dieses Zimmer der einzige Fleck auf der Erde, der nur mir allein gehörte, und jetzt, mit dreiunddreißig Jahren, ist es wieder so. Wer hätte gedacht, dass ich mich hier wiederfinden würde, ohne die Dinge, die ich mir immer gewünscht habe – oder noch schlimmer, die ich mir immer noch wünsche. Weder bin ich Bandmitglied von The Cure noch mit Robert Smith verheiratet, ich habe weder ein Baby noch einen Ehemann.

Die wilde Blümchentapete passt allerdings überhaupt nicht zu einem Ort der Ruhe: Millionen winziger Blümchen mit hellgrün verblichenen Stielen. Kein Wunder, dass ich die Wände mit Postern zugepflastert hatte. Der Teppich ist braun mit Kringeln in einem helleren Braunton und hat Flecken von verschüttetem Parfüm und Make-up. Neu hinzugekommen sind die abgeschabten braunen Lederkoffer oben auf dem Schrank, die seit Mums Tod dort Staub ansammeln. Dad verreist nie. Schon vor langem ist er zu der Erkenntnis gekommen, dass das Leben ohne Mum für ihn anstrengend und fremd genug ist.

Die letzte Neuerung ist die Tagesdecke. Wobei neu bedeutet, dass sie gut zehn Jahre alt ist. Mum hat sie gekauft, als mein Zimmer zum Gästezimmer ernannt wurde. Im Jahr vor ihrem Tod bin ich hier aus- und mit Kate zusammengezogen, aber ich wünsche mir jeden Tag, ich hätte das nicht getan. All die kostbaren Tage, an denen ich nicht von Mums langgezogenem Gähnen aufgewacht bin, das nach einer gewissen Zeit regelmäßig in ein Singen überging, bevor sie sich in Selbstgespräche verwickelte und sozusagen ihr verbales Tagebuch führte, während im Hintergrund Gay Byrnes Radiosendung lief. Mum liebte Gay Byrne, und ihr größter Ehrgeiz im Leben war es, ihn einmal zu treffen. Am nächsten kam sie diesem Traum, als sie und Dad Tickets für einen Publikumsplatz in The Late Late Show bekamen, und Mum hat noch Jahre danach davon erzählt. Ich glaube, sie war in Gay Byrne verliebt. Dad hasste ihn. Vermutlich wusste er, dass Mum ein bisschen in ihn verschossen war.

Aber jetzt hört er ihn selbst gern. Ich glaube, das erinnert ihn immer an eine besonders schöne Zeit mit Mum, fast so, als würde er Mums Stimme hören, obwohl alle anderen meinen, es ist Gay Byrne. Seit sie gestorben ist, umgibt Dad sich mit den Dingen, die sie geliebt hat. Jeden Morgen, wenn Gay Byrne kommt, stellt er das Radio an, er sieht sich Mums Lieblingssendungen im Fernsehen an, er kauft bei seinem wöchentlichen Einkauf ihre Lieblingskekse, obwohl er sie früher nie gegessen hat, nur weil er sie so gerne im Schrank liegen sieht, wenn er die Tür aufmacht, genau wie ihre Zeitschriften neben seiner Tageszeitung. Er stellt gern ihre Hausschuhe neben ihren Sessel vor dem Kamin, sozusagen als Erinnerung, dass nicht die ganze Welt kaputtgegangen ist. Manchmal brauchen wir einfach so viel Klebstoff wie nur möglich, um nicht auseinanderzufallen.

Mit seinen fünfundsechzig Jahren war er einfach zu jung, um seine Frau zu verlieren. Mit meinen dreiundzwanzig war ich auch zu jung, um meine Mutter zu verlieren. Sie hätte nicht mit fünfundfünfzig sterben dürfen, aber der Krebs, dieser Zeiträuber, der erst viel zu spät erkannt wurde, hat sie uns gestohlen, uns allen. Dad hatte für seine Generation erst spät geheiratet und war schon zweiundvierzig, als ich auf die Welt kam. Ich glaube, dass ihm vorher jemand das Herz gebrochen hat. Er hat nie über sie gesprochen, und ich habe ihn auch nie danach gefragt, aber er sagt immer, dass er länger auf Mum gewartet hat, als er wirklich mit ihr zusammen war – aber dass diese Zeit jede Sekunde aufwiegt, in der er nach ihr gesucht und die er sie später vermisst hat.

Mum hat Conor nie kennengelernt, aber ich weiß nicht, ob sie ihn gemocht hätte. Natürlich wäre sie viel zu höflich gewesen, um sich etwas anmerken zu lassen. Mum mochte ganz verschiedene Menschen, aber vor allem diejenigen, die Lebensfreude und Energie besaßen und diese auch ausstrahlten, Menschen, die lebten und Leben versprühten. Conor ist sympathisch. Immer nur sympathisch. Nie übermäßig aufgeregt. Oder aufregend. Er ist sympathisch, was ja nur ein anderes Wort für nett ist. Wenn man einen netten Mann heiratet, führt man mit ihm eine nette Ehe, aber mehr auch nicht. Und gegen nett ist nichts einzuwenden, wenn es von anderen Dingen flankiert wird, aber nicht, wenn es alleine steht.

Dad kann sich mit jedem unterhalten, egal wann und wo, und hat trotzdem keine Meinung über ihn oder sie. Das einzig Negative, was er jemals über Conor gesagt hat, war: »Na ja, welcher Mann mag denn schon Tennis?« Dad, der selbst ein Fußball- und Hurlingfan ist, spuckte das Wort Tennis aus, als könnte er sich daran den Mund schmutzig machen.

Dass wir kein Kind bekamen, machte Dads Meinung nicht besser. Wenn ein Schwangerschaftstest mal wieder nicht den ersehnten blauen Streifen produzierte, gab er dem Tennis die Schuld daran, vor allem den engen weißen Shorts, die Conor manchmal trug. Natürlich sagte er das nur, um mich aufzuheitern. Manchmal funktionierte es sogar, manchmal auch nicht, aber es war unverfänglich, da jeder wusste, dass es weder an den Tennisshorts noch an dem Mann lag, der sie trug.

Ich lasse mich auf der Tagesdecke nieder, die Mum gekauft hat, und achte darauf, dass ich sie nicht zerknittere. Es war ein Set von Dunnes, bestehend aus der Decke, zwei dazu passenden Kissen und einer Kerze fürs Fensterbrett, die nie angezündet wurde und inzwischen ihren Duft verloren hat. Staub sammelt sich auf ihr, ein Beweis, dass Dad seinen Pflichten nicht nachkommt – als wäre es für einen Fünfundsiebzigjährigen wichtig, irgendwo anders Staub zu wischen als auf dem Regal mit den liebsten Erinnerungsstücken. Aber der Staub hat sich gelegt, und er soll bleiben, wo er ist.

Ich schalte mein Handy an, das tagelang abgestellt war, und sofort beginnt es eifrig zu piepen, während ein Dutzend Nachrichten eintrudelt. Eigentlich habe ich alle, die mir lieb und nahe oder neugierig sind, schon angerufen und informiert. Es ist, wie wenn man ein Pflaster herunterreißt – nicht dran denken, ein Ruck, dann ist die Sache fast schmerzfrei zu erledigen. Adressbuch aufschlagen, und dann eins nach dem anderen, zack, zack, zack, jeweils drei Minuten. Schnelle, schwungvolle Telefongespräche, geführt von einer seltsam gut gelaunten Frau, die für einen kurzen Zeitraum meinen Körper bewohnte. Eine unglaubliche Frau, positiv und munter, und doch zum richtigen Zeitpunkt auch emotional und weise. Ihr Timing war perfekt, und ihre Empfindungen waren so prägnant, dass ich am liebsten mitgeschrieben hätte. Sogar ein bisschen Humor war dabei, den manche Lieben, Nahen und Neugierigen gut verkrafteten, während andere fast einen beleidigten Eindruck machten – nicht, dass es ihr etwas ausgemacht hätte, it’s my party, and I cry if I want to. Natürlich kenne ich diese Frau, sie hat bei mir Trauma-Bereitschaft, schlüpft in meine Schuhe und übernimmt die schwierigen Rollen. Garantiert wird sie bald wieder auftauchen.

Nein, es wird noch lange dauern, bis ich wieder mit meiner eigenen Stimme sprechen kann. Aber die Frau, die ich jetzt anrufe, ist eine Ausnahme, bei ihr kann und muss ich mich nicht verstellen.

Kate hebt beim vierten Klingeln ab.

»Hallo!«, ruft sie, und ich zucke heftig zusammen. Im Hintergrund höre ich Geräusche, als wäre soeben ein Krieg ausgebrochen.

»Joyce!«, brüllt sie, und mir wird klar, dass sie die Freisprecheinrichtung eingestellt hat. »Ich hab dich schon so oft angerufen! Derek, SETZ DICH HIN! DAS GEFÄLLT MUMMY NICHT! Sorry, ich bin grade dran mit dem Abholdienst. Ich muss sechs Kinder nach Hause schaffen, dann gibt’s einen kleinen Snack, bevor ich Eric zum Basketball und Jayda zum Schwimmen bringe. Hast du Lust, dich da nachher mit mir zu treffen? Jayda kriegt heute ihr Zehn-Meter-Abzeichen.«

Ich höre Jayda heulen, dass sie Zehn-Meter-Abzeichen hasst.

»Wie kannst du es hassen, wenn du noch nie eins gemacht hast?«, faucht Kate sie an. Jayda heult noch lauter, und ich muss mein Handy ein Stück vom Ohr weg halten. »JAYDA! GIB JETZT ENDLICH RUHE! DEREK, MACH DEINEN GURT ZU! Wenn ich plötzlich bremsen muss, KRACHST du durch die Windschutzscheibe und SCHLÄGST DIR DAS GESICHT ZU BREI. Moment mal, Joyce.«

Während ich warte, herrscht Schweigen.

»Gracie!«, schreit Dad. Panisch renne ich zur Treppe. So habe ich ihn seit meiner Kindheit nicht mehr brüllen hören.

»Ja, Dad? Alles klar bei dir?«

»Ich hab sieben Buchstaben!«, ruft er.

»Du hast was

»Sieben Buchstaben!«

»Was soll das heißen?«

»Bei Countdown

Meine Panik ebbt ab, und ich setze mich leicht frustriert auf die oberste Treppenstufe. Plötzlich kommt Kates Stimme zurück, und es klingt, als wären Ruhe und Frieden wiederhergestellt.

»Okay, ich hab die Freisprecheinrichtung ausgeschaltet. Wahrscheinlich werde ich verhaftet, weil ich das Telefon in der Hand habe, und natürlich auch von der Abholliste gestrichen, aber das ist mir so was von scheißegal.«

»Ich sag meiner Mummy, dass du das Sch-Wort benutzt hast«, ertönt ein hohes Stimmchen.

»Gut. Das wollte ich ihr schon seit Jahren sagen«, murmelt Kate, und ich muss lachen.

»Scheiße, Scheiße, Scheiße«, höre ich einen Kinderchor.

»O Mann, Joyce, ich mach lieber Schluss. Sehn wir uns um sieben im Freizeitcenter? Das ist meine einzige Pause. Sonst geht es erst morgen. Tennis um drei oder Turnen um sechs? Ich schau mal, ob Frankie vielleicht auch kommen kann.«

Frankie. Mit Taufnamen heißt sie Francesca, aber darauf hört sie nicht. Dad hat unrecht mit Kate. Vielleicht hat sie den Whiskey angeschleppt, aber streng genommen war es Frankie, die mir den Mund aufgehalten und mich mit dem Zeug abgefüllt hat. Da diese Version der Geschichte aber nie verbreitet wurde, denkt er, Frankie ist eine Heilige. Sehr zu Kates Ärger.

»Dann nehme ich das Turnen morgen«, sage ich und lächle, während der Kinderchor sich immer mehr ins Zeug legt. Dann ist Kate weg, und Stille tritt ein.

»GRACIE!«, brüllt Dad wieder.

»Ich heiße Joyce, Dad.«

»Ich hab das Wortspiel!«

So schnell ich kann, laufe ich zu meinem Bett zurück und stecke den Kopf unter das nächstbeste Kissen.

Ein paar Minuten später steht Dad in der Tür und erschreckt mich zu Tode.

»Ich war der Einzige, der das Wortspiel rausgekriegt hat. Die Teilnehmer hatten keine Ahnung. Trotzdem hat Simon gewonnen und macht morgen weiter. Seit drei Tagen gewinnt er jetzt schon, ich kann ihn nicht mehr sehen. Ein echt komischer Typ, du würdest dich schieflachen. Ich glaube, Carol mag ihn auch nicht, und sie hat schon wieder ziemlich abgenommen. Magst du einen HobNob? Ich mach noch ’ne Tasse Tee.«

»Nein danke.« Ich ziehe das Kissen wieder über den Kopf. Er benutzt so viele Wörter.

»Na, ich trink jedenfalls einen Tee. Beim Lunch hab ich nämlich meine Pillen vergessen, die muss ich jetzt noch nehmen.«

»Du hast beim Lunch doch eine Tablette geschluckt, weißt du das nicht mehr?«

»Das war die für mein Herz. Jetzt meine ich die fürs Gedächtnis. Fürs Kurzzeitgedächtnis.«

Ich nehme das Kissen vom Gesicht, um nachzusehen, ob er es ernst meint. »Und du hast vergessen, sie zu nehmen?«

Er nickt.

»Ach, Dad.« Ich fange an zu lachen, aber er starrt mich an, als hätte ich einen hysterischen Anfall. »Du bist Medizin genug für mich. Na ja, aber du brauchst stärkere Pillen, denn die jetzigen wirken anscheinend nicht, was?«

Beleidigt wendet er mir den Rücken zu und geht grummelnd den Korridor hinunter. »Und ob die wirken. Vorausgesetzt, ich vergesse nicht, sie zu nehmen.«

»Dad!«, rufe ich ihm nach, und er bleibt oben an der Treppe stehen. »Danke, dass du mir keine Fragen wegen Conor stellst.«

»Klar, brauch ich auch nicht. Ich weiß ja, dass ihr im Handumdrehen wieder zusammen sein werdet.«

»Nein, bestimmt nicht«, entgegne ich leise.

Er kommt wieder ein bisschen näher. »Hat er was mit einer anderen?«

»Nein. Und ich übrigens auch nicht. Wir lieben uns einfach nicht mehr. Schon seit längerer Zeit.«

»Aber du hast ihn geheiratet, Joyce. Hab ich dich nicht selbst zum Altar geführt?« Verwirrt sieht er mich an.

»Was hat das denn damit zu tun?«

»Ihr habt euch im Haus des Herrn ein Versprechen gegeben, ich hab es mit eigenen Ohren gehört. Was ist mit euch jungen Leuten heutzutage bloß los, dass ihr euch dauernd trennt und huschhusch jemand anderes heiratet? Ist es etwa aus der Mode gekommen, ein Versprechen zu halten?«

Ich seufze. Was soll ich denn darauf antworten? Er macht sich wieder auf den Weg zur Treppe.

»Dad?«

Er bleibt stehen, aber ohne sich umzudrehen.

»Ich glaube, du denkst manchmal nicht an die Alternative. Meinst du wirklich, es ist besser, wenn ich mein Versprechen halte und bei Conor bleibe, obwohl ich ihn nicht liebe und unglücklich bin?«

»Wenn du glaubst, dass deine Mutter und ich eine perfekte Ehe geführt haben, dann irrst du dich, denn so was gibt es überhaupt nicht. Kein Mensch ist dauernd glücklich, Liebes.«

»Das verstehe ich ja. Aber was, wenn man nie glücklich ist? Überhaupt nie?«

Ich habe den Eindruck, dass er sich das zum ersten Mal durch den Kopf gehen lässt, und ich halte die Luft an, bis er schließlich antwortet: »Ich glaube, ich hol mir jetzt einen HobNob.«

Auf dem halben Weg die Treppe hinunter ruft er rebellisch herauf: »Und zwar einen mit Schokolade!«