16

 

 

Die Wiederaufnahme meiner Ermittlungen war bei weitem nicht so einfach, wie ich erwartet hatte. Die Pallans, die für die verschiedenen Stufen der Vollerproduktion verantwortlich waren, hatten inzwischen Schutzmaßnahmen gegen Spionageversuche getroffen – die Wachen waren erheblich verstärkt worden. Mehrmals entging ich nur knapp meinem Schicksal und mußte schließlich mein Vorhaben aufgeben, in einen Vollerschuppen einzubrechen. Es gab in der Tat andere Möglichkeiten. Die Gerüchte über den phantomhaften Nachtschwärmer mit der Maske und dem weiten Mantel, der über Dächer huschte und sich nicht fangen ließ, waren inzwischen überall in der Stadt bekannt.

Außerdem wurde behauptet, er sei Vallianer.

Ich hörte mit starrem Gesicht zu, während Chido mir die Gerüchte erläuterte.

»In einer Zeit wie jetzt können wir Vallia keine Voller verkaufen, Hamun. Bei Hanitcha dem Sorgenbringer, das begreifst du doch, oder?« Er kostete von seinem Wein. Wir saßen am Rand eines Übungsringes und sahen zu, wie Nath Tolfeyr von dem Zenicce Leotes ti Ponthieu zurechtgesetzt wurde. »Wenn den Vallianern das nicht gefällt, haben sie Pech gehabt! Sie haben gerade eine Abordnung geschickt, die den Handel wieder in Gang bringen soll. Bittsteller!« Er lachte gutmütig. »Sie könnten sich genausogut in eine herrelldrinische Hölle begeben – so wenig Aussicht hat ihre Mission!«

»Die Pallans glauben also, ein Angehöriger der vallianischen Abordnung versuche ihre Geheimnisse zu stehlen?«

»Unsere Geheimnisse, Hamun!«

»Ja.«

»Nun, das ist alles nur Theorie. Jedenfalls wird die Königin die Vallianer unverrichteter Dinge wieder fortschicken.«

Am Nachmittag fand ein Zorcarennen statt, auf das ich gewartet hatte. Wir sahen uns das Ereignis an und bejubelten die Tiere, die um die Bahn galoppierten. Strom Hormish trat zu uns und äußerte sich erregt über den havilverfluchten Djang, der ihm entwischt sei. Als Besitzer des Sklaven hatte er nach dem hamalischen Gesetz unangenehme Strafen zu erwarten.

»Das ist wirklich Pech, Strom«, sagte Chido lachend.

»Der Mann kam mir ganz friedlich vor, Strom«, sagte ich. »Tut mir leid. Du hast ihn nicht zufällig ausgepeitscht?«

»Nein, bei Hanitcha dem Sorgenbringer! Ich habe ihm vielmehr einen Thraxter in die Hand gedrückt und ihm gesagt, er solle gegen einen Wersting antreten – prompt ist er geflohen!«

Darüber mußte sogar Thothord aus den Rubinbergen lachen.

Die Tage der Untätigkeit vergingen langsam. Ich sah die vallianische Delegation zurückfliegen; die Männer wurden von Wächtern durch das heilige Viertel geleitet. Einige Gesichter waren mir bekannt. Vermutlich hatte der Herrscher von Vallia, Delias Vater, die Hoffnung aufgegeben, daß sein ungezähmter Schwiegersohn hinter das Geheimnis der Voller kommen würde – womit er gar nicht mal so schief lag. Ich hatte den Eindruck, daß ihn die oppositionelle Racterpartei zur Entsendung der Delegation gedrängt hatte. Eine solche Mission konnte zu nichts führen, doch sie würde den Vallianern zeigen, daß etwas geschah. Wenn die Aktion zufällig doch Erfolg hatte, konnte die Racterpartei einen Punkt für sich verbuchen; blieb sie ohne Ergebnis, wurde das natürlich dem Herrscher zur Last gelegt.

Wie wütend Delia darüber gewesen sein mußte!

Der Voller, der bei meinem Eintreffen abgestürzt war, hatte mir eine gewisse Summe Schrottgeld gebracht. Danach hatte ich mir ein anderes Modell zugelegt, das ich aber nur selten benutzte. Da ich knapp bei Kasse war, faßte ich den Entschluß, das Flugboot zu verkaufen.

Ein Käufer war schnell gefunden. Er wohnte in östlicher Richtung am Havilthytus, etwa zwanzig Dwaburs entfernt. Ich gedachte, den Voller hinauszufliegen und auf einem Flußboot zurückzukehren. Ich freute mich schon auf den Ausflug, der mir etwas Abwechslung zu bringen versprach.

Die Zwillingssonnen Zim und Genodras standen hoch am Himmel, als ich über das fruchtbare hamalische Land dahinflog. Nach kurzer Zeit machte ich eine Gruppe Flutsmänner aus – und atmete nach dem ersten instinktiven Zusammenzucken auf. Sicher handelte es sich nur um Rekruten, die hier ausgebildet wurden. Ich beobachtete die Flieger und ihre Vögel und registrierte, daß sie offenbar eine kleine, doch äußerst vornehme Villa auf einem weiten, vorzüglich gepflegten Grundstück angriffen.

Ich runzelte die Stirn.

Irgend etwas stimmte hier nicht.

Zwei andere Voller flogen vorbei, ohne anzuhalten. Offenbar erlagen die Insassen derselben Täuschung wie ich im ersten Augenblick – doch ich wußte, wie ein Überfall aussah.

Ich legte die Waffen an, zog das Flugboot herum und hielt auf die Villa zu.

Die Szene ließ keinen Zweifel an den schrecklichen Ereignissen, die hier im Gange waren. Die Flutsmänner waren inzwischen gelandet und befaßten sich auf ihre brutale Art mit den Wächtern des Anwesens. Die Himmelsräuber rückten in einer Kette gegen einen Pavillon auf einer kleinen Landzunge im Fluß vor, an der verschiedene Boote festgemacht waren. Eingerahmt in angenehm duftende grüne Bäume, bot der Garten einen idyllischen Anblick – doch die Idylle wurde mit Blut besudelt.

Eine kleine Gruppe Angreifer brach durch die Reihen der Wächter und stürmte in den Pavillon. Mein Voller landete neben dem kleinen weißgestrichenen Gebäude. Frauen schrien. Ich sah Wächter auf dem grünen Rasen liegen – Apims, Rapas, Numims, Brokelsh ... Söldner, die mit dem Schwert umzugehen verstanden. Natürlich hatten auch die Flutsmänner Verluste hinnehmen müssen. Ich sprang zu Boden, zog Rapier und Main-Gauche und stürmte in den Pavillon.

Ein Numim taumelte mir mit schmerzverzerrtem Gesicht entgegen. Ein Stux ragte ihm aus dem Rücken.

Drei wunderhübsche Mädchen lagen tot auf ihren Seidenkissen ihr Blut befleckte den Mosaikboden zwischen den Teppichen.

Jemand hatte hier einen schlimmen Fehler begangen; die Mädchen waren Chail Sheom, Kurtisanen von überragender Schönheit und großem Wert. Die Frau, die mit entsetztem Gesicht auf einem Kissen saß, überraschte mich. Sie war ganz in Schwarz gekleidet – ein kurzer Faltenrock, eine spitzenbesetzte Bluse, ein Gurt um die schmale Taille, ein turbanähnliches Tuch auf dem Kopf; alles schwarz. Sie war schön – o ja! Ihre schrägen Augen schimmerten grün.

Die sechs Flutsmänner standen vor ihr und stritten miteinander. Die drei, die die Mädchen getötet hatten, wurden von den anderen wüst beschimpft.

Die Angreifer hatten einen großen blauen Sack bei sich, der nun geöffnet wurde.

»Nath, beeil dich, du Onker!« brüllte ein Mann.

»Stopf den Leem doch selbst in den Sack!« gab Nath aufgebracht zurück. »Gleich werden die Wachen hier sein!«

»Nimm das Weib doch über die Schulter, bei Gish! Muß man dir denn alles vorbeten, Nalgre?«

Die Frau erblickte mich. Der Ausdruck des Entsetzens in ihren Augen verging allmählich und machte einem berechnenden Lächeln Platz. Sie richtete sich auf – eine Frau, die das Kommandieren gewöhnt war.

Die Flutsmänner zerrten noch immer an dem blauen Sack herum. Schließlich wurde es Nath zuviel; er schob seine Begleiter zur Seite und näherte sich der Frau, die starr auf ihrem Kissen saß.

In diesem Augenblick fiel sein Blick auf mich. »Ein Ponsho, das sich scheren lassen will! Bei Gish! Das ist mir recht!«

 

Flutsmänner sind gefährliche Kämpfer. Nicht umsonst durchstreifen sie den Himmel auf der Suche nach Beute. Sie sind eine wahre Plage, doch sie haben mir auch schon viel Freude bereitet – so in diesem Augenblick.

Nalgre zog seinen Thraxter und stürmte auf mich los.

»Ich nehme das Mädchen!« rief Nath. »Rondas, Naghan – ihr zeigt dem Vosk, wie Flutsmänner kämpfen!«

Mit einem Freudenschrei warfen sich zwei weitere Männer in den Kampf. Einige Sekunden lang fühlte ich mich ernsthaft bedrängt, dann gelang es mir, einen der Männer zu erledigen – ich wußte nicht, ob es Rondas oder Naghan war – und verletzte Nalgre im Gesicht mit einem Hieb, der tödlich gewesen wäre, wenn er nicht einen blitzschnellen Satz nach hinten gemacht hätte. Er brüllte wütend und hielt sich einen Augenblick lang im Hintergrund.

Die anderen beiden ließen etliche Flutsmann-Flüche vom Stapel und bestürmten mich – doch ich wehrte sie ab. Wieder ging ein Mann zu Boden, und ich sah, daß sich Nath die schwarzgekleidete Frau auf die Schultern hievte. Sie wehrte sich nicht. Ihre Selbstbeherrschung angesichts der fürchterlichen Szene war erstaunlich. Ich tötete einen dritten Mann – doch Nalgre, dessen Gesicht blutüberströmt war, ging meiner Klinge weiter aus dem Weg. Ich holte aus, streckte einen Fuß vor und ließ ihn darüber stolpern. Doch ich hatte keine Gelegenheit, die Chance auszunützen, denn in diesem Augenblick brüllte Nath wie ein gebärender Chunkrah und warf sich auf mich.

»Setz die Dame ab, Nath ...«, sagte ich.

Ich schlug seine heranzuckende Klinge zur Seite und ließ das Rapier mit großer Präzision zustoßen. Die Klinge drang einen Fingerbreit neben der schlaffen Gestalt der Frau in Naths Körper. Der Mann begann zu schwanken und ließ seine Beute fallen.

Mit starrem Gesicht wandte er sich mir zu. Seine Augen blitzten. Nalgre kam taumelnd hoch. »Fort von hier, Nath! Fort! Die Wächter kommen!«

Es lag mir nichts daran, die beiden zu töten. Sie waren Räuber, gewiß, doch ihr Überfall war diesmal fehlgeschlagen. Die Flutsmänner, die die armen Sklavinnen ermordet hatten, waren bereits tot oder lagen im Sterben.

»Bei Gish! Der Mann kämpft wie ein Hyr-Paktur!« brüllte Nath. Er blickte zu seinem Begleiter und wieder auf mich. Dann hastete er in das Sonnenlicht hinaus. Ich hörte einen lauten Schrei. Nalgre folgte ihm. Ich schlenkerte die Blutstropfen von meiner Klinge und säuberte sie und den Dolch am bunten Seidenmantel eines toten Flutsmanns. Jetzt erst kümmerte ich mich um die Frau, die unverletzt am Boden saß. Sie beobachtete mich mit ihren schrägen grünen Augen.

»Ich bin Kovneva Serea von Piraju«, bemerkte sie schließlich, als ich nichts sagte. »Hai Jikai!« setzte sie tonlos hinzu.

Ich wollte ihr gerade erwidern, daß der Kampf keinesfalls ein Jikai gewesen sei, als atemlos eine Gruppe Wächter eintraf, stämmige, kampferfahrene Männer, die mit ihren Waffen umgehen konnten – und sie stürmten geradewegs auf mich zu, mit der offensichtlichen Absicht, mich auf der Stelle niederzustrecken!

Ich mußte mich einen Augenblick lang nach Leibeskräften wehren, ehe die Kovneva ihre Männer mit scharfen Worten zur Ordnung rief – und, verdammt noch mal, sie verstand zu befehlen!

»Dieser Jikai hat mich gerettet, ihr Cramphs! Während ihr euch habt fortlocken lassen und Phantomen nachgejagt seid!« Sie ließ keinen Widerspruch zu. Die Gesichter der Männer waren starr, doch sie ließen die Schelte über sich ergehen.

Als die Wächter gegangen waren, wandte sie sich an mich. Unwillkürlich straffte ich die Schultern, als der Blick der grünen Augen auf mich fiel, als sich ihre Lippen entspannten. Ich wußte, daß die Kovneva von hohem Stande war. Piraju war eine Insel vor der Nordwestspitze Hamals, mit dem Hauptland verbunden durch eine der langen Ketten aus winzigen Inseln, die sich wie Fingerknöchelchen in den Südlichen Ozean erstrecken, die Risshamal-Inseln.

»Du sagst ja nichts, Jikai. Wie heißt du?«

Wenn ich ihr einen meiner richtigen Namen nannte, gab es zwei Alternativen – ein Name, den sie nicht kannte, bedeutete ihr nichts, doch sollte sie den Namen kennen, würde er mich als ihren Feind brandmarken. Amak Hamun? Nein – das hätte meine Rolle völlig zunichtegemacht. Ich mußte mir also wieder einmal einen guten Namen einfallen lassen, in dem Bewußtsein, daß ich mich damit in Lebensgefahr begab. Eine Kovneva verfügt über ziemlich viel Macht.

»Lahal, Kovneva«, sagte ich. »Ich bin Bagor ti Hemlad.«

»Lahal, Bagor ti Hemlad.«

Ich hatte mir bewußt keinen hohen Rang gegeben; ich war es zufrieden, als Horter aufzutreten. Hemlad war eine Stadt, die ich auf meinen Reisen mit Avec Brand und Ilter Monicep besucht hatte.{*}

Soweit ich in diesem Augenblick feststellen konnte, schien ich die richtige Wahl getroffen zu haben. An einem einfachen Horter konnte die hohe Kovneva kein Interesse haben, wohingegen sie bei einem vornehmen Mann bestimmt Erkundigungen eingezogen hätte. Ein gemeiner Söldner aber, ein Paktun, hätte sie vielleicht zurückschrecken lassen. Jedenfalls hatte meine Entscheidung die gewünschte Wirkung: als ich ihr sagte, daß ich es eilig hätte und sie jetzt ja in Sicherheit wäre, erhob sie keine Einwände, sondern erwiderte nur, ich müsse ein Glas Wein mit ihr trinken. Sie reichte mir vom besten Jholaix, den sich nur wenige Leute leisten können.

»Der Wein schmeckt dir, Bagor?«

»Sehr gut sogar, Kovneva. Vielen Dank.«

Ihre grünen Augen blitzten mich amüsiert an – ein einfacher Horter konnte sich niemals Jholaix leisten. Insgeheim lächelte ich.

Dann flog ich weiter, verkaufte meinen Voller und fuhr mit dem Boot auf dem Havilthytus zurück. Als ich an dem weißen Pavillon vorbeikam, starrte ich gespannt hinüber; doch das Grundstück lag verlassen da.