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Das Ganze ergab keinen Sinn.
Der opazverfluchte Skorpion! Eines Tages würde ich meinen Fuß auf das rotbraune Ding stellen und es zerquetschen!
Doch während ich diesen Gedanken in meinem Herzen bewegte und mich auf dem Planeten meiner Geburt umsah, erkannte ich, daß dieser Tag niemals kommen würde.
Aus irgendeinem Grunde war ich wieder zur Erde zurückversetzt worden!
Gewiß, ich landete inmitten einer problematischen Situation und klärte die Sache. Danach trieb ich mich auf nächtlichen Stränden herum, den Kopf himmelwärts gewendet, hoffend auf den Umriß des Skorpions, der mir den Weg zurück ermöglichen würde. Ich dachte an meine Freunde auf Kregen, an meine Hoffnungen und Ziele auf dieser Welt – doch vor allem sehnte ich mich nach Delia, nach meiner Delia und unseren Zwillingen Drak und Lela.
Die Zeit auf der Erde war angefüllt mit Verzweiflung. (Ich möchte hier nicht im einzelnen darauf eingehen, weil diese Bänder hauptsächlich meinen Erlebnissen auf Kregen gewidmet sein sollen; es sei denn, ich halte meine Erlebnisse auf der Erde für interessant genug.)
Jedenfalls drohte mich bald die Langeweile zu überkommen, und um etwas zu tun zu haben und damit die Gefahr des Wahnsinns von mir abzuwenden, machte ich mich daran, ein wenig mehr über die Savanti herauszubekommen.
Die Herren der Sterne, die Everoinye, schienen mir über jede Nachforschung erhaben zu sein. Die Savanti jedoch, die Bewohner der Schwingenden Stadt Aphrasöe, boten schon eine bessere Ansatzmöglichkeit.
Ich machte mich auf die Suche nach Alex Hunter.
Da dieser Mann an einem valkanischen Strand auf dem fernen Kregen gestorben war, machte ich mich auf die Suche nach seinem Schatten, nach den Erinnerungen, die er hinterlassen hatte.
Dabei bereitete mir Geld keine Probleme, denn meine finanziellen Angelegenheiten wurden von einem Nachkommen eines Mannes geregelt, dessen Name ich verschweigen möchte; ich hatte ihn auf dem Schlachtfeld bei Waterloo kennengelernt. Ich war ziemlich vermögend, doch Reichtum bedeutete und bedeutet mir natürlich nichts im Vergleich zu den Dingen, die mich auf Kregen bewegen. Doch mein irdischer Reichtum verschaffte mir die Möglichkeit, meine Suche durchzuführen.
Die Spur begann in Paris und führte mich nach New York. Nachdem ich einen Monat lang herumgefragt und amtliche Unterlagen durchgesehen und Universitäts- und Armee-Akten studiert hatte, war ich der Meinung, jenen Alex Hunter aufgespürt zu haben, der von den Savanti eingesetzt worden war, um Kregen zu säubern.
Ein nüchterner alter Armee-Major sagte zu mir: »Er gilt als vermißt, Mr. Prescot. Es gab Ärger mit den Indianern, wie immer. Aber wir halten große Stücke auf den Jungen. Haben Sie ihn gekannt?«
Ich verneinte. Aber das Bild wurde klarer. Alex Hunter war ein junger Draufgänger gewesen, dessen Karriere vielversprechend begonnen hatte. Diensteifrig, wachsam, tüchtig – er war ein erstklassiger Offizier gewesen. Ich dachte an sein braunes Haar und die scharfen blauen Augen, an seine kraftvollen Bewegungen. Wie er von den Savanti nal Aphrasöe angeworben und nach Kregen geholt worden war, wußte ich nicht, doch hatte er zweifellos ähnliche Erlebnisse hinter sich wie ich: die Prüfung auf dem Aph-Fluß, woraufhin ihm die Savanti eine genetische Sprachpille gegeben und einen Lehrherrn zur Seite gestellt hatten. Außerdem war er sicher in Waffenkunde unterrichtet worden. Zweifellos hatten sie ihm ihre Pläne auf Kregen erläutert, Pläne, die ich nur ahnen konnte, war ich doch von den Savanti aus dem Paradies Aphrasöe vertrieben worden.
Was ich aber über jeden Zweifel wußte, war, daß Alex Hunter an einem Strand in Valka aufgetaucht war, um sich für eine dort gelandete Gruppe politischer Gefangener einzusetzen. Er hatte vorzüglich gegen ihre Wächter gekämpft – doch er war nicht erfahren genug gewesen. Entweder hatten die Savanti aus Verzweiflung gehandelt, oder die Herren der Sterne hatten eine Möglichkeit für ihre unendlich viel komplizierteren Pläne gesehen – jedenfalls war ich an jenen Strand gebracht worden, um die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Dabei hatte ich die Insel Valka gewonnen. Die Fremdheit der New Yorker Straßen mit ihren Wundern der Jahrhundertmitte ließ mich nun doch über die Gründe nachdenken, die für die Handlungen der Herren der Sterne ausschlaggebend sein mochten.
Die Savanti, dessen war ich sicher, wollten Kregen zu einer zivilisierten Welt machen – ein lobenswertes Vorhaben.
Was dagegen die Herren der Sterne wollten, wußte ich nicht. Doch ihre Pläne waren eindeutig langfristig zu sehen. Die Menschen, die ich auf Betreiben dieser Wesen vor dem Tod gerettet hatte, würden langsam heranwachsen; ihr Schicksal mußte auf die Geschichte der Welt Einfluß gewinnen.
Ich verließ den Westen, wo ich mich seltsam zu Hause gefühlt hatte, eine rauhe Welt, die mich sehr an Kregen erinnerte. Ich wanderte nach Südwesten und hielt mich gerade in Virginia auf, als die blaue Strahlung mich einhüllte und zu meiner Erleichterung nach Kregen zurückbrachte.
Als ich die Augen öffnete, stellte ich fest, daß ich – wie schon so oft – nackt war. Ein ganz normaler Zustand, nachdem mich die Herren der Sterne auf die Scorpio-Welt zurückgeholt hatten.
Das Problem, dem ich mich diesmal gegenübersah, war so absurd einfach, daß ich überzeugt war, die Lage konnte von den Herren der Sterne nur als Vorwand heraufbeschworen worden sein, um mich wieder nach Kregen zu holen. Vielleicht, dachte ich, als ich mich aufrichtete und mich in dem herrlich vermischten grünroten Licht reckte, vielleicht brauchte man mich hier. Jedenfalls stellte der kleine vierarmige Och trotz seines runden Schildes und seines Speers keine so große Gefahr dar, wie ich sie bei anderen Gelegenheiten auf diesem Planeten erlebt hatte.
Das Geschöpf war Sklavenhändler und trieb eine zusammengekettete Gruppe von Mädchen zum Strand, wo ein niedriges zweimastiges Schiff wartete. Wie Ihnen bekannt ist, liegen mir die Djangs besonders am Herzen. Obwohl sie vier Arme haben, haben sie eine Apimrasse. Als Kämpfer sind sie unschlagbar. Ihre Mädchen sind ungewöhnlich hübsch und sehr beliebt. Diese Wesen verlassen ihre Heimat Djanduin, die im Südwesten Havilfars liegt, nur selten. Ich bin König von Djanduin.
Die zehn Mädchen hätten den Och-Wächtern die Hölle heiß gemacht, wenn sich die Männer näher herangewagt hätten – doch sie blieben vorsorglich außer Reichweite. Ich gab dem nächsten Och einen Schlag über den Kopf. Ein Och hat sechs Gliedmaßen, wobei das mittlere Paar wahlweise als Arme und als Beine eingesetzt werden kann. Der Körper trägt einen zitronenförmigen Kopf mit aufgedunsenen Wangen und herabhängendem Doppelkinn; das ganze Wesen ist kaum vier Fuß groß. Die Ochs sind agil und kämpfen rücksichtslos; sie werden überall auf Kregen als Söldner eingesetzt, wobei sie allerdings nicht zur höchsten Söldnerklasse zählen. Folglich kosten sie auch weniger. Ich kannte die Rasse der Ochs. In diesem Augenblick stürzte sich das zweite Wesen auf mich, doch ich unterlief seinen Speer und schlug ihn nieder. Dann nahm ich seinen Spieß und schleuderte ihn dem dritten Och entgegen. Der vierte und der fünfte warfen ihre Speere und trabten sodann mit gesenkten Thraxtern und Schilden auf mich zu, während vom mittleren Arm-Beinpaar ein Dolch gehalten wurde.
Ich ließ den Thraxter des toten Och kreisen, wehrte die Klingen ab und erledigte die beiden Männer mit zwei schnellen Hieben. Endlich konnte ich mich um die Mädchen kümmern.
Eine der Gefangenen, deren Name sich später als Rena herausstellte, erkannte mich. Sie stieß einen Freudenschrei aus.
»Der König!« rief sie. »Notor Prescot, der König von Djanduin!«
Selten hatte ich auf Kregen eine solche Rückkehr erlebt!
Die Ketten ließen sich mit Schlüsseln öffnen, die ich den toten Ochs abgenommen hatte. »Bald müssen die anderen djanvergessenen Ochs kommen«, sagte Rena und ergriff einen Thraxter. »Bei Mutter Diocaster! Wir wollen sie hübsch kleingehackt in eine herrelldrinische Hölle schicken!«
»Sind schon andere Sklaven an Bord, Rena?«
»Aye, Majister.«
»Dann müssen wir sie befreien. Wo bist du zu Hause?« Mit dieser Frage wollte ich herausbekommen, in welchem Teil des Landes wir waren.
Doch ehe sie antworten konnte, eilte ein anderes Mädchen mit einem Speer herbei. »Die Rasts greifen an!« rief sie.
Wir machten uns an die Arbeit. Zu dem anstrengenden Kampf möchte ich nur anmerken, daß zwei Mädchen leicht verwundet wurden; dank Djan dem Allherrlichen mußte auf unserer Seite niemand sterben.
Anschließend gingen wir zum Schiff hinab und befreiten die Gefangenen. Als wir alle jubelnd an den Strand zurückkehrten – ich hatte meine Blöße inzwischen mit einem orangeroten Tuch bedeckt – erschien eine Horde Flutduins am Himmel, jener hervorragenden Flugvögel Djanduins. Eine Patrouille djangischer Krieger setzte zur Landung an. Wie sich herausstellte, befanden wir uns an der Nordküste Djangs, die dem Lohischen Meer zugewendet ist. Niemand zeigte sich überrascht, daß der König persönlich herbeigeeilt war, um seine Untertanen vor den Ochs zu retten, die im Schutze der Nacht angegriffen hatten und die nun zu ihren Verstecken an der lohischen Küste zurückkehren wollten.
Nach einer ausgedehnten Feier wurden die Befreiten in ihr Dorf zurückgebracht. Ich versprach Geld und Vorräte zu schicken, um diesen Menschen nach dem Überfall einen neuen Start zu ermöglichen. Schließlich wurde mir ein Flutduin zur Verfügung gestellt, mit dem ich, umgeben von Djang-Kriegern, zur Hauptstadt Djanguraj aufstieg.
Kytun Kholin Dorn, ein echter Freund und gefürchteter Krieger, begrüßte mich hocherfreut. Er ergriff meine Apimhand mit seinen beiden rechten Djang-Händen und schlug mir zugleich mit der vorderen linken Hand auf die Schulter, während er mit der unteren Linken einen sanften Hieb in den Magen landete. Diesen Willkommensgruß ließ ich natürlich nicht unerwidert. Gleich darauf eilte Pallan Ortyg Coper herbei und begrüßte mich atemlos.
»Wir haben dich im Voller davonfliegen sehen, Dray!« sagte er. »Und jetzt bist du wieder da. Lahal und doppelt Lahal!«
Ehe ich ihn richtig begrüßen konnte, wurde ich von einer jubelnden, brüllenden Masse umarmt – Sinkie, Ortygs »kleine« Frau, küßte mich und schluchzte und schwor, daß sie bei allen Blumen Djanduins die glücklichste Frau auf dieser Welt sei.
Nun, Sie können sich die Wiedersehensfeier vorstellen, die an jenem Abend im Palast stattfand.
Dabei erfuhr ich, daß das Land im Wohlstand lebte. Mein Regent, Pallan O. Fellin Coper, übte eine weise Herrschaft aus, unterstützt von K. Kholin Dorn – und so wurden die Spuren des Bürgerkrieges allmählich getilgt. Meine Rückkehr nach Kregen hätte nicht schöner sein können – nur fehlte mir Delia.
Allerdings waren nicht nur positive Nachrichten zu vermelden. Man berichtete mir, daß es keinen Nachschub an Vollern gebe. Hamal weigere sich neuerdings, überhaupt Flugboote an Ausländer zu verkaufen. Das Inselreich Hyrklana, der zweitwichtigste Vollerproduzent des Planeten, hatte sich um des Profits willen bereit erklärt, Hamal als Kunden zu akzeptieren, obwohl dieses Land sein Todfeind war. Ich fragte mich, was Königin Fahia von Hyrklana damit bezweckte. Vermutlich brauchte sie jeden Ob, um ihre Arena in Huringa mit Sklaven und wilden Tieren zu füllen.
Die Gerüchte, die beunruhigenden Spekulationen – das alles hatte seinen Ursprung in Hamal.
Dieser Ansicht war auch Kytun. »Die Cramphs aus Hamal stecken dahinter, Dray! Sie sind machtbesessen. Angesichts ihrer komplizierten Gesetzesstruktur könnte man doch annehmen, daß sie vernünftiger wären!«
»Das ist wahr«, sagte Ortyg und strich sich über die Schnurrbarthaare. »Havil der Grüne scheint ihnen den Pfad der Eroberung vorzuschreiben. Sie dringen zur Zeit südlich des Os-Flusses vor ...«
»Aber das tun sie doch schon seit Jahren, Ortyg!« rief Sinkie.
»Gewiß, gewiß, doch jetzt stoßen sie auch nach Westen über die Berge vor, und Zodjuin der Stux mag wissen, was sie dort zu finden hoffen. Außerdem greifen sie Süd-Pandahem an.«
Dies alles war mir bekannt.
Dann fuhr Kytun fort: »Die Hamaler haben den größten Teil Süd-Pandahems erobert. Das ist die jüngste Nachricht.« Pandahem, die große Insel nordwestlich des Kontinents Havilfar, wird durch Berge in einen südlichen und einen nördlichen Teil unterteilt. Als Kytun weitersprach, richtete ich mich auf. »Sie fallen zur Zeit in Yumapan im extremen Westen Pandahems ein. Kein Zweifel – sie werden bald nach Norden vorstoßen, hinein nach Lome ...«
»Östlich von Lome liegt Iyam«, sagte ich. »Dann kommt Menaham – das verdammte Menaham! –, und wenn ich diese Menschen und ihre Herrscher richtig einschätze, werden sie sich bemühen, mit den Angreifern ein Bündnis zu schließen.« Ich runzelte die Stirn. Ich kannte diese Länder, denn östlich von Menaham liegt Tomboram. Die verdammten Hamaler konnten Truppen übers Meer oder durch die Luft heranführen und Tomboram aus dem Osten angreifen, während ihre siegreiche Invasionsarmee, verstärkt durch die verdammten Menahamer, aus dem Westen heranstürmten. Nun – so etwas dauerte natürlich seine Zeit. Ich hatte eine Aufgabe in Hamal, die sogar noch wichtiger war.
Ich hatte Freunde in Tomboram. Ich kannte Pando, den jugendlichen Kov von Bormark, und seine Mutter Tilda die Schöne, Tilda mit den Vielen Schleiern. Ich konnte es nicht dulden, daß sie belästigt wurden.{*}
Nicht ohne Widerstreben wandte ich mich daraufhin an meine djangischen Freunde. Würden sie gegen die Hamaler kämpfen, wenn ich sie darum bäte – zur Unterstützung eines jungen Kov und seiner Mutter?
Es kostete mich große Überwindung, diese Frage zu äußern; andererseits war ich mir schweren Herzens bewußt, daß es auf Kregen noch viel Blutvergießen geben würde, ehe diese Welt für alle ihre Bewohner sicher war. Meine Entscheidung hatte nichts mit den Plänen der Herren der Sterne oder der Savanti zu tun; ich mußte handeln, wenn jene Gebiete Kregens, die mir am Herzen lagen, nicht erobert und versklavt werden sollten. Und Nord-Pandahem liegt in gefährlicher Nähe Vallias.
Vallia und Pandahem waren seit jeher miteinander verfeindet – ein Zustand, den ich als Prinz Majister von Vallia baldmöglich zu beenden trachtete, denn die handelspolitischen und wirtschaftlichen Rivalitäten der beiden Länder ließen sich bei einigem guten Willen aus der Welt schaffen. Die beiden Inseln fanden vielleicht eher zueinander, wenn ich Pandahem gegen einen gemeinsamen Gegner beistand. Die Hamaler hatten sich seit langem geweigert, Flugboote nach Pandahem zu verkaufen. Wollten sie dem Land auf diese Weise ein Kampfmittel vorenthalten, damit sie als Eroberer ein um so leichteres Spiel hatten? Neuerdings wurden auch keine Voller mehr nach Vallia verkauft, das immerhin ein traditioneller Markt gewesen war. Dies alles deutete auf einen Angriff hin.
»Du siehst nachdenklich aus, Dray«, sagte Regent Pallan O. Fellin Coper. »Djangs sind blutrünstige Wesen, das weißt du sehr wohl. Ich bin Zivilist, und ich ...«
»Aye, Ortyg!« sagte Kytun und hob seine Flasche. »Überlaß das Kämpfen uns – das liegt den Djangs im Blut. Wenn du Feinde hast, werden wir sie bekämpfen – aye! Und wenn sie hinter den Eisgletschern Sicces lauern!«
»Gut, Kytun. Allerdings glaube ich nicht, daß wir so schnell zu den Eisgletschern gehen müssen – jedenfalls noch nicht.«
Ich hatte meine Vermutung bestätigt gefunden. Die Djangs würden für mich kämpfen, wenn sie erkannten, daß sie sich für eine gute Sache einsetzten. Ich bezweifelte nicht, daß ich ihnen das klarmachen konnte.
Bewußt wechselte ich das Thema und begann davon zu sprechen, daß wir unsere Nordküste besser gegen Sklavenüberfälle von Loh schützen müßten.
»Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, bis das Land so ist, wie wir es gern hätten«, sagte O. Fellin Coper, und wir stürzten uns in eine ausführliche Diskussion über Methoden und Möglichkeiten und Finanzierungen und was dergleichen Probleme mehr sind, wenn es darum geht, ein ganzes Land zu verwalten.
O ja, ich spielte die Rolle des Königs von Djanduin – ich spielte sie nicht nur, sondern ich war der König. Zu jener Zeit lagen mir die kregischen Länder Strombor, Valka und Djanduin besonders am Herzen, denn die Bevölkerung dieser Landstriche sah mich nicht nur als ihren Herrscher an, als den Mann, der sie anführen und ihnen sein Leben widmen würde, sondern auch als ihren Freund – das bildete ich mir wenigstens ein. Dabei fällt es mir gar nicht leicht, Freunde zu finden. Immer wieder habe ich auf Kregen das Glück, wahre Freundschaften zu schließen – wobei ich natürlich auch eine ganze Reihe von Feinden gefunden habe. Ein Teil dieser Feinde war tot, aber die verbleibenden sollten mir noch manchen Stein in den Weg legen, wie Sie hören werden ...
Als König von Djanduin hatte ich keine Schwierigkeit, einen Voller zu finden, in dem ich nach Migladrin fliegen konnte, um mich dort nach dem neuesten Stand der Entwicklung zu erkundigen.
Im letzten Augenblick entschlossen sich einige Djangs, mich zu begleiten, um in freundschaftliche Beziehungen zu den Miglas zu treten. Dies paßte gut in meine Pläne, legte ich es doch inzwischen bewußt darauf an, die verschiedenen Völker dieser Kontinentgruppe miteinander in Kontakt zu bringen. Über diesen Aspekt ist später noch viel zu berichten. Wir flogen nach Migladrin, wo ich mit der alten Mog, Mog die Mächtige genannt, diskutierte. Schließlich überließ ich den Djangs die Feinheiten des diplomatischen Protokolls und flog nach Hause, nach Valka.
Auf meiner Insel wurde ich wie ein heimkehrender Held begrüßt, was mich doch sehr in Verlegenheit brachte. Nachdem die ausgedehnten Bankette und Feiern zu Ende waren, mußte ich Delia bekümmert eingestehen, daß meine Mission fehlgeschlagen war.
»Weißt du, Delia, das Geheimnis der Voller ist inzwischen noch viel wichtiger geworden, nachdem sich Hamal weigert, uns Flugboote zu verkaufen.«
Wir saßen auf unserer Lieblingsterrasse der Festung Esser Rarioch über Valkanium und der weiten Bucht. Drak und Lela schliefen längst nach den aufregenden Stunden des Wiedersehens mit ihrem Vater. Sanft umspielte uns das Licht der Zwillingssonnen Zim und Genodras. Die Abenddämmerung stand bevor – eine milde kregische Nacht, in der sich die Mondblüten öffnen und das Licht der Monde einatmen, in der der Himmel von rosarotem Mondschimmer angefüllt ich. Ich trank Jholaix, einen vorzüglichen Wein, der nicht seinesgleichen findet.
»Aber mein Schatz!« sagte Delia beunruhigt. »Ist es denn ethisch vertretbar, den Hamalern das Geheimnis einfach zu stehlen?«
Ich wußte, was sie meinte, und versuchte, meine Motive zu erklären.
»Normalerweise wäre so ein Plan natürlich verwerflich. Aber du mußt bedenken, wie sich Hamal in der letzten Zeit verhalten hat. Das Land fordert nicht nur überhöhte Preise für die Voller – denk daran, ich habe gesehen, wie sie gebaut werden, ich habe mit eigenen Händen dabei geholfen! – und verweigert jeglichen Service, sondern fabriziert die Maschinen auch noch bewußt fehlerhaft! Davon bin ich inzwischen fest überzeugt.«
»Aber, Dray, das ist ...«
»Ich weiß, Delia, aber so ist es nun mal. Wir alle kennen eine Menge Männer und Frauen, die bei Abstürzen schadhafter Voller ums Leben gekommen sind. So etwas ist glatter Mord. Wir sind es dem Angedenken der Toten und dem Wohlergehen der Lebenden schuldig, die Voller zu verbessern.«
»Das klingt ja alles ganz gut und schön, du pelziger Graint! Aber eine Tatsache bleibt. Du stiehlst einem anderen Land ein Geheimnis, damit du das dazugehörige Produkt nicht länger importieren mußt.«
Meine Delia ist zuweilen ausgesprochen starrköpfig. Doch in diesem Fall legte sie den Finger genau in die Wunde – etwas, das auch mir Unbehagen bereitete. Ich versuchte mit knappen Worten zu erklären, daß die Hamaler meiner Auffassung nach durch den schlimmen Nutzen, den sie aus ihrem Monopol gezogen hatten, jedes Recht darauf verloren hätten. »Wenn sie uns fair behandelt hätten, bestünde keine Notwendigkeit, das Geheimnis zu stehlen. Die Hamaler sind sowieso ein unangenehmer Haufen – na ja, jedenfalls die meisten. Sie haben mir schon manches Leid angetan und werden es immer wieder darauf anlegen.«
»Ich weiß, Dray, daß du deine Taten nicht mit dem Wort ›Rache‹ rechtfertigen möchtest.« Delia sprach diese Worte mit einem Zögern, das mich aufhorchen ließ. O ja, sie ist ein schlaues Mädchen!
»Nur Dummköpfe nehmen Rache«, erwiderte ich. »Gewiß, auch ich habe schon mal ein bißchen um mich geschlagen, weil man mich geärgert hatte ...«
»Das kann man wohl sagen.«
»Ja, gut. Aber diese Sache ist für mich ein strategisches Problem. Wenn Hamal uns angreift – womit ich fest rechne –, brauchen wir Flugboote zur Verteidigung. Und Flugboote finde ich nur in Hamal.« Sie sah mich an, ihr herrliches Haar fing die letzten roten Strahlen Zims ein. Sie trug ein einfaches ärmelloses Kleid aus weißem Sensil, und ihr einziger Schmuck war eine winzige Brosche an der linken Schulter.
»Und was ist mit deiner rundlichen Freundin, Königin Fahia von Hyrklana?«
Ich lachte lauthals. »Von der kann ich doch keine Voller erwarten! Sie würde mich sofort an ihre Neemus verfüttern! Nein, wenn ich dieses Geheimnis klären will – und die verdammten Silberkisten sind tatsächlich ein Staatsgeheimnis –, muß ich mich frei bewegen können. Als Amak Hamun ham Farthytu habe ich in Hamal freie Bahn.«
Und so plauderten wir miteinander an jenem herrlichen Abend. Wir hatten uns viel zu sagen, während die kregischen Monde aufstiegen und ihr rosafarbenes Licht am Himmel verbreiteten.
Doch so gern ich eine Zeitlang zu Hause geblieben wäre – meine Entschlossenheit, zum Schutze des Inselreiches Valka das Menschenmögliche zu tun, war größer. So schloß ich in den nächsten Tagen meine Reisevorbereitungen ab; ich wollte dazu das Flugboot aus Djanduin benutzen. Und wieder stellte Delia meine Sachen für den Flug zusammen. Ich küßte sie und drückte sie an mich. Ich küßte meine Kinder und bestieg den Voller.
»Remberee, Delia!« rief ich, als das Flugboot aufzusteigen begann. »Remberee, Dray – und komm gesund zurück!«