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Ruathytu, die Hauptstadt des Hamalischen Reiches, war ein Ort, an dem man gut leben konnte, wenn man einigermaßen vermögend war. Natürlich vermochte man als reicher Mann an fast jedem Ort und in fast jeder Zeit gut zu leben – so daß Sie es vielleicht für überflüssig halten, daß ich auf diesen Punkt hinweise. Doch in Ruathytu stieß ich auf ein allzu vertrautes schreckliches Phänomen unserer Erde, das mir bis dahin auf Kregen noch nicht untergekommen war.

In Sanurkazz, Magdag, Vondium und Zenicce, in all den wunderbaren kregischen Städten, gab es Herren von unglaublichem Reichtum; dazu ihre Gefolgsleute, die ausreichend versorgt waren; darunter Ladenbesitzer, Schänkenwirte und die führenden Handwerker; darunter die Sklaven.

In Ruathytu gab es Guls von Meisterhandwerkern bis zu Arbeitern, die nur eine Handbreit über der Sklaverei standen. Unter den ausgebildeten Guls vegetierte eine große Zahl vor sich hin. Diese Hamaler waren frei, ein Umstand, auf den sie lachhaft stolz waren, doch zugleich bettelarm. In einem schlechten Jahr mochten sie an Hunger oder Krankheit sterben, und nur wenige konnten sich einen Arzt leisten.

Natürlich versahen Sklaven den größten Teil der wirklich unangenehmen Arbeiten, wie es überall auf Kregen üblich war; doch so mancher freie Mann, so manche freie Frau war sich in verzweifelter Lage nicht zu schade, Seite an Seite mit den Sklaven zu arbeiten.

So war die Lage, als Nulty und ich unsere Mirvols in einem öffentlichen Vogelturm unterstellten, wo sie ein Dach über dem Kopf hatten, und unseren ersten Rundgang durch die Stadt machten.

Mir fielen sofort die deutlichen Trennlinien auf; die vielen Rassen, die in jedem Aspekt des Lebens vermengt waren, die aber Stufe um Stufe für sich blieben, jede Stufe von der anderen durch eiserne Barrieren von Dünkel, Rassenhaß und Reichtum getrennt.

Dies mag so alltäglich erscheinen, daß es gar keine Erwähnung verdient; doch meine bisherigen Erfahrungen auf Kregen hatten mir gezeigt, daß jeder Mensch in dieser schrecklichen, doch wunderbaren Welt aufsteigen konnte; daß er Fortschritte in materieller wie auch geistiger Hinsicht machen konnte und dabei nicht nur Reichtum, sondern auch Prestige und Zuneigung gewann und einen Platz im Leben, der nicht unbedingt die Herabwürdigung eines Mitmenschen zur Folge hatte. Die Sklaven erleichterten diese Verhältnisse natürlich, und ich versuche diese häßliche Tatsache auch nicht zu leugnen, doch bringt mich das nicht von der vielleicht unmöglichen Aufgabe ab, alles zu unternehmen, die schmähliche Institution der Sklaverei auszurotten. Die Clums von Hamal waren keine Sklaven; niemand durfte sie ohne guten Grund versklaven oder ihnen einen Eisenkragen um den Hals legen; die Clums waren frei. Daß sie nicht das Privileg der Sklaven genossen, von ihrem Herrn Schlafstatt und Nahrung zugeteilt zu bekommen, machte für sie keinen Unterschied. Lieber hungerten sie und schliefen auf der Straße. Lieber Clum als Sklave.

Der ewige Traum eines Clum war es, Reichtum und Fähigkeiten zu erwerben, um ein Gul zu werden.

Nulty, der einmal Gul gewesen war und jetzt als getreuer Diener eines Edelmannes fungierte, rümpfte die Nase.

»Diese Stadt stinkt, Herr«, verkündete er.

Ich wußte, was er meinte.

»Sie riecht doch gar nicht so schlecht – bei all den vielen Brunnen und den Horden von Straßenfegern. Überall sind doch Blumen und schöne duftende Büsche, und die weißen Mauern werden doch täglich gut abgewaschen ...«

»Das habe ich nicht gemeint, Notor.«

 

Wir fanden eine gemütliche Schänke, die Wert auf Dauergäste legte. Sie hieß Thraxter und Voller, ein sauberes Haus, dessen Gäste zumeist hohe Horter, Tyrs und Kyrs waren, Leute vom gleichen Rang wie ich in meiner Verkleidung als Amak Hamun; außerdem wohnten hier einige Elten und ein Strom, der um seinen höheren Rang kein Geheimnis machte und die anderen Gäste herablassend und verächtlich behandelte. Diesen Mann ließ ich in Ruhe.

In den ersten Tagen sah ich mich in der Stadt um und versuchte mich damit vertraut zu machen. Die eigentliche Stadt liegt auf der Landzunge zwischen den beiden Flüssen, doch erstreckt sie sich natürlich noch ein gutes Stück darüber hinaus, durchschnitten von breiten Boulevards, auf denen die jungen Heißsporne mit ihren Satteltieren Wettrennen veranstalteten. Aquädukte tragen ausreichend kristallklares Wasser aus den umliegenden Bergen herbei. Das Klima ist ausgeglichen. Auf beiden Flüssen herrscht lebhafter Verkehr flußabwärts zum Meer, und auch in das Landesinnere.

Sobald ich mich in der Stadt auskannte, sobald ich sicher war, daß ich mich nicht mehr verirren würde, wollte ich mich um das Geheimnis der Voller kümmern.

Keine Vorahnung kommenden Unheils verdüsterte meine ersten Tage in Ruathytu, und ich muß nicht ohne Scham eingestehen, daß der Anblick von Bettlern, von armen, zerlumpten und hungernden Menschen mir mit der Zeit alltäglich wurde, ein unangenehmer Aspekt des Stadtlebens, etwas, das mit mir nichts zu tun hatte, etwas, das auf Kregen ungewöhnlich war, das an diesem Ort aber hingenommen werden mußte.

Mein Vermögen als Amak des Paline-Tals hätte nur einen winzigen Bruchteil der Bedürftigen gekleidet und ernährt. Dennoch hatte ich zu Anfang so viele Almosen gegeben, daß der Strom im Thraxter und Voller schon verächtlich die Augenbrauen hob. Aber dann überlegte ich mir die Sache und handelte schließlich wie die anderen – beziehungsweise – ich handelte nicht. Ich verschenkte meinen Besitz nicht an die Armen, ich zerriß nicht meinen Mantel für sie. Ich hatte bereits viel gegeben, doch ehe ich mir überlegte, was ich da tat. Wenn ich nichts mehr besaß, wie konnte ich dann die Ziele verfolgen, die mich hierhergeführt hatten? Die weiterführenden Pläne, die ich hatte, gehörten zu einer alles umfassenden Entwicklung, die nicht nur die Sklaven befreien, sondern letztlich auch das Los der Clums erleichtern würde.

Ich mußte mich also den Anfechtungen verschließen.

Wenn Sie glauben, daß das eine leichte Sache war, dann haben Sie mich nicht richtig verstanden ...

Wie jeder gutgekleidete vermögende hamalische Edelmann ging ich mit umgeschnalltem Thraxter aus. Meine nicht-havilfarischen Waffen waren zusammen mit den anderen Besitztümern sicher unter meinem Bett verstaut. Ich sah aus wie ein echter hamalischer Horter. Natürlich trug ich die kurze weiße Tunika mit den Stickereien und der Kette und übte mich darin, den teuflischen Ausdruck auf meinem Gesicht etwas abzumildern.

Dabei fragte mich Nulty immer wieder, ob ich mich etwa krank fühlte.

»Nein, du widerspenstiger Fambly!« gab ich zurück. »Darf man zur Abwechslung nicht mal einen freundlichen Ausdruck aufsetzen?«

»Oh, Notor!« sagte er daraufhin. »Das soll ein freundlicher Ausdruck sein?«

Doch so schnell gab ich meine Versuche nicht auf.

Schließlich kam der Tag, da ich hart auf die Probe gestellt wurde.

Der Thraxter und Voller befand sich in einer ruhigen Straße am Fuße eines steilen Hügels zwischen den beiden Flüssen. Höhergelegene Häuserzeilen verbargen sich hinter Büschen und Blumen. In der Straße gab es viele vornehme Läden, allerdings nicht die führenden Läden der Stadt, die in einer kleinen Enklave am V-förmigen Zusammenfluß der beiden Flüsse zu finden waren. Unsere Straße führte auf eine Hauptdurchgangsstraße in den Nordwesten der Stadt – und so geschah es nicht selten, daß Clums an der Einmündung stehenblieben und sich mit ausgestreckten Händen ein kleines Stück in unsere Richtung bewegten.

Prompt schickten die Ladenbesitzer ihre Ladenschwengel los, um sie zurückzutreiben.

Eines Tages sah ich ein kleines Mädchen, kaum sechs Jahre alt, in einem einfachen schmutzigen Kleidungsstück. Sie zog ihren Bruder, der etwa ein Jahr älter war als sie, auf einem Karren auf Holzrädern hinter sich her. Er hatte keine Beine mehr, und sein Körper war verkrümmt. Speichel lief ihm aus den Mundwinkeln.

»Gib mir einen Ob, Herr«, sagte das kleine Mädchen, während sie ihren Bruder zog.

Was nützt ihr ein Ob? Ihr einen Silbersinver oder einen Gold-Deldy zu geben, wäre töricht gewesen.

Ich wühlte in meinem Vosklederbeutel herum und fand sieben Ob.

»Hier«, sagte ich. »Hier hast du sieben Ob.«

Sie sah mich erschrocken an.

»Ich habe dich aber nur um einen gebeten, Herr.«

»Nimm die sieben und verstecke alle bis auf einen. Und jetzt geh weiter.«

»Ja, Herr.«

Sie nahm das Geld, und ich wandte mich ab, denn ich konnte den Anblick nicht länger ertragen. In diesem Augenblick hastete ein Rapa aus einem in der Nähe gelegenen Laden. Sein kräftiges vogelähnliches Schnabelgesicht war wütend verzogen. Er trug die Kleidung eines Ladenbesitzers, darüber eine Schürze voller Marmeladenflecken. Er schwenkte einen Besen.

»Verschwinde, du Kröte! Verzieh dich, sonst bekommst du Prügel!«

Das Mädchen zuckte zurück und versuchte zu laufen, wobei sie über den Karren ihres Bruders stolperte.

Der Rapa wollte mit seinem Besen zuschlagen. Eine Menge war zusammengelaufen. Ich trat vor und packte den Besen. Ich zerbrach den Besenstiel nicht, versetzte ihm auch keinen Schlag.

»Laß sie in Frieden gehen, Dom«, sagte ich.

Er wollte mich schon beschimpfen, aber dann sah er meine Kleidung und die Edelsteine; er erblickte meinen Thraxter und begann, sich servil zu verbeugen und ängstlich zurückzuweichen.

»Aber natürlich, Notor, wie du willst. Ein Nichts – eine Clum, die hier nichts zu suchen hat.«

Aber er wußte genau, daß ich im Unrecht war. »Mein Besen?« fragte er unsicher.

Ich warf ihm seinen Besen ohne besonderen Nachdruck zu.

In diesem Augenblick ertönte hinter mir ein unangenehmes Lachen.

Ich drehte mich langsam um.

Dort stand der Strom aus dem Thraxter und Voller und musterte mich verächtlich von Kopf bis Fuß. Mein Vorgehen schien ihn königlich zu amüsieren.

»Bei Krun!« rief er spöttisch.

»Ein Herzensfreund der dreckigen Clum. Seht ihn euch an. Vielleicht ist er auch einer.«

Horter und Hortera in der Menge begannen amüsiert zu kichern.

Sie alle waren modisch gekleidet, wenn sie auch nicht der sagenhaften ersten Gesellschaftsschicht des heiligen Dreiecks bei den zwei Flüssen angehörten. Sie konnten hier über einen Mann aus ihrer Klasse herziehen, der die Kühnheit hatte, einem Clum zu helfen.

Ich schwieg und zauberte einen idiotischen, nichtssagenden Ausdruck auf mein häßliches Gesicht, womit ich den Strom offenbar nur noch wütender machte.

»Du blöder Cramph!« brüllte er und fuchtelte mir mit der Faust vor dem Gesicht herum. »Du ermutigst dieses dreckige Ungeziefer, in unsere Straße zu kommen! Diese Leute bringen nur Schmutz und Krankheiten mit! Man sollte sie erschlagen. Wenn du Clums so liebst, warum trägst du deinen kostbaren parfümierten Körper nicht zu ihnen? Gehst zu ihnen in den Dreck? Wahrscheinlich gehörst du dorthin.«

Solche Sprüche konnte ich leicht über mich ergehen lassen. Die Leute kicherten noch lauter, doch ich machte kehrt und marschierte davon.

Aus der Menge rief mir eine Frau nach: »Du hast wohl keinen Mumm, du Feigling? Bist eine dreckige Rast wie dieser Abschaum von Clum, was?«

Doch auch darum kümmerte ich mich nicht. Ich wollte meine Mission wegen dieser dünkelhaften Dummköpfe aus der hiesigen Oberschicht nicht in Gefahr bringen.

Da legte mir der Strom seine elegante Hand auf die Schulter. Er zerrte mich herum, so daß ich ihn ansehen mußte. Er war ein großer, schlanker Mann. Er trug seinen Thraxter tief in einer Scheide, die offenbar auf Zweckmäßigkeit angelegt war. Er war dandyhaft, doch praktisch gekleidet, soweit es die Bewegungsfreiheit seines Schwertarms anging.

»Feigling!« zischte er mir ins Gesicht. Er stank aus dem Hals.

»Rast! Du läufst gefälligst nicht davon, wenn der Strom von Hyr Rothy mit dir spricht!«

»Ich habe einem Arschloch wie dir nichts zu sagen«, entgegnete ich ruhig.

Wenn ich heute an diese Szene zurückdenke, so ist sie mir noch klar in Erinnerung, und wieder empfinde ich Scham angesichts des Gedankens, daß ich mich nicht starr an meine Pläne halten konnte, sondern daß ich wieder einmal den arroganten, unbeherrschten Dray Prescot an die Oberfläche kommen ließ, der – leider! – wohl der echte Dray Prescot ist. Jedenfalls vermochte ich meine Rolle als schüchterner, ahnungsloser junger Mann nicht länger aufrechtzuerhalten.

»Nun, ich habe dir dafür um so mehr zu sagen, du dreckiger unverschämter Rast!« kreischte er und begann mich zu schütteln. »Was hast du dir erlaubt zu sagen? Ich bin Lart ham Thordan, Strom von Hyr Rothy. Du willst mir einfach den Rücken zukehren, du Yetch! Ich habe dich gesehen, Amak, und ich weiß, was für ein widerliches Ungeziefer du bist! Und du wagst es, mich ...? Du wirst ...«

In diesem Augenblick lehnte ich mich etwas vor und schob meine Hand nach, und diese Hand hatte sich zufällig zu etwas geballt, das man genau genommen eine Faust nennen mußte. Arm und Faust berührten irgendwie den schwabbeligen Bauch des Stroms, und das nicht einmal sehr zart.

Er keuchte jämmerlich und japste, seine Augen füllten sich mit Tränen, seine Gesichtsfarbe wurde ziemlich purpurn – wie es bei Männern seines Standes nicht selten ist –, und sein Apimgesicht rötete sich immer mehr, und die Adern auf seiner Stirn traten wie verschlungene Schlangen hervor. Er wollte offenbar noch etwas sagen, aber er hatte sichtlich Schwierigkeiten und begann sich stattdessen zu übergeben.

Ich entfernte mich zügig vom Schauplatz des Geschehens. Laute Buh- und Schmährufe folgten mir.

»Du hast dein Versprechen gegenüber dir selbst gebrochen, Notor!« sagte Nulty später, und ich mußte ihm recht geben.

»Aye, Nulty, das habe ich getan.«

Ich warf den Thraxter auf das Bett in meinem Zimmer und streckte mich darauf aus. »Ich glaube, ich weiß, was der feiste Rast jetzt tun wird.«

»Er ist ein Strom. Du bist nur ein Amak. Er wird sich für entehrt halten ...«

»Diese verdammte Rangordnung!« brüllte ich. »Ich gebe keinen Blei-Ob dafür!«

Er sah mich mit einem Blick an, in dem etwas Tadelndes zu liegen schien, und ich wußte, daß er an den alten Amak dachte. Nulty war wirklich ein loyaler Mann.

»Für sieben Ob, Notor«, sagte er.

»Ich weiß.«

»Er wird dich zum Kampf fordern.«

Die hamalischen Gesetze sind streng und bevorzugen eindeutig die Reichen des Landes, wie man es in so vielen Ländern findet, wo die Vermögenden zugleich die Mächtigen darstellen. Das Duell ist hier noch immer ein anerkanntes gesellschaftliches Phänomen, wenn auch eingeengt durch Bestimmungen. In aller Form würde mir eine Herausforderung Strom Larts überbracht werden, auf die ich eingehen mußte.

»Er wird dich zum Kampf fordern, Notor, und dann kannst du nicht zurück. Aber wie willst du deine Rolle anschließend weiterspielen?«

»Ich glaube nicht, daß das dann noch möglich ist.«

Ich hatte mir selbst eine Rolle gegeben, die ich bei der ersten großen Versuchung im Stich gelassen hatte. Ich hatte versagt, uneingeschränkt versagt. Mein Jähzorn und mein Haß auf den elitären Klüngel der Vermögenden hatte mir einen Streich gespielt.

Zu meiner Überraschung verbesserte sich Nultys Laune erheblich. Er begann, alte Lieder zu singen und sagte schließlich mit einem leisen Lachen: »Es freut mich, daß du nun endlich die wirkliche Rolle des Amak aus dem Paline-Tal spielen wirst! Er hatte auch nichts für solche Kreaturen übrig.«

Für ihn war die Sache klar. Er war der Meinung gewesen, daß ich mein Versprechen gegenüber Amak Naghan bisher nicht voll eingelöst hatte. Natürlich hatte ich ihm meine Überlegungen darzulegen versucht, aber das war mir nicht gelungen. Meine ersten Erkundigungen hatten ergeben, daß ich zur Ergründung des Geheimnisses der Voller nicht nur in die Gebäude vordringen mußte, in denen sie hergestellt wurden – vermutlich unterschieden sich die Fabriken in Ruathytu nur größenmäßig von den Anlagen in Sumbakir –, sondern weiter in die geheimen inneren Werkstätten, wo die Silberkisten gefüllt wurden, die den Flugbooten Auftrieb und Antrieb vermittelten. Wie Sie erfahren werden, war dies aber nicht ganz richtig.

Die Herausforderung zum Duell wurde mir von einem Elten und einem Kyr überbracht. Beide gaben sich ausgesprochen höflich, und ich erklärte mich einverstanden, am Morgen des übernächsten Tages an einem Ort seiner Wahl gegen Strom Lart zum Kampf anzutreten. Duelle lockten oft Besucher an, und der Besitzer des Saales würde Eintrittsgeld erheben, um die Mietkosten hereinzuholen.

»Amak Hamun«, sagte der Elten. »Mein Auftraggeber läßt fragen, ob du dich mit Rapier und Main-Gauche auskennst. Er ersehnt sich eine Gelegenheit, seine Kenntnisse in dieser Waffenart zu vertiefen.«

»Will er die jungen Heißsporne nachäffen, Elten? Ist der havilfarische Thraxter nicht gut genug für ihn?«

»Die Mode wechselt auch in diesen Dingen, Amak. Der Adel hat sich voller Begeisterung dem Rapier zugewandt. Diese Waffe ist im Augenblick beliebt. Wenn du dich damit nicht auskennst ...«

»Mir ist egal, welche Waffe sich der Dummkopf aussucht ...«

»Amak!«

»Zieht los und sagt dem Arschloch, ich werde ihn umbringen, selbst wenn er sich für Kochlöffel entscheidet.«

»Äußerst ... äh ... kühne Worte!« Der Elten rümpfte verächtlich die Nase. Er sah mir nicht ins Gesicht, und ich gab mir größte Mühe, den wütenden Ausdruck zu tilgen, der in diesem Augenblick zweifellos meine Züge entstellte. Als er schließlich den Blick hob, sah er vor sich einen Mann, der seiner Meinung nach ein Schwächling war, der sich herauszubluffen versuchte. »Amak Hamun, ich glaube, es wird dir noch leid tun, dich mit Strom Lart auf einen Schwertkampf eingelassen zu haben!«

 

Der Tag des Duells rückte heran, und Nulty sorgte dafür, daß ich ein gutes Frühstück bekam. Anschließend überprüfte er meine Kleidung. Ich hatte mich dazu entschlossen, schlicht und vornehm aufzutreten. Ich legte meinen Thraxter um – das gerade Schwert Havilfars schien mir das richtige Werkzeug zu sein, um einem hamalischen Strom nachhaltig die Leviten zu lesen. Wir packten unsere Sachen zusammen, bezahlten die Schänkenrechnung und suchten den Duellsaal auf.

Hier bot sich mir eine zugleich makabre und erregende Szene.

Die Sitze rings um die flache Arena waren gefüllt. Es wurde nur wenig gewettet, denn die Chancen lagen eindeutig auf Seiten des Strom. Offensichtlich ging es hier mehr um eine Vorführung als um ein richtiges Duell, und viele Wetten drehten sich nur darum, auf welche Weise mich der Strom vor seinem entscheidenden Hieb demütigen würde.

Die erforderlichen Zeremonien begannen. Richter und Schiedsrichter wurden ernannt, und ein Arzt war zugegen. Bis jetzt spielte sich alles nüchtern und formell ab. Das hamalische Duellsystem hat eine gewisse Ähnlichkeit mit Duellen auf der Erde – mit Champions, die für den Kämpfer einstehen müssen, wenn er fehlt. Da ich keine Sekundanten hatte, sich auch niemand freiwillig meldete und Nulty nur ein Bediensteter war, verzichtete der Strom auf einen Teil des Protokolls. Statt dessen schickte er den Elten mit einem Rapier und einem Dolch zu mir, mit dem Hinweis, daß er als derjenige, der die Wahl der Waffen hatte, diese Waffen erwählte. Da ich offenbar weder Rapier noch Dolch besaß, wollte er mir diese Klingen leihen.

Nun, der Dummkopf sollte die Wahrheit bald erfahren.

Erwartungsvoll raunten die Zuschauer; sie wurden langsam ungeduldig. Lart blickte zu mir herüber und ließ sein Rapier herumzucken, als wüßte er damit umzugehen.

Ich hörte zwei Männer in der vordersten Reihe miteinander sprechen. Der eine sagte, ich sei verloren, der Strom würde mich in kleine Stücke hacken und seinen Hunden zum Fraß vorwerfen.

An den Hauptsaal schloß sich eine Reihe kleinerer Räume an – zum Umziehen und zur religiösen Vorbereitung. Da fiel mir ein Plan ein, der vielleicht dazu führen mochte, daß ich aus dieser Sache heil herauskam, den Strom nicht töten mußte (es war ein Duell auf Leben und Tod) und zugleich meinen Ruf als Schwächling und Nicht-Kämpfer wahren konnte.

»Ich brauche nur ein paar Murs, um die Hilfe Havils des Grünen zu suchen«, sagte ich. Dieser Satz kam mir nur mühsam über die Lippen. Von all den Göttern und Gottheiten auf Kregen hatten nur Zair und Opaz Eindruck auf mich gemacht – und das nur, weil sie meinem inneren Glauben entsprachen. Soweit es mich betraf, konnte Havil der Grüne in seinem eigenen Saft schmoren.

»Also gut.« Strom Larts Zustimmung wurde mir von dem Elten überbracht. »Aber bei Havil – laß dir nicht zuviel Zeit!«

Darin lag ein Doppelsinn. Ich runzelte die Stirn. Dann ging ich zwischen den Sitzen hindurch und betrat den kurzen Korridor, der zu einem grün ausgemalten Raum führte. Hier befand sich ein Schrein Havils des Grünen.

Ich war fest entschlossen, einige Minuten im »Gebet« zu verbringen, in den Ring zurückzukehren und meinen Gegner dann auf ungeschickte Weise zu entwaffnen und soweit zu verwunden, daß der Kampf abgebrochen werden mußte. Ich betrat den grünen Raum. Doch es geschah so schnell! So überraschend! So ohne Vorwarnung! Kein riesiger rotgolden gefiederter Raubvogel schwebte über mir. Kein langsames Anwachsen der blauen Strahlung, die mich schließlich in die Leere saugte ...

Ich sah einen dahinhuschenden rotbraunen Skorpion.

Das Wesen stand mit emporgeschwungenem Schwanz vor mir auf der Nase der Statue Havils des Grünen. Kaum sah ich die acht Arme Havils, das rapageschnäbelte Gesicht, den weichen Schein der Samphronöllampen – und davor den Skorpion –, als auch schon die ganze Welt strahlend blau wurde.

Bei meinem hilflosen Sturz hatte ich Zeit nur für einen Gedanken: Delia!