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All meine Gedanken kreisten um Hamal.

In jenem fortschrittlichen, doch zugleich barbarischen Land wartete das Geheimnis der großartigen Flugboote Havilfars auf mich. Wenn ich, Dray Prescot von der Erde und von Kregen, meinen kleinen Flieger nicht schleunigst aus dem Sturm herausführte, der mich wie ein welkes Blatt am Himmel herumwirbelte, bestand die Wahrscheinlichkeit, daß ich eher hinter ein anderes großes Geheimnis kam – das des Todes.

Der Wind peitschte den Regen, der mir über die zerschmetterte Windschutzscheibe hinweg ins Gesicht fuhr. Das Wasser näßte mein Haar und meine Haut und brannte mir in den Augen. Das kleine Flugboot stellte sich fast senkrecht, sackte ab, vollführte eine halsbrecherische Wende, wurde emporgeschleudert und rotierte wie ein Kinderkreisel. Ich klammerte mich fest und hoffte bei Zair, daß die Ledergurte der Belastung gewachsen waren und mich nicht in die Tiefe stürzen ließen.

Schwarze Nacht umgab mich, dabei stand irgendwo über mir die Zwillingssonne von Antares am Himmel und verstrahlte ihr rotgrünes Feuer. Ich wischte mir fluchend das Wasser aus dem Gesicht und zerrte vergeblich an den Kontrollhebeln.

Das Flugboot reagierte nicht.

Ich saß nicht mehr in jenem schnellen Rennvoller, mit dem ich aus Sumbakir geflohen war – aus dem Werk, in dem man das Boot gebaut hatte. Meinem Egoismus nachgebend, hatte ich diese hervorragende Flugmaschine zu Hause in Valka gelassen und statt dessen ein ganz normales hamalisches Flugboot genommen, das schon eine erhebliche Flugstrecke hinter sich hatte. Meine Sparsamkeit sollte mich offenbar teuer zu stehen kommen.

Mit einem entsetzten Aufschrei zog ich instinktiv die Kontrollen zurück, als aus der Dämmerung ein riesiger Baum auf mich zugerast kam. Der Stamm zuckte förmlich aus dem Dunst empor und war ebenso schnell wieder verschwunden. Das Fluggerät wirbelte über dem Baum hin und her. Ich spürte die dumpfen Schläge der Äste, die gegen die leinenbespannten Holzrahmen schlugen. Ein spitzer Zweig bohrte sich durch das Material und versetzte mir einen Schlag gegen das Bein, ehe die wilde Bewegung mich wieder fortriß.

Von überall peitschte Wasser herab, alles war in heftiger Bewegung, ruckte auf und nieder; die Welt umkreiste mich – jenes wundervolle, doch schreckliche Kregen, vierhundert Jahre vom Planeten meiner Geburt entfernt.

Ich mußte eine Landemöglichkeit finden. Weitere Bäume peitschten vorbei; ihre grauen Arme reckten sich, um meinen zerbrechlichen Voller zu zerstören. Ich starrte angestrengt nach vorn.

Ich konnte jederzeit zu den Eisgletschern von Sicce eingehen – dabei gab es so viele Dinge, die ich noch vorher erledigen mußte!

»Bei Zair!« brüllte ich und hämmerte auf die nutzlosen Kontrollen ein. »Runter mit dir, du Onker!«

Plötzlich wurde das Flugboot aus der Dunkelzone katapultiert. Noch fiel etwas Regen und hörte dann auf, und ich blinzelte in den grellen Sonnenschein. Ein hastiger Blick über die Schulter zeigte mir die düsteren Sturmwolken, die über das Land wallten und dunkle Schatten über die grünen und gelben Flächen zucken ließen. Ich flog gefährlich tief. Ein Windstoß hatte mich aus der Hauptrichtung des Sturms getragen. Aber die Kontrollen reagierten noch immer nicht, und das Flugboot trudelte weiter dahin, ein hilfloses Spielzeug des Windes.

Das Land erstreckte sich weit unter mir, braune Flächen, da und dort von Baumgruppen unterbrochen, durchzogen von den funkelnden Streifen schmaler Flüsse und Bäche. Weideland, überlegte ich und sah mich bestätigt, als ich gleich darauf gewaltige Tierherden erblickte, die die Flucht ergriffen hatten. Am Horizont ragte eine Bergkette empor, schimmernd im opalfarbenen Feuer der Sonnen. Wenn meine Navigation stimmte, mußte es sich um die hamalischen Berge des Westens handeln. Mein Kurs führte mich direkt nach Süden; ich hatte von Valka aus das Meer überquert und war über der gekrümmten Schädelbucht weit ins Land hinein vorgedrungen. Doch die spitzen Gipfel waren unüberwindlich. Mein kleiner Voller würde an den Hängen zerschellen. Zwar hatte mich der Sturm entkommen lassen, doch die Gefahr war damit noch nicht vorbei.

Das Flugboot hielt sich auf ebenem Kiel, doch der heftige böige Wind beutelte mich tüchtig durch. So ging es nicht weiter. Ich war nach Hamal gekommen, um meine Kenntnisse über Voller zu vertiefen, damit Vallia, meine Heimat, verläßliche Maschinen dieses Typs bauen konnte. Mir entging die Ironie der Situation nicht – war ich doch auf der Jagd nach dem Geheimnis des Vollers, während mich eben dieses Geheimnis jetzt im Stich zu lassen drohte!

Die kristallklare Luft verdunkelte sich erneut – ein brodelnder, rasch wachsender Arm des Unwetters drohte mich von hinten zu fassen, und nach wenigen Sekunden befand ich mich wieder in fast undurchdringlicher Dunkelheit.

Das Flugboot wurde wie ein Korken herumgeworfen. Der Wind heulte mit unglaublicher Kraft und toste an mir vorbei, wobei er das Flugboot in seinem stürmischen Marsch mitzerrte.

Die Schwärze verdeckte das Land vor mir.

Der Boden schien mir entgegenzuspringen.

Ich zerrte ein letztesmal verzweifelt an den Kontrollhebeln. Bis heute weiß ich nicht, ob meine sinnlosen Versuche tatsächlich etwas bewirkten – ob sich vielleicht in dem Mechanismus etwas löste oder irgendeine Bewegung zur Stabilisierung beitrug – jedenfalls hob sich der Bug des Vollers. Einige quälende Sekunden lang hing ich steil in der Luft, noch immer abstürzend, noch immer in Gefahr eines tödlichen Absturzes im unebenen Gelände. Wieder hämmerte ich gegen die Hebel, der Bug stieg noch etwas mehr empor, und der Boden raste so dicht unter mir dahin, daß ich den frischen Duft des Regens im Erdreich wahrzunehmen glaubte.

Die Berge waren inzwischen viel näher herangerückt – das Unwetter begann unheimliche schwarze Figuren zu bilden, als die Wolken gegen die Felshänge prallten und sich auftürmten. In diesem Moment entdeckte ich eine schwarze Rauchsäule; ein einziger Blick genügte, um zu wissen, daß ich hier eine Szene verfolgte, wie sie sich auf Kregen nur allzu häufig abspielte. Die Welt hat ihre wundervollen Seiten; doch im Grunde ist sie schrecklich und abweisend, wie ich oft am eigenen Leibe habe erfahren müssen.

Delia hatte mir so viele Dinge aufgedrängt, daß ich spöttisch bemerkt hatte, es bliebe ja kaum noch Platz für mich selbst im Voller. Ohne zu lächeln hatte sie erwidert, daß das vielleicht nicht das Schlechteste wäre. Sie hielt meine Reise nach Hamal für unüberlegt und verrückt. Ich griff nach dem Fernglas, hielt es mir vor das Auge und paßte mit dem sicheren Gefühl des Seemanns das Teleskop an die schwankenden Bewegungen des Schiffes an.

Die Sache betraf mich nicht.

Das war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf zuckte.

Tief unter mir brannte qualmend ein Dorf; der Regenschauer hatte nicht ausgereicht, um die Brände zu löschen.

Hier im Nordwesten Hamals, auf dieser vergessenen Landzunge zwischen dem Südufer der Schädelbucht und den westlichen Bergketten des Kontinents, sind die Dörfer wehrhaft angelegt. Ein dichter Tropendschungel erstreckt sich im Norden; weiter südlich ist das Land ausgetrocknet – doch hier gibt es gutes Weideland. Die Häuser waren in einem Oval ausgerichtet; die Türen wiesen nach innen zum Dorfplatz hin. Auf diesem Platz befanden sich der Brunnen und schattige Bäume, hier spielte sich das Leben der Gemeinde ab. Ein oder zwei Häuser hatten sogar Obergeschosse und waren somit höher als die anderen. Dem Brand war jedoch keins der Gebäude entgangen.

Die Mauern schienen aus Lehm bestanden zu haben, die Dächer aus Stroh oder Blättern, denn sie waren völlig verschwunden. Zahlreiche Menschen liefen in Panik herum.

Die Sache ging mich nichts an; diesen Gedanken wiederholte ich im Geiste, auch als die ersten Flutsmänner in Sicht kamen, ihre Fluttrells vom Rauch fortlenkten und auf die verängstigten Menschen zuhielten.

Flutsmänner sind bekanntlich Vogelreiter; mitsamt ihren Flugtieren verpflichten sie sich als Söldner jedem Herrn, der ihren hohen Sold aufbringen kann. Ich vermutete, daß diese Gruppe im Lohn von Aragorn, von Sklaventreibern stand und die Aufgabe hatte, frische Sklaven zu beschaffen.

Für Sklavenhändler habe ich nicht viel übrig.

Doch diesmal war ich nicht von den Herren der Sterne hierhergeschickt worden, um einen oder mehrere Menschen vor einem grausamen Schicksal zu bewahren; ich brauchte also ihre Strafe nicht zu fürchten, wenn ich in dieser Aufgabe versagte. Ich war frei. Ich konnte ungezwungen entscheiden.

Doch es ist schwer, alte Angewohnheiten abzulegen. Und ich war schon immer ein leidenschaftlicher Jäger von Sklavenjägern.

Ich nahm den großen lohischen Langbogen, den mir Seg Segutorio geschenkt hatte, und beobachtete die Flutsmänner. Sie waren so sehr auf ihr übles Tun konzentriert, daß sie die Annäherung meines Flugboots gar nicht bemerkten. Ihre Flugtiere bewegten sich vor dem Himmel hin und her, stießen immer wieder herab. Seile zuckten in die Tiefe, gespickt mit schmerzhaften Stacheln, und wickelten sich um die Beine schreiender Flüchtlinge, rissen sie von den Füßen, zerrten sie durch den Staub.

Die Flutsmänner hatten das Dorf in Brand gesteckt, doch der Regenschauer hatte sie gestört, und jetzt waren sie damit beschäftigt, ihre Sklavenaktion wieder in Schwung zu bringen. Der Regen hatte dem Dorf eine Chance eröffnet ... Ich runzelte die Stirn. Von Widerstand keine Spur. Es mußte hier doch Bewaffnete geben, Männer, die für ihre Frauen und Kinder und um ihre Freiheit und ihr Leben kämpften!

Die Pfeile befanden sich vor mir, aufgereiht in ihren individuellen Köcherschlaufen am Rand des Vollers, die ein schnelles Ziehen ermöglichten.

Ich nahm den ersten Pfeil in die rechte Hand.

Eigentlich müßte ich mich vom Wind weitertreiben lassen, vorbei an dem brennenden Dorf, vorbei an den schreienden Menschen. Wenn ich hier getötet wurde – wer sollte meine Delia und meine Zwillinge Drak und Lela beschützen? Wie konnte mein Tod an diesem Ort dazu beitragen, daß die Menschen in Valka und Strombor, in Djanduin und auf den Ebenen von Segesthes in Wohlstand und Sicherheit lebten? Nein, mit oder ohne Herren der Sterne, mit oder ohne Savanti, mit oder ohne Pflichten, welche ich gegenüber anderen Menschen hatte – der kleine Sklavenüberfall dort unten ging mich wahrlich nichts an.

Ich ergriff den ersten Pfeil, legte ihn auf die Sehne, zog sie zurück, zielte und ließ los.

Der Pfeil bohrte sich einem der Flutsmänner in den Hals.

Der Mann stürzte aus dem Sattel und wurde von seinem Clerketer festgehalten; der Fluttrell bäumte sich in der Luft auf.

Der nächste Pfeil durchbohrte einen Flutsmann, dessen Wurfleine eben einen Mann gefesselt hatte, der sich einfach schlaff nach vorn fallen ließ.

Dann ging es nur noch darum, so schnell zu schießen, wie ich die Pfeile aus ihren Laschen am Rand des Vollers zu zielen vermochte. Pfeil um Pfeil schwirrte davon; soweit ich es mitbekam, verfehlten nur zwei ihr Ziel.

Den Sklaven konnte nicht entgehen, daß ich ihnen zu Hilfe gekommen war. Ich stand aufrecht in der winzigen Bugsenke des Bootes und mußte den Flutsmännern ein Ziel bieten, mit dem sie wenig Mühe zu haben glaubten. Sie schleuderten ihre Wurfspieße, um mich zu beseitigen. Doch ich ergriff einen Schild und hängte ihn mir über die linke Schulter – ein Trick, den ich mir zum Vergnügen Seg Segutorios und anderer Freunde beigebracht hatte. Die Spitzen der Stuxe prallten auf den Schild und glitten daran entlang, doch ich konnte unbehindert weiterschießen. Wenn ich von rechts angegriffen wurde – und ich achtete natürlich besonders auf meine Steuerbordseite –, konnte ich mich ducken oder den Schild herumreißen. Nur dreimal mußte ich die Sehne des Langbogens loslassen und einen Wurfspieß abfangen. Die drei Spieße wurden sofort zurückgeschleudert und bohrten sich mit ihren breiten Spitzen tief in die Körper ihrer ehemaligen Besitzer.

Fluttrellflügel flatterten ringsum durch die Luft. Stuxe wirbelten kreuz und quer. Die aufgebrachten Flutsmänner drängten immer näher heran und versuchten mich nun mit ihren langen Lanzenschwertern zu erreichen. Die scharfen Klingen zuckten vor und zurück, und an verschiedenen Stellen wurden große Stücke aus dem Holzrahmen des Vollers gehauen und Bahnen der Leinenbespannung abgerissen.

Endlich ließ ich den großen lohischen Langbogen auf das Deck gleiten. Das Langschwert in meinen Händen gab mir wie immer Auftrieb – ein Gefühl, wie ich es schon oft beschrieben habe. Mit der nackten Klinge in den Fäusten machte ich mich bereit, keinen Hieb unerwidert zu lassen.

Meine Waffe war kein richtiges Krozair-Langschwert, doch kam sie diesem Ideal so nahe, wie ich es in der Schmiede meiner Hohen Feste Esser Rarioch über Valkanium zu erreichen vermochte. Naghan die Mücke hatte zusammen mit den besten Waffenschmieden an dieser Klinge gearbeitet. Zuerst hatte ich überlegt, ob ich mein echtes Krozair-Langschwert mitnehmen sollte – doch aus denselben Gründen, die mich veranlaßt hatten, das kleinere Flugboot zu nehmen, war das gute Schwert zu Hause geblieben. Nun hielt ich diese Nachahmung in den Händen – die beste Klinge dieser Art, die außerhalb des Auges der Welt zu finden war, aber eben doch keine echte Krozairwaffe.

In dieser Auseinandersetzung mit den niederträchtigen Aragorngehilfen mochte sie allerdings ausreichen, um ein paar Köpfe abzuschlagen, ein paar Arme und Beine abzutrennen und den üblen Sklavenhäschern den Wanst so zu durchlöchern, daß ihnen das Frühstück in den Kniekehlen hing.

Das Gefühl des mit Silberdraht umwickelten Schwertgriffes genügte, um mich anzufeuern. Doch als das Blut in meinen Adern zu brausen begann und gerade ein heftiger kleiner Kampf entbrennen wollte, begann das Flugboot zu rucken und zu taumeln und in der Luft herumzubocken, ehe es geradewegs nach unten raste.

In wenigen Sekunden würde der Voller auf den Boden prallen und mich zerschmettern!