44. Kapitel

KLATOOINE

Mit wachsender Zufriedenheit verfolgte Dei auf dem Bildschirm seines Datapads die Übertragung von C-3POs Fotorezeptoren. Größtenteils zeigten die Bilder die Rücken größerer, breiterer Wesen, viele davon Klatooinianer, doch gelegentlich erhaschte der Protokolldroide einen flüchtigen Blick auf das Podium und auf jene, die sich darauf befanden – die kleine klatooinianische Jedi, die Klatooinianerin, die mit ihr sprach, und, nur wenige Schritte von ihnen entfernt, Tenel Ka Djo.

Die Operation war schnell und effizient verlaufen. Den Protokolldroiden schnappen, eine Stromladung durch ihn hindurchschicken, um seine Systeme runterzufahren, einen Haltebolzen anbringen, ihn in ein Zelt schaffen, das sie von einem Waffenhändler angemietet hatten, der froh war, sich ein paar Credits zu verdienen, ganz egal auf welche Weise. Ein rascher, mechanischer Eingriff, um die Sprengladung und Steuerrelais zu installieren, die die Sensordaten des Droiden an Deis Datapad übermittelten. Das direkte Hochladen einer gefälschten Nachricht in den Kom-Speicher des Droiden. Am Ende brauchten sie den Droiden bloß noch einem üppig bestochenen Vertreter der Freilassungsmandatsmiliz übergeben. Danach ging es bloß noch darum, auf den richtigen Zeitpunkt zu warten. Und wie das Schicksal es wollte, hatte das kleine Solo-Mädchen den Droiden keine zwei Minuten eher gefunden, bevor Dei ohnehin den Befehl erteilt hätte, ihn freizulassen.

Das kleine Solo-Mädchen …

Im Augenblick empfing das Datapad eine Nahaufnahme von Tenel Ka Djos Antlitz. Die Frau lächelte, ein geschliffenes Politikerlächeln, zweifellos, um ihre Unterstützung für die Ereignisse auszudrücken, die gegenwärtig in der Mitte des Lagers stattfanden, doch da war etwas an ihrer Miene, eine gewisse Anspannung, die Dei vertraut vorkam.

Auf dem Sand des östlichen Gebirgskamms kniend legte Dei den Fernzünder für den Sprengsatz neben sich und nahm das Datapad auf. Ohne den Live-Datenstrom auf dem Bildschirm einen Moment lang zu beachten – C-3PO würde mindestens zwei Minuten brauchen, um zu dem erhöhten Podium zu gelangen –, sah sich Dei noch einmal die Aufnahmen an, die der Droide in der letzten halben Stunde gemacht hatte.

Da war es, das kleine Mädchen, in den letzten Momenten, in denen C-3PO auf sein Gesicht hinuntergeblickt hatte. Das Haar der Kleinen war von vertrautem Rot, ihre Augen von vertrautem Grau. Ihre Miene zeigte eine vertraute Ernsthaftigkeit.

Dei wechselte zwischen Bildern von Amelia Solo und Tenel Ka Djo hin und her. Eine Woge der Erkenntnis spülte über ihn hinweg wie eine kalte Welle.

Die Jedi-Königin. Vielleicht hatte Tenel Ka bereits eine zweite Tochter zur Welt gebracht. Oder möglicherweise war dieses Mädchen das Kind, das seit Jahren für tot gehalten wurde. Das ergab Sinn. Tenel Kas Verbindung zu den Solos, das Bedürfnis einer hapanischen Königin, eine Thronerbin von mordgierigen Rivalinnen fernzuhalten …

Dei würde sie einfach beide töten müssen. Doch jetzt war zunächst Tenel Ka an der Reihe. Er schaltete zu dem Live-Datenstrom zurück.

Der Bildschirm zeigte eine verschleierte Hapanerin, die direkt zu C-3PO sprach und nickte. Sie trat beiseite, um ihn durchzulassen. Die nächste Person weiter vorn, keine fünf Meter entfernt, war Tenel Ka Djo. Dei griff nach dem Fernzünder.

Seine Finger stießen auf Sand. Er tastete überrascht umher. Normalerweise war er immer hundertprozentig akkurat, erinnerte sich ganz genau daran, wo er Dinge hingelegt hatte. Doch seine Finger fühlten nichts als Sand.

Er schaute nach unten.

Der Fernzünder war weg.

Als Allana das obere Ende des Pfads erreichte, der den östlichen Kamm emporstieg, schluckte sie angestrengt und schaute auf das Lager hinunter. Als sie dort unten gewesen war, hatte es so groß gewirkt, und jetzt war es so winzig. Der Millennium Falke am Rande des Camps, dessen Oberfläche im Licht von Scheinwerfern badete, die die Allianz-Wachen aufgestellt hatten, vermittelte ihr einen gewissen Größenmaßstab. Selbst aus dieser Entfernung konnte sie das gelegentliche Brüllen der Menge vor dem zentralen Podium hören. Außerdem konnte sie das schwache Brummen des nächstgelegenen Schildgenerators vernehmen, hunderte Meter weit weg.

Doch das Lager kümmerte sie jetzt nicht. Sie drehte sich um und ließ ihren Blick über die dunkle Wüste schweifen. Mit einiger Verspätung wurde ihr bewusst, dass so nah an dem unebenen Überhang ein einziger falscher Schritt genügte, um sie Dutzende Meter in die Tiefe stürzen zu lassen – was sie schwer verletzen oder sogar umbringen konnte.

Nun, sie konnte nichts weiter tun, als vorsichtig zu sein. Falls die Zeit es zuließ.

Anji entfernte sich ein paar Schritte. Dann ließ sie sich – anmutig für einen Nexu – in den warmen Sand fallen und pflegte das Fell an ihrer Seite.

Allana schenkte ihr keine weitere Beachtung und öffnete sich der Macht, so gut sie eben wusste, wie das funktionierte.

Hier, wo keine anderen Leute zugegen waren, konnte sie den Mann vielleicht fühlen, den sie suchte. Manchmal war es, als würde man Ausschau nach Glühkäfern halten – nach ganz speziellen. Wenn vor den Lichtern in der Stadt ganze Schwärme dieser Dinger umherschwirrten, war es schwierig, die einzelnen Insekten zu sehen, unmöglich, einen speziellen Käfer aus der Masse herauszupicken. Aber wenn bloß zwei oder drei davon über einem dunklen Teich schwebten, war es viel einfacher.

Sie schüttelte den Kopf, um diesen Gedanken abzuschütteln. Omi Leia schalt sie häufig dafür, dass sie dachte, obwohl sie eigentlich fühlen sollte. Sie ließ ihre Gedanken davontreiben.

Sie fühlte Anji in der Nähe, zufrieden, stark und primitiv. Sie ließ ihre Sinne über den Nexu hinausschweifen.

Sie fühlte viele Berührungen in der Macht, weiter unten, in Richtung des Lagers. Sie ignorierte sie.

Sie fühlte … Dunkelheit. Beinahe wie in Trance ging sie in diese Richtung.

An den Maßstäben eines gesunden, kleinen Mädchens gemessen war es nicht weit, das Äquivalent von ein paar Häuserblocks in der Stadt. Und dann sah sie ihn, weiter vorn – am Rande des Aussichtspunkts, ein Datapad im Sand vor sich, ein Makrofernglas neben sich.

Langsam zog sie ihre Machtsinne von seiner Präsenz zurück. Sie zog sich in sich selbst zurück, machte sich zu einem winzigen Punkt in der Macht, so, wie sie es schon zuvor getan hatte. Schritt für Schritt schlich sie näher, so lautlos wie Anji.

Sie musste dicht herangehen, wenn sie sich auf seinen Rücken stürzen wollte. Sie wusste zwar nicht genau, inwieweit das helfen würde, doch das war es, was sie in ihrer Vision gesehen hatte.

Der Mann stellte neben sich etwas in den Sand und hob sein Datapad auf, um sich daran zu schaffen zu machen. Allana bewegte sich näher heran, wagte kaum zu atmen.

Auf dem kleinen Bildschirm des Datapads konnte sie Tenel Ka sehen, eine Übertragung der Veranstaltung, die just in diesem Moment anderswo im Lager stattfand.

Dann dämmerte er ihr, der Gedanke, der den Mann mit der dunklen Aura zu umgeben schien. Sie hatte sich geirrt. Er war nicht der Flammenmann – sondern C-3PO.

Sie hielt sich die Hand vor den Mund, um zu verhindern, dass sie einen Laut von sich gab, der den Mann alarmieren würde.

C-3PO war der Flammenmann, und das kleine Ding, das der Mann mit der dunklen Aura neben sich abgestellt hatte, war der Schlüssel zu C-3POs Tod. Zu Tenel Kas Tod.

Allana trat noch einen Schritt vor.

Leia erreichte das obere Ende des gewundenen Pfads und überprüfte abermals ihr Komlink, das ihr eine neue Richtung vorgab, eine neue Entfernung. Kaum fünfhundert Meter weit weg.

Doch seltsamerweise war sie außerstande, die Präsenz ihrer Enkeltochter in der Macht wahrzunehmen. Die von Anji schon, schwach, weiter voraus. Und noch etwas anderes.

Etwas Dunkles.

Leia sprintete los.

Dei stand auf und drehte sich um.

Kaum drei Meter von ihm entfernt stand Amelia Solo, mit dem Fernzünder in der Hand. Sie starrte herausfordernd zu ihm auf.

Er deutete auf den Fernzünder. »Gib mir das!«

Sie schüttelte den Kopf. »Du wirst sie nicht umbringen.«

»Wen werde ich nicht umbringen – deine Mutter?«

In den Augen des kleinen Mädchens zeigte sich ein flüchtiges Aufflackern von Überraschung. Sie antwortete nicht.

Dei schenkte ihr ein mitfühlendes Nicken. »Ich muss mich entschuldigen. Ich nehme an, wenn du die Chance gehabt hättest heranzuwachsen, wärst du genau wie deine Mutter geworden. Ich weiß Intelligenz und Schönheit in all ihren Formen zu schätzen. Aber die Pflicht steht immer an erster Stelle. Ich werde dich jetzt töten und danach deine Mutter. Wenn du es einfach geschehen lässt, wirst du nichts davon spüren.« Er zog sein Lichtschwert und schaltete es ein.

Sie drehte sich um, um wegzulaufen.

Er sprang schneller vor, als sie sich in Bewegung setzen konnte, und riss seine Klinge in die Höhe.

Er sah den Angriff nicht kommen. Im einen Moment schickte er sich an, seinen Hieb zu führen. Dann war er aus dem Gleichgewicht und stürzte mit brennendem Gesicht nieder.

Sein Angreifer war klein und bestand ganz aus Fell, scharfen Zähnen und Zorn. Er biss, kratzte, krallte. Dei schlug in den Sand, rollte sich unbeholfen auf die Knie und packte seinen Peiniger mit seiner freien Hand. Seine Finger schlossen sich um eine pelzige Gliedmaße und rissen daran.

Das Ding löste sich nicht von ihm. Es klammerte sich fest, grub seine scharfen Hauer tiefer in Wange, Stirn und Auge. Dei heulte auf und riss erneut daran. Diesmal gelang es ihm, sich von dem Monster zu befreien. Er schleuderte es in die Dunkelheit.

Blut strömte die rechte Seite seines Gesichts hinab. Obwohl er sich dessen nicht sicher war, vermutete er, dass das Auge in dieser Gesichtshälfte verloren war. Lodernd vor Zorn – vor Zorn, befeuert von der Dunklen Seite – stand er auf. Es würde ihn nur einen Schritt und einen Hieb kosten, um das kleine Mädchen zu erledigen, und dann würde er sich ihr Haustier vornehmen. Er wandte sich Amelia zu.

Zwischen ihm und dem kleinen Mädchen stand Leia Solo, ihr deaktiviertes Lichtschwert in der Hand, das jetzt mit einem Tzz-sssschh zum Leben erwachte. Hinter ihr stand Amelia, die ihn blass anstarrte, noch immer den Fernzünder in ihren Händen.

Auch Leia war blass, sie atmete schwer, ein geisterhafter Anblick im Mondlicht. Doch ihre Worte waren wohlüberlegt und deutlich. »Ergibst du dich?«

»Nein.«

»Gut.« Sie stürzte sich auf ihn.

Dei fing ihren ersten Angriff ab, blockte ihn gleichermaßen mit Geschick wie mit schierer Kraft ab – eine Abwehr, die verächtlich wirken sollte, die einschüchternd wirken sollte.

Doch Leia ließ sich davon nicht einschüchtern. Sie wich einen Schritt zurück, bevor er sie beiseitestoßen konnte, löste sich aus dem Kampf und trat zu. Seine Klinge schwirrte an der Stelle durch die Luft, wo eben noch ihr Bein geendet hatte, doch sie war zu flink. Sie kickte ihm mit dem Fuß Sand ins Gesicht – in die rechte Hälfte des Gesichts. Er grinste. Ihre Taktik war zwar brauchbar gewesen, aber gekontert von Verletzungen, die er bereits davongetragen hatte.

Dann war es in vollem Gange: ein rasantes Duell auf Leben und Tod.

Dei öffnete sich der Macht, verließ sich auf seinen Instinkt, sein Muskelgedächtnis und seine Ausbildung, und er gelangte zu dem Schluss, dass dies ein Moment vollkommener Komplementarität war. Sein heißer Zorn gegen ihre kühle Zurückhaltung. Mann und Frau. Sith und Jedi. Glühendes Rot gegen glühendes Blau. Stärke gegen Gelenkigkeit. Die Schönheit des Augenblicks verschaffte ihm ein freudiges Kribbeln.

Komplementarität – ihre Klingen trafen zischend aufeinander, dann wirbelten sie voneinander weg, und Dei wurde klar, dass er einen Fehler gemacht hatte. Als er auf seine freie Hand zuschnellte, wie er es schon Tausende Male zuvor getan hatte, verlor er seine Gegnerin einen Sekundenbruchteil zu früh aus den Augen, getäuscht von seinem fehlenden Auge. In der Macht spürte er, wie Leia nach vorn sprang. Er wirbelte seine Klinge in einem defensiven, schützenden Manöver herum, doch sie traf auf nichts.

Sie standen einander direkt gegenüber. Dei überkam ein sonderbares Gefühl des Losgelöstseins.

Dann starrte er mit einem Mal zum Himmel empor. Er wusste nicht, wie es dazu gekommen war, aber plötzlich blickte er zu den Sternen hinauf, dann auf das Lager jenseits des Aussichtspunkts, das auf dem Kopf stand, dann auf die Rückseite seiner eigenen Beine und Füße.

Sein Schädel schlug einen Moment eher in den Sand, bevor sein Körper zusammenbrach. Sein Kopf rollte einige Meter weiter und kam dann zu liegen. Das Letzte, was er sah, war der aufgeplusterte Nexu, der ihn blutbespritzt anstarrte.

Und dann spülte Dunkelheit diesen Anblick für alle Zeiten fort.

Zwei Kilometer entfernt, im Cockpit der Kryptischen Warnung, richtete sich Fardan unvermittelt in seinem Sitz auf und erbleichte.

Hara schaute zu ihm herüber. »Was ist los?«

»Vater …«

Sie ruhten sich eine Minute lang im Sand aus, dem Lager zu- und vom Leichnam des dunklen Mannes abgewandt. Allana lag in Leias Schoß, während Anji sich einen Meter entfernt putzte.

Allana lehnte sich gegen ihre Großmutter. »Ich musste es tun. Das haben die Träume mir gezeigt. Zuerst habe ich sie nicht verstanden. Nicht bis vor einer Minute. Aber ich musste es tun.«

»Ich verstehe.«

»Du bist nicht böse?«

»Nein, ich bin nicht böse.«

Dann fiel etwas wie Regentropfen auf Allanas Gesicht. Sie wischte sie fort. »Omi, warum weinst du?«

»Weil es zu früh ist, Liebes. Zu früh dafür, dass dir so etwas widerfährt.«

»Mir geht es gut.« Allana hielt den Fernzünder hoch. »Wir müssen die Bombe aus Ce-Dreipeo rausholen.«

»Ja, das machen wir.« Leia holte ihr Komlink hervor. »Und wir müssen ins Lager zurück. Vielleicht treiben sich hier draußen noch mehr Sith herum.«

Einige Minuten später betraten sie langsam wieder das Lager. Javon und sein Kerntrupp von Soldaten gesellte sich mit steinernen Mienen zu ihnen und eskortierte sie.

Im Lager herrschte rege Betriebsamkeit. Jetzt lösten sich Gruppen aus der Versammlung in der Mitte der Zeltstadt, um sich zu zerstreuen. Man diskutierte, einigte sich, stritt.

Leia wurde via Komlink kontaktiert. Sie hörte zu, und ihr Gesicht fiel in sich zusammen. Sie änderte die Richtung, und alle anderen folgten ihr.

Allana schaute zu ihr auf. »Was ist los?«

»Es tut mir so leid, Liebes. Ich musste Leuten von der Bombe in Dreipeo erzählen. Sie haben ihn in die Wüste rausgebracht und den Sprengsatz entschärft. Er ist in Sicherheit. Aber die hapanischen Sicherheitskräfte … ein Mordversuch an der Königinmutter … Ihre Leibgarde besteht darauf abzureisen, und sie hat keinen offiziellen Anlass, hier noch länger zu verweilen …«

Sie blieben an einer Wegkreuzung zwischen den Zelten stehen und warteten, als eine andere Gruppe an ihnen vorbeiging. Die Gruppe des hapanischen Konsortiums, die sich auf dem Weg zum Landungsboot befand.

Allana ließ den Blick über all die verschleierten Gesichter schweifen und brauchte nur einen Moment, um das ihrer Mutter zu finden. Tenel Ka sah sie ebenfalls unverwandt an. In ihren Augen zeigten sich Stolz und Kummer.

Allana hob eine Hand, um ihrer Mutter flüchtig zuzuwinken. Dann waren die Hapanerinnen an ihnen vorbei und fort.