36. Kapitel

Im Gegensatz zu Daala wurde Tahiri von ihrer Droiden-Eskorte begleitet, als sie den Besucherraum betrat. Der lokale Aufseherdroide dirigierte sie in Kabine eins, die am weitesten vom Eingang entfernt lag. Ihr YVH-Droide bezog in der Nähe des Zugangs Position, während sie zu ihrer Kabine schlurfte. Sie ging hinter Daala vorbei, die in eine Unterhaltung mit einem gut gekleideten blonden Mann vertieft war.

Eramuth Bwua’tu erwartete Tahiri auf der anderen Seite des Sichtfensters ihrer Kabine. Der Rechtsanwalt schenkte ihr ein ermutigendes, wenn auch wölfisches Lächeln. Sie nahm auf ihrem Stuhl Platz, erwiderte das Lächeln jedoch nicht.

»Guten Morgen, meine Liebe.« Bwua’tu hob eine pelzige Augenbraue, als er ihre Elektroschellen musterte. »Ich arbeite momentan daran, dass Sie die loswerden. Das hat zwar offenkundig weniger Priorität als meine Bemühungen, das Urteil Ihres Verfahrens zu widerrufen oder einen ganz neuen Prozess zu verlangen, aber ich versuche, Ihnen an allen möglichen Fronten beizustehen.«

»Vielen Dank. Aber was haben wir schon für Erfolgsaussichten?«

»Das Ganze ist weniger eine Frage der Erfolgsaussichten als eine Frage der Zeit. Wir werden gewinnen. Doch je länger es dauert, bis der Jedi-Orden das Amt des Staatsoberhaupts wieder abgibt, desto mehr Missgunst fördert die Situation in den Reihen der gewöhnlichen Regierungsdiener, und desto länger wird es dauern, bis die Gerechtigkeit letzten Endes obsiegt.«

»Das hört sich nicht an, als stünden meine Überlebenschancen sonderlich gut. Ganz ehrlich, machen Sie sich keine Vorwürfe, wenn es uns nicht gelingt, einen neuen Prozess zu bekommen, bevor ich hingerichtet werde.«

Bwua’tu schüttelte den Kopf. »Wir werden das Todesurteil aufheben lassen.«

»Welches? Das, das das Gericht verhängt hat, oder das, das mir zwangsläufig blüht, wenn man gefesselt in einem Gefängnis voller Verbrecher rumläuft, die vierzig Jahre lang Zeit hatten, die Jedi zu hassen?«

»Haben Sie das Gefühl, in Gefahr zu sein?«

Tahiri seufzte. »Vermutlich nicht mehr als jeder andere Gefangene hier. Doch die Fesseln schränken meine Möglichkeiten ein, mich zu verteidigen, und falls die Macht mich irgendwann mal nicht vorwarnt, könnte ich mir genauso leicht einen spitzen Gegenstand in ein lebenswichtiges Organ einfangen wie jeder andere.« Sie bedachte Bwua’tu mit einem Blick, von dem sie wusste, dass er halb resigniert wirkte. »Ich möchte das nicht … Aber vielleicht ist es mir von vornherein bestimmt gewesen, hier zu sterben.«

»Seien Sie nicht albern. Aus Ihnen spricht die Niedergeschlagenheit, die die Veränderung Ihrer Lage mit sich bringt. Halten Sie sich weiter an dem fest, was für Sie von Bedeutung ist – dann wird Ihr Kampfgeist, Ihr Überlebensinstinkt, zurückkehren.«

»Sicher.«

Bwua’tu zog ein Blatt Flimsi aus seiner Tasche, das er auf der Tischplatte vor sich auseinanderfaltete. »Wir müssen über das Berufungsverfahren sprechen. Ich weiß, wie ich vorgehen möchte, aber Sie müssen meine Taktik verstehen, wenn Sie mich unterstützen und Ihre Chancen verbessern wollen, die Freiheit zu erlangen. Sollen wir fortfahren?«

»Bitte.«

Tahiri versuchte, ihn nicht auszublenden, doch ihr Verstand konnte sich nicht gänzlich auf seine Worte konzentrieren. Er sprach vom Ablauf des Einreichens des Berufungsgesuchs, davon, inoffiziell die Hilfe der Jedi zu suchen, davon, einen Dokumentarfilmer dazu zu bewegen, eine Holonachrichten-Serie über Unregelmäßigkeiten des Rechtssystems zu produzieren, in der sie sich profilieren konnte – eine Maßnahme, die nicht bloß von ihrer Attraktivität leben würde, sondern der Öffentlichkeit gleichermaßen auch ein besseres Verständnis dessen vermitteln würde, was bei ihrem Gerichtsverfahren passiert war, während die Aufmerksamkeit der Allgemeinheit auf die Zerstörung der Feuertaufe und die Regierungsübernahme durch die Jedi gerichtet gewesen war. Sie nickte und akzeptierte jeden seiner Vorschläge, auch wenn sie kaum Einzelheiten über irgendeinen davon im Gedächtnis behielt.

Dann spürte sie es, ein alarmierendes Kribbeln in der Macht. Ihre Augen weiteten sich. »Eramuth, runter auf den Boden!«

Er erstarrte mitten im Satz. »Was ist los?«

»Ich weiß es nicht. Gefahr. Runter!«

Agil für einen ältlichen Bothaner warf er sich zu Boden.

Rechts von Tahiri explodierte eine Kabine. Lärm ließ ihre Ohren dröhnen. Rauch wogte aus der zerstörten Kabine. Droiden, die auf der sicheren Seite des Raums standen, ein gutes Stück von der Kabine entfernt, flogen nach hinten und krachten auf den Boden. Hin und her geschleudert von der Schockwelle der Explosion kippten Tahiri und ihr Stuhl auf die nächste Wand zu und stürzten zu Boden.

Sirenengeheul erfüllte die Luft. Tahiri rollte sich auf die Knie und sah sich um.

Ein Transparistahlpaneel von einer der Kabinen ragte jetzt schräg in den gesicherten Bereich und ließ eine Lücke darunter frei, und just in diesem Moment war Staatschefin Daala dabei, durch diese Lücke zu klettern.

Tahiris Augen waren weit aufgerissen. Das hier war eine Flucht.

Sie warf Bwua’tu einen flüchtigen Blick zu. Der Anwalt rappelte sich auf, anscheinend unverletzt.

Wieder sah sie zu der Lücke hinüber. Inzwischen war Daala hindurch und taumelte den Korridor auf der anderen Seite entlang, halb vom Rauch der Explosion verborgen.

Wenn dies eine Flucht war, die Daalas Freunde oder Untergebene arrangiert hatten, war sie mit Sicherheit hier noch nicht zu Ende. Gewiss hatte die Frau eine Möglichkeit, um aus dem Gefängniskomplex zu entkommen.

Tahiri schaute wieder zu Bwua’tu hinüber. Er starrte sie geradewegs an. Als sich ihre Blicke trafen, schüttelte er den Kopf. Sie brauchte nicht ihre Machtsinne auszustrecken, um zu wissen, was er dachte. Tun Sie’s nicht!

Sie sprintete auf Daalas Kabine zu.

Und fiel auf ihr Gesicht. Die Fußfesseln …

Dieser Moment der Vergesslichkeit rettete ihr das Leben. Blasterfeuer hämmerte über ihr gegen das Sichtfenster der Kabine, schweres Blasterfeuer von ihrem YVH-Wachdroiden. Der Droide scherte sich nicht um die Leben derer, die sich in Tahiris Nähe aufhielten – er beharkte ihre Umgebung unbarmherzig mit Blastersalven, ohne Rücksicht auf die anderen Gefangenen zu nehmen, die hastig die Flucht ergriffen, um sich in Sicherheit zu bringen.

Tahiri verwandelte ihren Fall nach vorn in eine Rolle. Sie unterdrückte das Verlangen, auf die Macht zurückzugreifen, um ihre Bewegungen zu beschleunigen. Die speziell für Jedi entwickelten Elektroschellen, die sie trug, würden die Hirnaktivitäten registrieren, die bei Menschen mit dem Einsatz der Macht einhergingen, und ihr einen Schlag versetzen, um ihr so vollends die Fähigkeit zu rauben, auf die Macht zurückzugreifen, und vermutlich auch das Bewusstsein. Tatsächlich war es lediglich eine Frage von Sekunden, bevor jemand in einem Kontrollraum diesen Elektroschock ohnehin aktivierte, und dann wäre sie hilflos.

Auf dem Fußboden von Daalas Kabine sprang Tahiri in die Höhe und glitt wesentlich anmutiger durch die Lücke, als Daala es getan hatte. Auf der anderen Seite ließ sie sich nicht zu Boden fallen. Sie packte die Oberkante der Kabinenabtrennung und ließ ihre Füße unter die Unterkante des verbogenen Transparistahlpaneels baumeln, während sie ihre Knöchel gegeneinanderdrückte.

Der YVH-Droide nahm den Transparistahl zu ihren Füßen ins Visier. Seine Taktik war vernünftig und angemessen – wenn es ihm gelang, die Jedi zu verletzten, wäre sie nicht imstande zu fliehen.

Die Entscheidung des Droiden, das Feuer zu eröffnen, war mit keiner Emotion verbunden, mit keinem warnenden Stich in der Macht. Tahiri musste ihr Vorgehen nach dem timen, was sie sah. In dem Moment, in dem der Droide seinen Arm in Position gebracht hatte, riss sie ihre Knöchel auseinander.

Blasterfeuer ging von dem Droiden aus und schlug in das Verbindungskabel zwischen ihren Fußfesseln. Die schiere Wucht des Angriffs schleuderte ihre Beine nach hinten hin in die Höhe. Doch das Kabel wurde durchtrennt – ihre Beine waren frei, und der Schaltkreis, den das Kabel zwischen den Schellen schloss und der für die Elektroschockfunktion der Fesseln notwendig war, wurde zerstört.

Sie fiel zu Boden, auf ein abgelegtes Anzugjackett und eine blonde Perücke. Sie achtete nicht darauf. Sie hatte keine Zeit für Neugierde. Sie hielt ihre Handgelenke vor den Mund und tauchte einem Nagetier in seiner unterirdischen Höhle gleich aus ihrer Deckung auf, um nur ihren Kopf und ihre Hände vor die Lücke in der Kabine zu halten.

Der YVH-Droide rückte bereits vor. Als er sie sah, zielte er und feuerte von Neuem, eine beinahe augenblickliche Reaktion.

Tahiri wich mehrere Zentimeter zur Seite aus und riss die Handgelenke so weit auseinander, wie es nur ging. Wieder schlug schweres Blasterfeuer in ihre Fesseln. Das Kabel riss, und Blasterfeuer hämmerte in ihre rechte Handschelle, um ihren Arm ganz bis hoch zur Schulter taub werden zu lassen. Die Wucht des Angriffs schleuderte sie nach hinten hin zu Boden. Von einem der Blasterblitze verspürte sie einen sengenden Schmerz in ihrem rechten Handgelenk. Doch als sie dort flach auf dem Rücken lag, war sie endlich frei – so frei, wie man in einem Planetengefängnis nur sein konnte, mit Wachdroiden und einem YVH-Droiden, die aus unterschiedlichen Richtungen auf ihre Position vorrückten.

Daala krabbelte über die Tischplatte, fiel dahinter zu Boden und schaute sich um. Überall auf dem Boden lagen von der Explosion herumgeschleuderte Besucher, auch wenn es wenig bis gar kein Blut gab, denn die Transparistahlbarriere schien den Großteil der Detonationswucht abgefangen zu haben. Einige Besucher, die sich ein Stückchen entfernt befanden, waren nicht hingestürzt oder schon wieder dabei, sich aufzurappeln. Der falsche Tevarkian war verschwunden …

Nein, er war ein paar Meter rechts von ihr und kroch auf den Ellbogen über den Boden. Sein Jackett und das Hemd waren fort, um darunter einen Arztkittel zu enthüllen. Sein Haar war jetzt schwarz. Allein seine Anzughose und sein Körperbau verrieten ihn als den Mann, mit dem sie gerade gesprochen hatte. Sie krabbelte auf Ellbogen hinter ihm her. Unmittelbar über ihr war der Rauch dichter, doch hier auf Bodenhöhe konnte sie vernünftig sehen.

Sie kroch über Tevarkians abgestreifte Hose und Schuhe hinweg. Jetzt trug der Mann voraus eine komplette Sanitätermontur.

Links von ihr ertönte eine gedämpfte Explosion. Daala glaubte, sie käme von jenseits der großen Durastahltür, die Besuchern den Zutritt zu dem Raum gewährte. Im Augenblick war sie geschlossen, von der Explosion nicht im Mindesten beschädigt.

Hinter Daala begann lila Rauch aufzuwallen, der in die Luft über ihr strömte. Sie warf einen flüchtigen Blick zurück und sah, dass der Rauch aus der zurückgelassenen Aktentasche des falschen Anwalts kam, die jetzt in Flammen stand. Ein neuer Ton gesellte sich zum üblichen Alarmschrillen hinzu, ein schriller Ton, der auf eine biologische Gefährdung hinwies.

Daala grinste wieder. Wäre das Ganze nicht so gefährlich gewesen, wäre dies hier eine gute Show gewesen.

Die Türen, die aus dem Gang hereinführten, glitten auf. Unmittelbar auf der anderen Seite, in dem größtenteils verwaisten Korridor dahinter, der jetzt von dem Rauch geschwängert war, der aus dem Besucherraum driftete, befand sich eine Repulsortrage, eine von der Art mit einem Führerstand am Ende. Daala sah, wie der falsche Tevarkian die Richtung änderte, um darauf zuzukriechen. Sie folgte ihm.

Ein Wuusch ertönte, Raketenantriebslärm, und Boba Fett schoss in den Korridor. Er schwebte direkt vor den Türen, und der Raketenantrieb seines Rucksacks wirbelte den Rauch in stürmischen Wirbeln auf, das Grün seiner mandalorianischen Rüstung hob sich deutlich vom Rauch um ihn herum ab.

Daalas Augen weiteten sich. Sie hatte niemals damit gerechnet, dass Fett in einer erkennbaren Gestalt auftauchen würde. Auf diese Weise forderte er die Jedi, die jetzt das Amt des Staatschefs kontrollierten, geradezu dazu heraus, Vergeltung zu üben. Doch da war er, in all seiner Pracht, schwebte da und scannte mit seiner methodischen Art und Weise den Besucherraum. Daala musste sich selbst eingestehen, dass der Mann wusste, wie man einen beeindruckenden Auftritt hinlegte.

Der YVH-Droide hatte gerade Kabine sechs erreicht, als Tahiri einige Meter entfernt ihre Machtkräfte einsetzte. Das verbogene Transparistahlpaneel, unter dem sie hindurchgekrabbelt war, bog sich noch weiter, krachte gegen den Droiden, hämmerte gegen seine Brust und schleuderte ihn rückwärts in den Sicherheitsbereich zurück, wo er zu Boden ging.

Da. Das würde ihr eine Verschnaufpause von guten zwei Sekunden einbringen. Sie rollte sich herum, ließ den Blick durch die Kammer vor sich schweifen, versuchte, irgendwelche Einzelheiten auszumachen in dem Chaos aus flüchtenden Besuchern, lila Rauch, schrillenden Alarmsirenen …

Und Boba Fett.

Bei seinem Anblick klaffte ihr Mund auf, als sie ihn an der Spitze einer Säule aus Feuer und Rauch in den Raum schweben sah: Er beherrschte die Szene. Doch jetzt stand die Tür hinter ihm offen. Schon liefen Besucher hindurch, die vor dem Durcheinander und der Gefahr in den Raum flohen. Tahiri rappelte sich auf und sprintete an der Schubsäule von Fetts Raketenrucksack vorbei. Sie hatte kaum die andere Seite der Tür erreicht, als sie herumwirbelte und nach der Kontrolltafel der Tür suchte, in der Hoffnung, die Metallbarriere nach unten sausen zu lassen, um den YVH-Droiden drinnen einzusperren. Aber da war keine Tafel, weder auf dieser Seite der Tür noch auf der anderen.

Der YVH-Droide erhob sich und eilte auf Kabine sechs zu. Seine Gangart ließ vermuten, dass er durch die Lücke hechten würde.

Boba Fett kippte nach vorn. Die kleine Rakete oben auf seinem Rucksack löste sich und traf den YVH-Droiden in den Oberkörper. Plötzlich wurden der Droide und mehrere Meter seiner Umgebung von einem Feuerball ersetzt, der in unheilvollen Gelb- und Rottönen glomm. Tahiri duckte sich zur Seite und ging hinter dem Schutzschild in Deckung, den ihr die Türkante bot. Die Wucht der Detonation ließ die Metallwand zwischen ihr und der Explosion dröhnen.

Sie spähte aus ihrer Deckung hervor. Da, wo eben noch der YVH-Droide gestanden hatte, war jetzt bloß noch ein rauchender Krater. Vielleicht hatte der Angriff ihn nicht zerstört. Eine so gewaltige Explosion hätte ihn auch vom Boden reißen und ihn außer Sicht schleudern können, anstatt ihn zu vernichten, hätte den Fußboden einstürzen und ihn in eine niedrigere Etage des Gefängnisses fallen lassen können. Doch er war verschwunden.