17. Kapitel
Luke zwang sich nachzudenken. Die Gedanken sickerten durch sein träges Hirn. Jemand war gerade gestorben. Die Todesqualen waren durch die Macht bis zu ihm durchgedrungen.
Schiff, es musste Schiff sein. Das war seine Absicht gewesen: sein Shuttle und Schiff auf dieselbe Feuerlinie zu bringen und darauf zu hoffen, dass Schiff in dem Wissen, dass das Shuttle keinerlei Waffensysteme besaß, auf einen Lasergeschützangriff nicht vorbereitet war.
Allerdings würde auch Luke in wenigen Sekunden tot sein, wenn es ihm nicht gelang, die Kontrolle über die Raumfähre zurückzugewinnen. Er setzte sich wieder auf und zwang seine zitternden Hände, erneut nach dem Steuerknüppel zu greifen.
Draußen vor dem vorderen Sichtfenster drehte sich die Welt. Unten ein Staubsturm, oben der Himmel, Staubsturm, Himmel …
»Dad! Dad!«
»Alles okay, Ben.« Selbst in seinen eigenen Ohren klang Luke erschöpft, verletzt. Er versuchte, die Kontrolle zurückzuerlangen, und verfolgte, wie der Höhenmesser nach unten sauste.
Viertausend Meter. Himmel – Staubsturm – Himmel. Dreitausendfünfhundert. Staubsturm – Himmel – Staubsturm. Der Steuerbordflügel hatte jetzt alle drei Solarelemente verloren und lieferte bloß noch mit den Haltestreben Auftrieb.
Auftrieb. Der Nebel begann, sich von seinem Verstand zu heben. Wie gut war Snaplaunces Repulsorlift-Landesystem? Luke aktivierte es und gab bei jeder Drehbewegung des Shuttles Schub.
Dreitausend Meter. Zweitausendfünfhundert. Der Staubsturm weiter unten war furchterregend nah, und gleich unter dieser dichten Wolke konnten sich die Gipfel von Bergen verstecken. »Vestara, ich brauche wieder die normalen Atmosphärensensoren.« Himmel … Staubsturm … Die Rotation wurde langsamer.
Sie stürzten mitten in den Staubsturm. Luke versuchte, das Shuttle behutsam in eine sanfte Steuerbordschräge zu ziehen und abzusteigen.
Die Luft fing sich genauso in den Schwingen, wie es gedacht war. Das Shuttle vollführte noch eine weitere Rolle und richtete sich dann auf. Der Höhenmesser zeigte tausendfünfhundert Meter.
Luke stieß einen Atemzug aus. »Sensoren?«
»Der höchste Berg voraus misst zwölfhundert Meter. Wenn wir die gegenwärtige Höhe beibehalten, sind wir sicher. Höher wäre aber vielleicht besser.«
»Über dem Staubsturm wird die Golan-Geschützplattform uns mit Sicherheit entdecken«, meinte Luke. »Jetzt können sie das entweder nicht oder haben zumindest Probleme dabei. Ich nehme an, sie haben Schiff vaporisiert.«
»Nein, Meister Skywalker.«
»Wie, nein?«
»Sie haben Schiff verfehlt. Der Laser hat irgendwas unten in einer Schlucht getroffen. Das war die … Todeszuckung, die wir alle gespürt haben. Ich wäre beinahe ohnmächtig geworden. Schiff hat es ebenfalls wahrgenommen. Es geriet ins Wanken, drehte dann bei und ergriff die Flucht.«
»Die haben einen Tsil getroffen.« Luke fühlte sich ernüchtert. »Die haben einen Tsil getötet.«
Ein Sprotzen von den Triebwerken erregte seine Aufmerksamkeit, doch der Hauptmonitor war nach wie vor außer Betrieb. »Hört mal, ich werde dieses Baby jetzt landen. Die Sturmwinde schleudern uns herum, und wir müssen wissen, wie schwer das Schiff beschädigt ist. Irgendeine Ahnung, wo wir sind?«
»Dad, wir befinden uns zweiundsechzig Kilometer südöstlich unseres Zielorts. Geh auf eins-drei-sieben.«
»In dieser Richtung können wir gefahrlos bis auf fünfhundert Meter runtergehen, und es wird besser, je weiter wir kommen – das ist der abschüssige Hang eines Bergkamms.«
Luke ging auf den Kurs, den Ben empfohlen hatte, und setzte zu einem allmählichen Sinkflug an. Vom Steuerbordflügel ging ein Zittern aus, das ihm nicht gefiel. Die Triebwerke verloren Energie, und je weniger Schub sie liefern konnten, desto weniger Auftrieb würde ihnen der beschädigte Steuerbordflügel verschaffen.
Die Repulsorlifts schienen jedoch voll funktionstüchtig zu sein. Unter der Anleitung von Vestara und seinem Sohn brachte er das Shuttle runter, bis er nur wenige Meter unter dem Bug gelegentlich kristallverzierte, hügelige Kämme ausmachen konnte. Auf Sicht und mit Sensormeldungen bremste er ihre Fähre ab und ging bis auf weniger als fünf Meter runter. Eine Minute später schwirrte das Shuttle einem Landgleiter gleich dahin – die Repulsoren hielten es über dem Boden, während der zunehmend störrischere Ionenantrieb ihnen den nötigen Heckschub lieferte.
»Snaplaunce wird durchdrehen, Dad.«
»Wir lassen das Shuttle wieder für ihn flottmachen. Vorausgesetzt, dass er nicht selbst hinter dieser Sache steckt.«
»Häh?«
Vestara klang schnippisch. »Denk doch mal nach, Ben! Der Bürgermeister hat uns von sich aus sein Shuttle zur Verfügung gestellt, und er kannte unser Ziel. Die Systeme sind ausgefallen – lag das daran, dass sie überlastet waren? Oder wurden sie sabotiert?«
»Keine Ahnung.«
»Ich weiß es auch nicht, aber dein Vater hat recht. Falls Snaplaunce versucht hat, uns umzubringen, werden wir nicht für seine Reparaturen aufkommen.«
Luke schnaubte amüsiert.
Die Triebwerke wurden stetig schwächer, und als sie ihre Reise zu dem alten Felselfenbein-Aufbereitungslager fortsetzten, fiel das rechte schließlich ganz aus.
Den Daten zufolge, die Snaplaunces Leute an das Shuttle übermittelt hatten, befand sich das Lager in den Ausläufern des Gebirgszugs, den sie zuletzt überflogen hatten. Trotz des unebenen Geländes und ungeachtet der Art und Weise, wie die Böen des Staubsturms den intakten Solarflügel packten und das Shuttle daran herumrissen, gelang es Luke, das Schiff durch breite Schluchten und sanfte Hügelhänge zu steuern. Er handhabte das Shuttle so behutsam, als wäre es ein uralter Landgleiter, der hinter einem Bantha hergezogen wurde, bis das Lager den Sensoren zufolge bloß noch dreihundert Meter entfernt war. Das war der Moment, in dem das zweite Triebwerk komplett versagte.
Die einzigen Geräusche, die jetzt noch im Cockpit zu vernehmen waren, waren das Brummen der noch immer funktionierenden Repulsorlifts und das Heulen des Sturms draußen, punktiert von Schramm- und dumpfen Aufpralllauten, als kleine Steine den Rumpf des Shuttles trafen und den gelben Lack zerkratzten. Der Wind stieß gegen das Schiff und versuchte, es dazu zu zwingen, den Abhang wieder hinunterzurutschen, den es gerade so mühsam erklommen hatte. Ohne Schub und angesichts des Umstands, dass Luke es nicht wagte, die Macht einzusetzen, konnte er nichts tun, um dafür zu sorgen, dass sich das Schiff auch weiterhin in die Richtung bewegte, in die er wollte.
Luke schaltete die Repulsoren ab, sodass das Shuttle auf der steinigen Oberfläche des Hangs aufsetzte. Es begann zu wanken, von den Böen gepeitscht.
»Lustiger Flug, Dad.«
»Sei bloß still, du …«
Minuten später – gegen die Kälte und den umherfliegenden Kies geschützt – begannen sie mit ihrem Marsch zum Lager.
Aus einer Entfernung von zwanzig Metern waren die Wolken aus grauem und kristallinem Staub, die vorüberzogen, so licht, dass die drei ihr Ziel sehen konnten. In einer Kluft zwischen zwei abschüssigen Schluchtwänden befand sich ein kreisrundes Gebäude aus rohem Stein, der von Permabetonmörtel zusammengehalten wurde. Es wirkte eher wie der Wachturm einer uralten Stadtmauer als wie eine Mineralienaufbereitungsanlage.
Und soweit sie das erkennen konnten, war das Gebäude genauso verlassen und tot wie der Großteil dieser Welt. Die Sichtfenster – waagerechte Schlitze – waren dunkel. Draußen standen keine Fahrzeuge. Doch beim Haupteingang stand eine Hälfte des Metalltors – das bei einem so alten Gebäude auf dieser Welt eine Seltenheit war – offen, halb in den linken Mauerabschnitt gezogen.
Vestara legte eine Hand auf das Heft ihres Lichtschwerts, wie um sich zu vergewissern, dass es noch da war. Der Kaltwetterschal dämpfte ihre Stimme. »Kein gutes Zeichen.«
Luke gab sich gelassen. »Sieh es pragmatisch. Zumindest müssen wir keine Mauer hochklettern, um hineinzugelangen.«
Der Haupteingang führte zu einem breiten Kanal zwischen Permabetonwänden. Luke gelangte zu dem Schluss, dass auf diesem Weg Erz in das Gebäude gebracht wurde. Das Fundament – Naturstein, der vor langer Zeit geebnet worden war – wies Spurrillen auf, wo zu Hunderten Waggons durchgekommen waren, womöglich über Jahrhunderte hinweg. Der Kanal war nach oben zur Luft hin offen, doch am Ende ging er in einen umschlossenen Bereich über, der dunkel war, vom Dach in Schatten getaucht.
Sobald sie das Durastahltor passiert hatten, konnten sie ein Paar Lederstiefel mit Fellsaum ausmachen, die ein Stückchen aus den Schatten ragten. Die Stiefel waren weder zerfallen noch verwittert und auch nicht flach eingesunken.
Ben seufzte. »Auch nicht gut.«
Sie gingen zu den Stiefeln hinüber. Aus der Nähe konnten sie erkennen, dass sie zu einem Körper gehörten, zu einer reglosen Gestalt, die mit dem Gesicht nach unten größtenteils im Schatten lag.
Luke öffnete sich der Macht und suchte nach der unverwechselbaren, verabscheuungswürdigen Aura zusammengeballter Drochs, fand jedoch nichts dergleichen. Alles, was er wahrnehmen konnte, waren die dräuenden Präsenzen der Tsils, wachsam und einschüchternd.
Er griff nach unten, um den Körper herumzurollen. Vestara entzündete einen Glühstab.
Sobald der Mann auf dem Rücken lag, erwies er sich als mausetot – sein Körper war gefroren. Seine ganze Brust war braun von Blut, praktisch schockgefroren von der Luft ringsum. Die Augen waren geschlossen. Das Gesicht war rötlich, nicht das eines Alteingesessenen, und sein ergrauendes schwarzes Haar war zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden.
Luke kannte sein Gesicht. Er hatte es an diesem Tag bereits gesehen, viele Male, in Holos.
Ben offensichtlich auch. »Das ist Dr. Wei.«
Es war unmöglich, die alte Aufbereitungsanlage in wenigen Minuten vollständig zu durchkämmen, aber eine vorläufige Überprüfung ergab, dass das Gebäude tatsächlich verlassen war. Es waren keine elektronische Ausrüstung und keine Nahrungsmittel mehr vorhanden. Zwei Maschinen, die mit Muskelkraft betrieben wurden, funktionierten noch: eine ventilförmige Handkurbel, die sich dazu verwenden ließ, das Außentor zu öffnen und zu schließen, und eine Handpumpe, mit deren Hilfe man Wasser zu einem Steintrog in dem überdachten Bereich hochpumpen konnte, der mit dem Transportkanal verbunden war.
Sie konnten mit ihren persönlichen Komlinks keine Verbindung mit Hweg Shul, mit der Koval-Station oder irgendeiner Siedlung herstellen.
Luke schüttelte den Kopf. »Wir müssen zu weit weg vom nächsten Empfänger sein oder vielleicht sind wir von Berggipfeln umgeben. Möglicherweise liegt es auch bloß an den Witterungsverhältnissen. Wir versuchen es noch einmal, wenn der Sturm in der Nacht nachlässt.«
Auf dem Wassertrog sitzend musterte Vestara den Leichnam von Dr. Wei. Sie hatten keinerlei Stoff oder Flexiplast gefunden, um ihn zuzudecken und ihn ein wenig würdevoller vor neugierigen Augen zu verbergen. »Ich nehme an, das heißt dann wohl, wir können davon ausgehen, dass er nicht für Abeloth gearbeitet hat.«
Ben machte ein angewidertes Gesicht, obwohl Luke wusste, dass sein Gefühl nicht Vestara galt, sondern der Situation an sich. »Nein … oder falls er es getan hat, hat er sich für sie als nicht allzu wertvoll erwiesen. Ich glaube allerdings nicht, dass er etwas mit ihr zu tun hatte. Zu keinem Zeitpunkt.«
Luke warf seinem Sohn einen neugierigen Blick zu. »Wie kommst du darauf?«
Ben setzte sich neben Vestara auf die Kante des Trogs. »Bürgermeister Snaplaunce meinte, er sei nicht der Ansicht, dass Wei der Schlag Mann war, der Drochs mutieren lassen würde, um sie auf die Galaxis loszulassen. Nehmen wir an, er hatte recht. Wie kommt es dann, dass alle Beweise gezeigt haben, dass er es doch tut? Nun, zunächst einmal gab es ja gar nicht sonderlich viele Beweise. Gerade genug, um uns aufzuscheuchen und dafür zu sorgen, dass wir uns auf den Weg hierher machen. Möglicherweise war das alles genau so geplant. Nehmen wir an, jemand schnappt sich Wei, tötet ihn und fliegt seine Leiche in dessen eigenem Landgleiter hier raus, damit sich im Speicher ein authentisch wirkender Eintrag des Trips findet. Der Killer lädt den Leichnam ab und fliegt zurück, um dann eine Sicherheitskopie des Speichers zu erstellen. Vielleicht manipuliert er noch die Dateien, weshalb Sel sagte, sie seien ein einziges Durcheinander. Und er – der Killer, meine ich – lässt dieses Diagramm zurück, damit wir es finden.«
Luke dachte darüber nach. »Deshalb war das Diagramm von Hand gezeichnet. Wer auch immer es angefertigt hat, wusste nicht, wie man das Grafikprogramm von Weis Computer benutzt. Möglicherweise nicht einmal, wie man einen Computer überhaupt verwendet. Was darauf hindeutet, dass es sich um einen Alteingesessenen handelt. Und ein anderer – jemand ohne künstlerische Fähigkeiten – hat zuvor den Text ausgedruckt, zu dem das Diagramm hinzugefügt wurde.« Er seufzte, wütend auf sich selbst. »Genau das muss Snaplaunce erkannt haben, auch wenn er sich diesbezüglich nicht sicher war. Mir ist es ebenfalls aufgefallen, aber nur unterbewusst. Auf all diesen Ausdrucken waren nirgendwo andere handgezeichnete Schaubilder. Bloß das eine, das Wei in die Angelegenheit mit reingezogen hat.«
Vestara nickte mürrisch. »Dann wussten die also, dass Ihr hier rauskommen würdet, um Wei zu suchen, sodass ein Angriff von Schiff problemlos planbar war. Aber dann wussten die doch mit Sicherheit auch, dass Ihr Snaplaunces Shuttle nehmen würdet. Die Elektronik fiel in exakt dem Moment aus, als wir mit der Koval-Station sprachen …«
»Also steckt Snaplaunce entweder in dieser Verschwörung mit drin, oder er hat die Angewohnheit, wichtigen Besuchern sein Shuttle zu leihen, und diese Angewohnheit ist allgemein bekannt.« Luke fühlte sich so unzufrieden, wie Ben und Vestara dreinschauten.
»Dad, was denkst du, wie lange wir brauchen werden, um das Shuttle zu reparieren? Und wie viel Essen und Wasser sind an Bord?«
»Zwei Tagesrationen für einen durchschnittlich kräftigen Menschen. Was die Reparaturen angeht … Ich weiß es nicht. Sobald die Sonne untergeht, werden wir da rausgehen und die Lage einschätzen. Wir können einige Heizgeräte zusammenbasteln und sie mit der Energie des Shuttles betreiben. Hoffen wir, dass die Saboteure die Werkzeuge im Lager in Ruhe gelassen haben.«
Luke machte sich nicht die Mühe hinzuzufügen, was den beiden Jugendlichen zweifellos bereits selbst klar war: Die Saboteure hatten ihr Handwerk verstanden. Ja, sie drei hatten Schiffs Angriff überlebt, aber sie waren dennoch hier draußen für wer weiß wie lange gestrandet. Diese Zeit konnten die Saboteure produktiv nutzen. Vielleicht ernteten sie Drochs, vielleicht halfen sie Abeloth dabei, die Theranischen Lauscher zu unterwandern. Vielleicht taten sie sogar auch beides.
Dann kam ihm noch etwas anderes in den Sinn. »Allerdings verfügen wir noch über eine weitere Kommunikationsmöglichkeit, von der sie vielleicht nichts wissen.«
Ben horchte auf. »Und welche?«
»Wir können Kontakt zu den Tsils aufnehmen.«