Kapitel 33
 
»Wie weit ist es bis zum Schloss des Grafen von Nassau-Saarbrücken?«, fragte Burghard, dem der Hintern vom ungewohnten Reiten ebenso schmerzte wie seine rechte Hand, durch die der Führstrick des Kutschpferdes rutschte, da der Gaul sich ständig gegen den Befehl des Reiters wehrte und den Kopf hochriss.
»Ich kann es dir nicht sagen!«, fauchte Clemens. Auch er mühte sich mit seinem Begleitpferd ab, das er hinter sich herzog und das sich immer wieder aufbäumte. »Wenn die Zossen weiterhin so störrisch sind, werden wir ewig brauchen.«
»Wie lange werden wir in Saarbrücken bleiben müssen?«
»Herrgott, Burghard! Wir sind erst seit heute Morgen unterwegs, und du jammerst in einem fort. Du wirst noch rasch genug zu Katharina zurückkehren können!«
Burghard schwieg. Er schämte sich, weil nicht Katharina der Grund war, warum es ihn zurück nach Wellingen zog. Er wollte vielmehr so schnell wie möglich an den Abschriften weiterarbeiten.
Clemens blickte Burghard von der Seite an. Der junge Mönch spürte, dass er ihm etwas sagen wollte. Nach einer Weile ergriff Clemens dann auch das Wort: »Ich gestehe, dass ich wütend auf dich war, weil du mir Katharina ausgespannt hast. Aber mein Zorn ist verflogen, und ich habe mich damit abgefunden, weil ich erkennen musste, dass sie dich liebt und mich niemals mit diesen Blicken ansehen würde, wie sie dich anschaut. Solltest du ihr aber je Leid zufügen, Burghard, dann bekommst du es mit mir zu tun!«
Clemens drehte sich im Sattel zu Burghard um und machte ein finsteres Gesicht. Doch dann lächelte er. »Sind wir wieder Freunde?«, wollte er wissen und streckte Burghard die Hand entgegen. Auch Burghard lächelte, obwohl ihm nicht danach zumute war, und gab Clemens die Hand.
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Die beiden jungen Männer erreichten am späten Nachmittag die Saar, die die Städte St. Johann und Saarbrücken voneinander trennte. An der Brücke auf der rechten Flussseite bei St. Johann verweilten sie und blickten hinüber auf das andere Saarufer, wo auf einer Anhöhe das prächtige Schloss des Grafen Ludwig II. gelegen war. Das Licht der Nachmittagssonne strahlte das Gebäude an, das von einer hohen Mauer umschlossen wurde.
»Ich habe noch nie ein solch schönes Gebäude gesehen«, staunte Burghard. »Alle Einwohner von Wellingen, Schwalbach und aus den umliegenden Dörfern zusammen könnten dort leben. Doch nur der Graf und sein Gefolge wohnen hier. Welche Verschwendung!«
 
In dem zur Saar gelegenen Mauerabschnitt konnte man in einigen Fuß Entfernung zueinander zwei halbrunde Türme erkennen. Clemens zeigte auf sie und erklärte Burghard: »Siehst du die kleinen Öffnungen in den Türmen? Das sind Schießscharten. Nach außen werden sie weit, so dass man von innen ein breites Sichtfeld hat, um besser auf den Feind zielen zu können. Nach innen aber verengen sie sich, was verhindert, dass die Angreifer hindurchschießen können.«
»Außer sie benutzen eine Kanonenkugel«, fügte Burghard lachend hinzu.
Langsam schritten die beiden Männer auf ihren Pferden über die Brücke, auf der reges Treiben herrschte. Nur mit Mühe konnten sie die Rösser durch die Menschenmenge führen. Zahlreiche Marktweiber kamen den beiden Freunden lächelnd entgegen.
»So viele hübsche Frauen!«, freute sich Clemens und grüßte höflich. Kichernd senkten die Frauen den Blick. Sie trugen Körbe gefüllt mit Gemüse, Obst oder Gewürzen. Ein mit Holzstämmen beladenes Fuhrwerk ratterte über das Kopfsteinpflaster und drängte die Fußgänger zur Seite. Ein junger Bursche schob hurtig eine Schubkarre mit kleinen Holzverschlägen in Richtung St. Johann, in denen laut die Hühner gackerten. Ein einbeiniger Bettler lehnte am Brückengeländer und bettelte um Almosen.
 
Als Clemens und Burghard die Brücke überquert und Saarbrücken erreicht hatten, blickten sie ehrfürchtig die Burgmauer empor. Sie ritten langsam längs der Mauer und kamen zu einem Torbogen, der zur Stadtseite gelegen war. Er kennzeichnete einen breiten Zugang zum Schloss über den Burggraben, der die Festung von der Stadt trennte. Wenige Schritte hinter dem Tor standen rechts und links des Weges Wachhäuser.
Zwei ernst dreinblickende Waffenträger in schicken Uniformen stellten sich Clemens und Burghard in den Weg.
»Welches Begehr?«, fragte einer und stellte seine Lanze gut sichtbar vor sich.
»Wir kommen aus Wellingen vom Gestüt Rehmringer und bringen dem Grafen zwei neue Kutschpferde.«
Mit sorgsamen Blicken umrundete der andere Soldat die Pferde und tat, als ob er nach etwas suchen würde. Nach einer Weile gab er seinem Kameraden ein Zeichen, worauf der zur Seite trat und sagte: »Ihr könnt passieren!«
Wieder durchschritten die Burschen ein Tor und standen in einem Innenhof. Auch hier wurden sie von grimmig aussehenden Soldaten beobachtet, aber nicht angehalten.
Durch einen langen breiten Gewölbegang, der durch das viereckige höchste Gebäude des Schlosses führte, gelangten sie in den Innenbereich der Schlossanlage. Ein großer Platz, der von mächtigen Gebäuden umgeben war, öffnete sich vor ihnen.
Clemens und Burghard standen mit ihren Pferden auf der riesigen Fläche und wussten nicht, was zu tun war. Nach kurzer Zeit kam ein junger Mann auf sie zugeeilt, der vornehm gekleidet war, so dass die beiden Burschen annahmen, er sei ein Edelmann. Als er fragte: »Wen darf ich melden?«, wussten sie, dass er ein Diener war. Mit überheblichem Blick musterte er die beiden. Burghard schaute an sich hinunter und wurde sich seiner schäbigen Kleidung bewusst. Anscheinend ging es Clemens ähnlich, denn er versuchte mit einer Haarsträhne seine entstellte Gesichtshälfte zu verdecken.
»Nun?«, fragte der Bedienstete ungeduldig.
»Wir kommen vom Gestüt Rehmringer und bringen die neuen Kutschpferde für den Grafen«, erklärte Clemens.
»Wartet hier!«, befahl der Bursche und verschwand wieder.
Nach einer Weile maulte Burghard: »Wo bleibt dieser Kerl nur? Ich bin hungrig und durstig.«
Endlich kamen zwei junge Burschen, nicht älter als zehn Jahre, auf sie zugelaufen und wollten ihnen wortlos die Pferde abnehmen.
»Was soll das?«, fragte Clemens mürrisch. »Wer seid ihr, und wohin wollt ihr mit den Pferden?«
»Wir haben den Auftrag, die Pferde in den Stall zu bringen und zu versorgen.«
»Wer sagt das?«
»Hans Friedrich Burghard.«
»Er heißt wie ich«, feixte Burghard.
»Wer ist dieser Herr Burghard?«, wollte Clemens von dem Jungen wissen und ging auf die Bemerkung seines Freundes nicht ein.
»Er ist der Reitschmied des Schlosses.«
»Was hat ein Schmied hier zu befehlen?«, ereiferte sich Clemens. »Ich will entweder den Rosswirt oder den Kutscher sprechen.«
»Der Rosswirt ist nicht da. Und wo der Kutscher steckt, weiß ich nicht. Wollt ihr nun, dass eure Pferde versorgt werden, oder nicht?«, fragte einer der Jungen ungeduldig.
Im gleichen Augenblick kam der Bedienstete zurück und erklärte Clemens und Burghard: »Überlasst die Pferde den beiden Jungen. Ich werde euch zu Herrn Braun, unserem Kutscher, führen.«
 
Durch einen gewölbten Durchgang kamen sie in einen weiteren Innenhof, der von der äußeren Burgmauer umschlossen wurde. Teile des Platzes waren als Garten angelegt worden. Überall grünte und blühte es. Rechts des Hofes stand ein hoher Turm, auf dem eine blutrote Fahne im leichten Wind wehte. Ein sonderbares Geräusch hallte den jungen Männern entgegen. Als Burghard und Clemens dem Diener um eine Reihe hohen Buschwerks folgten, erblickten sie zwei Männer, die auf einem Feld hin und her liefen und einen kleinen Ball gegen die Mauerwand schmetterten. Zwei Damen in vornehmer Kleidung saßen auf einer Bank und feuerten die Männer an.
»Es ist genug«, stöhnte der ältere Spieler und griff sich ans Herz. »Ihr seid zu schnell und zu jung für mich!«, lachte er.
»Trotzdem habt Ihr meine Herausforderung angenommen«, hielt der Jüngere ihm verschmitzt lächelnd vor.
»Das werde ich auch das nächste Mal wieder tun«, antwortete der Ältere, dessen Gesicht vor Schweiß glänzte. Ächzend ließ er sich neben die Frauen auf die Steinbank fallen. Erst jetzt wurde er der zwei Fremden gewahr, die abwartend neben dem Bediensteten standen. Der Diener ging zu dem älteren Spieler, flüsterte ihm ein paar Worte zu und verschwand. Daraufhin besah sich der keuchende Mann Burghard und Clemens genauer.
Selbst in seiner verschwitzten Kleidung sieht er frisch und sauber aus, schämte sich Burghard und strich sich über den abgewetzten Stoff seiner Jacke. Clemens hingegen blickte neugierig zu dem Spielfeld, das aus großen rötlichen Sandsteinplatten bestand. Auch der Teil der Mauer, die das Feld begrenzte, war mit diesen Platten verkleidet.
Der junge Spieler bemerkte seinen Blick und fragte: »Du kennst das Spiel?« Clemens verneinte.
»Möchtest du es versuchen?«
Zögerlich nickte er. Erfreut darüber blickte der junge Spieler die beiden Frauen und seinen Mitspieler an.
»Sei vorsichtig, Fremder«, warnte eine der jungen Frauen Clemens, »Philipp macht sich ein Vergnügen daraus, unerfahrene Spieler herauszufordern, damit er sich seiner Siege rühmen kann.«
»Mach ihm keine Angst, Schwesterherz!«
»Ich habe keine Angst«, versicherte Clemens selbstbewusst. »Ihr müsst mir nur das Spiel erklären.«
»Solch ein Mann gefällt mir!«, lobte der Mann mit Namen Philipp und zwinkerte seiner Schwester zu. Er nahm den kleinen dunklen Lederball auf, der in seine hohle Handfläche passte.
»Du nimmst den Ball in deine Hand und schmetterst ihn so fest gegen die Wand, dass er wieder zurückfliegt. Im Flug versuchst du ihn zu greifen und gleichzeitig wieder zu werfen. Natürlich werde ich versuchen den Ball ebenfalls zu fangen und zurückzuwerfen. Fällt dem Werfer der Ball auf den Boden, geht der Punkt an den Gegner. Wer zuerst zehn Bälle fallen lässt, hat verloren.«
Clemens nickte und stellte sich neben seinen Mitspieler. Der drehte sich zu seiner Schwester um und sagte: »Luise Juliane, du darfst das Spiel eröffnen.«
»Auf die Plätze, fertig, los!«, rief sie sogleich, und Philipp schmetterte den kleinen Ball mit jugendlicher Kraft gegen die Sandsteinwand, wo er abprallte und zurückflog. Clemens hechtete dem Ball hinterher und warf ihn kraftvoll zurück. So ging es hin und her, und mancher Ball landete auf dem Boden. Schließlich gewann Philipp mit sieben zu zehn Bällen. Japsend applaudierte er Clemens.
»Sehr gut!«, riefen auch die beiden Frauen Clemens anerkennend zu.
»Du kannst mir nichts vormachen. Du hast dieses Spiel ganz sicher nicht das erste Mal gespielt«, schnaufte Philipp, immer noch außer Atem.
»Ich kannte es wirklich nicht«, beteuerte Clemens.
»Woher hast du diese Kraft?«, wollte sein Mitspieler wissen. Lachend zuckte Clemens mit den Schultern.
»Wie ist dein Name, und was machst du hier? Ich habe dich nie zuvor gesehen«, fragte Luise Juliane, die keck sein Gesicht betrachtete.
»Ich heiße Clemens Arnold, und das ist mein Freund Burghard. Wir kommen vom Rehmringer-Gestüt und haben dem Grafen zwei neue Kutschpferde gebracht.«
Fragend zog Philipp eine Augenbraue in die Höhe. »Habt Ihr gewusst, verehrter Herr Braun, dass mein Vater neue Pferde bestellt hat?«
Braun, der neben den Damen saß und zuvor gegen Philipp gespielt hatte, nickte. »Ja, natürlich habe ich das gewusst, Eure Hoheit. Ich habe die Pferde bereits erwartet.« Braun wandte sich Clemens zu, der Philipp anstarrte und verblüfft fragte: »Ihr seid der Sohn des Grafen?«
»Ja, aber fall nicht gleich in Ohnmacht«, lachte Philipp. Dann reichte er den beiden Damen eine Hand und rief Clemens im Weggehen über die Schulter zu: »Es würde mich locken herauszufinden, ob du auch beim Paille-Maille so gut abschneidest.« Ohne eine Antwort abzuwarten, schritt er mit den beiden Frauen davon.
Clemens und Burghard setzten sich bleich neben den Kutscher des Grafen auf die Bank. »Wenn ich nur geahnt hätte!«, flüsterte Clemens und schluckte schwer. Georg Braun lachte. »Philipp hat sich prächtig unterhalten! Das allein zählt.«
»Was ist Paille-Maille?«, fragte Burghard den Kutscher nun. Braun erhob sich von der harten Steinbank und streckte den Rücken durch. »Es ist ebenfalls ein Ballspiel. Mit einem langstieligen Holzhammer muss man versuchen auf mehrere Schritt Entfernung einen Ball durch eine bestimmte Anzahl Torbogen, die im Boden stecken, zu schießen. Doch genug des Vergnügens! Lasst uns nach den Pferden sehen. Ich bin gespannt, ob sie halten, was Frau Rehmringer versprochen hat.«
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Am darauffolgenden Morgen musste Clemens dem Kutscher die Fähigkeiten der Pferde vorführen. Auf einem großen Sandplatz wurden mehrere Hindernisse aufgebaut, die Clemens mit Kutsche und Gespann im Schritt, Trab und Galopp umrunden musste. Immer wieder verlangte Braun, dass Clemens die Kutsche wendete, die Pferde Schlangenlinien fahren oder verschiedene Gangarten laufen ließ. Am Ende waren die Rösser nass geschwitzt, und dort, wo das breite Kutschgeschirr auf ihrem Fell auflag und darüberrieb, kam weißer Schaum zum Vorschein.
Endlich schien Braun zufrieden zu sein, denn er nickte gut gelaunt. »Prachtvolle Rösser! Frau Rehmringer hat ihr Wort gehalten. Morgen wirst du mir und dem zweiten Kutscher eine Einweisung geben, damit wir die Pferde dem Grafen vorstellen können«, sagte er und strich zufrieden über die weichen Nüstern der Tiere.
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Barnabas stand mit Maria im Amtszimmer von Thomas Königsdorfer und wartete auf eine Antwort. Nachdenklich ging der Amtmann von Püttlingen auf und ab. Dabei hielt er die Arme vor der Brust verschränkt und tippte mit dem rechten Zeigefinger unentwegt auf seinen Oberarm.
»Ich habe nie zuvor mit einem Magier zusammengearbeitet.« Er blickte auf Maria und sagte: »Und mit so einer wie dir erst recht nicht!« Als Königsdorfer ihr den Rücken zuwandte, streckte sie ihm die Zunge heraus, was Barnabas schmunzeln ließ.
»Aber warum eigentlich nicht?«, hörte der Magier den Amtmann nun murmeln. »Zumal alle Welt nach Püttlingen und seinen Hexenprozessen schaut. Nicht ich wäre derjenige, der die Hexen verurteilt, sondern ein wahrer Fachmann. Man würde mich endlich in Ruhe lassen, denn die Verurteilungen wären glaubwürdig, da von einem Kenner begründet.«
Thomas Königsdorfer wandte sich den beiden erneut zu und sagte: »Ich werde es mit Euch versuchen. Es wird sich zeigen, wie das Gericht und die Menschen Eure Hexenfindung aufnehmen werden.« Wieder blickte er abwertend auf Maria. »Aber brauchen wir sie?«
Maria funkelte ihn aus ihren dunklen Augen an, während Barnabas ruhig erklärte: »Sie wurde von ihrer Mutter mit zum Hexensabbat genommen. Seither konnte sie zahlreiche Frauen wiedererkennen, die vom Glauben abgefallen sind und damals beim Hexentanz waren.«
Königsdorfers Gesichtsausdruck wandelte sich. Anerkennend betrachtete er nun das Mädchen. »Aber sie stellt deswegen doch keine Gefahr dar?«, fragte er flüsternd.
»Auch wenn ich noch ein Kind bin«, fauchte Maria den Amtmann an, »so höre ich alles und kann alles verstehen. Tut also nicht so, als ob ich taub wäre!«, brüllte sie und stampfte mit dem Fuß auf. Erschrocken blickte Königsdorfer von Maria zu Barnabas, der dem Mädchen die Hand auf den Scheitel legte und es besänftigte. Mit beiden Armen umklammerte Maria Barnabas’ Hüfte und vergrub ihr Gesicht im Stoff seines Umhangs. In diesem Augenblick klopfte es an der Tür.
»Herein!«, rief Königsdorfer, woraufhin ein großer junger Mann mit einem Brief in Händen das Amtszimmer betrat. Mit ungewöhnlich heller Stimme sagte er zu Königsdorfer: »Der Amtmann von Wellingen, Johann von Baßy, schickt mich mit dieser Nachricht zu Euch.« Königsdorfer nahm den Brief entgegen, riss das Siegel auf und überflog die Zeilen. Ohne zu zaudern, sagte er zu dem Überbringer der Nachricht: »Sagt von Baßy, er soll sich übermorgen bereithalten. Dann werde ich mein Versprechen einlösen!« An Barnabas gewandt fuhr er fort: »Schon morgen werdet Ihr Eure Fähigkeit unter Beweis stellen können. Es müssen einige Frauen der Zauberei überführt werden, sonst wird es im Hexenturm bald eng werden.«
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Graf Ludwig II. von Nassau-Saarbrücken schaute den Vorführungen seines Hofkutschers Georg Braun mit ernstem Gesicht zu.
Clemens und Burghard, die etwas abseits das Geschehen verfolgten, konnten keine Regung im Blick des Grafen erkennen.
»Sieh nur, wie prächtig die Rösser unter dem fürstlichen Kutschgeschirr aussehen«, flüsterte Burghard Clemens zu.
Nachdem die Kutsche stillstand, ging der Graf zu den Pferden und überprüfte deren muskulöse Brust sowie ihr Gebiss. Anscheinend zufrieden klopfte er ihnen auf den Hals.
»Prächtig, prächtig!«, freute Graf Ludwig sich. Ein breites Lächeln entspannte seine Gesichtszüge. »Mein lieber Georg, Ihr verspracht mir nicht zu viel, als Ihr das Rehmringer-Gestüt gelobt habt.« Freudig schritt der Adelsmann auf Clemens und Burghard zu. »Ich muss gestehen, dass ich selten solch majestätische Rösser gesehen habe. Das Fell glänzt gesund, und darunter spannt sich ein Muskelgebäude, das seinesgleichen sucht«, lobte er. »Die Pferde sind ihr Geld wert! Ich werde sogar noch einige Franken auf die vereinbarte Summe legen, wenn ihr beiden Burschen mir versprecht, zwei weitere Kutschpferde auszubilden, die denen hier in nichts nachstehen. Im nächsten Frühjahr will ich sie haben.«
Während der Graf zu Burghard und Clemens sprach, standen die beiden Burschen stramm und trauten sich kaum zu atmen. Nun versicherte Clemens dem hohen Herrn, dass sie ihm zum gewünschten Zeitpunkt die Pferde bringen würden.
»Georg, bringt meine Pferde in den Stall und bezahlt die vereinbarte Summe sowie die zusätzlichen Franken.«
Ohne ein weiteres Wort schritt Graf Ludwig vom Hof, und erst als er im Gebäude verschwunden war, atmeten Clemens und Burghard auf. Freudig umarmten sie sich.
»Hast du gehört, was der Graf gesagt hat, Clemens? Du sollst weitere Pferde für ihn ausbilden. Ich bin überzeugt, dass du der Kutschpferdhoflieferant werden wirst«, freute sich Burghard.
»Selten habe ich den Grafen so begeistert gesehen«, lobte nun auch Kutscher Braun die beiden. »Kommt, nun will ich euch für eure guten Dienste entlohnen!«, sagte er und führte die beiden jungen Männer in seine Schreibstube.
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Regina Rehmringer saß am Frühstückstisch und las in einer Flugschrift, als jemand heftig gegen das Eingangsportal hämmerte. Ein furchtbarer Schrei ließ sie zusammenfahren. Sie stieß den Stuhl zurück und eilte zur Tür, die sie energisch aufriss. Lautes Stimmengewirr und das Weinen einer Frau waren an der Eingangstür zu hören.
Regina Rehmringer ging, so schnell sie konnte, die geschwungene Treppe nach unten und sah, wie zwei Männer Katharina grob am Arm ergriffen hatten und hinausführen wollten.
Franziska stand mit Magdalena zitternd daneben und schrie, dass sie sie loslassen sollten.
»Was geht hier vor?«, rief die alte Frau mit kräftiger Stimme. Ein schwarz gekleideter Mann mit einem ebenso dunklen Hut erschien im Türrahmen. Er rollte ein Pergament aus und las mit dröhnender Stimme vor: »Die Magd, genannt Katharina, wird der Hexerei angeklagt und bis zum Verhör in den Hexenturm von Püttlingen gesperrt …« Mehr konnte Regina Rehmringer nicht verstehen, denn ihr wurde schwindlig. Franziska eilte zu ihr, um sie zu stützen. Die kleine Magdalena, die das Durcheinander erschreckt hatte, begann laut zu weinen. Plötzlich stürmte Johann hinzu. Mit einem kurzen Blick erfasste er die Lage und schob Frau Rehmringer einen Stuhl unter. Seiner Frau raunte er zu: »Geh mit dem Kind in die Küche!« Als er Franziskas verstörten Blick sah, zischte er: »Sofort!«
Schließlich wandte er sich an die Eindringlinge und fragte mutig: »Wessen wird sie angeklagt?«
Der Fremde musterte Johann kühl. »Wer bist du, dass du es wagst, dich so zu gebärden, Knecht?«
»Das tut nichts zur Sache, Herr Königsdorfer!«, sagte Regina Rehmringer, die sich von dem Stuhl erhoben hatte und furchtlos auf den Amtmann zuschritt. »Ihr seid doch Thomas Königsdorfer, der Hexenjäger von Püttlingen?«, fragte sie und blickte ihm geradewegs in die kalten Augen. »Wessen wird meine Magd beschuldigt?«
»Sie soll Schadenszauber über Euren Knecht Paul verhängt haben.«
»Über Paul?«, ereiferte sich Regina Rehmringer. »Das ist doch dummes Geschwätz! Wer behauptet so etwas?«
Hinter Königsdorfers Schergen trat nun Johann von Baßy hervor. Zuerst weiteten sich die Augen der alten Frau, dann kniff sie diese leicht zusammen. »Wie kannst du es wagen!«, presste sie hervor.
»Es ist meine Pflicht, vermeintliche Hexen anzuzeigen, und da du das Einzugsgeld an die Kriechinger gezahlt hast, ist Königsdorfer als Kriechinger Amtmann für die Magd verantwortlich.«
»Was soll sie Paul angetan haben?«, fragte Johann und versuchte ruhig zu bleiben.
»Sie hat ihn verhext, so dass er nichts mehr essen kann. Zudem hat sie wie eine Katze gefaucht, als sie ihm das Gesicht zerkratzte.«
»Das ist eine Lüge!«, rief Katharina weinend. »Er hat sich mir unsittlich genähert. Da musste ich mich wehren«, schrie sie, als die Schergen sie auf einen Karren zerren wollten.
»Hilf mir, Johann!«, brüllte die junge Frau außer sich vor Angst. Als der Bursche sich auf die Häscher stürzen wollte, wurde er von einem Knüppel niedergestreckt und blieb regungslos auf dem Boden liegen. Im gleichen Augenblick setzte sich der Karren mit der schreienden Katharina in Bewegung. Thomas Königsdorfer schwang sich wortlos auf sein Pferd und folgte dem Tross.
Mit Tränen in den Augen sah Regina Rehmringer ihnen hinterher. Als ihr Blick Johann von Baßy traf, rief sie: »Gott wird dich für diese Übeltat strafen, Johann von Baßy! Dessen sei dir gewiss!«
Doch der Amtmann lachte nur gehässig, trat auf sie zu und flüsterte ihr mit heiserer Stimme zu: »Wenn ich mit dir fertig bin, Tantchen, kannst du nur hoffen, dass Gott sich nicht von dir abgewandt hat.«
 
Als Johann von Baßy außer Sichtweite war, kam der Schmied angelaufen und hob Johann hoch. Regina Rehmringer folgte ihnen in die Küche, wo das Gesinde sich versammelt hatte. Franziska weinte leise auf, als sie Johanns blutende Wunde am Hinterkopf sah. Sie drückte Regina Rehmringer das Kind in den Arm, befeuchtete einen Lappen mit Wasser und presste ihn gegen Johanns Wunde. Stöhnend ertrug er die Fürsorge seiner Frau.
»Wo ist dieser unsägliche Paul?«, fragte Regina Rehmringer mit energischer Stimme. Knechte und Mägde senkten die Blicke.
»Ich habe ihn heute noch nicht gesehen«, antwortete Johann leise.
»Wie kommt Paul dazu, solch eine infame Behauptung aufzustellen?«
Franziska schilderte nun, was sich am Waschplatz zugetragen hatte.
»Warum ist Katharina nicht zu mir gekommen und hat mir davon berichtet?«, fragte Regina Rehmringer zornig.
»Sie wollte nicht, dass Ihr Paul fortschickt«, erklärte Franziska und nahm der Frau ihre Tochter wieder ab, die sich vor Müdigkeit die Augen rieb. Dann half Franziska ihrem Mann auf die Beine, um ihn in ihre Kammer zu führen.
Kaum hatte sich die Tür hinter den beiden geschlossen, fing das Getuschel unter dem Gesinde an. Mit einem Kochlöffel hieb Regina Rehmringer energisch auf den Küchentisch ein, damit Ruhe einkehrte. »Wenn jemand etwas zu sagen hat, dann soll er es laut und deutlich vortragen!«
Abwartend blickte sie in die Gesichter der Anwesenden. Endlich erhob sich einer der Knechte und sprach: »Ich glaube Paul! Was wissen wir schon über die Fremden? Wo kamen sie her und warum sind sie von dort fortgegangen? Paul hingegen ist hier geboren. Warum sollte er lügen?«
Die anderen nickten, und eine Magd meldete sich zu Wort: »Erst vor kurzem habe ich gesehen, wie Katharina sich im Stall bei den Schafen und Ziegen zu schaffen gemacht hat. Hexen sollen auf einem schwarzen oder grauen Bock zur Zauberversammlung reiten.«
»Wir haben aber keinen schwarzen oder grauen Bock im Stall«, warf eine junge Magd ein.
»Vielleicht verwandelt sich ein weißer in einen schwarzen Bock, sobald sich ihm eine Hexe nähert!«
Regina Rehmringer hörte ihnen nachdenklich zu. Sollte sie sich so sehr in Katharina getäuscht haben?