Kapitel 15
Barnabas stand auf
seinen Wanderstab gestützt inmitten des Weinberges und blickte auf
die Stadt Trier hinüber. Es war das erste Mal, dass er die Stadt
sah, die schon vor Christi Geburt von Heiden gegründet worden
war.
Der Magier konnte
eine mächtige Mauer erkennen, die dem Schutz Triers diente, ebenso
wie die zahlreichen Wehrtürme und Tore. Über die Mosel, die vor der
Stadt floss, führten mehrere Brücken in sie hinein. Von seinem
leicht erhöhten Standort im Wingert aus beobachtete Barnabas den
regen Schiffsverkehr. Wie auch auf dem Main in Frankfurt lagen die
Schiffe hier vor Reede. Mit Seilen wurde die Fracht an den
Schiffswänden in kleine Boote herabgelassen und ans Ufer
gerudert.
Barnabas’ Blick
schweifte vom Fluss zum Stadtkern Triers hinüber. Häuserzeile
schmiegte sich an Häuserzeile, und dazwischen konnte er Kirchtürme
ausmachen, die spitz in den Himmel ragten. Der Magier wusste, dass
Trier auch Domstadt war, und er glaubte den Dom sowie andere
gewaltige Gebäude in der Ferne erkennen zu können.
Dem Magier gefiel,
was er erblickte.
Nachdem man seine
Dienste in Koblenz abgelehnt hatte, war er in der Hoffnung nach
Trier gekommen, dass er hier bei der Erkennung von Hexen behilflich
sein könnte.
Barnabas stützte
sich schwer auf seinen Stock und atmete tief ein. Dann fühlte er in
sich hinein und spürte, dass dies der richtige Ort für ihn war. Die
meisten Menschen handelten nach ihrem Verstand, anders jedoch
Barnabas. Bei vielen wichtigen Entscheidungen hörte er nur auf
seine innere Stimme. Er erkannte, was gut für ihn, aber auch, was
schlecht für ihn war. Und so auch jetzt. In Frankfurt am Main hatte
er sofort gespürt, dass die Stadt kein guter Platz für ihn sein
würde. Aber hier war das anders.
Ja, dachte er und
erfreute sich an Triers Anblick, hier werde ich bleiben. Hier finde
ich sicher einen Schüler, der mein Erbe antreten wird!
Bei dem Gedanken an
einen Nachfolger sah sich Barnabas suchend nach Servatius um und
entdeckte ihn inmitten der Weinbauern, die die letzten Weinreben
abernteten.
Da der Sommer dieses
Jahr erst spät Einzug gehalten hatte, dauerte die Ernte der reifen
Früchte bis in den Spätherbst an.
Man glaubt nicht,
wie viel Arbeit dahintersteckt, bis man in den Genuss eines
Schoppens Wein kommt, überlegte Barnabas, als er die zahlreichen
Weinbauern sah, die mit ihren wuchtigen, schweren Körben auf dem
Rücken in den steilen Hängen herumkletterten.
Als Barnabas dann
jedoch beobachtete, wie Servatius die Bauern um einige Reben
anbettelte, schüttelte er missmutig den Kopf. Er ist und bleibt ein
widerlicher Mensch!, dachte er bei sich und wollte schon den Blick
abwenden, als er aus den Augenwinkeln heraus sah, wie eine Frau mit
einem Kind auf ihn zukam. Sie blickte sich kurz zu einem der
Weinbauern um, der ihr aufmunternd zunickte, und ging dann auf
Barnabas zu. Neugierig betrachtete der Magier sie genauer. Das Weib
schien jung zu sein, obwohl ihr Gesicht harte Züge aufwies. Auch
war sie ausgemergelt, was auf stetigen Hunger und zu viel Arbeit
schließen ließ. Das Kind auf ihrem Arm hatte den Kopf an ihre
Schulter gebettet und nuckelte am Daumen. Barnabas schätzte es
nicht älter als drei Jahre.
»Ihr seid ein
Heiler?«, fragte sie geradeheraus und musterte
Barnabas.
»Wer sagt
das?«
»Er«, antwortete sie
und wies mit dem Kopf zu Servatius, der mit mehreren Reben in der
Hand auf sie zukam.
»Was willst du?«,
fragte Barnabas die Frau und musste sich beherrschen, damit er
seinen Groll auf Servatius nicht an der Frau ausließ.
»Mein Kind ist
krank«, sagte sie leise.
»Gibt es in Trier
keinen Arzt oder Heiler, zu dem du gehen kannst?« Beschämt
schüttelte sie den Kopf. »Der Torwächter lässt mich mit der Kleinen
nicht in die Stadt hinein, und wir haben kein Geld, damit der Arzt
zu uns in die Hütte kommt«, flüsterte sie und blickte dabei zu
Boden. In diesem Augenblick trat Servatius zu ihnen. Barnabas
schaute ihn mit scharfem Blick an, aber das berührte den Mönch
nicht.
»Warum darfst du mit
deinem Kind nicht in die Stadt?«
»Sie hat Ausschlag,
und deshalb befürchten die Torwächter, dass sie andere Menschen
anstecken würde.«
»Lass mich den
Ausschlag sehen«, forderte Barnabas sie auf und lächelte ihr
aufmunternd zu. Als die Mutter das Kind auf den Boden setzen
wollte, schrie die Kleine los.
»Sie hat Angst«,
versuchte sie das laut weinende Kind zu entschuldigen. »Erst vor
kurzem hat ein Wanderer, der angeblich heilen kann, sie unsanft
berührt. Seitdem fürchtet sie sich.«
»Was hat der
heilende Wanderer geraten?«, fragte Barnabas, und in seiner Stimme
war leichter Spott zu hören. Er wusste, dass es viele Scharlatane
gab, die verzweifelten Menschen nur das Geld aus der Tasche zogen,
jedoch vom Heilen nichts verstanden.
Die Mutter versuchte
mit der Hand dem Kind das Ohr zuzuhalten und flüsterte: »Der Mann
sagte, dass dies die Bestrafung Gottes für sündhaftes Verhalten
sei, und riet, dass ich zwölf Tage lang fünfzehn Mal das Vaterunser
beten solle. Das habe ich getan, aber es brachte keine Linderung.
Ich verstehe nicht, welch lasterhaftes Benehmen meine Kleine haben
soll, dass Gott sie deshalb so hart bestraft«, schluchzte die
Mutter. Während der ganzen Zeit kratzte sich das Kind am Kopf und
zwischen den Beinchen.
Barnabas überlegte
kurz.
»Auch ich müsste sie
am ganzen Körper untersuchen.« Erschrocken schaute die Frau
auf.
»Nur so kann ich
helfen«, fügte er ernst hinzu. Die Frau blickte in die
kohlschwarzen Augen des Magiers. Dann nickte sie. »Gut, ich
vertraue Euch. Was würde die Untersuchung kosten? Ich habe nur
wenige Kreuzer gespart.«
Barnabas konnte
Angst in ihren Augen erkennen.
»Mach dir darüber
keine Gedanken, Frau.«
Servatius, der stumm
neben ihnen stand und sich eine Traube nach der anderen in den Mund
schob, wollte bereits aufbegehren, aber Barnabas’ Blick ließ ihn
schweigen.
Die Frau sprach
leise auf ihr Kind ein. Langsam löste sich das Mädchen von der
Mutter und setzte sich auf den Wiesenstreifen zwischen zwei
Rebstockreihen.
Vorsichtig strich
Barnabas dem Mädchen Strähne für Strähne die Haare zurück und besah
sich dabei die Kopfhaut. Auch untersuchte er ihr Gesicht. Mit
angstvollen Augen blickte die Kleine zu ihm auf. Er lächelte sie an
und murmelte beruhigende Worte.
»Ich müsste jetzt
zwischen ihren Schenkeln nachsehen«, erklärte Barnabas der Mutter.
Als er Servatius’ Gesichtsausdruck bemerkte, sagte er zu ihm: »Du
verschwindest und wartest fünf Reihen weiter.«
Missgelaunt öffnete
der Franziskanermönch den Mund. Barnabas kam ihm zuvor, stand auf
und packte ihn am Arm. »Willst du mir freche Widerworte geben?
Verschwinde«, zischte er. Widerwillig stolperte Servatius auf einen
Acker zu, der neben den Rebstockreihen lag.
Barnabas kniete sich
erneut zu dem Kind ins Gras und bat die Mutter, das Kleidchen zu
heben.
Seine Vermutung
bestätigte sich. Ebenso wie Kopf und Gesicht war auch der Schoß des
Kindes mit kleinen Pickeln und Pusteln übersät, in denen eine
durchsichtige bis gelbe Flüssigkeit zu erkennen war. Andere
Bläschen waren geplatzt und hatten eine honiggelbe bis bräunliche
Kruste. Die Haut darum war stark gerötet.
»Dein Kind hat
Grindflechten!«, erklärte Barnabas der Mutter leise. »Lass es nicht
in die Nähe von anderen Kindern, denn die Krankheit ist tatsächlich
ansteckend!« Erschrocken weiteten sich die Augen der Mutter.
Barnabas beruhigte sie. »Allerdings ist sie keine Gefahr für
Erwachsene. Ich werde dir sagen, wie die Kleine gesund wird: Nimm
ein Stück von der Faulbaumschale und koche sie in einem Schoppen
Weißwein. Anschließend gib so viel Schmalz dazu, wie ein Ei groß
ist. Füge außerdem eine Handvoll Salz hinzu. Lass alles auf ein
Viertel einkochen. An zwei aufeinanderfolgenden Abenden und am
warmen Ofen reibe dein Kind am ganzen Leib damit ein und lass es
gut einziehen. Es wird seine Wirkung nicht verfehlen«, versprach
Barnabas.
Obwohl die Frau
erleichtert schien, war die Furcht aus ihrem Blick nicht
verschwunden. Nachdem sie ihr Kind hochgehoben hatte, hielt sie
Barnabas ihr erspartes Geld hin. Der Magier wies die Münzen zurück
und sagte: »Kauf dafür die Zutaten, die ich dir genannt habe, sowie
einen Laib Brot für euch.«
Ungläubig schaute
sie auf. Als sie den sanften Blick des fremden Mannes sah, lächelte
sie ihn befreit an.
»Danke«, stammelte
sie glücklich und lief zurück zu ihrem Mann, der in der Nähe Reben
las und die Untersuchung seines Kindes aus der Ferne beobachtet
hatte.
Wütend stapfte
Servatius auf den Magier zu und schimpfte: »Was soll das? Wenn du
Almosen verteilst, nagen wir bald selbst am
Hungertuch!«
Barnabas hörte dem
Mönch nicht zu, sondern ging zufrieden des Weges. Bevor er den
Weinberg verließ, fragte er einen Rebenleser, der gerade seinen mit
Früchten gefüllten Korb in ein Fuhrwerk entleerte: »Kannst du mir
sagen, wo in Trier die Gerichtsverhandlungen und die Hinrichtungen
stattfinden?«
Der Bauer stutzte
bei dieser Frage zuerst, dann antwortete er: »Die Verurteilten
werden in Euren hingerichtet«, und wies mit dem Finger in westliche
Richtung. »Siehst du die Dächer rechts neben der Römerbrücke? Das
ist Euren, wo die Thingstätte liegt.«
Barnabas blickte ihn
fragend an. Der Weinbauer verstand sofort und erklärte: »Die
Thingstätte ist der Gerichtsplatz, wo sich auch der Galgen
befindet.«
»Ich muss nicht über
die Brücke in die Stadt hineingehen?«
Der Bauer schüttelte
den Kopf. »Nein, die Thingstätte liegt auf dieser Seite der
Mosel.«
»Es wäre auch nicht
angebracht, die Hexen inmitten einer großen Stadt zu verbrennen, wo
Funkenflug die eng zusammenstehenden Häuser entfachen könnte«,
sagte Barnabas leise zu sich selbst. Der Bauer hielt in seiner
Arbeit inne und fragte erschrocken: »Welche Hexen sollen in Euren
verbrannt werden?«
»Die überführten
Hexen«, antwortete Servatius.
»Wir haben keine
Hexen in Euren, Trier oder sonst wo in der Gegend!«, erklärte der
Mann mit energischer Stimme. »Überall gibt es Hexen!«, ereiferte
sich Servatius. »Ich rate dir, vorsichtig mit dem zu sein, was du
sagst, denn wir sind fähig, Hexen zu erkennen«, warnte der Mönch
den Rebenleser mit schneidender Stimme. Zuerst wirkte der Mann
entsetzt, dann wurde er wütend, und schließlich schrie er so laut,
dass die übrigen Weinbergarbeiter zusammenliefen: »Ich bin nur ein
einfacher Mann, aber drohe mir nicht, Mönchlein! Wir Trierer
wissen, was es heißt, wenn die Scheiterhaufen brennen. Ich habe
heute noch den Geruch von den brennenden Reisighütten, in denen die
Verurteilten an einem Pfahl angebunden waren, in der
Nase.«
»Sie wurden bei
lebendigem Leib verbrannt?«, fragte Servatius heiser.
»Bist du von
Sinnen?«, rief einer. »Der Henker hat sie vorher geköpft oder
erdrosselt.«
»Wir sind froh, dass
keine Scheiterhaufen mehr in Euren brennen müssen, und so soll es
auch bleiben!«, sagte der Rebenleser und blickte Servatius böse an.
Die Männer kamen immer näher, bis sie ihn umzingelt hatten. Da
Barnabas bis jetzt keinen Ton gesagt hatte, wurde er von den
aufgebrachten Arbeitern nicht weiter beachtet.
Vielleicht schlagen
sie ihn tot, und ich bin ihn los?, dachte Barnabas ungerührt und
stellte fest, dass es ihm gleichgültig war, dass Servatius bedroht
wurde. Die Erkenntnis, dass es in Trier keine Hexenprozesse mehr
gab, verdarb seinen Plan und seine Freude, in Trier sesshaft zu
werden.
Irgendwo im Reich
muss es noch Hexen geben, bei deren Findung ich benötigt werde,
sinnierte er, und wenn nicht in Trier, dann anderswo.
»Barnabas!«, brüllte
Servatius. Erst jetzt blickte der Magier zu seinem Weggefährten,
der kreidebleich inmitten der Weinbergsgesellen stand, die
furchteinflößend mit ihren Scheren klapperten.
»Servatius will euch
nichts Böses«, beruhigte Barnabas die Männer. »Er ist wirr im Kopf
und weiß nicht, was er sagt«, verteidigte er den Mönch, der ihn
entsetzt anblickte. Widerstrebend ließen die Männer von ihm ab und
gingen zurück an ihre Arbeit.
»Mach, dass du mit
dem Schwachsinnigen weiterziehst«, rief ihm einer der Männer
hinterher.
»Sie wollten mich
umbringen!«, jammerte Servatius.
»Zügle das nächste
Mal deine Zunge, dann kommst du nicht in solch eine Lage«, höhnte
Barnabas und marschierte Richtung Euren.
Schon nach kurzer
Zeit hatten sie den kleinen Stadtteil von Trier erreicht. Manche
Häuser waren dicht ans Ufer der Mosel gebaut, andere standen am Weg
entlang.
Am Rande eines
Feldes, umsäumt von Büschen und Bäumen, konnte man einen
dreiholzigen Galgen erkennen, an dem eine Leiche baumelte. Krähen
saßen auf dem Querbalken, als würden sie ihr Fressen
bewachen.
»Was wollen wir
hier, wenn es keine Hexenverbrennungen mehr gibt?«, fragte
Servatius ungehalten.
»Ich will mich mit
dem Henker unterhalten.«
Als Barnabas eine
Frau nach dem Haus des Henkers fragte, zeigte sie stumm zum
Ortsende und bekreuzigte sich mehrmals.
In einer kleinen
Kate am äußersten Rand von Euren hausten der Henker und seine
Familie. Der Kate vorgebaut stand ein offener Schweinestall, in dem
von Borstenvieh umgeben ein kleiner Junge saß und ein quiekendes
Ferkel im Arm hielt. Mit einem Holzschwert hieb er dem Tier
mehrmals auf den Nacken.
»Was machst du da?«,
fragte Barnabas.
»Ich schlage ihm den
Kopf ab!«
»Warum?«
»Ich übe, weil ich
Henker werde.«
»Was wollt Ihr?«,
fragte nun eine Frau, die aus dem Ziegenstall neben dem
Schweineverschlag getreten war.
»Mein Name lautet
Barnabas, und das ist mein Begleiter Servatius. Ich möchte mit
deinem Mann sprechen.«
Die Frau, die bis
zum Knöchel in Schweinejauche stand, musterte die beiden Männer.
Ihr Blick blieb an Barnabas’ silbrigem Haar hängen, das ihm in
weichen Wellen bis auf die Schultern fiel. Verunsichert strich sie
ihre strähnigen Haare zurück.
»Er liegt drinnen«,
sagte sie und wies zum Haus.
Als Barnabas einen
Schritt auf die Haustür zuging, fragte sie ungläubig: »Ihr wollt
ins Haus kommen?«
»Warum
nicht?«
Barnabas wusste,
dass der Beruf des Henkers als unehrbar und der Henker mitsamt
seiner Familie als unrein und unehrlich galt. Die meisten Leute
mieden die Henkersfamilie, denn wer den Henker berührte, galt
ebenfalls als ehrlos. Selbst ein Wirtshaus durfte er nur betreten,
wenn keiner der Anwesenden Einspruch erhob. Dort hatte er einen
eigenen Platz, auf dem kein anderer saß, und einen eigenen Krug,
aus dem kein anderer trank. Deshalb blieben Henkersleute unter
sich. Das wusste Barnabas, und er ahnte, was ihn im Haus erwarten
würde.
In der Kammer, die
gleichzeitig Küche, Wohnstube und Schlafstätte für die Familie war,
lag der Henker auf einem Strohsack und schlief. Schon als der
Magier durch die Tür trat, konnte er den sauren Geruch, der in der
Luft hing, riechen.
Entschuldigend sagte
die Frau: »Vor wenigen Tagen sollte er eine verurteilte Frau
enthaupten und traf zweimal daneben. Zuerst schlug er ihr das
Schwert in die Schulter, und dann traf er nur die Kopfseite. Beim
dritten Schlag war die Frau endlich erlöst. Seitdem wird er nur
wach, um sich erneut zu besaufen«, sagte sie in ärgerlichem
Ton.
»Er sollte weniger
trinken, dann würde er besser treffen!«, schlug Servatius höhnisch
vor.
»Keinem wird das
Töten in die Wiege gelegt«, verteidigte Barnabas den
Mann.
Die Unruhe im Haus
weckte den Henker, und er schlug die glasigen Augen auf. Als er die
Fremden in seiner Stube sah, sprang er wankend auf.
»Was wollt Ihr?«,
rief er mit schwerer Zunge.
»Mit dir reden.« An
die Frau gewandt fragte Barnabas: »Gibt es in Euren ein
Gasthaus?«
Sie
nickte.
»Zeig meinem
Begleiter den Weg«, bat er und gab Servatius einige Geldstücke.
»Kauf einen Krug Wein, aber lass dir keinen Fusel andrehen.« Als
das Weib und der Mönch nach draußen gingen, fragte der Henker: »Was
wollt ihr von uns?«
»Wie ist dein
Name?«
»Andreas
Scheffer.«
»Ich heiße Barnabas
und bin Magier und Heiler, und ich benötige deinen Rat,
Andreas.«
Argwöhnisch blickte
Scheffer auf. »Was könnte ich einem wie dir raten?«
»Du weißt, wozu wir
Magier gerufen werden?«
»Ihr könnt Hexen
erkennen und Schadenszauber aufheben.«
Barnabas nickte. »So
ist es, Andreas. Ich bin in der Hoffnung nach Trier gekommen, dass
man hier meine Dienste benötigen würde. Aber dann musste ich
erfahren, dass es hier keine Hexenprozesse mehr gibt.«
»Ja, das stimmt. Die
Bürger von Trier sind der Verbrennungen überdrüssig, denn vor
wenigen Jahren brannten täglich die Binsenhütten. Fast jede Familie
beklagte den Verlust von Frauen, die der Hexerei bezichtigt worden
waren. Sogar bei den Amtmännern und wohlhabenden Bürgern wurden
Hexen überführt und verbrannt. Ihre Todesurteile hatte der damalige
Richter und spätere kurfürstliche Stadtschultheiß Dietrich Flade
gesprochen und unterschrieben. Eines Tages wurde er selbst als
Hexenmeister erkannt und dank der Folter überführt. Nachdem er
seine Komplizen verraten hatte, brannte der halbe Stadtrat –
einschließlich des Bürgermeisters Hans Reuland und seines
Schwiegersohnes.«
Servatius kam zurück
und stellte einen großen Krug gefüllt mit rotem Wein und zwei
Becher auf den Tisch. Der Henker leckte sich gierig über die
Lippen.
Barnabas füllte die
Becher, doch bevor er Scheffer einen reichte, wollte er wissen:
»Bist du bereit, all meine Fragen zu beantworten?« Sofort nickte
der Henker und riss ihm den Becher förmlich aus der Hand. Nachdem
er den Inhalt hinuntergekippt hatte, schloss er genussvoll die
Augen und murmelte: »Welch edler Tropfen!«
Sogleich schenkte
ihm Barnabas nach, nahm selbst einen kräftigen Schluck Wein und
sagte: »Ich habe noch immer nicht verstanden, warum es keine
Hexenprozesse mehr gibt. Das, was du mir eben berichtet hast, zeigt
doch, dass Trier verseucht war von Hexen.«
Scheffel wischte
sich mit dem Handrücken über die Lippen und zuckte dann mit den
Schultern, bevor er antwortete: »Würden weiterhin Prozesse
stattfinden, wäre Trier bald ausgestorben. Und wenn nicht
ausgestorben, dann pleite. Die Gefängnisse waren überfüllt, und die
Prozesse haben viel Geld verschlungen. Außerdem waren nicht alle
auf Seiten der Richter, und nicht alle haben die Verurteilungen
klaglos hingenommen. Es gab Bürger, die sich öffentlich getraut
haben, gegen die Gerichte zu wettern. Ich denke, all das zusammen
hat Kurfürst Metternich bewogen, weitere Hexenverfolgungen zu
untersagen.«
Scheffer nahm einen
kräftigen Schluck und sagte mit leiser Stimme: »Ich bin froh, dass
diese Zeiten vorbei sind. Jeden Tag, den Gott erschuf, musste ich
den Verurteilten, bevor sie brannten, die Köpfe abschlagen oder sie
strangulieren.«
Erschöpft fuhr er
sich übers Gesicht. Als er Servatius’ Blick auf sich ruhen spürte,
schimpfte er: »Ich habe mir diesen Beruf nicht ausgesucht! Kaum
einer würde diesen Beruf freiwillig ergreifen, hätte er die Wahl.
Der Henkersberuf wird einem in die Wiege gelegt. Er wird vererbt,
ob man will oder nicht. Da wir Henker geächtet sind, können wir
keinen anderen Beruf ergreifen, und so bleiben wir unter uns.
Glaubt mir, an das Töten gewöhnt man sich nie!« Seine Worte klangen
bitter, und er fügte hinzu: »Nicht einmal im Tod ehrt man uns! Man
kann froh sein, wenn Gesinde gefunden wird, das den Leichnam eines
Henkers unter die Erde bringt.«
Um den schwermütigen
Mann auf andere Gedanken zu bringen, seufzte Barnabas vernehmlich.
»Mir hat Trier gefallen. Ich wäre hier gerne alt
geworden.«
»Was hindert dich zu
bleiben? Heiler werden immer benötigt«, meinte Scheffer, während er
den nächsten Becher leerte. Barnabas schüttelte den Kopf. »Heiler
gibt es wie Kieselsteine in einem Flussbett. Ich bin ein Magier –
das ist meine Berufung«, erklärte Barnabas und murmelte in seinen
Bart: »Irgendwo im Reich muss es noch Hexen geben.«
Andreas Scheffer
nickte. »Ja, die gibt es wohl noch. Der Vetter meines Eheweibs ist
Henker in Westrich. Dort lodern ständig die
Scheiterhaufen.«
Servatius, der bis
jetzt geschwiegen hatte, fragte erregt: »Westrich, davon habe ich
noch nie gehört. Wo soll das liegen?«
»Westrich ist das
Land an der Saar«, erklärte Scheffer. »Es schließt direkt an die
Kurpfalz an. In drei Tagesmärschen habt ihr es über die Grenze
erreicht.«
Nun bekam auch
Barnabas glänzende Augen, und die rührten nicht vom
Wein.