Kapitel 27
 
Im Januar des Jahres 1618 prasselte der Regen unaufhörlich vom Himmel und tauchte Wald und Feld in graues Licht. Bäche, Seen und Flüsse schwollen an und überfluteten die Auen, so dass sich das Land in eine Seenlandschaft veränderte.
Selbst der Hessbach, der sonst ruhig mitten durch die Hauptstraße von Wellingen führte, wurde zu einem gefährlichen Gewässer. Als der alte Hochstetter seinen Nachttopf in dem Bach entleeren wollte, verlor er das Gleichgewicht und stürzte hinein. Seine Schreie gingen in dem Getose des Wassers unter, und so fand man seine Leiche erst einige Tage später außerhalb des Ortes an einem Baum hängend, dessen Äste bis über den Bach reichten.
Die Menschen in Wellingen verließen nur selten ihre Häuser, zumal sich die festgestampften Wege in schlammige Pfade verwandelten, in denen man knöcheltief einsank. Die Arbeit der Bauern musste ruhen, und so saßen sie in ihren Häusern und beschäftigten sich mit dem Ausbessern der Arbeitsgeräte, dem Flechten von Körben oder dem Stopfen von Löchern in Dach und Gemäuer.
Im Februar herrschte eisige Kälte, die Mensch, Tier und Natur betäubte. Das Wasser erstarrte zu Eis, so dass die Wege spiegelglatt wurden. Fast täglich musste der Arzt Knochenbrüche richten, und manch einer starb an Wundfieber.
Der alten Kräuterfrau Ida fror die Nasenspitze ab, weil sie vergaß, sie dick mit Melkfett einzuschmieren. Als sie zum Kräutersuchen im Wald unterwegs war, bemerkte sie in ihrem Eifer die Kälte nicht, und erst in der Wärme spürte sie den stechenden Schmerz. Ihre Nasenspitze verfärbte sich pechschwarz, was für manche Häme sorgte.
Die Kinder waren die Einzigen, denen die klirrende Kälte nichts ausmachte. Unentwegt rutschten sie auf dem zugefrorenen Bach und jauchzten vor Vergnügen. Riefen die Mütter sie zurück ins Haus, weil sie sich am Ofen wärmen sollten, hörte man die Jungen und Mädchen wie Rohrspatzen schimpfen.
 
Endlich kündigte sich der März an, und die Menschen hofften auf den ersehnten Frühling. Stattdessen fegten Winde über das Land, die Schnee mit sich führten. Die Männer wurden ungeduldig, da sie die Felder bestellen wollten, und selbst das Vieh blökte, wieherte, meckerte oder grunzte in den Ställen, denn es wollte nicht länger eingesperrt sein. In einigen Häusern wurde das Brennholz, in anderen die Lebensmittel knapp. Manch einer litt quälenden Hunger, während andere im kalten Haus saßen und erbärmlich froren. Die Hoffnung schwand, dass es schnell anders werden könnte.
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Johann von Baßy musste sich durch das Schneegestöber kämpfen, um zum Rehmringer-Gestüt zu gelangen. Der Wind trieb ihm unentwegt die zu Eis erstarrten Schneeflocken ins Gesicht, die er wie Nadelstiche auf der Haut spürte. Als er endlich auf dem Hof ankam, saß Regina Rehmringer vor einem wärmenden Kaminfeuer, wohl gelaunt und guter Dinge. Erstaunt sah sie den bibbernden Mann an, der sich seines durchnässten Umhangs entledigte und sich vor das Kaminfeuer stellte.
»Wie ich sehe, liebe Tante, mangelt es dir an nichts«, sagte von Baßy mit verkniffener Miene. Er versuchte seiner Stimme einen freundlichen Klang zu verleihen, was ihm jedoch nicht recht gelingen wollte. Obwohl er seine Mundwinkel nach oben zog, waren seine Augen kalt. Regina Rehmringer musterte ihn misstrauisch.
»Ich glaube nicht, dass du gekommen bist, um dich nach meinem Befinden zu erkundigen. Was führt dich bei diesem scheußlichen Wetter zu mir, Johann?«
Der Amtmann räusperte sich. »Wie du dich sicherlich noch erinnern kannst, habe ich dir im letzten Jahr den Vorschlag unterbreitet, zu mir und meiner lieben Frau zu ziehen. Dieses Angebot wollte ich erneuern. Alles ist vorbereitet, um dich willkommen zu heißen. Sicherlich wirst du nach dem strengen Winter gemerkt haben, dass dieses Gehöft für dich allein zu groß ist. Es für nur eine Person zu heizen und instandzuhalten, entbehrt jeglicher Vernunft.«
»Wie kommst du darauf, dass ich das Gehöft für mich allein heizen würde? Immerhin habe ich Gesinde.«
»Auch wenn dich dieses tatkräftig unterstützt, Tante, seien wir ehrlich, die Kosten fressen dich auf. Was willst du hier allein? Komm zu uns! Da gehörst du hin! Wir sind deine Familie – die Einzige, die du noch hast.«
Johann von Baßy beobachtete die Alte, die regungslos ins Feuer starrte und abzuwägen schien. Schließlich wandte sie sich wieder ihm zu und sagte: »Deine guten Absichten in Ehren, Johann. Aber nirgends würde es mir besser ergehen als hier!«
In dem Augenblick klopfte es, und eine junge Magd betrat den Raum. Sie begrüßte den Amtmann freundlich und sagte: »Frau Rehmringer, es ist Zeit für Euren Mittagschlaf!«
»Danke, Katharina. Geh schon vor und richte mein Bett.«
Als er den Namen der Magd hörte, verengte von Baßy die Augen und betrachtete die junge Frau genau. Das ist also die besagte Katharina, die sich von einem Schweinehirten anstatt von Paul beglücken lässt. Sie würde mir auch gefallen!, dachte er zynisch.
Das Mädchen nickte ihm zu und verließ den Raum. Von Baßy räusperte sich, um die Aufmerksamkeit seiner Tante auf sich zu lenken. »Wie wirst du dich entscheiden, Tante?«
»Warum sollte ich mein Heim aufgeben? Dank Katharina geht es mir bestens, und um die Kosten für die Unterhaltung meines Anwesens musst du dich nicht sorgen, Johann. Graf Ludwig II. von Nassau-Saarbrücken hat bereits mehrere wertvolle Kutschpferde bestellt. Sobald sie ausgebildet sind, wird mein Stallmeister die Pferde nach Saarbrücken bringen. Du siehst, mein Lieber, du sorgst dich umsonst.«
Regina Rehmringers Worte zeigten bei von Baßy nicht die Wirkung, die sie sich erhofft hatte. Nachdenklich zog sie ihre Stirn kraus. Was führt er im Schilde, grübelte sie.
Das Kaminfeuer hatte den Amtmann anscheinend genug gewärmt, denn er setzte sich in den Sessel neben ihr und legte entspannt die Beine übereinander.
»Ist dir schon zu Ohren gekommen, was im Ort erzählt wird?«
Neugierig setzte sich die Frau auf und schüttelte den Kopf.
Der Amtmann beugte sich nach vorn und sagte mit ernster Stimme: »Dunkle Gestalten sollen des nächtens in Wellingen ihr Unwesen treiben. Man hat beobachtet, wie sie neugierig in die Fenster und Stallungen schauten. Auch um den Rehmringer Hof sollen sie geschlichen sein. Die Leute sagen, diese Gestalten wären lautlos wie Fledermäuse und würden ebenso wie diese unheimlichen Tiere schnell und geräuschlos verschwinden. Man könnte nur ihre Schattenumrisse erkennen.«
Mit großen Augen starrte er die Frau an, die sich in ihrem Sessel zurücklehnte und zu verstecken schien.
»Das hört sich furchtbar an!«, sagte Regina Rehmringer. »Sicher handelt es sich um herumstreunendes Gesindel, das ein trockenes Plätzchen sucht.«
»Tante, nimm es nicht auf die leichte Schulter. Dämonen könnten ebenso ihr Unwesen treiben wie Hexen, die der Teufel ausgesandt hat, um Schadenszauber zu verrichten.«
»Papperlapapp! Was erzählst du für dummes Zeugs? Wenn diese Gestalten durchs Fenster glotzen wollen, dann sollen sie es tun. Der liebe Herrgott wird über mich wachen!«
Von Baßys Mund wurde zu einem schmalen Strich. Es kostete ihn Mühe, sich zu beherrschen.
Regina Rehmringer sah die Veränderung in seinem Gesicht und triumphierte innerlich. Bevor er wieder das Wort ergreifen konnte, sagte sie: »Du musst mich jetzt entschuldigen, Johann. Ich möchte Katharina nicht warten lassen, da sie sich sonst Sorgen macht. Sie ist ein so nettes Mädchen, das sehr auf mein Wohlbefinden achtet. Aber vor allem kann Katharina wundervolle Geschichten erzählen. Geschichten, die mich erfreuen und schlafen lassen wie ein Kleinkind.«
Regina Rehmringer erhob sich und ging zur Tür. »Ich danke dir und deiner lieben Frau für eure Fürsorge, aber wie du siehst, ist sie nicht vonnöten.«
Mit diesen Worten verließ sie den Raum und ließ den Amtmann von Wellingen sprachlos zurück.
Zornig hieb Johann von Baßy mit der Faust auf die Armlehne des gepolsterten Sessels ein. »Sie will es nicht anders! Nun gut, dann werde ich wohl andere Schritte einleiten müssen. Der Amtmann von Püttlingen wird wissen, was zu tun ist!«
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Regina Rehmringer saß in ihrem Bett und gluckste wie ein Kind. »Du hättest sein Gesicht sehen sollen, Katharina! Ich dachte, sein puterroter Schädel würde jeden Augenblick platzen. Johann konnte seinen Zorn schlecht zügeln. Als er mir mit ernster Miene von den unheimlichen Schatten erzählte, konnte ich mich kaum noch beherrschen und hätte beinahe losgeprustet.«
Erschrocken hielt Katharina in ihrer Arbeit inne. »Der Amtmann erzählte von den Schatten? Woher weiß er von ihnen?«
»Irgendein Trottel wird sie gesehen und es ihm erzählt haben. Was ihm nicht zu verdenken ist, schließlich passiert in den Wintermonaten nicht viel, und da ist man für alles empfänglich.«
Katharina nickte und schüttelte der alten Frau das Kissen auf.
»Wo ist Burghard?«, fragte Frau Rehmringer und gähnte verhalten. »Bei Pfarrer Schnetter?«
Eifrig nickte die junge Frau. »Er wird bis morgen bleiben wollen, dann ist auch diese Abschrift vollendet.«
Ein verschwörerisches Lächeln ließ Frau Rehmringer jünger wirken. »Wunderbar! Bis das Wetter sich ändert, werden sie zahlreiche Abschriften des Buches gefertigt haben. Dann können sie endlich die Pfarrer in diesem Teil des Reiches aufsuchen und bekehren.« Mit besorgter Miene fragte sie dann Katharina: »Du hast Burghard aber doch hoffentlich ermahnt, dass er das Fenster des Arbeitszimmers in der Pfarrei abdecken soll?«
»Ja, Frau Rehmringer, sogar Johann hat ihn darauf hingewiesen. Seit unsere Freunde von seinem Geheimnis wissen, sind sie sehr bedacht darauf, dass es gewahrt bleibt.«
»Sehr schön, mein Kind. Es wäre der Anfang vom Ende, wenn jemand den Schein eines Kerzenlichts sehen würde, obwohl Pfarrer Schnetter gegenwärtig in der Gemeinde Schwalbach weilt.«
Müde streckte sich Regina Rehmringer auf ihrem Bett aus. Katharina setzte sich zu ihr und begann von ihrer Heimat, dem Eichsfeld, zu erzählen.
086
 
Mit spitzen Fingern suchte Burghard in einem Kistchen nach einer passenden Feder. Als er eine Pfauenfeder fand, spitzte er sie mit einem Federmesser an. Mehrmals hielt er die Rohrfeder vor das Licht der kleinen Kerze, die vor ihm auf dem Tisch brannte. Nachdem die Feder die passende Spitze hatte, tauchte er sie vorsichtig in das kleine Tintenglas.
Burghard hielt die Luft an und schrieb in schwungvollen Buchstaben die Überschrift. Nachdenklich betrachtete er sein Werk.
Noch wenige Seiten, und auch diese Abschrift wird vollendet sein, dachte er zufrieden. »Wenn es nur nicht so kalt wäre, dass mir die Finger steif werden!«, schimpfte er, als er seinen Atem als eine weiße Wolke vor sich sehen konnte. Er schüttelte die gefühllos gewordenen Hände. Burghard traute sich nicht, das Feuer im Kamin anzuzünden aus Angst, jemand könnte den Qualm bemerken. Er ging im Zimmer auf und ab und hüpfte in die Höhe, um die Kälte aus seinem Körper zu vertreiben. Erschöpft wischte er sich mit beiden Händen übers Gesicht. Seine Augen brannten. Auch Hunger und Durst quälten ihn. »Ich sollte mir eine Pause gönnen und etwas essen.«
Hungrig schaute Burghard in den Beutel, den Katharina ihm gepackt hatte. Erst jetzt bemerkte er, dass seine Finger mit dunkler Tinte verschmiert waren. »Wie soll ich erklären, dass Tinte an meinen Fingern haftet?«, murmelte er vor sich hin und wischte mit dem Beutelleinen darüber. Aber die Farbe ließ sich nicht abreiben. Müde gab er auf und kramte im Beutel nach etwas Essbarem. Katharina hatte ihm Brot, Käse und ein Stück geräucherten Speck eingepackt. Burghard zog den Korken aus dem Krug und goss sich Wein in einen Becher. Genussvoll nahm er einen Schluck. Als der Rebensaft seine Kehle hinunterrann, schloss er die Augen. »Mmmh!«, stöhnte er leise. »Das ist die richtige Belohnung für meine Arbeit«, freute er sich und glaubte, dass der Wein ihn wärmen würde.
Mit dem Becher in der Hand blickte Burghard auf die zahlreichen beschriebenen Buchseiten, die er zum Trocknen inmitten der Pfarrstube an einer Schnur aufgehängt hatte. Während er von dem Käse abbiss, betrachtete er die vor seinen Augen schwebenden Seiten. Er ging sie der Reihe nach durch und nickte zufrieden.
»Meine Arbeit kann sich sehen lassen!«, flüsterte er zwischen zwei Bissen. »Jeder verschnörkelte Buchstabe kommt einem Meisterwerk gleich!«
Plötzlich bewegten sich die Blätter an der Leine.
»Ein Luftzug!«, murmelte er erschrocken. »Jemand hat ein Fenster oder eine Tür geöffnet!«
Mit zittrigen Fingern legte Burghard den Käse auf den Schreibtisch und ergriff stattdessen den Weinkrug, den er mutig hochhob. Vorsichtig schlich er sich bis zur angelehnten Zimmertür, als diese gänzlich aufgestoßen wurde und eine schwarze Gestalt sich ins Zimmer schob. Erleichtert senkte Burghard den Krug, denn er hatte den nächtlichen Besucher erkannt.
»Es wäre schade um den Wein, wenn du mir den Krug auf den Schädel hauen würdest«, lachte Bruder Ignatius.
»Verzeih, aber ich habe nicht mit dir gerechnet.«
»Ich habe mich kurzfristig entschlossen vorbeizuschauen. Zuerst dachte ich, dass niemand hier wäre, da man von draußen nichts erkennen kann.«
»Ich habe die Fenster abgehängt und den Kamin nicht entzündet, damit weder Lichtschein noch Qualm mich verraten können.«
Der Jesuit zog den Umhang fester um sich. »Es ist empfindlich kalt in diesen Räumen. Dass du in dieser Kälte arbeiten kannst, ist erstaunlich.«
Ignatius erblickte die zahlreichen Abschriften und klopfte Burghard anerkennend auf die Schulter. »Wie ich sehe, kommst du gut voran.«
Stolz stellte sich Burghard neben den Mönch und sagte: »Ich hätte nie gedacht, dass es mir so leicht von der Hand gehen würde. Da ich dank Pfarrer Schnetter und Frau Rehmringer ungestört im Pfarrhaus arbeiten kann, benötige ich nur noch wenige Sitzungen, bis die letzte Abschrift vollendet sein wird.«
»Gut so! Auch wir haben mehrere Bücher anfertigen können. Ich kann es kaum erwarten, bis das Wetter besser wird, damit wir unserer Berufung nachgehen können.«
Burghard füllte den Becher mit Wein und reichte ihn Ignatius.
»Hoffen wir, dass unsere Glaubensbrüder der Wahrheit gegenüber offen sein werden und wir viele arme Seelen retten können.«
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Einige Tage später erlaubte es das Wetter Johann von Baßy, nach Püttlingen zu reiten. Der Amtmann von Wellingen wusste, dass er dafür fast den ganzen Tag benötigen würde, da das Pferd im hohen Schnee nur langsam vorankam. Auf Feldern, die von Baßy kannte, getraute er sich, das Pferd in den Trab zu bringen, doch das Tier wollte immer wieder losgaloppieren. »Das würde mir noch fehlen, dass der Gaul sich die Beine bricht und ich hier erfriere«, schimpfte von Baßy und zügelte das Pferd.
Stunden später sah er Püttlingen vor sich liegen.
»Ich kann froh sein, dass ich mich nicht verirrt habe, obwohl alles um mich herum weiß ist«, murmelte er.
 
Es war schon spät, als von Baßy in der Nähe des Rebenbergs in den Ort einritt. Der Amtmann von Wellingen hielt sich rechter Hand und gelangte durch die Gasse »Bey der Brück« zu dem Holzsteg, auf dem er den Köllerbach überquerte. Keine Menschenseele begegnete ihm. Er trat dem Pferd in die Flanken und preschte in den Burghof. Dort saß er ab und überließ sein Pferd dem Stallburschen, der sogleich herbeigeeilt kam. Ohne anzuklopfen, riss von Baßy das Eingangsportal auf und stürmte den Flur entlang geradewegs in den Wohnsalon. Durchnässt und frierend stellte er sich vor das wärmende Kaminfeuer. Leise stöhnend rieb er seine steifen Hände über den Flammen. Als von Baßy aus den Augenwinkeln eine Bewegung bemerkte, wandte er den Kopf und sah seinen Freund im Sessel sitzen. »Es muss dir sehr unter den Nägeln brennen, wenn es dich bei diesem Wetter zu mir treibt!«, sagte dieser spöttisch zu ihm. Dann stand er auf und reichte ihm einen Becher heißen Würzwein.
»Hier, trink, das wärmt von innen.«
Dankend nahm der Amtmann aus Wellingen das dampfende Getränk entgegen. Zwischen zwei Schlucken sah von Baßy auf und fragte: »Du hast also meine Nachricht bekommen?«
Thomas Königsdorfer nickte.
»Hast du dir meinen Vorschlag überlegt?«
Königsdorfer zuckte mit den Schultern. »Du bist selbst Amtmann und kannst die Frau in deinem Ort ins Gefängnis schaffen lassen. Warum belästigst du mich mit deinen Belangen? Ich habe in meinem eigenen Amtsbezirk genug zu tun.«
Johann von Baßy wusste, dass Thomas Königsdorfer nur versuchte, seinen Gewinn in die Höhe zu treiben.
»Du hast mehr Macht, Thomas«, schmeichelte er ihm. »Wenn ich die junge Frau in Wellingen ins Gefängnis bringen lasse, läuft meine Tante direkt zu den Kriechingern. Dann ist die Hexe schneller wieder frei, als mir lieb ist.«
»Woher stammt die Frau? Ich habe gehört, dass es mehrere Fremde sind, die bei der alten Rehmringer Unterkunft erhalten haben.«
Von Baßy nickte. »Es sind drei Männer und zwei Frauen. Sie sollen von der anderen Seite der Werra kommen. Der Landstrich heißt angeblich Eichsfeld.«
»Das weiß ich bereits.« Thomas Königsdorfer schien zu überlegen. Er stand auf, ging zum Fenster und blickte hinaus. Johann von Baßy gesellte sich zu ihm und folgte seinem Blick. Als er das runde Gebäude vor sich sah, das in der Abenddämmerung unheimlich und düster wirkte, fragte er: »Wie viele Frauen sind zurzeit im Hexenturm eingesperrt?«
»Bis jetzt sind es fünf Weiber«, antwortete Königsdorfer mit Abscheu in der Stimme. »Seit heute Morgen werden sie der peinlichen Befragung unterzogen.«
»Sind sie schuldig?«
»Dass es Hexen sind, wusste ich, bevor sie gestanden haben«, sagte Königsdorfer voller Hohn. »Bereits morgen werden sie brennen.«
Erstaunt blickte von Baßy auf. »So schnell?«
»Worauf warten? Schließlich haben sie Wetterzauber ausgeübt.«
»Das haben sie zugegeben?«
»Kannst du dich erinnern, dass wir jemals um diese Jahreszeit solches Wetter hatten?«, fragte der Püttlinger Amtmann zornig. Von Baßy wollte Königsdorfer nicht weiter reizen und schwieg. Stumm wandten sich die beiden Männer vom Fenster ab und setzten sich.
»Was ist jetzt, Thomas? Wirst du die Frau verhaften?«
Königsdorfer verengte seine Augen. »Warum willst du nur diese eine Frau im Hexenturm sehen? Warum nicht alle fünf?«
Johann von Baßy überlegte kurz. »Nein, die eine Frau reicht. Wir wollen nicht übertreiben«, versuchte er zynisch zu scherzen. »Sollten die anderen dann nicht vom Gestüt verschwinden, kannst du sie meinetwegen alle einsperren lassen.«
»Was springt dabei für mich heraus?«
Von Baßy wusste, dass im Grunde nur diese Frage für sein Gegenüber von Bedeutung war. »Es soll dein Schaden nicht sein, Thomas. Das Geldsäckchen wird reich gefüllt sein. Sollte ich das Gestüt übernehmen, erhältst du außerdem ein prächtiges Ross.«
Fragend zog Königsdorfer eine Augenbraue in die Höhe. »Warum so großzügig? Da steckt doch mehr dahinter.«
Von Baßys Gesichtsausdruck verfinsterte sich. »Weil ich besonders diese eine Frau dort drüben im Hexenturm sehen will!«
Königsdorfer blickte seinen Freund nachdenklich an. »Wieso solltest du das Gestüt erhalten? Die alte Rehmringer lebt schließlich noch.«
Von Baßy nahm einen Schluck Würzwein. »Durch die Verhaftung der jungen Frau wird die Alte eingeschüchtert werden. Niemand wird sie dann umsorgen, hegen und pflegen. Ich werde ihr zeigen, dass ihr Schicksal in meiner Hand liegt. Und wenn sie nicht das macht, was ich will, werden die anderen ebenfalls in den Hexenturm gesperrt. Einer nach dem anderen, bis die Alte unterschreibt.«
»Warum ist es dir so wichtig, das Gestüt ausgerechnet jetzt zu bekommen?«, fragte Königsdorfer verständnislos. »Irgendwann erbst du es sowieso.«
»Ich werde das Gestüt meinem Sohn Philipp überschreiben. Es soll für den Schultheiß von Dillingen ein Anreiz sein, seine Tochter mit meinem Sohn zu vermählen.«
»Normalerweise bringt doch die Braut die Mitgift mit«, höhnte Königsdorfer. Von Baßy nickte. »Das tut sie auch, denn die Tochter des Schultheiß wird eines Tages ein riesiges Waldgebiet besitzen. Und so wäre sie eine achtbare Partie für meinen Phillip, doch es gibt mehrere Bewerber. Deshalb muss mein Sohn etwas vorzuweisen haben, und dafür wäre das Gestüt mehr als gut geeignet.«
Ja, denn ohne das Gestüt würde dein Sohn nicht einmal vom Schultheiß angehört werden. Selten habe ich solch einen Trottel gesehen wie Phillip von Baßy!, dachte Thomas Königsdorfer und grinste in sich hinein.
»Wann wirst du die Frau festnehmen?«, fragte von Baßy fordernd.
»Wann soll die Hochzeit sein?«
»Die Mutter der Braut wünscht, dass die Vermählung einen Tag vor dem nächsten Weihnachtsfest stattfinden soll. Irgendeine rührselige Laune hat sie wohl dazu veranlasst.«
»Das ist gut, dann haben wir noch etwas Zeit. In den nächsten Wochen muss ich mich zurückhalten. Es sollen bereits Beschwerden gegen mich vorliegen, dass ich zu viele Verhaftungen vornehme. Lass uns bis zum Sommer warten, dann können wir sicher sein, dass es genauso kommen wird, wie du möchtest. Bis dahin verhalte dich ruhig, damit niemand Verdacht schöpft.«
Johann von Baßy spürte, wie sein Blut durch den Körper raste. Hitze kroch in ihm hoch, so dass er den noch warmen Wein beiseitestellte.
»Ich hoffe, ich kann mich auf dich verlassen, Thomas«, grollte er, ohne sich Mühe zu geben, seine Zweifel zu verbergen.
Königsdorfer funkelte ihn böse an. »Beleidige mich nicht, denn schließlich stehe ich immer zu meinem Wort. Du brauchst nur die Hexen zu fragen!«