Kapitel 27
Im Januar des Jahres
1618 prasselte der Regen unaufhörlich vom Himmel und tauchte Wald
und Feld in graues Licht. Bäche, Seen und Flüsse schwollen an und
überfluteten die Auen, so dass sich das Land in eine Seenlandschaft
veränderte.
Selbst der Hessbach,
der sonst ruhig mitten durch die Hauptstraße von Wellingen führte,
wurde zu einem gefährlichen Gewässer. Als der alte Hochstetter
seinen Nachttopf in dem Bach entleeren wollte, verlor er das
Gleichgewicht und stürzte hinein. Seine Schreie gingen in dem
Getose des Wassers unter, und so fand man seine Leiche erst einige
Tage später außerhalb des Ortes an einem Baum hängend, dessen Äste
bis über den Bach reichten.
Die Menschen in
Wellingen verließen nur selten ihre Häuser, zumal sich die
festgestampften Wege in schlammige Pfade verwandelten, in denen man
knöcheltief einsank. Die Arbeit der Bauern musste ruhen, und so
saßen sie in ihren Häusern und beschäftigten sich mit dem
Ausbessern der Arbeitsgeräte, dem Flechten von Körben oder dem
Stopfen von Löchern in Dach und Gemäuer.
Im Februar herrschte
eisige Kälte, die Mensch, Tier und Natur betäubte. Das Wasser
erstarrte zu Eis, so dass die Wege spiegelglatt wurden. Fast
täglich musste der Arzt Knochenbrüche richten, und manch einer
starb an Wundfieber.
Der alten
Kräuterfrau Ida fror die Nasenspitze ab, weil sie vergaß, sie dick
mit Melkfett einzuschmieren. Als sie zum Kräutersuchen im Wald
unterwegs war, bemerkte sie in ihrem Eifer die Kälte nicht, und
erst in der Wärme spürte sie den stechenden Schmerz. Ihre
Nasenspitze verfärbte sich pechschwarz, was für manche Häme
sorgte.
Die Kinder waren die
Einzigen, denen die klirrende Kälte nichts ausmachte. Unentwegt
rutschten sie auf dem zugefrorenen Bach und jauchzten vor
Vergnügen. Riefen die Mütter sie zurück ins Haus, weil sie sich am
Ofen wärmen sollten, hörte man die Jungen und Mädchen wie
Rohrspatzen schimpfen.
Endlich kündigte
sich der März an, und die Menschen hofften auf den ersehnten
Frühling. Stattdessen fegten Winde über das Land, die Schnee mit
sich führten. Die Männer wurden ungeduldig, da sie die Felder
bestellen wollten, und selbst das Vieh blökte, wieherte, meckerte
oder grunzte in den Ställen, denn es wollte nicht länger
eingesperrt sein. In einigen Häusern wurde das Brennholz, in
anderen die Lebensmittel knapp. Manch einer litt quälenden Hunger,
während andere im kalten Haus saßen und erbärmlich froren. Die
Hoffnung schwand, dass es schnell anders werden
könnte.
Johann von Baßy
musste sich durch das Schneegestöber kämpfen, um zum
Rehmringer-Gestüt zu gelangen. Der Wind trieb ihm unentwegt die zu
Eis erstarrten Schneeflocken ins Gesicht, die er wie Nadelstiche
auf der Haut spürte. Als er endlich auf dem Hof ankam, saß Regina
Rehmringer vor einem wärmenden Kaminfeuer, wohl gelaunt und guter
Dinge. Erstaunt sah sie den bibbernden Mann an, der sich seines
durchnässten Umhangs entledigte und sich vor das Kaminfeuer
stellte.
»Wie ich sehe, liebe
Tante, mangelt es dir an nichts«, sagte von Baßy mit verkniffener
Miene. Er versuchte seiner Stimme einen freundlichen Klang zu
verleihen, was ihm jedoch nicht recht gelingen wollte. Obwohl er
seine Mundwinkel nach oben zog, waren seine Augen kalt. Regina
Rehmringer musterte ihn misstrauisch.
»Ich glaube nicht,
dass du gekommen bist, um dich nach meinem Befinden zu erkundigen.
Was führt dich bei diesem scheußlichen Wetter zu mir,
Johann?«
Der Amtmann
räusperte sich. »Wie du dich sicherlich noch erinnern kannst, habe
ich dir im letzten Jahr den Vorschlag unterbreitet, zu mir und
meiner lieben Frau zu ziehen. Dieses Angebot wollte ich erneuern.
Alles ist vorbereitet, um dich willkommen zu heißen. Sicherlich
wirst du nach dem strengen Winter gemerkt haben, dass dieses Gehöft
für dich allein zu groß ist. Es für nur eine Person zu heizen und
instandzuhalten, entbehrt jeglicher Vernunft.«
»Wie kommst du
darauf, dass ich das Gehöft für mich allein heizen würde? Immerhin
habe ich Gesinde.«
»Auch wenn dich
dieses tatkräftig unterstützt, Tante, seien wir ehrlich, die Kosten
fressen dich auf. Was willst du hier allein? Komm zu uns! Da
gehörst du hin! Wir sind deine Familie – die Einzige, die du noch
hast.«
Johann von Baßy
beobachtete die Alte, die regungslos ins Feuer starrte und
abzuwägen schien. Schließlich wandte sie sich wieder ihm zu und
sagte: »Deine guten Absichten in Ehren, Johann. Aber nirgends würde
es mir besser ergehen als hier!«
In dem Augenblick
klopfte es, und eine junge Magd betrat den Raum. Sie begrüßte den
Amtmann freundlich und sagte: »Frau Rehmringer, es ist Zeit für
Euren Mittagschlaf!«
»Danke, Katharina.
Geh schon vor und richte mein Bett.«
Als er den Namen der
Magd hörte, verengte von Baßy die Augen und betrachtete die junge
Frau genau. Das ist also die besagte Katharina, die sich von einem
Schweinehirten anstatt von Paul beglücken lässt. Sie würde mir auch
gefallen!, dachte er zynisch.
Das Mädchen nickte
ihm zu und verließ den Raum. Von Baßy räusperte sich, um die
Aufmerksamkeit seiner Tante auf sich zu lenken. »Wie wirst du dich
entscheiden, Tante?«
»Warum sollte ich
mein Heim aufgeben? Dank Katharina geht es mir bestens, und um die
Kosten für die Unterhaltung meines Anwesens musst du dich nicht
sorgen, Johann. Graf Ludwig II. von Nassau-Saarbrücken hat bereits
mehrere wertvolle Kutschpferde bestellt. Sobald sie ausgebildet
sind, wird mein Stallmeister die Pferde nach Saarbrücken bringen.
Du siehst, mein Lieber, du sorgst dich umsonst.«
Regina Rehmringers
Worte zeigten bei von Baßy nicht die Wirkung, die sie sich erhofft
hatte. Nachdenklich zog sie ihre Stirn kraus. Was führt er im
Schilde, grübelte sie.
Das Kaminfeuer hatte
den Amtmann anscheinend genug gewärmt, denn er setzte sich in den
Sessel neben ihr und legte entspannt die Beine
übereinander.
»Ist dir schon zu
Ohren gekommen, was im Ort erzählt wird?«
Neugierig setzte
sich die Frau auf und schüttelte den Kopf.
Der Amtmann beugte
sich nach vorn und sagte mit ernster Stimme: »Dunkle Gestalten
sollen des nächtens in Wellingen ihr Unwesen treiben. Man hat
beobachtet, wie sie neugierig in die Fenster und Stallungen
schauten. Auch um den Rehmringer Hof sollen sie geschlichen sein.
Die Leute sagen, diese Gestalten wären lautlos wie Fledermäuse und
würden ebenso wie diese unheimlichen Tiere schnell und geräuschlos
verschwinden. Man könnte nur ihre Schattenumrisse
erkennen.«
Mit großen Augen
starrte er die Frau an, die sich in ihrem Sessel zurücklehnte und
zu verstecken schien.
»Das hört sich
furchtbar an!«, sagte Regina Rehmringer. »Sicher handelt es sich um
herumstreunendes Gesindel, das ein trockenes Plätzchen
sucht.«
»Tante, nimm es
nicht auf die leichte Schulter. Dämonen könnten ebenso ihr Unwesen
treiben wie Hexen, die der Teufel ausgesandt hat, um Schadenszauber
zu verrichten.«
»Papperlapapp! Was
erzählst du für dummes Zeugs? Wenn diese Gestalten durchs Fenster
glotzen wollen, dann sollen sie es tun. Der liebe Herrgott wird
über mich wachen!«
Von Baßys Mund wurde
zu einem schmalen Strich. Es kostete ihn Mühe, sich zu
beherrschen.
Regina Rehmringer
sah die Veränderung in seinem Gesicht und triumphierte innerlich.
Bevor er wieder das Wort ergreifen konnte, sagte sie: »Du musst
mich jetzt entschuldigen, Johann. Ich möchte Katharina nicht warten
lassen, da sie sich sonst Sorgen macht. Sie ist ein so nettes
Mädchen, das sehr auf mein Wohlbefinden achtet. Aber vor allem kann
Katharina wundervolle Geschichten erzählen. Geschichten, die mich
erfreuen und schlafen lassen wie ein Kleinkind.«
Regina Rehmringer
erhob sich und ging zur Tür. »Ich danke dir und deiner lieben Frau
für eure Fürsorge, aber wie du siehst, ist sie nicht
vonnöten.«
Mit diesen Worten
verließ sie den Raum und ließ den Amtmann von Wellingen sprachlos
zurück.
Zornig hieb Johann
von Baßy mit der Faust auf die Armlehne des gepolsterten Sessels
ein. »Sie will es nicht anders! Nun gut, dann werde ich wohl andere
Schritte einleiten müssen. Der Amtmann von Püttlingen wird wissen,
was zu tun ist!«
Regina Rehmringer
saß in ihrem Bett und gluckste wie ein Kind. »Du hättest sein
Gesicht sehen sollen, Katharina! Ich dachte, sein puterroter
Schädel würde jeden Augenblick platzen. Johann konnte seinen Zorn
schlecht zügeln. Als er mir mit ernster Miene von den unheimlichen
Schatten erzählte, konnte ich mich kaum noch beherrschen und hätte
beinahe losgeprustet.«
Erschrocken hielt
Katharina in ihrer Arbeit inne. »Der Amtmann erzählte von den
Schatten? Woher weiß er von ihnen?«
»Irgendein Trottel
wird sie gesehen und es ihm erzählt haben. Was ihm nicht zu
verdenken ist, schließlich passiert in den Wintermonaten nicht
viel, und da ist man für alles empfänglich.«
Katharina nickte und
schüttelte der alten Frau das Kissen auf.
»Wo ist Burghard?«,
fragte Frau Rehmringer und gähnte verhalten. »Bei Pfarrer
Schnetter?«
Eifrig nickte die
junge Frau. »Er wird bis morgen bleiben wollen, dann ist auch diese
Abschrift vollendet.«
Ein
verschwörerisches Lächeln ließ Frau Rehmringer jünger wirken.
»Wunderbar! Bis das Wetter sich ändert, werden sie zahlreiche
Abschriften des Buches gefertigt haben. Dann können sie endlich die
Pfarrer in diesem Teil des Reiches aufsuchen und bekehren.« Mit
besorgter Miene fragte sie dann Katharina: »Du hast Burghard aber
doch hoffentlich ermahnt, dass er das Fenster des Arbeitszimmers in
der Pfarrei abdecken soll?«
»Ja, Frau
Rehmringer, sogar Johann hat ihn darauf hingewiesen. Seit unsere
Freunde von seinem Geheimnis wissen, sind sie sehr bedacht darauf,
dass es gewahrt bleibt.«
»Sehr schön, mein
Kind. Es wäre der Anfang vom Ende, wenn jemand den Schein eines
Kerzenlichts sehen würde, obwohl Pfarrer Schnetter gegenwärtig in
der Gemeinde Schwalbach weilt.«
Müde streckte sich
Regina Rehmringer auf ihrem Bett aus. Katharina setzte sich zu ihr
und begann von ihrer Heimat, dem Eichsfeld, zu
erzählen.
Mit spitzen Fingern
suchte Burghard in einem Kistchen nach einer passenden Feder. Als
er eine Pfauenfeder fand, spitzte er sie mit einem Federmesser an.
Mehrmals hielt er die Rohrfeder vor das Licht der kleinen Kerze,
die vor ihm auf dem Tisch brannte. Nachdem die Feder die passende
Spitze hatte, tauchte er sie vorsichtig in das kleine
Tintenglas.
Burghard hielt die
Luft an und schrieb in schwungvollen Buchstaben die Überschrift.
Nachdenklich betrachtete er sein Werk.
Noch wenige Seiten,
und auch diese Abschrift wird vollendet sein, dachte er zufrieden.
»Wenn es nur nicht so kalt wäre, dass mir die Finger steif
werden!«, schimpfte er, als er seinen Atem als eine weiße Wolke vor
sich sehen konnte. Er schüttelte die gefühllos gewordenen Hände.
Burghard traute sich nicht, das Feuer im Kamin anzuzünden aus
Angst, jemand könnte den Qualm bemerken. Er ging im Zimmer auf und
ab und hüpfte in die Höhe, um die Kälte aus seinem Körper zu
vertreiben. Erschöpft wischte er sich mit beiden Händen übers
Gesicht. Seine Augen brannten. Auch Hunger und Durst quälten ihn.
»Ich sollte mir eine Pause gönnen und etwas essen.«
Hungrig schaute
Burghard in den Beutel, den Katharina ihm gepackt hatte. Erst jetzt
bemerkte er, dass seine Finger mit dunkler Tinte verschmiert waren.
»Wie soll ich erklären, dass Tinte an meinen Fingern haftet?«,
murmelte er vor sich hin und wischte mit dem Beutelleinen darüber.
Aber die Farbe ließ sich nicht abreiben. Müde gab er auf und kramte
im Beutel nach etwas Essbarem. Katharina hatte ihm Brot, Käse und
ein Stück geräucherten Speck eingepackt. Burghard zog den Korken
aus dem Krug und goss sich Wein in einen Becher. Genussvoll nahm er
einen Schluck. Als der Rebensaft seine Kehle hinunterrann, schloss
er die Augen. »Mmmh!«, stöhnte er leise. »Das ist die richtige
Belohnung für meine Arbeit«, freute er sich und glaubte, dass der
Wein ihn wärmen würde.
Mit dem Becher in
der Hand blickte Burghard auf die zahlreichen beschriebenen
Buchseiten, die er zum Trocknen inmitten der Pfarrstube an einer
Schnur aufgehängt hatte. Während er von dem Käse abbiss,
betrachtete er die vor seinen Augen schwebenden Seiten. Er ging sie
der Reihe nach durch und nickte zufrieden.
»Meine Arbeit kann
sich sehen lassen!«, flüsterte er zwischen zwei Bissen. »Jeder
verschnörkelte Buchstabe kommt einem Meisterwerk
gleich!«
Plötzlich bewegten
sich die Blätter an der Leine.
»Ein Luftzug!«,
murmelte er erschrocken. »Jemand hat ein Fenster oder eine Tür
geöffnet!«
Mit zittrigen
Fingern legte Burghard den Käse auf den Schreibtisch und ergriff
stattdessen den Weinkrug, den er mutig hochhob. Vorsichtig schlich
er sich bis zur angelehnten Zimmertür, als diese gänzlich
aufgestoßen wurde und eine schwarze Gestalt sich ins Zimmer schob.
Erleichtert senkte Burghard den Krug, denn er hatte den nächtlichen
Besucher erkannt.
»Es wäre schade um
den Wein, wenn du mir den Krug auf den Schädel hauen würdest«,
lachte Bruder Ignatius.
»Verzeih, aber ich
habe nicht mit dir gerechnet.«
»Ich habe mich
kurzfristig entschlossen vorbeizuschauen. Zuerst dachte ich, dass
niemand hier wäre, da man von draußen nichts erkennen
kann.«
»Ich habe die
Fenster abgehängt und den Kamin nicht entzündet, damit weder
Lichtschein noch Qualm mich verraten können.«
Der Jesuit zog den
Umhang fester um sich. »Es ist empfindlich kalt in diesen Räumen.
Dass du in dieser Kälte arbeiten kannst, ist
erstaunlich.«
Ignatius erblickte
die zahlreichen Abschriften und klopfte Burghard anerkennend auf
die Schulter. »Wie ich sehe, kommst du gut voran.«
Stolz stellte sich
Burghard neben den Mönch und sagte: »Ich hätte nie gedacht, dass es
mir so leicht von der Hand gehen würde. Da ich dank Pfarrer
Schnetter und Frau Rehmringer ungestört im Pfarrhaus arbeiten kann,
benötige ich nur noch wenige Sitzungen, bis die letzte Abschrift
vollendet sein wird.«
»Gut so! Auch wir
haben mehrere Bücher anfertigen können. Ich kann es kaum erwarten,
bis das Wetter besser wird, damit wir unserer Berufung nachgehen
können.«
Burghard füllte den
Becher mit Wein und reichte ihn Ignatius.
»Hoffen wir, dass
unsere Glaubensbrüder der Wahrheit gegenüber offen sein werden und
wir viele arme Seelen retten können.«
Einige Tage später
erlaubte es das Wetter Johann von Baßy, nach Püttlingen zu reiten.
Der Amtmann von Wellingen wusste, dass er dafür fast den ganzen Tag
benötigen würde, da das Pferd im hohen Schnee nur langsam vorankam.
Auf Feldern, die von Baßy kannte, getraute er sich, das Pferd in
den Trab zu bringen, doch das Tier wollte immer wieder
losgaloppieren. »Das würde mir noch fehlen, dass der Gaul sich die
Beine bricht und ich hier erfriere«, schimpfte von Baßy und zügelte
das Pferd.
Stunden später sah
er Püttlingen vor sich liegen.
»Ich kann froh sein,
dass ich mich nicht verirrt habe, obwohl alles um mich herum weiß
ist«, murmelte er.
Es war schon spät,
als von Baßy in der Nähe des Rebenbergs in den Ort einritt. Der
Amtmann von Wellingen hielt sich rechter Hand und gelangte durch
die Gasse »Bey der Brück« zu dem Holzsteg, auf dem er den
Köllerbach überquerte. Keine Menschenseele begegnete ihm. Er trat
dem Pferd in die Flanken und preschte in den Burghof. Dort saß er
ab und überließ sein Pferd dem Stallburschen, der sogleich
herbeigeeilt kam. Ohne anzuklopfen, riss von Baßy das
Eingangsportal auf und stürmte den Flur entlang geradewegs in den
Wohnsalon. Durchnässt und frierend stellte er sich vor das wärmende
Kaminfeuer. Leise stöhnend rieb er seine steifen Hände über den
Flammen. Als von Baßy aus den Augenwinkeln eine Bewegung bemerkte,
wandte er den Kopf und sah seinen Freund im Sessel sitzen. »Es muss
dir sehr unter den Nägeln brennen, wenn es dich bei diesem Wetter
zu mir treibt!«, sagte dieser spöttisch zu ihm. Dann stand er auf
und reichte ihm einen Becher heißen Würzwein.
»Hier, trink, das
wärmt von innen.«
Dankend nahm der
Amtmann aus Wellingen das dampfende Getränk entgegen. Zwischen zwei
Schlucken sah von Baßy auf und fragte: »Du hast also meine
Nachricht bekommen?«
Thomas Königsdorfer
nickte.
»Hast du dir meinen
Vorschlag überlegt?«
Königsdorfer zuckte
mit den Schultern. »Du bist selbst Amtmann und kannst die Frau in
deinem Ort ins Gefängnis schaffen lassen. Warum belästigst du mich
mit deinen Belangen? Ich habe in meinem eigenen Amtsbezirk genug zu
tun.«
Johann von Baßy
wusste, dass Thomas Königsdorfer nur versuchte, seinen Gewinn in
die Höhe zu treiben.
»Du hast mehr Macht,
Thomas«, schmeichelte er ihm. »Wenn ich die junge Frau in Wellingen
ins Gefängnis bringen lasse, läuft meine Tante direkt zu den
Kriechingern. Dann ist die Hexe schneller wieder frei, als mir lieb
ist.«
»Woher stammt die
Frau? Ich habe gehört, dass es mehrere Fremde sind, die bei der
alten Rehmringer Unterkunft erhalten haben.«
Von Baßy nickte. »Es
sind drei Männer und zwei Frauen. Sie sollen von der anderen Seite
der Werra kommen. Der Landstrich heißt angeblich
Eichsfeld.«
»Das weiß ich
bereits.« Thomas Königsdorfer schien zu überlegen. Er stand auf,
ging zum Fenster und blickte hinaus. Johann von Baßy gesellte sich
zu ihm und folgte seinem Blick. Als er das runde Gebäude vor sich
sah, das in der Abenddämmerung unheimlich und düster wirkte, fragte
er: »Wie viele Frauen sind zurzeit im Hexenturm
eingesperrt?«
»Bis jetzt sind es
fünf Weiber«, antwortete Königsdorfer mit Abscheu in der Stimme.
»Seit heute Morgen werden sie der peinlichen Befragung
unterzogen.«
»Sind sie
schuldig?«
»Dass es Hexen sind,
wusste ich, bevor sie gestanden haben«, sagte Königsdorfer voller
Hohn. »Bereits morgen werden sie brennen.«
Erstaunt blickte von
Baßy auf. »So schnell?«
»Worauf warten?
Schließlich haben sie Wetterzauber ausgeübt.«
»Das haben sie
zugegeben?«
»Kannst du dich
erinnern, dass wir jemals um diese Jahreszeit solches Wetter
hatten?«, fragte der Püttlinger Amtmann zornig. Von Baßy wollte
Königsdorfer nicht weiter reizen und schwieg. Stumm wandten sich
die beiden Männer vom Fenster ab und setzten sich.
»Was ist jetzt,
Thomas? Wirst du die Frau verhaften?«
Königsdorfer
verengte seine Augen. »Warum willst du nur diese eine Frau im
Hexenturm sehen? Warum nicht alle fünf?«
Johann von Baßy
überlegte kurz. »Nein, die eine Frau reicht. Wir wollen nicht
übertreiben«, versuchte er zynisch zu scherzen. »Sollten die
anderen dann nicht vom Gestüt verschwinden, kannst du sie
meinetwegen alle einsperren lassen.«
»Was springt dabei
für mich heraus?«
Von Baßy wusste,
dass im Grunde nur diese Frage für sein Gegenüber von Bedeutung
war. »Es soll dein Schaden nicht sein, Thomas. Das Geldsäckchen
wird reich gefüllt sein. Sollte ich das Gestüt übernehmen, erhältst
du außerdem ein prächtiges Ross.«
Fragend zog
Königsdorfer eine Augenbraue in die Höhe. »Warum so großzügig? Da
steckt doch mehr dahinter.«
Von Baßys
Gesichtsausdruck verfinsterte sich. »Weil ich besonders diese eine
Frau dort drüben im Hexenturm sehen will!«
Königsdorfer blickte
seinen Freund nachdenklich an. »Wieso solltest du das Gestüt
erhalten? Die alte Rehmringer lebt schließlich noch.«
Von Baßy nahm einen
Schluck Würzwein. »Durch die Verhaftung der jungen Frau wird die
Alte eingeschüchtert werden. Niemand wird sie dann umsorgen, hegen
und pflegen. Ich werde ihr zeigen, dass ihr Schicksal in meiner
Hand liegt. Und wenn sie nicht das macht, was ich will, werden die
anderen ebenfalls in den Hexenturm gesperrt. Einer nach dem
anderen, bis die Alte unterschreibt.«
»Warum ist es dir so
wichtig, das Gestüt ausgerechnet jetzt zu bekommen?«, fragte
Königsdorfer verständnislos. »Irgendwann erbst du es
sowieso.«
»Ich werde das
Gestüt meinem Sohn Philipp überschreiben. Es soll für den
Schultheiß von Dillingen ein Anreiz sein, seine Tochter mit meinem
Sohn zu vermählen.«
»Normalerweise
bringt doch die Braut die Mitgift mit«, höhnte Königsdorfer. Von
Baßy nickte. »Das tut sie auch, denn die Tochter des Schultheiß
wird eines Tages ein riesiges Waldgebiet besitzen. Und so wäre sie
eine achtbare Partie für meinen Phillip, doch es gibt mehrere
Bewerber. Deshalb muss mein Sohn etwas vorzuweisen haben, und dafür
wäre das Gestüt mehr als gut geeignet.«
Ja, denn ohne das
Gestüt würde dein Sohn nicht einmal vom Schultheiß angehört werden.
Selten habe ich solch einen Trottel gesehen wie Phillip von Baßy!,
dachte Thomas Königsdorfer und grinste in sich hinein.
»Wann wirst du die
Frau festnehmen?«, fragte von Baßy fordernd.
»Wann soll die
Hochzeit sein?«
»Die Mutter der
Braut wünscht, dass die Vermählung einen Tag vor dem nächsten
Weihnachtsfest stattfinden soll. Irgendeine rührselige Laune hat
sie wohl dazu veranlasst.«
»Das ist gut, dann
haben wir noch etwas Zeit. In den nächsten Wochen muss ich mich
zurückhalten. Es sollen bereits Beschwerden gegen mich vorliegen,
dass ich zu viele Verhaftungen vornehme. Lass uns bis zum Sommer
warten, dann können wir sicher sein, dass es genauso kommen wird,
wie du möchtest. Bis dahin verhalte dich ruhig, damit niemand
Verdacht schöpft.«
Johann von Baßy
spürte, wie sein Blut durch den Körper raste. Hitze kroch in ihm
hoch, so dass er den noch warmen Wein beiseitestellte.
»Ich hoffe, ich kann
mich auf dich verlassen, Thomas«, grollte er, ohne sich Mühe zu
geben, seine Zweifel zu verbergen.
Königsdorfer
funkelte ihn böse an. »Beleidige mich nicht, denn schließlich stehe
ich immer zu meinem Wort. Du brauchst nur die Hexen zu
fragen!«