Kapitel 9
Barnabas und
Servatius standen am Ufer des Mains und beobachteten, wie in Höhe
des Weinmarkts mehrere kleine Boote entladen wurden. Neugierig
schaute Barnabas den Hafenarbeitern zu, die Fässer auf Planken von
den Booten zu den einzelnen Lagerhallen rollten. Die Hände auf dem
Rücken verschränkt verfolgte er mit den Augen die kostbare Fracht.
Servatius stand gelangweilt neben ihm.
»Da läuft einem das
Wasser im Mund zusammen! Hier ein edler Topfen aus Spanien und da
einer aus Übersee«, schmatzte der Magier und zeigte auf einzelne
Fässer, in deren Holz fremd aussehende Schriften eingebrannt
waren.
Servatius
interessierte sich nicht für den kostbaren Wein. Sein Blick
schweifte hinüber zu der Brücke, die über den Main nach
Sachsenhausen führte. Schon seit Tagen versuchte er Barnabas zu
überzeugen, dass sie sich eine Unterkunft in diesem Viertel suchen
sollten, da dort angeblich reiche Leute lebten. In die bescheidene
Herberge am Hafen, in der sie ein kleines Zimmer gemietet hatten,
verirrten sich nur einfache Arbeiter und Huren, um sich von
Barnabas behandeln zu lassen. Viel Geld konnten sie auf diese Weise
nicht verdienen.
Servatius war
entschlossen, nicht weiter umherzuziehen, sondern in Frankfurt zu
bleiben. Seinen ursprünglichen Plan, Burghard zu finden, hatte er
in dem Augenblick aufgegeben, als er die vielen Menschen sah, die
in einer Stadt lebten. Es erschien ihm hier unmöglich, jemals
wieder auf den jungen Franziskaner zu treffen. Hasserfüllt wünschte
er sich leise: »Ich hoffe, dass er irgendwo in einer Ecke verrotten
wird.«
Servatius war sich
sicher, dass er in dieser Stadt eine Zukunft haben würde, zumal er
glaubte, hier unentdeckt seine Bedürfnisse ausleben zu können. Bei
diesem Gedanken lächelte er und versuchte erneut seinen Begleiter
umzustimmen. Doch wie die Tage zuvor antwortete der Magier nicht
und tat stattdessen, als würde er seine Worte nicht
hören.
Barnabas beachtete
Servatius nicht weiter und blendete sein Geschwätz aus. Schon seit
Tagen bedrängte ihn der Franziskaner, in der Stadt sesshaft zu
werden, was für ihn nicht in Frage kam. Mit unnachgiebigem Blick
schaute der Magier zu der Brücke, wo ein stetiger Menschenstrom
zwischen Frankfurt und Sachsenhausen hin und her pilgerte. So viele
Menschen und so viele Kranke, die ich heilen könnte. Aber was nützt
es? Hier werde ich keinen Nachfolger für mich finden, dachte
Barnabas erschöpft und fuhr sich mit beiden Händen durch das
silbrige Haar. Ungewollt drangen Servatius’ Worte zu ihm
durch.
»Warum sträubst du
dich? Die Stadt lebt! Sie pulsiert! Kannst du ihren Herzschlag
nicht spüren?«
Barnabas wandte sich
dem Mönch zu und schnaubte: »Ich spüre nur die Rastlosigkeit in
dieser Stadt. Die Menschen hetzen ruhelos hin und her. Ihr
unerträglicher Gestank verpestet die Luft, die ich einatmen muss.
Auch höre ich nur den Lärm der Stadt, keinen gleichmäßigen, ruhigen
Herzschlag.«
Eine tiefe Falte war
zwischen Servatius’ Augenbrauen zu sehen, als er aufgebracht
erwiderte: »Du siehst wieder mal nur das Schlechte, Barnabas! Aber
in der Stadt spielt das Leben, und nur in der Stadt können wir Geld
verdienen. Was willst du tun, alter Mann? Deine Tage sind gezählt.
Begreife doch, dass wir nur hier sesshaft werden
können.«
In diesem Augenblick
schnellte der sehnige Arm des Magiers nach vorn, und seine langen
dürren Finger umklammerten den Hals des Mönchs. Scheinbar mühelos
drückten sie Servatius’ Kehle zusammen. Der Franziskaner versuchte
sich zu befreien, doch Barnabas war stärker. Erst als sich das
Gesicht des Mönchs verfärbte, lockerte der Magier den Griff, ließ
ihn los und stieß ihn von sich.
Servatius taumelte
und fasste sich röchelnd und hustend an den Hals. Er versuchte
Barnabas anzuschreien, doch es kam nur ein heiseres Flüstern aus
seiner Kehle.
Die schwarzen Augen
des Magiers blickten Servatius boshaft an. »Denkst du törichter
Wicht wirklich, dass ich nicht weiß, warum du in der Stadt bleiben
willst? Ich kenne deine krankhafte Neigung und habe dich
beobachtet! Wage nie wieder, mich zu beleidigen oder anzugreifen.
Du kannst gegen mich nicht gewinnen. Ich werde weiterziehen, doch
dir steht es frei zu bleiben!« Sprachlos blickte Servatius den
Magier an und rieb sich den Hals, an dem sich die Fingerabdrücke
dunkel abzeichneten.
Barnabas ließ den
Mönch stehen und ging von dannen. Als er einige Schritte entfernt
war, rieb er sich über den Arm, in dem der Krampf langsam nachließ.
Auch krümmte und streckte er immer wieder die Finger der Hand, die
die Kehle des Franziskaners umklammert hatte. Seine Gelenke
schmerzten, und Barnabas wusste auch, warum. In den letzten Tagen
hatte er es versäumt, seinen Sud zu trinken, den er aus
Brennnesselblättern herstellte. Ich muss mehr auf meine Gesundheit
achten, dachte er.
Als er hinter sich
Schritte hörte, richtete er sich gerade auf und versuchte
leichtfüßig zu gehen. Nichts sollte dem Mönch Barnabas’ körperliche
Gebrechen verraten.
Servatius wird die
nächste Zeit folgsam und keine Gefahr für mich sein!, dachte
Barnabas. Doch ich muss dringend jemanden finden, dem ich mein
Wissen weitergeben kann. Schon morgen werden wir die Stadt
verlassen.
Der Magier war sich
sicher, dass Servatius ihn begleiten würde.
Als Barnabas darüber
nachdachte, wohin die weitere Reise gehen sollte, erinnerte er sich
daran, dass er vor vielen Jahren über die »Elisabethenstraße«
marschiert war, die quer durch das Reich führte.
»Wir könnten von
Frankfurt nach Marburg gehen und dort zum Grab der heiligen
Elisabeth wallfahren«, schlug er versöhnlich vor.
Servatius hatte sich
von dem Schreck tags zuvor noch nicht erholt und wagte es kaum,
Barnabas in die Augen zu blicken. »Was interessieren mich die
Gebeine der Elisabeth?«, murrte er heiser. »Ich bin nicht
Katharina, die dem Leben der Heiligen nacheifert.«
»Katharina!«,
flüsterte Barnabas. Seit Wochen hatte er nicht mehr an das Mädchen
gedacht. Was wohl aus ihr geworden ist? Ob sie noch mit Burghard
unterwegs ist?, fragte er sich in Gedanken. Barnabas hatte das
Mädchen mit den dicken blonden Zöpfen gemocht. Nicht nur ihr
Liebreiz war erfrischend gewesen, auch ihr starker Wille hatte
großen Eindruck auf ihn gemacht. Als sich die Gelegenheit bot,
hatte Katharina sich gegen ihre Eltern gestellt und ihr Schicksal
selbst entschieden. »Sind wirklich erst wenige Monate vergangen,
seit das Mädchen Hand in Hand mit Burghard im Wald auf dem
Hülfensberg verschwand?«, sinnierte der Magier. Ungläubig
schüttelte er den Kopf und lachte leise in sich hinein. »Welch
beherzte junge Frau sie doch ist!«
In den Erinnerungen
des Magiers tauchte die farblose Gestalt Ottos auf, des Ehemanns
von Katharinas verstorbener Schwester, den sie auf Geheiß der
Eltern hatte heiraten sollen. Er hätte ihr sicherlich untersagt, im
Sinne der heiligen Elisabeth Gutes zu tun, grübelte Barnabas. Bei
dem Gedanken an Katharina nagte das schlechte Gewissen an ihm.
Schließlich hatten die Jacobis ihm die Verantwortung für ihre
Tochter übertragen. Er sollte sie wohlbehalten von der Wallfahrt
auf den Hülfensberg nach Hause zurückbringen, doch stattdessen war
das Mädchen verschwunden, ohne dass Barnabas es verhindern konnte.
Damals hatte er es als seine Pflicht angesehen, nach der jungen
Frau zu suchen, befürchtete er doch, dass die Eltern die Miliz nach
ihm schicken würden, sobald sie von dem Verschwinden ihrer Tochter
erführen. Je eher er das Mädchen nach Heiligenstadt zurückbrachte,
desto weniger Scherereien würde er zu erwarten haben. So hatte sich
Barnabas mit Servatius auf die Suche begeben. Ihnen war rasch klar
gewesen, dass Katharina und Burghard das Eichsfeld und somit
Thüringen in Richtung Hessenland verlassen würden. Da der Fluss
Werra als natürliche Grenze zwischen beiden Ländern verlief,
konnten sie aber nur mit einem Boot auf die andere Seite kommen –
dessen war sich Barnabas sicher. So durchsuchte er mit Servatius
jeden einzelnen Ort an der Werra, und stets hoffte der Magier, die
Flüchtigen noch rechtzeitig zu finden. Als ihn im Städtchen
Wanfried das Gefühl beschlich, beobachtet zu werden, glaubte er,
dass Katharina in der Nähe war. Immer wieder hatte er den Blick
über die Menschenmengen schweifen lassen, die sich durch das
Stadttor drängten, er hatte sie aber nicht entdecken können. Und
doch war ihm, als könne er ihre Anwesenheit spüren.
Bis in den Ort
Eschwege, der ebenfalls am Fluss lag, waren sie gereist. Als dort
Hexenprozesse stattfinden sollten, baten die Stadtväter Barnabas um
Hilfe. Da, wie die Leute glaubten, nur ein Magier fähig wäre, den
Schadenszauber aufzulösen, den Hexen über Mensch und Tier verhängt
hatten, konnte er dem Rat seine Hilfe nicht verwehren und musste
einige Tage in Eschwege verweilen. So verlor Barnabas die Spur von
Katharina und Burghard, und es blieb ihm nicht anderes übrig, als
in einem Brief Katharinas Eltern die Wahrheit mitzuteilen. Ihnen
persönlich alles zu erklären, dazu war er nicht imstande gewesen,
zumal er befürchten musste, dass sie ihn zur Rechenschaft ziehen
würden. Aus dieser Angst heraus hatte er mit Servatius ebenfalls
das Eichsfeld verlassen und zog seitdem durch Nassau.
Barnabas seufzte.
Wir müssen weiter, dachte er und richtete sich von der Bank auf,
auf der er eine kurze Rast im Schatten einiger Bäume am Ufer des
Mains eingelegt hatte. Doch zuvor wollte er sich noch stärken.
»Komm, Servatius!«, lockte er den Mönch. »Ich lade dich zu einer
Vesper und einem Schoppen Äppelwein ein.«
Zurück in ihrer
kleinen Kammer am Hafen, begann der Magier seine Utensilien
sorgfältig zu ordnen. Er legte den Boden seines Tragekorbs mit
Leinenbeuteln aus, in denen sich verschiedene Kräuter befanden.
Tiegel mit Salben und Glasfläschchen mit unterschiedlichen
Flüssigkeiten schichtete er darüber. Dazwischen stopfte er
Kräutersäckchen, um das Glas vor Bruch zu schützen. Zum Schluss
legte Barnabas das Buch, in dem er sein Wissen über die Brauchkunst
und das Heilen niedergeschrieben hatte, obenauf. Der dunkle
Ledereinband war abgegriffen und speckig, was davon zeugte, dass
der Magier das Buch oft in Händen hielt. Als alles verstaut war,
schulterte er den Korb und nahm seinen Wanderstab auf.
Auch Servatius
hängte sich seinen Korb über die Schulter. In ihm befanden sich die
wenigen Habseligkeiten der beiden ungleichen Gefährten sowie ein
kleiner Kochtopf, einige Schüsseln und für jeden ein Löffel und ein
Messer. Barnabas reichte ihm seinen Beutel mit Wegzehrung und einen
Wasserschlauch.
»Komm, Servatius,
wir wollen weiterziehen! Wenn du nicht nach Marburg gehen willst,
dann werden wir in eine andere Richtung marschieren
müssen.«
Als sie im Westen
über den Stadtgraben gingen und das Galgentor durchschritten,
fragte Barnabas den Torwächter: »Sag, guter Mann, wenn ich mich
nach rechts wende, wohin gelange ich dann?«
»Marburg!«,
antwortete der Angesprochene wortkarg.
»Und nach links?«,
wollte Barnabas wissen.
»Darmstadt!«
Der Magier zeigte
wortlos mit seinem Stock nach vorn und blickte den Mann, der sich
gelangweilt auf einen Speer stützte, auffordernd an.
»Wiesbaden!«
Nun bedankte sich
Barnabas freundlich mit einem Kopfnicken und gab Servatius Zeichen,
ihm zu folgen. Der Torwächter rief ihnen nach: »Geht ihr an der
Weggablung nach links, kommt ihr nach Mainz!«
Barnabas hob dankend
die Hand.
»Mainz? Kamst du
einst nicht aus dem Kloster zu Mainz?«, fragte er Servatius. Der
Mönch nickte.
»Möchtest du dorthin
zurückkehren?«
Der Mönch blickte
finster drein, und Zorn blitzte in seinen Augen auf, als er mit
krächzender Stimme den Magier anfuhr: »Der Weg nach Mainz ist mir
versperrt! Nie wieder werde ich dorthin zurückkehren können. Und
alles nur, weil dieser unsägliche Burghard verschwunden
ist.«
»Sag deinen
Ordensbrüdern einfach, dass Burghard allein unterwegs ist. Wer will
dir das Gegenteil beweisen?«
»Bruder Kuno wird im
selben Augenblick wissen, dass es eine Lüge ist, kaum dass ich sie
ausgesprochen habe.«
Fragend zog Barnabas
eine Augenbraue in die Höhe.
»Burghard war der
Lieblingsschüler Bruder Kunos, so wie eigentlich aller Brüder im
Kloster«, giftete Servatius. »Weil er seine Eltern besuchen wollte,
musste ich das Kloster verlassen und mit ihm gehen. Bruder Kuno,
Bruder Paschalis und Bruder Ruppert haben ihn mir anvertraut.
Niemals würden sie glauben, dass Burghard allein weiterziehen
würde, ohne sich von ihnen die Erlaubnis zu holen.«
»Dann hast du in
zweierlei Hinsicht versagt!«, schlussfolgerte Barnabas. »Katharina
und Burghard sind dir
fortgelaufen!«
»Wieso mir? Du hast
den Eltern versprochen, dich um das Mädchen zu
kümmern.«
»Ja, nachdem du den
Eltern angeboten hast, Katharina zu begleiten und sie zu
beschützen. Erinnere dich an deine Worte!« Spöttisch lächelte der
Magier den Franziskanermönch an, der nichts zu entgegnen wusste.
Als Servatius stumm blieb, bestimmte Barnabas: »Wir werden nach
Mainz ziehen.« Erschrocken sah Servatius auf. »Keine Angst, wir
werden nur an Mainz vorbeiziehen und dann der Straße nach Bingen
folgen. Von dort können wir nach Kreuznach wandern.«
»Du scheinst genau
zu wissen, wohin uns unser Weg führen soll«, unterbrach Servatius
ihn. Barnabas nickte. »Es wird Zeit, wieder die Heimat
aufzusuchen!«
Die Reise der beiden
Männer verlief ohne besondere Vorkommnisse. Nur hier und da
begegnete ihnen ein Wanderer oder ein Fuhrwerk. Auch das Wetter
meinte es gut mit ihnen. Es war trocken, und die Sonne schickte
ihre letzten wärmenden Strahlen auf die Erde. Manchmal hörte man
noch einen Vogel zwitschern. Alles war ruhig und friedlich, bis
Servatius’ Stimme die Stille durchbrach und er seinen Weggefährten
ungestüm fragte: »Woher stammst du?«, »Und warum bist du
fortgegangen?«, »Wann war das?«, »Ist es noch weit?« Unablässig
wiederholte der Mönch seine Fragen, während Barnabas stumm den
staubigen Weg entlangschritt und dabei den Kopf gesenkt hielt. Stur
schaute er weder nach rechts noch nach links und erst recht nicht
in Richtung des Mönchs. Als Servatius sich beklagte, dass Barnabas
ihm kaum Beachtung schenkte, blieb der Magier stehen und hob den
Blick.
»Ich wüsste nicht,
was ich dir zu erklären habe«, sagte er und sah Servatius dabei
kalt an. Bevor der Mönch etwas erwidern konnte, setzte der Magier
seinen Weg fort. Hastig folgte ihm der Franziskaner und schimpfte:
»Warum machst du so ein Geheimnis daraus? Du weißt über mich mehr
als ich über dich!«
Erneut blieb
Barnabas stehen und sagte spöttisch: »Was ich von dir weiß, würde
ich liebend gern nicht wissen!«
Servatius begriff
sofort, worauf der Magier anspielte, und schwieg
fortan.
Als sie am Abend des
zweiten Tages Mainz vor sich liegen sahen, beschleunigte Servatius
seinen Schritt. Barnabas sagte nichts, obwohl er ihm nur mühsam
folgen konnte. Erst als die Stadt hinter ihnen lag, wurde der Gang
des Mönchs wieder langsamer. Erschöpft schlug Barnabas vor: »Lass
uns einen Lagerplatz suchen. Es ist bereits spät, und ich bin
hungrig und durstig!« Niemals hätte er zugegeben, dass seine Knie
schmerzten und sein Herz von der Anstrengung raste.
In einem Waldstück
fanden sie vor einem umgestürzten Baum einen geschützten Platz für
die Nacht. Unaufgefordert suchte Servatius trockenes Holz, um ein
Feuer zu entfachen. Währenddessen setzte sich Barnabas auf den
Baumstamm und durchsuchte seine Tiegel nach einer bestimmten Paste.
»Wolfsgelegena«, murmelte er leise vor sich hin. Er öffnete jedes
Gefäß und schnupperte daran, bis er die richtige Salbe gefunden
hatte. Mit den Spitzen von Zeige- und Mittelfinger nahm er von dem
cremigen Balsam, der aus dem Öl der gelblichen Arnikablüte und
Bienenwachs hergestellt wurde. Sorgsam rieb er seine schmerzenden
Knie damit ein und verband sie mit einem Leinenschal. Erneut nahm
er von der Paste, doch dieses Mal nur eine erbsengroße Menge und
verrieb sie über seine Finger. Dabei verzog er leicht das
Gesicht.
Servatius kam mit
einem Bündel dürrer Äste auf dem Arm zurück und fragte: »Geht es
dir nicht gut?«
»Was kümmert es
dich?«, brummte Barnabas und strich sich über die kleinen
Verdickungen seiner Fingergelenke.
»Ich werde Wasser
erhitzen und einen Kräutersud aus Birken-und Brennnesselblättern
aufbrühen. Er hilft gegen den Gichtschmerz.« Erstaunt blickte der
Magier auf. Servatius’ Gesicht verriet keinen seiner Gedanken, und
Barnabas konnte nichts Hinterhältiges in seiner Mimik erkennen.
Trotzdem beobachtete er den Mönch argwöhnisch, denn seine
Hilfsbereitschaft war ungewohnt.
Der Franziskaner
tat, als bemerke er Barnabas’ Blick nicht. Er riss frische Äste von
den Tannen ab und bedeckte damit breitflächig den Boden vor dem
Baumstamm. Nachdem er trockenes Laub darübergestreut hatte,
forderte er den Magier auf: »Leg dich hier auf das gepolsterte
Lager. Das wird deinen Knochen guttun.«
Barnabas setzte sich
und lehnte sich entspannt gegen den Stamm. Erneut musterte er den
Mönch. Als er auf dem Gesicht des Mönchs einen freundlichen
Ausdruck entdeckte, fragte er: »Was führst du im Schilde? Willst
mich wohl im Schlaf ausrauben oder gar umbringen!«
Servatius lachte
laut auf. »Warum sollte ich mir dann die Mühe machen und dir ein
Lager herrichten? Dich ausrauben und umbringen kann ich auch, wenn
du auf dem nackten Boden schläfst.«
Mehr sagte der
Franziskaner nicht, sondern entfachte mit Zunderschwamm und
Feuerstein das trockene Holz. Dann suchte er zwei Steine und legte
sie rechts und links neben das Feuer. Auf die Steine stellte er
einen Topf, so dass die Flammen den Topfboden berührten, und goss
aus dem mitgeführten Schlauch Wasser hinein. Barnabas hatte in der
Zwischenzeit die Beutel mit Brennnessel und Birkenblättern in
seinem Korb gefunden. Er nahm eine kleine Menge und füllte die
trockenen Blätter in ein Leinensäckchen, das er in das kochende
Wasser hängte. Schon bald verfärbte sich das Wasser bräunlich.
Nachdem der Sud lange genug gezogen hatte, goss Servatius ihn in
eine Schüssel und reichte sie Barnabas. Schlürfend trank der Magier
kleine Schlucke.
»Ah, das tut gut«,
freute er sich. Nachdem sie Blutwurst und Brot gegessen hatten,
sagte Servatius plötzlich: »Ich will das Brauchen
lernen!«
Sein freundlicher
Blick war verschwunden, stattdessen waren seine Gesichtszüge hart
geworden. Barnabas presste seine Lippen zusammen. »Ich dachte mir
schon, dass du nichts umsonst tust!«
Servatius verzog den
Mund zu einem spöttischen Lächeln. »Warum sträubst du dich? Sei
froh, dass dein Wissen nicht verloren gegangen ist, wenn du vor
unserem Schöpfer stehst.«
»Nur, weil ich Gicht
habe, heißt das nicht, dass ich sterben werde.«
»Nicht an Gicht –
das stimmt wohl! Aber wie ich bereits sagte, deine Tage sind
gezählt. Deine Ader am Hals schwillt dick an, sobald dein Blut in
Wallung gerät. Schweißperlen bedecken deine Stirn, wenn du dich
schnell bewegst. Ich bin nicht blind, Barnabas!«
»Ich verstehe nicht,
was du mir sagen willst, Servatius. Ich bin nicht mehr der Jüngste,
das ist wohl wahr, aber ich bin noch lange nicht bereit, diese Welt
zu verlassen.«
Beide blickten sich
übellaunig an. Plötzlich verzog sich das Gesicht des Jüngeren. Er
sah aus wie ein Kind, dem man sein Spielzeug weggenommen hatte.
Trotzig stülpte er die Unterlippe vor.
»Ich weiß, dass du
es vorgezogen hättest, Burghard zu deinem Nachfolger zu machen.
Aber weshalb kann ich es nicht werden – jetzt, wo er fort
ist?«
»Servatius, du bist
in der Kräuterkunde bewandert, hast sie im Kloster gelernt. Somit
kannst du helfen und heilen. Das Brauchtum ist besonders und den
Magiern vorbehalten. Nur uns Zauberern ist es gestattet, das
Brauchen einzusetzen.« Zornig sprang der Mönch auf, baute sich vor
Barnabas auf und blickte auf ihn herab.
Das ist keine gute
Ausgangslage für mich, dachte der Magier in dem Wissen, dass er
nicht schnell genug auf die Beine kommen würde, sollte Servatius
auf ihn losgehen.
»Du lügst! Brauchen
kann jeder! Ich bin nicht dumm, alter Mann, ich weiß, dass es
verschiedene Brauchtümer gibt, selbst die Kirche hat ihre eigenen.
Aber die interessieren mich nicht! Ich will die der Zauberer
lernen!«
»Warum?«
Servatius schwieg.
Sein Blick, mit dem er den Magier von oben herab bedachte, sagte
mehr als jedes Wort.
»Macht!«, flüsterte
Barnabas. »Du denkst, als Zauberer hast du Macht über die
Menschen!«
Servatius kam näher,
kniete sich auf einem Bein vor Barnabas hin und sah ihm fest in die
Augen. Sein Gesicht kam so dicht, dass der Magier jeden Pickel,
jede Pore erkennen konnte. Als ihm der faulige Atem ins Gesicht
schlug, musste er sich beherrschen, um nicht den Kopf
abzuwenden.
»Bringst du mir das
Brauchen bei?«, fragte Servatius mit erregter Stimme.
»Nie und nimmer«,
flüsterte Barnabas. »Eher bringe ich dich um!«
Servatius holte aus,
um auf ihn einzuschlagen, doch Barnabas hatte damit gerechnet und
hob im selben Augenblick seinen Wanderstab in die Höhe. Noch bevor
ihn Servatius’ Faust treffen konnte, schlug er dem Mönch das
dickere Ende des harten Holzstabs gegen die Schläfe. Geräuschlos
sackte dieser in sich zusammen und bewegte sich nicht mehr. Mühsam
erhob sich Barnabas von seinem Lager.
Der Magier saß am
Feuer, trank Sud und starrte in die Flammen, als Servatius wieder
zu sich kam. Ohne ihn anzusehen, sprach Barnabas: »Ich werde dich
die Brauchkunst nicht lehren, merk dir das.«
»Warum nicht?«,
schrie Servatius und hielt sich den Kopf, in dem der Schmerz
pochte.
»Weil du sie gegen
Menschen verwenden würdest!«