ACHTZEHN

Zwei Tage später saß Jestak im Empfangszimmer des Gouverneurs von Baligan. Die beiden jungen Coo hatten die für sie aufgestellten Stühle beiseitegescho-ben und hockten rechts und links neben ihm. Sie blieben völlig reglos, trotz der Fliegen, die über die nackte Haut ihrer Arme und Oberkörper krochen.

Gelegentlich tauschten sie rhythmische Zungen-schnalzlaute. Jestak konnte sich nicht darüber klar-werden, ob es sich dabei um ein Spiel oder um eine raffinierte Verständigungsmethode handelte, aber die geheimnisvolle Originalität dieser Laute schien den Coo zuzusagen.

Wie Jestak schon vermutet hatte, ließ man sie lange warten. Er hatte mehrmals seine Papiere durchgese-hen, die Parkettquadrate auf dem Fußboden gezählt und versucht, ein mathematisches Shumai-Solitär zu spielen, merkte aber, daß er sich nicht konzentrieren konnte.

Plötzlich glitt eine Tür auf, und zwei Männer in grauen Uniformen mit engen Hosen traten steif herein und stellten sich zu beiden Seiten der Öffnung auf. Jestak erhob sich. Die beiden Coo regten sich nicht, schnalzten sich aber bedächtig zu.

Ein beleibter Mann trat mit steifen Schritten ein. Er hatte einen kahlen, glänzenden Schädel, aber seine Glatze säumte ein grauer Haarkranz, der mit seinen schweren, wild wuchernden Augenbrauen einen vollständigen Ring um den Kopf zu bilden schien.

Auch dieser Mann trug eine schlichte, graue Uniform, die großzügiger geschnitten war als die seiner Adjutanten. Ein einzelner schwarzer Paspelzopf krönte seine Schultern.

»Gouverneur Entat«, verkündete einer der Adjutanten mit lauter Stimme.

Der Gouverneur winkte wohlwollend mit der Hand und sagte mit sonderbar gedämpfter Stimme: »Du bist also ... Jestak ... der Pelbar? Und das sind deine ... Gefährten, die ... Coo. Ihr wollt mit mir sprechen? Ich versichere euch, es gibt nicht viel zu sagen.

Unsere Verträge stehen fest. Unsere Loyalität ist un-verbrüchlich. Ich habe über euer Dokument nachgedacht. Ich sehe keinen Bedarf dafür. Da ihr jedoch von so weit hergekommen seid, bin ich bereit, ... hm ... mir anzuhören, was ihr zu sagen habt.«

»Ich bin in der Tat Jestak«, sagte der Pelbar und trat vor, »und komme aus der fernen Stadt Nordwall am Heart, um mit dir zu sprechen. Und das sind Xarn und Xord, junge Diplomaten eurer Nachbarn, der Coo.

Ich hatte ein wenig Gelegenheit, mich in Begleitung von Unterführer Kensing, der uns von Major Zimon zugewiesen wurde, in eurer Stadt umzusehen, und ich muß euch wegen ihrer Ordnung und ihres Unter-nehmungsgeistes wie auch wegen ihrer schönen Lage und wegen des Hafens meine Bewunderung ausspre-chen. Ich lebe, wie du vielleicht weißt, an einem gro-

ßen Fluß, weit im Landesinneren, einem Fluß, der viel größer ist als der Cwanto, der jetzt unsere Grenze bildet und in euren Hafen mündet. Aber ich war schon vor vielen Jahren am Östlichen Ozean, sogar auf den Inseln im Osten, wo ich eine Zeitlang gelebt habe. Es ist schön, das große Salzwasser wiederzusehen. Ich möchte dir auch danken für die Unterkunft, die du uns zur Verfügung gestellt hast, und für die Versorgung meines Pferdes.«

»Ein merkwürdiges Tier. Soviel ich gehört habe, ist schon die Hälfte der Kinder in der Stadt darauf geritten«, sagte Entat ein wenig schmunzelnd.

»Einige davon. Es ist ein sanftes Tier, und sie wollten es offenbar gerne. Ich konnte nichts dabei finden.«

»Tja, sie fanden es ... ah ... offenbar lustig.«

»Aber zu dem Punkt, den du zu Anfang angesprochen hast, Gouverneur. Wir verstehen natürlich, daß ihr langjährige Bündnisse habt, die ihr nicht brechen wollt, und daß eine Bedrohung dieser Bündnisse bei euren Her ... ah ... bei euren Verbündeten, den Innanigani, nicht gut aufgenommen würde. Ich weiß, daß du mit dem Grenzproblem, das zwischen der Föderation und den Innanigani entstanden ist, wohl vertraut bist, und auch ...«

»Aber du müßtest auch wissen, daß ein Streit mit den Innanigani auch ein Streit mit uns ist. Als ihr Innanigani-Soldaten getötet habt, habt ihr uns gegen-

über feindselig gehandelt. Wir stimmen unsere Handlungen immer miteinander ab.«

»Ich verstehe, Gouverneur«, sagte Jestak und überlegte mit leicht gerunzelter Stirn. »Vielleicht irre ich mich, aber ich war der Ansicht, ihr hättet einen Verteidigungspakt mit den Innanigani, eure Regierung sei selbständig und du seist ihr höchster Vertreter.

Verzeih mir die Frage, Gouverneur, aber haben denn die Innanigani deine Einsetzung genehmigt? Ich dachte, nach dem, was Major ...«

»Impertinenz ist nicht angebracht. Wir haben hier ein System freier Wahlen und stehen nicht unter dem Befehl der Innanigani, aber wir arbeiten zusammen, wenn es um das Verhalten gegenüber anderen ... ah ...

Gruppen geht.«

»Man hat dich jedoch, wie ich annehme, nicht um dein Einverständnis in der Grenzfrage gebeten.«

Entat antwortete nicht, sondern starrte nachdenklich auf eine Stelle an der gegenüberliegenden Wand, nahe der Decke.

»Ich möchte nicht unverschämt sein, Gouverneur«, fuhr Jestak fort, »und es tut mir leid, wenn ich Anstoß errege. Aber letzten Herbst sind die Innanigani tief in Peshtak-Territorium eingedrungen, haben Dörfer verbrannt, die dort viele, viele Jahre unberührt gestanden hatten, und in zwei Fällen alle Bewohner aufgehängt, die ihnen in die Hände fielen. War das auch eine Tat und ein Wunsch der Baligani, oder war es nur Sache der Innanigani? Ich dachte nicht, daß sie sich mit euch abgesprochen hätten.«

Der Gouverneur seufzte, gab einem Adjutanten einen Wink und sagte zu Jestak: »Setz dich bitte! Wenn unser Gespräch schon länger dauern soll, dann können wir es uns auch bequem machen.«

Der Adjutant brachte einen Brokatsessel für den Gouverneur, und der setzte sich. »Die Innanigani haben sich nicht mit uns abgesprochen. Das war auch nicht nötig. Es ist seit langem üblich, daß jeder von uns das Recht hat, sein Territorium gegen Übergriffe aus dem Westen zu verteidigen. Wenn sie es für notwendig erachteten, ihre Verteidigung durch diese ...

diese Aktion nach Westen hin fortzusetzen, dann war das eine militärische Entscheidung und ergab sich aus ihrer gegenwärtigen Strategie, die darin besteht, die Peshtak so weit zurückzudrängen, daß ihre bös-artigen Überfälle nicht mehr so gut möglich sind.«

»Wenn du mir eine Bemerkung gestattest, Gouverneur, so willst du offenbar, wie die radikalsten unter den Innanigani, sagen, daß Westländer keinerlei Rechte haben. Wenn sie euch überfallen, ist das bösartig, und wenn ihr sie überfallt, dann ist es Verteidigung.«

Entat verzog schmollend den Mund. »Nein. Wir überfallen niemanden. Unserer Erfahrung nach haben deine ... ah ... Gefährten bisher allein die Überfälle gemacht. Es kostet uns einen Teil unserer Wirt-schaftskraft, uns zu verteidigen.«

Xord hob die Hand und sagte mit tiefer, schlep-pender Stimme: »Da ist doch die Sache mit der Verbrennung von Coron.«

»Das war bedauerlich, aber das haben Privatbürger getan, nicht die Regierung. Sie reagierten auf den Diebstahl von fünf Booten.«

»Die wir nicht genommen hatten«, stellte Xord klar.

»Das war zu dieser Zeit nicht bekannt. Es paßte in das alte Muster von Schikanen.«

»Ich hoffe zuversichtlich«, sagte Jestak, »daß das jetzt ein Ende haben wird, und daß durch Verhand-lungen weitere Probleme beigelegt werden. Sowohl die Peshtak wie die Coo sind der Ansicht, sie seien systematisch ausgebeutet und betrogen worden, und die Haltung des Ostens sei allgemein die, daß alles, was im Westen liegt, dem Osten gehört, sobald er sich dazu entschließt, es sich zu nehmen. Die Föderation hält das nicht für vernünftig.

Aber zur Sache, Gouverneur. Unser gegenwärtiger Wunsch entspringt, wie auch unser Dokument sagt, der Angst, daß unser territoriales Zugeständnis un-geachtet der Zustimmung der Innanigani von ihnen nicht honoriert werden könnte.«

»Du hältst sie also nicht für ehrenhaft?« fragte Entat, die gewaltigen Augenbrauen hochgezogen.

»Einige von ihnen schon, Gouverneur. Andere ...

insbesondere Repräsentant Borund vermittelte, als wir ihn gefangennahmen, den Eindruck, daß wir keinerlei legitime Rechte hätten. In dem Abkommen, das wir getroffen haben, verzichteten wir auf Land, um den Frieden zu wahren, und sie räumten die Vorstellung ein, daß wir überhaupt eine Grenze haben.

Aber wir sind nicht überzeugt, daß die Innanigani wirklich so denken. Wir ...«

»Du mußt dir darüber klar sein, daß ich dieses Gespräch in naher Zukunft dem Vertreter der Innanigani, Owayn, berichten werde.«

»Das hatten wir angenommen.«

»Und daß wir keinerlei Abkommen treffen werden, das nicht ihren Interessen entspricht.«

»Ich verstehe. Wir hatten nie gehofft, daß ihr den Vertrag mit ihnen außer Kraft setzen würdet. Wir machen uns um die Einhaltung unseres Grenzab-kommens Sorgen. Es ist für das Wachstum des Handels zwischen uns notwendig. Und das wäre für beide Seiten gewinnbringend.«

»Handel. Ja. Du hast davon gesprochen ...«

»Tuch, Häute, Felle, Kohle, Talg, Holz und Bau-holz, Mais, Kräuter und Wissen. Außerdem etwas Kupfer, Keramik, Töpferwaren, behauene Steine aus dem Westen ... die müßten natürlich über das Meer kommen. Mit Hilfe der Atherer.«

Der Gouverneur rieb sich die Augen. »Es wäre von äußerstem Interesse für uns, in Frieden Handel zu treiben«, sagte er. »Es freut mich, dich kennengelernt zu haben. Du mußt mir etwas Zeit lassen, um über diese Dinge nachzudenken. Könntest du vielleicht in drei Tagen wiederkommen? Am Vormittag?«

»Gerne«, sagte Jestak mit einer leichten Vernei-gung. »Wir ersehnen den Frieden genauso wie ihr.

Ganz offen gesagt, wenn die Innanigani wirklich in unser Territorium eindringen, dann sollte euch die Art eures Vertrages, der ja ein Verteidigungspakt ist, unserer Meinung nach nicht zum Eingreifen zwingen.

Wir meinen, wenn ihnen das klar ist, ist auch die Chance für den Frieden größer. Sie haben der Grenze am Cwanto zugestimmt, genau wie wir auch. Wir möchten, daß ihr Beobachter an die Grenze entsendet, und sind bereit, sie bei unseren Patrouillen mitlaufen oder -reiten zu lassen, wenn ihr damit einverstanden seid. Ein Kampf ist wirklich sinnlos, wenn du be-denkst, daß wir einst ein Volk waren – und daß soviel Platz für uns alle vorhanden ist.«

»Ein Volk? Ich habe schon gehört, daß du diese Theorie vertrittst.«

»Es gibt vieles, was sie stützt. Eigentlich alles, was ich gesehen habe.«

»Die Verschiedenheit der Kulturen spricht jedoch dagegen.«

»Zum Teil sicher. Die gemeinsame Sprache scheint sie zu stützen, Gouverneur. Aber lassen wir das. Wir werden in drei Tagen wiederkommen, wie du es wünschst. Inzwischen werde ich sicher weiterhin mit Genuß die Krabben kosten, die es in euren Gewässern so reichlich gibt.«

Der Gouverneur lächelte, neigte den Kopf und verließ mit schweren Schritten den Raum. Seine Adjutanten schoben die Türen zu und stellten sich davor.

Die Coo erhoben sich wie auf ein Zeichen gleichzeitig und erschreckten damit die Baligani. Auch Jestak neigte erst vor Entats verschwindendem Rücken, dann vor den Wachen den Kopf, machte dann auf dem Absatz kehrt und ging.

Am zweiten Abend seiner Wartezeit auf die Antwort des Gouverneurs schlenderte Jestak in Begleitung von Xord und Unterführer Kensing am Hafen entlang. Es herrschte Ebbe, und obwohl der Wasserstand des Cwanto noch nicht so niedrig war wie im Sommer, verriet der breite Schlammstreifen am Hafenufer, daß das Wasser durch den langen Kanal ins Meer hinaus zurückgewichen war.

»Es ist seit Jahrhunderten Brauch«, sagte Kensin, »daß jedes Schiff, das den Hafen verläßt, Steine nimmt und sie über die große Bucht im Süden der Stadt wirft. So haben wir den Hauptwasserstrom allmählich von den toten Gebieten im Süden durch den alten Kanal nach Osten abgelenkt. Jetzt müssen wir kaum noch ausbaggern. Nun erwachen die toten Gebiete im Süden offenbar wieder zum Leben. Sehr langsam. Aber die Leute fürchten sie ohnehin und meiden sie, bis auf die Krabbenfischer südlich des steinernen Damms.«

Jestak hörte kaum zu. Irgend etwas störte ihn. Flö-

tenmusik, die aus der Richtung eines Durcheinanders von am Ufer liegenden Hütten und Booten kam. Sie hörte sich so vertraut an.

»Was ist das?« fragte er.

»Was? Die Musik?«

»Wenn ich nicht genau wüßte ...«

Kensing schaute ihn verständnislos an, gerade als die Flöte aussetzte und dann wieder zu spielen anfing, eine Pelbar-Hymne, die Jestak gehört hatte, so lange er lebte. Er sang mit und suchte sich die Worte zusammen.

Ist auch der Fluß versiegt im Staube, Und sind die Pappeln alle tot.

Das Wasser, das uns Stütze bot, Strömt weiter, ihm gilt unser Glaube.

In diesen Strömen wurzelt er, In Avens nie versagender Kraft, wir ...

Jestak hielt inne und lauschte wieder. »Das kann nur ein Mensch sein«, sagte er, drehte sich um und lief, gefolgt von Kensing und Xord, das schlammige Ufer hinunter.

Er hockte im Schatten eines großen, umgedrehten Bootes, als sie darunterschauten. Ein ziemlich kleiner Mann kam gebückt heraus, die Flöte immer noch in der Hand, das Haar in Schüsselform geschnitten wie bei Jestak. Die beiden Männer umarmten sich förmlich, dann schauten sie sich an, ohne die Unterarme loszulassen.

»Unterführer Kensing, Xord, das ist Stel Westläufer aus Pelbarigan, durch irgendein Wunder ist er hier, so weit weg von zu Hause.«

Stel nickte. »Kein Wunder«, murmelte er. »Ich brauche Augengläser – oder wenigstens eines. Nach Hause konnte ich nicht, um mir welche zu beschaf-fen, so kam ich hierher, in der Hoffnung, sie zu bekommen. Es wird noch daran gearbeitet. Bisher noch kein rechter Erfolg.«

»Eines?« fragte Jestak.

»Mein Auge – das rechte wurde verletzt, als ich in Haft war – sieht jetzt nur noch verschwommene Schatten. Ich gebrauche es wenig. Die Welt ist flach und unwirklich geworden. Sie hat all ihre Tiefe und Fülle verloren. Für grobe Tätigkeiten geht es ja, aber feine Arbeiten kann ich ohne Linse kaum machen. Al-so. Unterführer? Xord? Ich freue mich, euch kennenzulernen. Jes, du bist vermutlich in offizieller Mission hier? Ein Bündnis? Ein Vertrag? Etwas ähnlich Hoch-gestochenes?

Ich habe so einiges munkeln hören, aber nur von Fischern. Ich arbeite jetzt für Fischer. Wir machen uns mehr Sorgen um Gezeiten und Wetter als um Politik.

Wetter und Flut verbinden uns gut. Ein unwillig'

Gemüt auseinander uns zieht. Kommt! Steht nicht im Schlamm herum. Kommt herauf aufs Dach und setzt euch!«

Die Gruppe kletterte eine Holztreppe hinauf, die Stel an dem gewölbten Rumpf befestigt hatte, und alle setzten sich auf eine lange Bank, die er an dem nach oben gedrehten Kiel angebracht hatte. Sie un-terhielten sich einige Zeit, bis die Dämmerung die ganze Szene verdüsterte. Schließlich bemerkte Jestak Kensings Unbehagen und führte seine Begleiter vom Schiffsrumpf herunter.

Stel blieb oben auf der Bank. Als die drei sich vorsichtig den Weg durch das schlammige Hafengelände suchten, rief Stel ihnen nach: »Jes, ist Garet noch immer im Osten? Auf Patrouille?«

»Ich weiß es nicht«, rief Jestak zurück. »Ach ja, ich habe gehört, Aintre wird ... um die Taille herum mol-lig.«

»Schön.«

»Das habe ich jedenfalls gehört.«

Stel lachte laut, warf seine Flöte in die Dämmerung und fing sie, fast ohne hinzusehen wieder auf. Dann setzte er sie an die Lippen und spielte eine kurze, schnelle Weise. »Sowas soll vorkommen, nehme ich an«, rief er ihnen nach und lachte wieder.

»Er ist kein Spion. Stel?« Der alte Fischer lachte leise über die Frage von Major Zimon, der, die Hände hinter dem Rücken verschlungen, mit finsterem Gesicht und verkniffenem Mund frühmorgens in dem kleinen, hölzernen Bürogebäude am Hafen stand.

»Kannst du denn da so sicher sein? Bist du in solchen Dingen ausgebildet?«

»Wir haben ihn oben am Cwanto gefunden, wo er am Ufer stand. Er sagte, er sei ein Pelbar und wolle nach Baligan, und er fragte, ob wir wüßten, wie er dorthin kommen könnte. Er meinte, er würde sich schon irgendwie hierher durchschlagen. Wollte etwas für seine blinzelnden Augen. Sagte, er hätte zu Hause Schwierigkeiten gehabt. Hat wirklich was geleistet bei uns – die ganze Dreckarbeit, ohne zu klagen. Viel Saubermachen und Trocknen. Netzeflicken. Rümpfe kalfatern. Kein Gejammere, dafür viele Späße. Du wirst ihm doch nichts tun, was, Major? Er ist ein guter Freund von mir. Tut keinem was.«

Major Zimon warf Unterführer Kensing einen schnellen Blick zu. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie so naiv sein sollten«, murmelte er.

Am Morgen darauf mußten Jestak und die Coo im Haus des Gouverneurs lange warten, bis Entat erschien. Jestak schrieb das der üblichen Gewohnheit von Amtspersonen zu, mit der sie zeigen wollten, daß sie beschäftigt und höhergestellt waren. Er machte sich auch einige Gedanken wegen Stel. Daß er ihn gefunden hatte, war ein unvorhergesehener und un-günstiger Umstand. Die Baligani würden sicher miß-

trauisch werden. Und wenn sie herausfanden, wer er war, und von seinem Wissen und seinen Fähigkeiten erfuhren, dann mochte es dem Pelbar-Handwerker übel ergehen.

Endlich erschienen, wie beim letztenmal, zwei Adjutanten und geleiteten Entat herein. Der Gouverneur gab sich gar nicht erst den Anschein, als wolle er zu einer Routinebegrüßung unter Diplomaten stehenbleiben, sondern ließ gleich seinen Stuhl bringen und setzte sich. Dann seufzte er und schaute von einem seiner Besucher zum anderen. »Die Sache mit diesem ... diesem Stel ... hat alles kompliziert«, sagte er unvermittelt. »Wir hatten nicht gewußt, daß ihr hier einen Agenten habt.«

»Wir auch nicht, Gouverneur«, lachte Jestak unbe-schwert.

»Das kann ich mir vorstellen«, entgegnete Entat.

»Tatsache ist jedoch, daß er hier ist. Wir können ihm nicht gestatten, zurückzukehren, und wir können auch keine weiteren Kontakte mit ihm zulassen. Wir haben ihn in Gewahrsam genommen und werden euch bitten, heute abzureisen. Wir können uns nur mit einem Punkt einverstanden erklären. Wir werden gestatten, daß Beobachter von uns sich euren Patrouillen anschließen, wie es dein Wunsch war.«

»Spione von euch?«

»Es war dein Wunsch. Wenn du ihn zurückziehen willst, ist das für uns sicher annehmbar.«

»Nein. Wir wollen ihn nicht zurückziehen, aus denselben Gründen, aus denen wir ihn ursprünglich vorgebracht haben. Wir hoffen auf Frieden, und wenn es schon zu Feindseligkeiten kommt, wäre es uns lieber, wenn dein Volk nicht noch zusätzlich zu den Innanigani hineingezogen würde. Wir haben natürlich angenommen, daß eure Beobachter euch vollständig über uns und unsere Aktivitäten berichten würden. Wir haben nichts zu verbergen – in bezug auf unsere Patrouillen.«

»Das kann ich mir ebenfalls vorstellen. Die Seligani hast du offenbar nicht erwähnt.«

Jestak lächelte. »Nein«, erwiderte er. »Sie scheinen weniger unter dem Pantoffel von Innanigan zu stehen als Baligan. Wir werden also tun, was du sagst, und eure Beobachter dort erwarten, wo du es möchtest.

Ich hoffe, Gouverneur, daß du dir die Zeit nehmen wirst, mit Stel zu sprechen. Du wirst sehen, daß er ein äußerst interessanter Mensch ist. Er treibt viele Pelbar zur Verzweiflung. Er ist zu individuell. Sie werden wütend sein, wenn sie erfahren, daß seine Anwesenheit hier unsere Beziehungen so stark beeinträchtigt hat.«

»Und du bist nicht wütend?«

Jestak lachte. »Doch, ich bin wütend. Nein. Eigentlich nicht. Ich bin überrascht. Ich bin enttäuscht. Ich kenne ihn jedoch gut von früher her. Er hat so eine Art – nun, du wirst sehen. Hast du schon mit ihm gesprochen?«

»Er ist kein Diplomat.«

»Ach so. Also nicht gut genug, um beim Gouverneur vorgelassen zu werden. Seine Mutter war früher Protektorin von Pelbarigan, das ist dasselbe wie Gouverneur. Indirekt hat er ... nun, ich glaube, ich überlasse es dir selbst, Stel kennenzulernen oder auch nicht. Wahrscheinlich wäre er dir ohnehin nicht sympathisch. Hoffentlich behandelst du ihn gut. Und nun, Xord, Xarn, seid ihr bereit?«

»Ich habe die Konferenz noch nicht beendet.«

Jestak, der sich schon erhoben hatte, setzte sich wieder. »Ja, Gouverneur?« fragte er.

Entat zögerte, zog die Augenbrauen hoch und sagte: »Es kann immer noch etwas werden zwischen uns. Jedenfalls wären wir dankbar, wenn die Coo-

Überfälle aufhörten.«

»Dann achtet darauf, daß eure Leute auf ihrem eigenen Gebiet bleiben«, sagte Xord.

»Der Verlauf unserer Grenze könnte ein Streit-punkt sein«, gab Entat zu bedenken.

»Er ist ausreichend bekannt«, entgegnete Jestak.

»Westlich des Cwanto und nördlich des Reed nach Westen bis zur großen Schleife im Süden und von dort aus direkt nach Westen bis zum Nordrand der toten Gebiete. Ihr habt viel Platz, euch auf die nördliche Halbinsel hinaus auszudehnen. Das Gebiet der Coo wird von der Föderation verteidigt.«

»Mit Horden von Wilden«, murmelte Entat.

»Keine Horden, Gouverneur. Wir Wilden brauchen dazu nur Scharen, vielleicht eine kleine Bande. Im Ernst, wir sollten es nicht dazu kommen lassen. Wenn du Zeit hast, sprich bitte mit Stel!«

Entat erwiderte nichts, aber Jestak machte keine Anstalten zu gehen.

Als seiner Würde Genüge getan war, erhob sich Entat und zog sich durch die Schiebetüren zurück, die die Adjutanten hinter ihm schlossen, Jestak und die Coo standen auf.

»Fischgedärm«, murmelte Jestak. »So eine Schwei-nerei. Eine beschissene, schlammbespritzte, ver-schwitzte, schrundige, wurmzerfressene Schweine-rei.«

Xord starrte ihn an. »Stel kann nichts dafür. Ich glaube, er wußte es nicht.«

Jestak riß sich mit beiden Händen an den Haaren.

»Nein. Er wußte es nicht. Ich ... sehen wir zu, daß wir hier wegkommen.« Er lachte wehmütig und fügte hinzu: »Bereit zum Laufen?«

»Nicht so schnell, daß wir das Pferd umbringen«, sagte Xarn, und seine Augen zogen sich zu einem Lä-

cheln zusammen, das eine neue Falte auf seine täto-wierten Wangen brachte.

»Gut«, gab Jestak zurück. »Ich brauche es noch. Es ist ein weiter Weg bis Threerivers, aber ich glaube, ich lasse mir Zeit.«