EINS

Der kalte Herbstwind blies Wolken trockener Blätter am Zelteingang vorbei – wie flüchtende Soldaten, dachte der Erhabene Peydan. Er zog seinen Umhang wieder um sich, erschauerte ein wenig und blickte zu dem Beobachter der gesetzgebenden Versammlung hinüber. »Ich glaube, wir sind weit genug vorge-drungen, Borund.«

»Das hast du schon früher gesagt. Oft genug«, erwiderte der Beobachter mit den dichten Augenbrauen. »Die Kundschafter sind niemandem begegnet.

Niemandem. Es hat den Anschein, als hätten die Peshtak dieses Gebiet verlassen.«

»Oder als wollten sie uns in eine Falle locken.«

»Mit dieser Truppe? Komm, Peydan. Du hast schon mit weniger als der Hälfte Männer erfolgreiche Vorstöße durchgeführt.«

»Wir wissen nicht, was diese Heart-Fluß-

Föderation zu bedeuten hat. Vielleicht könnten es Verbündete werden. Beobachter, das ist eine militärische Entscheidung. Ich habe das Gefühl, daß die Legislative uns in eine Katastrophe hineindrängt.«

»Ach ja. Das sagtest du schon. Aber, wenn ich es denn noch einmal wiederholen muß, unser Standpunkt ist der, daß wir, auch wenn wir es ablehnen, eine Westgrenze festzulegen, ihren lumpigen Boten so weit im Westen absetzen wollen wie möglich.

Wenn man es mit Wilden zu tun hat, muß man sie als solche behandeln, man muß ...«

Borund hielt inne und schaute einen Mann in brauner Kundschafteruniform an, der gerade an der Zeltklappe erschienen war. Peydan winkte ihn schweigend herein. »Ja? Kontakt gehabt?«

»Ja und nein, Erhabener«, sagte der Mann und riß dabei in flottem Gruß seinen rechten Arm hoch, mit der Handfläche nach vorne.

Peydan erwiderte den Gruß mit einem leichten Winken. »Erkläre das.«

»Wir sind bis zum Peshtak-Dorf Ostag gegangen, Erhabener. Es war völlig verlassen.«

»Dann sind sie geflohen!« Borund schlug sich aufs Knie.

»Sind sie geflohen?« fragte der Erhabene und zog die Augenbrauen hoch.

»Das glauben wir nicht, Erhabener. Sie haben die Häuser und Lagerräume geleert. Nichts war mehr übrig. Sie haben jeden Knochen und jeden Stecken mitgenommen, den sie nach Westen über die Berge schleppen konnten. Und das schon vor dem letzten Regen.«

»Also vor mindestens vier Tagen. Nun, Beobachter, dann hatten wir doch Kontakt. Bist du zufrieden?«

»Kontakt? Ich sehe das kaum als Kontakt an.«

»Man verläßt seine Häuser nicht zu Anfang des Winters. Sie wissen, daß wir hier sind. Sie haben angefangen, etwas zu unternehmen, und das mit be-trächtlicher Anstrengung und mit großem Aufwand.«

»Sie sind einfach vor uns geflohen. Wir können noch weiterziehen, ehe die warme Jahreszeit zu Ende geht. Dann können wir in Eilmärschen nach Osten zurückkehren, ehe das schlechte Wetter anfängt.«

Der Erhabene schaute den Kundschafter an, der immer noch Habtacht stand. »Ist das alles? Oder gibt es noch etwas?«

»Ich ... ich weiß nicht, Erhabener. Es ist wegen des Geländes vor uns.«

»Was ist damit?«

»Dieses breite Tal macht eine Biegung nach Süden.

Wenn wir weiter nach Westen vorrücken wollen, müssen wir einen hohen Bergkamm überqueren und gelangen dann in ein schmales Tal. Der nächste Kamm in nordsüdlicher Richtung ist dann noch hö-

her und felsig. Wenn wir die Berge umgehen wollen, müssen wir mindestens fünfundzwanzig Ayas nach Süden. Es ...«

»Ja?«

»Man hat kein gutes Gefühl dabei. Das ist in weitem Umkreis hier der letzte Ort, den wir einigerma-

ßen verteidigen können. Vielleicht wurde Ostag aufgegeben, um uns weiterzulocken. Der Rückzug könnte sehr schwierig werden, wenn wir einmal diesen Kamm überquert haben. Und die Spuren – in Ostag – da waren ein paar recht merkwürdige darunter: Von einem großen, schweren Tier, das zum Ziehen von Lastschlitten eingesetzt wurde – und sogar von Karren, glaube ich. Es hat seltsame Abdrücke hinterlassen, wie Mondsicheln, aber länger. Wir haben mindestens vierzehn davon ausmachen können, alle verschieden. Es ist sonderbar. Schon daß die Peshtak Karren haben sollen, ist ungewohnt genug.

Alles sehr geordnet. Ich habe Ocul und Zard weiter nach vorne geschickt. Ich sagte Ihnen, sie sollten vorsichtig sein.«

»Ein großes Tier, das Karren zieht?« überlegte Borund lachend.

»Ja, Sir«, murmelte der Kundschafter.

Draußen ertönten kurze, tiefe Hornstöße.

»Generalalarm!« rief Peydan, stürzte hinaus, schaute, die Hand über den Augen nach Westen über die Lichtung, die seine Männer geschlagen hatten, und suchte blinzelnd das Gestrüpp am Flüßchen ab.

Ein zweiter Kundschafter kam vom Fluß auf das Lager zugelaufen. Auf der anderen Seite des Flüßchens saßen zwei Männer auf mächtigen Tieren, so groß wie Wildrinder – Tiere mit kleinen Ohren und langen Köpfen, die sie schüttelten und herumwarfen, während die Männer warteten. Einer der Männer trug ei-ne Stange, an der eine braune, im leichten Wind träge flappende Fahne befestigt war. Der andere, das konnte der Erhabene Peydan sogar aus dieser Entfernung sehen, war ungewöhnlich groß.

»Da hast du deinen Kontakt, Beobachter«, bemerkte der Erhabene und ging, flankiert von Wachen, dem Kundschafter entgegen. »Laß die Männer in einer Reihe aufmarschieren, Leutnant«, sagte er dann zu einem kleinen, dunklen Mann, der an seine Seite geeilt war. »Stell Flankenschutz und eine Nachhut auf!«

»Es ist Ocul«, sagte der erste Kundschafter.

Der zweite Kundschafter kam endlich heran, die sich sammelnden Soldaten machten ihm Platz, er wurde langsamer und blieb vor Peydan keuchend stehen. Müde riß er die Hand zum Gruß hoch.

»Komm erst einmal zu Atem«, sagte der Erhabene.

»Was hat das nun zu bedeuten?«

»Sie haben ... Zard, Erhabener. Sie sagen, sie wollen ihn ausliefern, wenn wir ... ihren Boten zurückgeben.«

»Diese Schweinehunde!« fauchte Borund.

»Haben sie ihn verletzt?«

»Nein. Sie haben uns zu essen gegeben. Mit uns geredet. Haben mich auf ... dem Pferd – diesem Tier da – zurückgebracht.«

»Wie viele?«

»Das weiß ich nicht, Erhabener. Ich habe etwa hundert gesehen, und etwa dreißig von diesen Pferden. Eine gemischte Gruppe. Nicht lauter Peshtak.

Die meisten sind keine Peshtak. Sie nennen sich die Heart-Fluß-Föderation. Die ... da drüben ... haben gesagt, sie möchten mit dir sprechen.«

»Bitte sie her!«

»Sie sagen, du sollst deine Männer ganz ins Lager zurückziehen und nahe am Fluß einen Tisch aufstellen lassen. Dann wollen sie kommen.«

»Zweifellos in Bogenschußweite vom Gestrüpp auf der anderen Seite«, sagte Borund.

»Misch dich nicht ein, Beobachter! Ocul, sag mir, was du davon hältst!«

»Ich glaube, sie werden uns nicht angreifen, Erhabener, wenn wir vorsichtig sind. Sie behaupten fest, daß sie nur den Boten zurückhaben wollen. Sie haben den vergitterten Karren gesehen. Das gefällt ihnen nicht. Sie sagten ...«

»Ja?«

»Nur ... Wilde und Verrückte würden sich so benehmen, Erhabener.«

»Zweifache Schweinehunde!« brüllte Borund.

»Was sind sie denn – diese Kindsräuber, Mordbrenner, Diebsgesindel – daß sie so etwas sagen dürfen!«

Peydan warf ihm einen schnellen Blick zu. »Der große. Was ist das für einer?«

»Sein Name ist Arey. Er ist ein berittener Shumai-Gardist in der Heart-Fluß-Föderation. Er hat eine eben erst verheilte Armwunde. Sagte, er habe sie sich an der Portage am Bittermeer geholt, wo sie mit den Tantal gekämpft haben.«

»Wo ist diese Portage am Bittermeer?«

»Das weiß ich nicht, Erhabener. Er sagt, die Peshtak hätten, mit Hilfe der Pelbar, Ginesh zerstört. Er sagt, die Peshtak hätten sich ihrer Föderation angeschlossen und sprechen jetzt sogar mit den Coo.«

»Schlangen. Sie können sie gerne alle behalten.«

»Ja, Beobachter. Aber wir kommen auch ohne dein Gegeifere aus. Was ist mit dem zweiten Mann?«

»Das ist ein Sentani aus einem Ort namens Koorb.

Er ist noch jung. Sein Name ist Igna. Seine Mutter war eine Pelbar, aber mit Shumai-Vorfahren.«

»Mischlingsbrut«, murmelte Borund.

Peydan dachte nach und klopfte sich dabei mit seinem Stock ans Bein. »Und die Fahne?«

»Die Fahne des Heart-Flusses. Braun, Erhabener.

Mit einem Herz im Zentrum, das durch Streifen in Abschnitte unterteilt wird, einen für jede Gesellschaft.«

»Wie viele Abschnitte sind es?«

»Sieben. Es werden vielleicht bald mehr.«

Peydan wandte ihm den Rücken zu und ließ seinen Blick über das Lager schweifen. Es war kein guter Platz, nicht einmal, wenn man mehr als achthundert Mann hatte. Er drehte sich wieder um. »Sag ihnen, wir werden mit ihnen sprechen, Ocul! Leutnant, bring einen Tisch und vier Stühle! Borund, du kannst mitkommen, aber das Reden übernehme ich! Das ist eine militärische Angelegenheit.«

»Wohl kaum. Das ist ein Grenzstreit.«

Peydan seufzte. »Ich glaube, ich komme mit denen besser zurecht als mit dir, Borund.«

»Ich werde deine Bemerkung der gesetzgebenden Versammlung melden.«

»Vorausgesetzt, daß wir hier jemals wieder rauskommen.«

Mit einiger Verzögerung brachten mehrere Innanigani-Soldaten den Holztisch und die Stühle und stellten sie auf. Peydan nützte die Zeit, um seinen Wachenkreis zu verstärken und dafür zu sorgen, daß seine Männer bereit waren. Endlich schritten er und Beobachter Borund, gefolgt von einem jungen Adjutanten, langsam durch niedriges Gestrüpp und Gras auf den Tisch zu. Während der ganzen Zeit saßen die beiden Reiter gelassen auf ihren Pferden und warteten.

Erst als die beiden Innanigani sich gesetzt hatten, trieben die Reiter ihre Pferde durch den steinigen Fluß und das Ufer hinauf bis zum Tisch. Arey, der große Shumai, saß ab und reichte Igna, dem Fahnenträger, seine Zügel. Dann drehte er sich um und ging auf den Tisch zu. Der Griff seiner in der Scheide stek-kenden Axt schlug beim Gehen leicht gegen sein Bein.

Der Erhabene spürte, wie sich ihm die Haare sträubten, als der Shumai ohne zu lächeln herankam und sich ihm ruhig gegenübersetzte. Er war kräftig gebaut, hellblond, und hatte starke Muskeln und durchdringende, blaue Augen. Sein rötlicher Bart stand kraus und drahtig, aber sauber gestutzt ab.

Arey lächelte leicht. »Es war nicht nötig, unseren Boten so tief ins Peshtak-Gebiet zu bringen«, sagte er, sich die Hände reibend. »Er hätte sicher auch alleine gehen können.«

»Es ist nirgends festgelegt, daß das hier Peshtakge-biet ist«, sagte Borund. »Wir haben dem jedenfalls nicht zugestimmt. Es wurde bisher keine Westgrenze gezogen.«

Der Erhabene Peydan warf ihm einen schnellen Blick zu. »Unser Kundschafter sagte mir, daß du ein Shumai bist. Mit Namen Arey? Ich bin der Erhabene Peydan, Kommandant dieser Verteidigungseinheit, und vertrete das Militär der drei Städte im Osten, insbesondere von Innanigan. Das ist Borund, der dieser Einheit zugewiesene Beobachter der gesetzgebenden Versammlung. Wir sind nicht ermächtigt, Grenz-abkommen zu schließen. Wir ...«

»Seid ihr denn ermächtigt, diplomatische Abge-sandte zurückzubringen, die wie Verbrecher behandelt wurden?«

»Den alten Peshtak? Natürlich. Wir werden ihn zu-rückgeben. Aber du mußt zugeben, daß es mehr den üblichen Gepflogenheiten entspräche, wenn wir wüßten, mit welcher Gruppe wir es zu tun haben.

Könntest du uns das mitteilen?«

»Die Botschaft, die er überbrachte, enthielt doch sicher die grundlegenden Informationen. Du sprichst mit dem Einsatzkommandanten einer gemischten Verteidigungstruppe, die aufgestellt wurde, nachdem wir von eurem Zug nach Westen ins Territorium der Föderation erfahren hatten. Euer Beobachter kann sagen, was er will, aber dieses Gebiet wird seit Generationen von den Peshtak genützt. Trotz der Einfälle der Innanigani. Ihr seid nie hiergeblieben. Sie schon, soviel ich weiß. Wir möchten gerne wissen ...«

»Willst du uns glauben machen, Kommandant, daß ihr von soweit erst hergekommen seid, nachdem sich unsere kleine Gruppe für diesen Marsch nach Westen sammelte? Daß euch diese Information weit nach Westen zugetragen wurde und euch hierherführte?

Ich glaube, unser Kommen hat damit nichts zu tun, ihr müßt schon seit einiger Zeit geplant haben, diese feindlichen Elemente zusammenzuführen.«

Arey lächelte offen. »Ihr könnt glauben, was ihr wollt. Ich spreche mit euch, weil ich einen letzten Versuch machen will, Feindseligkeiten zu vermeiden.

Ihr könnt nicht mehr viel weiter gehen, ohne Ostag zu erreichen. Die Peshtak glauben, daß ihr es niederbrennen wollt. Das würden wir natürlich als feindse-ligen Akt betrachten. Wir könnten das nicht einfach zulassen, ohne darauf zu reagieren.«

»Wessen Leben willst du denn retten?« fragte Borund.

Areys Gesicht wurde für einen Augenblick hart, aber dann lächelte er wieder, mit einem eisigen Funkeln in den Augen. »Vielleicht eures. Vielleicht meines. Vielleicht auch beide. Schau! Es gibt einen einfachen Ausweg. Ihr übergebt uns den Boten, in gutem Zustand, und wir geben euch Zard zurück. Wir wollen nicht, daß jemand zu Schaden kommt. Dann könnt ihr für diesen Winter nach Hause zurückkehren, und wir bringen der Föderation eure Antwort.«

»Und wenn es keine Antwort gibt?« fragte Peydan.

»Keine Antwort? Es muß doch offensichtlich eine geben. Zwei Völker müssen eine Grenze haben. Es gibt genug leeres Land. Kein Anlaß zum Streit. Nur zu einigen braucht man sich.«

»Und was ist, wenn wir die Grenze hier ziehen?«

fragte Borund und betrachtete dabei seine sauber ge-schnittenen Fingernägel.

Arey zögerte lange, schaute hinauf zu einem krei-senden Falken und sagte ruhig: »Du willst also wissen, ob wir um das ganze Gebiet zwischen hier und Tremai oder zwischen hier und dem Leynap kämpfen würden? Das kann ich nicht sagen. Wir müßten uns beraten. Es wäre wirklich kostspielig für euch, es zu halten. Aber für uns wäre es auch kein großes Vergnügen, darum zu kämpfen. Ich glaube nicht, daß ich den Kampf führen würde. Ich habe im Westen eine Familie. Man würde wohl eine größere Truppe schik-ken, könnte ich mir vorstellen. Die Föderation will einfach, daß Ordnung herrscht. Aber dafür besteht nicht viel Aussicht, wenn ich sehe, wie ihr unseren Boten in einen Käfig gesperrt habt. Eine Chance besteht jedoch. Meine Shumaiseele sagt, wir sollten mit Gebrüll hier hereinstürmen und eure Truppe in Stük-ke reißen, aber die Föderation ist – etwas sanfter.«

»Was zweifellos klüger ist. Diese Truppe könnten hundert Wilde nicht einmal ankratzen«, bemerkte Borund.

Darauf antwortete Arey mit einem schweigenden, funkelnden Lächeln, dann mit einem tiefen, kehligen Lachen. Peydan sträubten sich die Nackenhaare, ein kleiner Schauder trippelte mit flinken kalten Füßen sein Rückgrat hinunter.

»Borund kann nicht für uns sprechen, Shumai. Er ist Beobachter, auch wenn er manchmal glaubt, daß er mit dem Mund beobachten muß. Aber im Grunde stimmt, was er sagt. Ich bin Soldat, wie ... du in ge-wissem Sinne auch. Ich sehe durchaus ein, daß es sinnvoll ist, die Männer auszutauschen. Wir werden das jedoch nicht so auffassen, daß wir damit hier unsere Westgrenze anerkennen. Die gesetzgebende Versammlung hat sich geweigert, sich auf so etwas ein-zulassen.«

»Ich habe nichts dagegen, Innanigani. Ihr seht zweifellos ein, daß die Föderation daraufhin einfach eine Grenze ziehen und euch mitteilen wird, wo sie verläuft. Dann werdet ihr euch mit ihrer Sicht der Angelegenheit auseinanderzusetzen haben.«

Der Erhabene Peydan zog die Augenbrauen hoch.

»Wir sind durchaus fähig, uns damit auseinanderzusetzen, wenn es soweit ist.« Eine leichte Schärfe hatte sich in seine Stimme eingeschlichen.

»Ich wünschte, du wüßtest, was du da sagst«, gab Arey zurück. »Ich habe mich ein ganzes Jahr lang mit fehlgeleiteten Angreifern herumgeschlagen, und das reicht mir. Es macht keinen Spaß, Menschen zu begraben – nicht einmal, wenn es Feinde sind.«

»Die Tantal? Der Kundschafter sagt, ihr hattet einen Zusammenstoß mit den Tantal?«

»Ja. Einen Zusammenstoß. Im Heart-Fluß-Gebiet, am Bittermeer.«

»Und ihr habt sie geschlagen? Mit großen Verlusten?«

»Ja. Wir haben sie geschlagen. Mit einigen Verlusten. Verluste gibt es immer, nicht wahr? Aber sie waren diejenigen, die teuer bezahlen mußten.«

»Ihr habt diese Tiere eingesetzt?« Peydan beschrieb mit dem Zeigefinger einen Kreis.

»Sie haben eine gewisse Rolle gespielt. Aber keine so bedeutende.« Arey verschränkte die Finger hinter dem Kopf und lehnte sich zurück.

»Und du willst uns sagen, daß ihr die ganze Strek-ke in diesem Jahr auf diesen Tieren zurückgelegt habt?«

»Nein. Natürlich nicht. Aber gekommen sind wir.

Wir sind hier.« Wieder zeigte Arey sein hartes, funkelndes Lächeln.

»Das ergibt keinen Sinn«, sagte Borund.

»Wenn ich Stel wäre, würde ich sagen, du mußt mir schon zugestehen, ein bißchen Mystifikation zu betreiben, aber da ich nicht er bin, sage ich nur, daß ich hier bin. Also. Es geht jetzt um den Austausch der Männer, nicht wahr? Aber da gibt es noch etwas.

Wenn wir den Austausch hier vornehmen, möchten wir, daß ihr danach kehrtmacht und nach Hause zu-rückmarschiert.«

»Wir sind hier durchaus zu Hause«, sagte Borund mit einem tiefen Lachen.

»Ist man da zu Hause, wo man stirbt? Auf jeden Fall möchten wir gerne, daß ihr keinen Versuch un-ternehmt, Ostang zu verbrennen. Es wäre beschwerlich, es wieder aufzubauen.«

»Für euch.«

Arey schaute die beiden lange an. »Für euch auch«, murmelte er.

»Dann habt ihr vor, es zu verteidigen?«

»Wir haben vor, das Niederbrennen kostspielig zu machen.«

»Aber nicht unmöglich.«

Arey runzelte leicht die Stirn. »Nein. Ich könnte mir denken, daß ihr es schafft. Ich weiß, daß ich es könnte, wenn ich eine Truppe von achthundert Mann mit Bogen und Schwertern hätte, auch wenn sie hauptsächlich aus Stadtleuten besteht, die schon jetzt fußkrank und schlecht ernährt sind. Obwohl ihr schon genügend Kranke habt und nicht für den Winterkampf ausgerüstet seid. Natürlich ...«

»Natürlich was?«

»Liegt es nicht in eurem Hinterland.«

»Nein. Aber ziemlich nahe dran.«

Arey starrte ihn an. »Tja«, sagte er und klatschte sich mit den Händen auf die Schenkel. »Seid ihr dann wenigstens zum Austausch bereit?«

»Bringt den Kundschafter ans Flußufer. Wir bringen den Peshtak. Dann nehmen wir den Austausch hier vor. Einverstanden?«

»Einverstanden«, sagte Arey abrupt, dann stand er auf, drehte sich um, nahm seine Zügel und stieg auf, alles mit einer einzigen, flinken, fließenden Bewegung. Die beiden trieben ihre Pferde ein Stück weit rückwärts auf den Fluß zu, dann wendeten sie und trabten durch das Wasser in das Gestrüpp auf der anderen Seite. Das letzte, was Peydan sah, war die auf-und abhüpfende Spitze der Fahnenstange im dichten Gebüsch.

»Dieser flohverseuchte Bastard«, sagte Borund. »So ein dreister Wilder. Willst du ihm den Peshtak geben?

Einfach so?« Er schnippte mit den Fingern.

»Ich weiß es nicht. Sie wären auf jeden Fall wütend, wenn sie sähen, in welchem Zustand er ist. Man hat ihn nicht gut behandelt. Aber ich frage mich doch.«

»Du fragst dich? Was jetzt?«

»Er hat uns praktisch herausgefordert, Ostag zu verbrennen.«

»Ich dachte, er hätte gesagt, du sollst es nicht tun.«

»Natürlich. Will er damit sagen, daß sie das als Grenze verteidigen würden? Wir sollten es natürlich nicht tun. Damit hat er recht. Es liegt nicht in unserem Hinterland. Er kennt die Stärke unserer Truppe und ihre Bewaffnung. Er weiß, in welchem Zustand die Leute sind. Er hat uns nicht wirklich herausgefordert. Ich glaube, er hat es so gemeint.«

»Was hat er gemeint?«

»Er meinte, daß er keinen Kampf will. Und ich glaube, er hat uns gewarnt.«

»Dann ist er schwach. Hat sich verraten. Wir hätten sie beide erschießen sollen. Möglich wäre es gewesen.

Die Männer waren in Schußweite.«

»Wir sind an dem Gestrüpp da drüben genauso nahe dran. Ich bin sicher, daß sie dort Männer postiert haben. So.«

Borund hob in plötzlicher Panik die Hände, dann faßte er sich wieder. »Sie sind fort. Wir ziehen uns am besten zurück. Schnell!«

»Nicht nötig. Sie wollen den Peshtak.«

»Trotzdem ...«

Der Erhabene Peydan schritt langsam zu seinem Wachenkreis zurück und gab Befehl, den Peshtak zu holen und die Stühle und den Tisch wegzutragen.

Dann blieb er stehen und klopfte sich mit einem Stock gegen sein Bein.

»Was hast du jetzt vor?« wollte Borund wissen.

»Ich weiß es nicht. Wir müssen überlegen. Leutnant, formiere die besten Bogenschützen auf weite Distanz! Ich meine, wirklich die besten. Sie müssen in der Lage sein, die Feinde zwischen uns herauszu-schießen, wenn nötig.« Er schickte die Männer mit einer Handbewegung fort. »Trotzdem, die Sache gefällt mir nicht. Sie haben sich den Platz ausgesucht. Es wird schwierig sein, sie hereinzulegen.«

»Du mußt es tun. Wir müssen an unseren Namen und unseren Stolz denken. Wir können nicht einer Bande von Gesindel weichen.«

»Dieser Arey. Ich würde ihn ... kaum als Gesindel bezeichnen. Er ist ... ein bißchen schwierig einzuschätzen. Ich glaube, er hat eindeutig etwas vor.«

Wie als Antwort flog aus dem fernen Gestrüpp in hohem Bogen ein langer Pfeil heraus und bohrte sich etwa fünfzehn Armlängen vor dem Wachenkreis in den Boden. An dem Pfeil war ein Zettel befestigt. Ein Soldat holte ihn und brachte ihn Peydan, der ihn ent-rollte und las. »Ihr braucht eure Bogenschützen nicht neu aufzustellen. Das ist ein Austausch, kein Kampf.

Es steht euch natürlich frei, euer Einverständnis ab-zuleugnen. Aber ihr werdet dabei verlieren.«

»Verfluchtes Pack!« fauchte Borund.

Peydan seufzte. »Holt den Peshtak! Es hilft alles nichts.«

»Wenn du es wagst ...«, begann Borund.

»Ich wage es. Sie haben die Lage in der Hand. Und Zard nützt uns jetzt mehr als der alte Mann. Außerdem können wir aus der Sache vielleicht immer noch Nutzen ziehen. Du, Leutnant, hol zwei Männer mit einer Bahre! Die sollen den Peshtak dorthin tragen, wo der Tisch war. Setzt ihn ab und kommt dann schnell zurück! Danach werden wir weitersehen. Bogenschützen, ihr achtet genau auf meine Befehle! Tut nichts, was den Kundschafter Zard in Gefahr bringen könnte!«

Die Innanigani taten wie befohlen. Der grauhaari-ge, alte Mann warf sich unruhig auf der Bahre hin und her, als sie ihn im Laufschritt hinaustrugen. Aber sobald sie sich der vereinbarten Stelle näherten, trabte ein Trupp von fünf Reitern aus dem Dickicht, kam spritzend durch den Fluß und erstieg das Ufer. Sie trugen etwas zwischen sich. Die verängstigten Bahrenträger zuckten zusammen und ließen den alten Boten versehentlich zu Boden plumpsen. Als sie sich umdrehten, um nach ihm zu sehen, wurden sie durch die anstürmenden Reiter zur Seite gestoßen.

Die beiden ersten beugten sich hinunter, packten den Alten bei den Armen und rissen ihn hoch, wobei er vor Schmerz und Angst aufschrie, dann ließ der rechte Mann los, so daß ihn der linke vor sich über den Sattel werfen konnte, beide wendeten und rasten mit wilden, trillernden Schreien durch das Gestrüpp davon.

Die beiden anderen Männer schleppten den von Kopf bis Fuß gefesselten Kundschafter zwischen sich.

Neben den Bahrenträgern ließen sie ihn fallen und folgten den anderen Reitern.

Der fünfte Mann, der Fahnenträger, hatte schon gewendet, als Borund schrie: »Schießt! Schießt auf die Bastarde!«

»Nein!« rief Peydan, aber die Bogenschützen zogen schnell und ließen die Sehnen los. Als Antwort kam von Westen her aus den Büschen eine Serie von Blitzen und Detonationen. Acht Bogenschützen und Borund stürzten zu Boden.

Ein Pfeil war dem Fahnenträger in die Seite gedrungen, gerade als er den Fluß erreichte. Er schrie auf und schwankte, sein Pferd rannte spritzend durchs Wasser, zwei weitere Reiter brachen aus dem Gestrüpp, und einer packte die Fahne, der zweite den Reiter, schließlich traten sie in einem Durcheinander von Wasser und Tieren den Rückzug an.

Nun schossen die Bogenschützen am südlichen Wachenkreis und holten den Mann mit der Fahne aus dem Sattel, aber er klammerte sich an den Steigbügel und ließ sich aus dem Fluß heraus und ins Gebüsch ziehen, die Fahne schleifte er hinterher, sie verfing sich in den Büschen und zerriß.

»Halt!« schrie der Erhabene Peydan. »Zurück! Jetzt seht euch das an, ihr weißbäuchigen Aasfresser! Alle Leutnants. Befolgt die Befehle! Sofort!«

Als die Innanigani zurückzuweichen begannen, wurde von Süden her aus dem Gestrüpp ein Befehl gerufen, und sie sahen undeutlich, wie sich dort Gestalten bewegten. Dann war ein Geheul zu hören wie das der Reiter, und als er abbrach, blitzte und krachte es wieder aus dem Gebüsch, und mehr als ein Dutzend Bogenschützen stürzten nieder. Der südliche Wachenkreis löste sich auf, die Leute rannten davon, bis die Offiziere sie mit Schlägen vorwärtstrieben und ihnen befahlen, sich einzugraben, und da erklang wieder das Geheul, und auch das Krachen und Blitzen setzte von neuem ein, weitere Männer fielen schreiend zu Boden, die glücklicheren konnten sich ihre Wunden halten. Dann war aus dem Gebüsch und dem Wald nur noch wenig zu hören, obwohl die Innanigani aus der Ferne Rufe vernahmen.

»Nun, Borund, soviel zur Klugheit vom Beobachter der gesetzgebenden Versammlung«, bemerkte Peydan und starrte auf den Beobachter hinunter, dem zwei Männer das Hosenbein vom blutenden Oberschenkel schnitten.

Borund schrie auf, dann sagte er: »Leutnant. Leutnant Eplay! Zeig dem Erhabenen deine Befehle!«

Der schmächtige Leutnant griff in seine Seitenta-sche und überreichte Peydan ein zusammengefalte-tes, versiegeltes Dokument. Der Erhabene zerbrach das Siegel, öffnete das Dokument und las es mit gerunzelter Stirn. »Nun«, sagte er. »So ist es also, wie?

Ich bin meines Postens enthoben, sobald Borund es verlangt.« Er drehte sich seufzend um, klopfte sich mit seinem Stock gegen das Bein und fügte hinzu: »Schön, Leutnant Eplay. Du hast das Kommando. Du und Borund, ihr könnt die Truppe befehligen. Ich – ich habe wohl etwas dergleichen vorausgesehen, Borund, so, wie du dich ständig eingemischt hast.

Nicht einmal als Verwundeter gibst du deine un-glaubliche Dummheit auf. Sieh dir meine Männer an!

Die Föderation hat eine kanonenähnliche Waffe, die wir nicht besitzen. Sieh dir doch dein eigenes Bein an!

Und jetzt ...«

»Kommandant Eplay«, murmelte Borund, »übernimm jetzt! Bezeige dem Erhabenen den schuldigen Respekt, aber isoliere ihn! Und sorge dafür, daß ich ärztliche Hilfe bekomme. Bitte.« Er hielt, zitternd und ächzend wegen der Schmerzen in seinem Bein, inne, dann fügte er hinzu. »Jetzt ist es klar.«

»Was ist jetzt klar, Beobachter?«

»Wir müssen dieses Ostag verbrennen und dann nach Osten marschieren. Schnell.«

Eplay starrte ihn an. »Ostag verbrennen? Nach allem, was wir soeben erlebt haben?« Dann schluckte er. »Ja, Sir. Ich verstehe.« Sein Blick schweifte über die Szene. Dann drehte er sich um, ging hastig weg und rief dabei den Boten des Feldwebels Befehle zu.

»Hör zu, Peydan!« sagte Borund und wälzte sich herum. Aber er sprach nicht weiter, denn er sah, daß der Erhabene fort war.