VIER

Endlich erreichten sie das Ende des Flusses, trugen das Pfeilboot mehrmals von einem See zum anderen über Land und beschlossen dann, es zurückzulassen.

Als sie es kieloben in einem niederen Baum festban-den, bemerkte Tor: »Wenigstens kann es einem Vogel Unterschlupf bieten.«

»Vielleicht kommt die Sternenbande wieder zur Winterjagd hier herauf.«

»Vielleicht. Was siehst du da?«

Tristal hatte sich gebückt und einen seltsamen Stein aufgehoben. Er scharrte den Schmutz mit dem Daumen herunter. »Eine Pfeilspitze. Aber aus Stein.«

Tor nahm sie ihm weg, schaute sie an und drehte sie hin und her. Dann reichte er sie zurück. Tristal hielt sie in der flachen Hand. Schwach rosa, ein abge-splittertes Stück Quarz, so lag sie vollkommen und symmetrisch da.

»Ich habe schon zwei oder drei solcher Spitzen gesehen«, sagte Tor. »Wahrscheinlich war es eine Speerspitze.«

»Aber ... die Alten brauchten doch so etwas nicht.«

»Nein. Ich glaube, sie stammt noch aus der Zeit vor den Alten. Von den Jägern, an deren Stelle sie traten.

Wenn die Läuferbanden eine finden, vergraben sie sie wieder. Sie sind sehr selten. Aber in Pelbarigan gibt es mehrere davon. Die Protektorin hat sie mir gezeigt.«

»Soll ich sie dann auch vergraben?« Tristal war enttäuscht.

»Meinetwegen nicht. Wir sind keine Läuferbande.

Das war nur, um Glück zu haben oder aus Ehrfurcht.

Vielleicht kannst du sie noch brauchen. Sie wiegt ja nicht viel.«

Tristal steckte die Spitze in seinen Lederbeutel und schlang ihn sich dann über den Rücken. »Wir gehen zuerst einmal«, sagte Tor. »Ich bin noch ganz verkrampft vom Rudern.«

Sie gingen den ganzen ersten Tag hindurch. Am nächsten Tag schlugen sie ein langsames Lauftempo nach Nordosten ein, sie ließen sich Zeit und hielten gelegentlich an, um zu rasten, zu fischen, zu kochen oder zu plaudern. Tristal versorgte sie mittels seines Kurzbogens ständig mit Kleinwild.

Wie gewöhnlich bestand Tor darauf, mit seiner Axt Fangen zu spielen, er warf sie Tristal zuerst leicht, dann mit ständig gesteigerter Kraft zu. Tristal bemerkte einen grimmigen Zug in Tors Gesicht, wenn die Axt schnell kam. Ihre Schneide war messerscharf, und sie war ungeschützt. Tristal war nicht ganz wohl dabei, aber der Griff kam immer zuerst, und er schleuderte sie immer mit derselben Wucht zurück, mit der Tor sie ihm zugeworfen hatte. Aber Tris warf auch nicht immer ganz sauber, und Tor mußte gelegentlich ausweichen und die Hand danach ausstrek-ken. Aber er fing sie immer, und er sagte auch nichts.

Sie gingen eine Zeitlang weiter, nach Nordosten, die Landschaft veränderte sich, es gab mehr Kiefern-wald. Endlich kamen sie ans Ufer eines sehr ausge-dehnten Sees und brauchten drei Tage, um ihn in westlicher Richtung zu umlaufen. Die Landschaft äh-nelte immer mehr den vertrauten Grasgebieten der Shumai, war aber dafür, daß sie so weit im Osten waren, kälter und ein wenig trockener. Sie hatten in den Wäldern Flachhornhirsche und weiter im Süden Sümpfe gesehen, aber nun begegneten sie kleinen Rudeln von Rotwild mit ausladenden, geschwunge-nen Geweihen.

Zuerst fand Tristal das Gehen langweilig; die Gegend schien so endlos und veränderte sich so langsam. Aber Tor war voller Jubel, und sein Entzücken war ansteckend. Er hatte es sichtlich nicht eilig, zu-rückzukehren. Auch Tristal drängte es nicht mehr, nach Nordwall zu kommen. Irgendwie war das alles mit seinem Fieber verschwunden. Er wußte, daß er eines Tages zurückkehren würde, aber ihm schien ei-ne gewaltige Masse Zeit zur Verfügung zu stehen.

Schließlich hatte er volle sieben Jahre, ehe er das traditionelle Shumai-Versprechen einlösen mußte, das er Fahna gegeben hatte.

Tage langsamen Laufens entwirrten sich zu Wochen, während sie durch eine anscheinend unendliche, rollende Prärie wanderten und weiter nach Norden und Westen in trockeneres, völlig leeres Gelände mit kürzerem Gras und vielen Rinnen und in ein ständig kühleres Klima vordrangen. Diese Veränderungen entfalteten sich so allmählich, daß nur jemand, der kleinen Unterschieden in der Umgebung gegenüber so empfindlich war wie ein Shumai, sie beobachten konnte.

Eines Tages kurz vor Mittag, sie trabten langsam einen Abhang hinunter auf einen Bach zu, wurde Tor langsamer und schwenkte zur Seite. Als Tristal ihn eingeholt hatte, lag er schon auf den Knien.

»Was siehst du?« fragte er leicht keuchend.

»Knochen. Großes Tier. Einer von diesen Riesen-hirschen.«

»Ja. Was noch?«

»Es hatte ein Geweih. Das ist fort. Abgeschnitten.

Jemand hat es abgeschnitten. Da sind Menschen.

Dann ist das Land also doch nicht ganz leer. Vielleicht begegnen wir jemandem.«

»Ja. Was noch?«

»Sie haben die Haut am Knöchel abgeschnitten, hier. Da sind Kratzer. Aber kein Schlitz an der Seite.

Sie haben die Hufe mitgenommen. Für Leim wahrscheinlich. Das Unterkiefer haben sie auch mitgenommen.«

»Gut. Was noch?«

»Noch etwas?« überlegte Tristal. »Ich ...« Er verstummte.

»Was haben sie zum Schlachten verwendet?«

»Ein Messer. Gutes, scharfes Messer. Was noch?«

»Welche Art?«

Tristal überlegte. »Stahl. Mit gerader Klinge.«

»Ja. Wahrscheinlich aus dem Süden. Weißt du noch, was du über den Beinknochen gesagt hast?

Manchmal haben die nördlichen Shumai keinen Sei-tenschlitz gemacht. Sie haben die Beinhaut von innen nach außen gekehrt und Strümpfe gegen die Kälte daraus gemacht.«

»Also Shumai?«

»Könnte sein.«

»Im Winter muß es hier oben unglaublich kalt sein.«

»Vielleicht. Aber bei soviel Wild kann man es schon aushalten. Trotzdem, mir kommt das alles irgendwie merkwürdig vor.«

»Du meinst, wie bei Disdan? Noch so eine wilde Gruppe?«

»Ich habe von Shumai gehört, die sich der Gerechtigkeit entzogen, indem sie nach Norden gingen.

Viele Jahre lang. Disdan hat das auch getan. Üblich ist es nicht, aber ich habe davon gehört.«

»Könnten wir mit ihnen laufen? Hätten sie etwas dagegen?«

»Wer weiß? Lieber nicht. Wir wüßten nicht, warum sie hier oben sind. Sie könnten alles mögliche sein.

Das hier ist mindestens zwei Monate alt – eine Früh-jahrsbeute. Nun, wohin ziehen sie wohl? Ich kenne dieses nördliche Wild nicht. Es scheint überall genug davon zu geben.«

Tristal antwortete nicht. Er hätte sich über menschliche Gesellschaft gefreut – und wollte gerne etwas über das Leben der Shumai im Norden hören. Aber Tor schien der Sache nicht zu trauen. Da war etwas, was er nicht sagte.

»Wir laufen einfach ein paar Tage lang nach Westen«, meinte Tor. »Es wäre mir lieber, wenn wir ihnen nicht begegneten.«

Tristal war enttäuscht, sagte aber nichts.

Zwei Tage später fanden sie einen weiteren Beute-platz, diesmal aus jüngerer Zeit. Tor studierte ihn wieder sorgfältig. »Keine Frauen«, sagte er.

»Und keine Kinder«, ergänzte Tristal. »Sie haben nichts vom Mark genommen. Keine Blutsuppe ge-kocht. Oder die Dreifußeindrücke sind verschwunden. Der Platz ist schon alt.«

»Jedenfalls keine kleinen Kinder. Vielleicht überhaupt keine. Große Unvorsichtigkeit. Schau nur, wie sie diese Haut aufgespannt haben! Irgendeine alte Methode.«

»Und sie haben direkt am Schlachtplatz gelagert.«

»Aber wahrscheinlich nicht lang.« Tor stand auf und schaute sich seufzend um. »Wir wollen weiter nach Westen laufen. Halt deine Nase offen und achte auf Rauch! Vielleicht haben sie einen Grund, abseits von uns übrigen zu leben. Vielleicht gefällt es ihnen besser so. Es kann aber auch sein ...«

»Was?«

»Ein Verbrechen.«

Tristal war nicht überzeugt. Tor schien ihm zu vorsichtig. »Verrät dir dein Lauschen Gefahr?« fragte Tristal. Tor schaute ihn an. »Nein, Onkel, ich will nicht respektlos sein.«

»Nein. Ich höre keine Gefahr – nur das, was mir diese Zeichen über die Menschen verraten. Das ist nichts als gesunder Menschenverstand. Wir sind nur zu zweit. Nun, da müssen wir auf alles vorbereitet sein.« Tor hockte sich nieder und erklärte Tristal ein dessen Meinung nach übermäßig kompliziertes System von Verhaltensweisen für den Fall, daß sie irgend jemandem begegneten. Aber der Jüngere konnte sehen, daß es Tor ernst damit war, und konnte, als Tor ihn prüfte, genau wiederholen, was der ihm gesagt hatte.

Am nächsten Tag fanden sie einige Spuren. Tor beugte sich über den Sand eines kleinen Präriebachs, um sie zu lesen. »Mindestens vier Männer«, sagte Tristal. »Was siehst du?«

»Dasselbe. Ungefähr drei Tage alt. Jung sind sie auch nicht mehr. Und ...?«

»Sie scheinen schwer zu sein.«

»Gut. Das wäre auch für uns gut. Schwer. Aber ich bin auch nicht mehr jung. So. Wir laufen jetzt eine Weile genau nach Norden. Halt Raran dicht bei dir!«

Zwei Tage später erreichte Tor den höchsten Punkt einer Anhöhe und gab Tristal sofort ein Zeichen mit der Hand, er solle Deckung suchen. Tristal sah, wie er weiterging und außer Sicht kam. Er rief Raran mit einem Zischen an seine Seite und verzog sich nach Norden ins Gras, sorgfältig darauf bedacht, nicht viele Spuren zu hinterlassen. Er hörte Tors Begrü-

ßungsruf über den Berg zurückschallen. Langsam arbeitete er sich ungefähr fünfzig Armlängen nördlich ihres Wegs den Kamm hinauf, Raran hielt er am Halsband fest. Er sah Tor in lässigem Tempo auf eine Gruppe von Männern zugehen, die unten, an einer freien Stelle nahe an einem Bach saßen oder standen.

Sie hatten noch kein Feuer, aber ein Mann hielt Feuerholz in den Händen. Alle schauten auf Tor. Tristal sah nur Speere und Speerwerfer – Waffen, wie sie die Shumai vor dem Kampf in Nordwall vor mehr als fünfzehn Jahren verwendet hatten. Tristal legte sich auf den Bauch und beobachtete sie.

Tor näherte sich der Gruppe und hob die Hand.

Der Axtschwinger trat ein wenig vor. Er war genauso groß wie Tor und schwerer, mit nackter Brust, seine Shumai-Gamaschen waren abgetragen und glänzten vom Schmierfett. Die beiden Männer gingen aufeinander zu. Mehrere andere drängten sich hinter dem Axtschwinger.

»Tor hier«, sagte Tor. »Von der Flußschleife weit im Süden.«

»Von hier aus ist alles weit im Süden«, sagte der Axtschwinger. Er sprach einen nördlichen Dialekt.

»Du trägst eine Axt. Wo ist deine Bande?«

»Keine Bande. Im Süden gibt es keine Läuferbanden mehr. Seit dem Kampf in Nordwall lassen sie sich am Heart und am Isso nieder, treiben Ackerbau oder züchten Rinder und Pferde.«

Der Mann schien einen Augenblick lang überrascht. »Kampf in Nordwall? Dann haben wir die Pelbar also niedergemacht?«

»Nein. Wir sind mit ihnen verbündet. Und mit den Sentani auch. Es ging gegen die Tantal, die einmar-schiert waren. Habt ihr nichts davon gehört? Es ist jetzt bald zwanzig Jahre her.«

»Ich habe von dem Kampf gehört«, meldete sich ein großer Mann mit sandfarbenem Haar, der hinter dem Axtschwinger stand. »Ich habe es nicht geglaubt.

Vale weiß es auch. Wir hielten es nicht für erwäh-nenswert.«

Der Axtschwinger drehte sich langsam um. »Das ist es auch nicht. Das geht uns alles nichts an. Aber dieser Mann schon. Was hast du hier zu suchen? Und mit deiner Axt. Wir brauchen keinen Axtschwinger.«

Tor streckte die Arme aus. »Ich bin daran gewöhnt.

Sie ist wie ein Teil von mir.« Er lächelte. »Du hast mir deinen Namen nicht gesagt.«

»Nein. Das habe ich nicht. Was ist mit deinem Arm passiert?«

»Ich habe ihn verloren, als wir die Kuppel auf-machten. Eine lange Geschichte. Wo der Stab im Frühling aufsteigt. Hat jemand von euch davon ge-hört?«

»Natürlich.«

»Darunter war ein Gebäude. Einige Menschen hatten seit der Zeit des Feuers darin gelebt. Hatten alles, was sie zum Leben brauchten. Die Kuppel ist herausgewaschen worden. Wir versuchten die Menschen zu befreien. Sie dachten, wir wollten sie angrei-fen und haben auf mich geschossen.«

Der Axtschwinger lachte mit einem häßlichen, kehligen Glucksen. »Ich kann mir denken, daß das vielleicht nicht alles ist, was du verloren hast«, bemerkte er. Die Männer hinter ihm lachten.

Tor schob seine Hüfte vor. »Vielleicht nicht. Mir hat es gereicht. War zuviel«, sagte er langsam.

»Deine Axt hat einen langen Griff. Laß mal sehen!«

»Wohl nicht. Du hast selbst eine.«

»Hier ist nur für einen Platz, glaube ich.«

»Platz gibt es genug. Ich werde zurückgehen und im Bogen um euch herum. Komme nie zurück.«

»Ich möchte die Axt sehen.«

»Ist deine denn alt?« Ein paar von den Männern lachten, verstummten aber, als sich der Axtschwinger umdrehte und den Blick über sie hinschweifen ließ.

»Nicht alt«, sagte er ruhig und drehte sich wieder um. »Sehr scharf. Ich glaube, man könnte damit einem Mann mit einem Streich den Kopf abschlagen.«

Tor lächelte. »Na, dann versuch das aber nicht bei mir.«

»Vielleicht ist es nicht nötig. Aber ich bin hier der Axtschwinger. Und ich möchte gerne deine Axt sehen. Ich bitte dich höflich darum.«

Tor veränderte seine Haltung und gab hinter dem Rücken Tristal das Fingerzeichen, das ihm sagte, er solle sich umdrehen und loslaufen. Tristal zögerte, ging aber dann langsam rückwärts die Hügelkuppe hinunter und begann, nach Norden zu laufen. Raran winselte, aber Tristal gab ihr einen festen Klaps, und sie ließ die Ohren sinken und rannte.

»Er hat ein Zeichen gegeben«, rief der Axtschwinger. »Packt ihn! Sucht den Hügel nach einer Läuferbande ab. Jetzt packt ihn schon!« Die Männer stürzten nach vorne, denn Tor war zurückgewichen, wirbelte herum und lief nach Südosten. Er wandte rechtzeitig den Kopf, um drei Speeren auszuweichen und riß im Laufen einen aus dem Boden. Mit hohen, heulenden Schreien folgte ihm die ganze Bande.

Als Tor über den Kamm kam, überflutete ihn eine Welle der Erleichterung, Tristal war außer Sicht. Er polterte den Abhang hinunter, zählte dabei seine Schritte, und als es dreißig waren, drehte er sich um und warf den Speer auf seinem Weg zurück. Der Axtschwinger kam über die Kuppe, und der Speer flog ihm entgegen, aber er konnte ausweichen. Der Speer fuhr einem Läufer dahinter in den Schenkel. Der Mann schrie auf und ging zu Boden. Der Axtschwinger drehte sich kurz um, dann lief er weiter, gefolgt von den anderen. Tor rannte hakenschlagend weiter und hielt dabei Ausschau nach weiteren Speeren. Er sah, daß er einen Vorsprung gewann, als er durch ein Wäldchen nahe eines Baches kam und sich wieder umschaute. Wie er festgestellt hatte, waren es meist ältere Männer, nicht wirklich laufgewohnt. Tor richtete sich auf einen langen Lauf ein und schlug ganz langsam einen Bogen nach Norden. Er fragte sich, wie weit Tristal wohl entfernt war.

Er konnte die Läufer nicht abschütteln, wie er gedacht hatte, aber er gewann Abstand. Er sah, daß sie ihr Tempo auf eine lange Jagd abgestellt hatten. Nun, darin war er ihnen gewachsen, und nach Sonnenuntergang würde ihre größere Zahl nicht mehr soviel ausmachen.

Sie hatten sich hinter ihm ein wenig auseinandergezogen und lagen weit zurück, trieben ihn aber vorwärts. Das gefiel ihm nicht. Es erinnerte zu sehr an eine Treibjagd. Vielleicht konnte er sich der Flanke zuwenden und sich dem Außenmann entgegenstel-len. Nein. Daran hatten sie gedacht. An beiden Enden liefen zwei Männer nebeneinander.

Nachdem sie ungefähr siebzig Sonnenbreiten lang gelaufen waren, hatten sie mehr als zehn Ayas zu-rückgelegt. Das Land war noch immer offen. Tor hatte seinen Vorsprung vergrößert, aber nicht um sehr viel. Die Männer waren zäher, als er gedacht hatte. Er hatte gerade einen Kamm hinter sich und beschloß, einen Spurt nach Norden zu machen und zu versuchen, allen außer den Außenmännern davonzulaufen. Da draußen irgendwo war Tristal. Tor fragte sich, wo, und wieviel er wohl sah.

Als Tor auf dem Talboden ankam und unten ent-langlief, sah er plötzlich eine flache Großwildfalle vor sich. Es war zu spät, um sie zu umgehen. Er sprang, erreichte aber den gegenüberliegenden Rand nicht ganz, stürzte hindurch und konnte sich nur mit einem Arm festhalten. Er sah, wie die beiden Außen-männer zulegten, den Hügel herunterrasten. Einer schickte einen langgezogenen, heulenden Ruf nach hinten. Tor zappelte, um sich aus der Grube zu werfen, aber mit einem Arm schaffte er das nicht. Die Außenmänner kamen näher. Tor spürte das Hämmern ihrer Füße durch die Erde. Einer hob schreiend seinen Speer, als zwei weitere oben auf dem Kamm erschienen. Verzweifelt warf Tor sein Bein auf den Grubenrand hinauf, blickte auf den Speerwerfer, sah etwas aufblitzen, und dann steckte ein kurzer Pfeil bis zur Fiederung in der Brust des Mannes. Tor rollte sich aus dem Loch, als ein weiterer Pfeil den anderen Mann in die Seite traf.

Tor riß den Speer des einen hoch und rannte nach Norden, Tristal war vor ihm. Hinter sich hörten sie Schreie von der Läuferbande, und als sie sich umdrehten, sahen sie die ersten an den gestürzten Männern vorbeirennen und ihnen den Hügel hinauf folgen. Tristal lief langsam, um auf Tor zu warten, aber Tor winkte ihm, er solle weiterlaufen. Raran rannte nebenher.

Sie setzten ihren Lauf fort, weit voraus jetzt, aber ihre Verfolger ließen nicht erkennen, daß sie aufzu-geben gedachten. Endlich holte Tor Tristal ein. Beide waren sie erschöpft und wurden langsamer, aber Tor keuchte: »Wir müssen durchhalten ... mindestens bis zur Dämmerung. Dann heute nacht laufen.«

»Warum ... wollten sie ... dich töten?«

»Haben was zu verbergen.«

»Was?«

»Weiß nicht.«

»Wieviele? Ich habe neunzehn gezählt.«

»Jetzt noch sechzehn ... minus die, die sich um den ersten Mann kümmern.«

»Die anderen?«

»Um die ... braucht sich keiner mehr zu kümmern.«

»Ach. Ich ... es schien ... keinen anderen Weg zu geben.«

»Den gab es auch nicht.«

Das Paar rannte weiter, langsam jetzt, verbissen, während die Sonne verblaßte. Gelegentlich erblickten sie hinter sich einen der Verfolger, aber die Läuferbande war ebenfalls sichtlich erschöpft.

»Wir sollten uns auf einen langen Nachtlauf ein-richten«, sagte Tor.

»Wie lange?«

»Den größten Teil der Nacht?«

»Werden sie uns wirklich folgen?«

»Weiß nicht. Es ist der Axtschwinger. Er ist zu allem entschlossen ... er schon, glaube ich. Wir sollten lieber in Bewegung bleiben.«

»Können wir gegen sie kämpfen? Wenn sie sich getrennt, auseinandergezogen haben?«

»Nein.« Tor sagte eine Zeitlang nichts mehr, dann fuhr er fort: »Wir müßten sie töten. Lieber davonlaufen als töten. Außerdem ...«

»Was?«

»Menschen, die töten, sterben oft dabei. So ... ist es sicherer.«

Tristal sann über diese Worte nach, während sie in die Dunkelheit hineinliefen, langsam, stetig, in einem leichten, geländefressenden Trab. Allmählich schwenkten sie westwärts, bis sie um Mitternacht fast genau nach Westen liefen. Ein weiteres, halbes Viertel nach Mitternacht fiel Tor in Schritt, als sie gerade einen Abhang hinaufliefen, und oben rief er zum Halten.

»Ich habe die erste Wache«, sagte er. »Du schläfst.«

Tristal widersprach nicht, sondern legte sich nieder und rollte seine dünne Decke auf. Sie hatten die üblichen Rucksäcke der Shumai, Läuferpacken, die sie nicht sehr am Vorwärtskommen gehindert hatten.

Raran rollte sich neben Tristal zusammen und sank bald in einen erschöpften Schlaf, leicht zuckend, als ihre Muskeln den Lauf noch einmal durchlebten.

Tristal hatte die Wache vor dem Morgen. Als die Sonne aufging, schien das Land leerer denn je, besonders seit sie wußten, daß es das nicht war, daß irgendwo da draußen Leute nach ihnen suchten.

Bald danach erwachte Tor ruckartig und setzte sich auf. »Wir sollten aufbrechen«, sagte er. Sie trabten den Hügel hinunter, jeder einen kleinen Streifen Trockenfleisch kauend, dann wandten sie sich nach Nordwesten, auf einen schmalen Bach zu, wo sie sich eilig wuschen – bis auf die Füße –, und machten sich wieder auf den Weg.

Mit kleinen Pausen dazwischen trabten sie den ganzen Tag, gegen Sonnenuntergang hielten sie an, um zu kochen und zu essen. Dann trabten sie wieder bis tief in die Nacht hinein. Tristal fand allmählich, daß Tor die Flucht zu ernst nahm. Schließlich waren sie jetzt viele Ayas weit von ihnen entfernt und hatten ihre Spuren sorgfältig verwischt.

In dieser Nacht hatten sie beide den Magen voll Präriehund, als sie einschliefen. Auch Raran hatte gut gegessen. Aber Tor rüttelte Tristal vor dem Hellwer-den wach, und sie brachen auf.

»Ich weiß, daß das kein Vergnügen ist«, sagte er.

»Aber wir wollten ohnehin in diese Richtung. Ich spüre ...«

»Gefahr?«

»Entschlossenheit. Die Entschlossenheit dieses Axtschwingers. Die Männer waren nicht feindselig, als ich den Hügel herunterkam. Sie waren froh über ein neues Gesicht. Von ihnen spürte ich Angst. Aber dieser Mann strahlte Feindseligkeit aus. Er hält sie hier fest, und sie sind nicht stark genug, um sich loszurei-

ßen. Vielleicht hat er einige von ihnen gejagt, genau wie er jetzt uns jagt.«

»Warum bist du überhaupt den Berg hinunterge-gangen?«

»Sie hatten mich gesehen. Ich war sicher. Ich wollte dir Zeit geben.«

»Ich brauchte sie nicht. Wir hätten zusammen laufen können.«

»Das hat mich gerettet, Tristal. Wenn deine Pfeile nicht gewesen wären, hätten sie mich gehabt.«

Spät an diesem Nachmittag legten sie eine Rast ein und nahmen eine ausgiebige Mahlzeit zu sich. Tor fühlte sich ruhiger, blieb aber wachsam. Sie trabten wieder bis in den Abend hinein, ohne Hast, aber gleichmäßig.

Am nächsten Nachmittag erreichten sie einen be-waldeten Abhang, und Tor ruhte sich ein Weilchen aus, während Tristal mit seinem Kurzbogen auf die Jagd ging. Raran folgte ihm und blieb dicht bei ihm.

Tristal bewegte sich lautlos, den Kurzbogen gespannt, den Pfeil schon auf der Sehne.

Als er sich um einen großen Felsen herumschob, schlängelte sich plötzlich ein Seil um seinen Hals, würgte ihn und riß ihn zu Boden. Er wurde ein kleines Stück weit geschleift, während er versuchte, das Seil zu fassen, dann begann die Welt zu verschwimmen. Schließlich sah er die Gestalt des namenlosen Axtschwingers über sich aufragen.

»Mach es locker! Ich will ihn jetzt noch nicht töten«, sagte er grinsend. Er trat absichtlich auf Tristals Knö-

chel. Tristal schnellte den anderen Fuß nach ihm, aber der Axtschwinger sprang zurück, und der andere Mann straffte das Seil mit einem Ruck von neuem.

Der Axtschwinger lachte. »Gebt auf den alten Einarm acht!« rief er.

Tristal wurde herumgedreht und gefesselt, dann trugen sie ihn, an einer Stange aufgehängt. »Der Hund. Habt ihr den Hund?« fragte der Axtschwinger.

»Nein. Er ist weggelaufen.«

Der Axtschwinger runzelte die Stirn. »›Er ist weggelaufen!‹« äffte er nach. »Verflucht, was seid ihr bloß für Arschlöcher?!« Er überlegte. »Wir gehen ins Freie hinaus. Vielleicht lockt er den Einarm herbei. Das heißt, wenn der diesen Säugling hier nicht im Stich gelassen hat.« Er lachte.

Sie fanden einen freien Platz und errichteten ein Lager. Der Axtschwinger hockte sich zu Tristal und fragte ihn über seine Herkunft und den Zweck seiner Reise aus. Tristal weigerte sich zu antworten, und der Axtschwinger schlug ihn mehrmals ins Gesicht, dann nahm er ein Messer und bohrte die Spitze in Tristals Bauch, bis sie die Haut ritzte.

»Es wäre besser, wenn du den Mund aufmachtest«, sagte er.

Tristal antwortete nicht. Das Messer wurde weiter hineingebohrt, und ein Blutrinnsal quoll ringsherum hervor.

»Es gibt nichts zu sagen. Wir sind gekommen, um das Land zu sehen.«

»Niemand kommt nur, um dieses vom Frost zer-fressene Land zu sehen. Kommt einfach so. Die Wahrheit jetzt.« Er bewegte das Messer. Tristal zuckte zusammen.

»Das ist die Wahrheit. Letzten Winter kam eine Läuferbande den Heart herunter. Ein Mann namens Disdan. Sie waren schon vor dem Kampf in Nordwall hier oben gewesen. Sie trugen nicht einmal Stoff ...«

»Das wirst du bald auch nicht mehr.« Zwei in der Nähe stehende Männer lachten.

»Sie hatten nichts vom Frieden mit den Pelbar ge-hört. Wir schlugen gerade Holz für die Pelbar. Sie sprachen lange mit uns. Wir dachten, wir gehen hin und sehen uns das Land an.«

»Was habt ihr getan? Einer von uns?«

Tristal wand sich. »Wir haben nichts getan. Mein Onkel wollte kein Farmer werden. Er konnte sich nicht vorstellen, dort zu leben. Ich habe keine Familie.

Da ging ich mit ihm. Das ist alles.«

Der Axtschwinger drehte das Messer. Tristal kniff die Augen zu. Dann sagte er ächzend: »Es hat keinen Sinn, mit dir zu reden. Du glaubst ohnehin nichts.«

»Wo ist dieser Onkel?«

»Wer weiß? Er ist ein Feigling. Wahrscheinlich ist er weggelaufen und hat mich im Stich gelassen.«

»Ein Feigling?« Der Axtschwinger lachte. »Und du willst wohl auch noch behaupten, daß das die Wahrheit ist? Laufen mag er vielleicht, aber ich habe genug gesehen, um zu wissen, daß er kein Feigling ist. Nur schade, daß er dir nicht helfen kann. Aber du gibst einen recht guten Köder ab, um ihn anzulocken.«

Der Axtschwinger stand auf. »Jetzt ist fast Sonnenuntergang. Holt eine schöne, lange Stange, damit wir diesen Säugling daran festbinden können. Und Feuerholz. Stellt eine Wache auf. Sein Onkel beobachtet uns vielleicht, aber tun kann er nichts. Er wird es jedoch versuchen. Er wird es versuchen!«

Die Männer des Axtschwingers waren müde und schweigsam, aber sie rollten sich auf die Beine und taten, was er verlangte. Tristal fragte sich, wo Tor wohl war. Er hatte nichts von ihm bemerkt. Sicher würde er etwas tun. Aber was konnte er gegen sechzehn wachsame Männer schon ausrichten? Als es dunkel wurde, fühlte sich Tristal ein wenig erleichtert. Das würde die Chancen verändern. Aber die Zeit verging, und er war nicht mehr so sicher. Der Axtschwinger baute sein Lager und die Verteidigungs-anlagen auf. Die Männer aßen, ohne viel auf Tristal zu achten, außer daß sie gelegentlich zu ihm hinsahen und lachten, während sie leise miteinander sprachen.

Er war an die Stange gebunden, die man für ihn gebracht hatte. Sein Kurzschwert lag mit sich rötender Spitze und löwenzahngelbem Rand im Feuer.

Tristal zerrte an seinen Fesseln. Sie saßen so fest, daß seine Hände geschwollen und schwer zu bewegen waren. Er war verzweifelt. Wenn Tor so gut im Vorausahnen war, warum hatte er das nicht gesehen?

Er hatte sie doch tatsächlich geradewegs zu dieser bösartigen Läuferbande geführt und Tristal dann im Stich gelassen. All das Gerede über den Gesang der Dinge, den er hören könne ... was hatte es genützt? In diesem ganzen, leeren Land mußten sie in die einzige Bande von Verrückten hineinstolpern. Tristal verspürte eine hilflose Wut. Er fragte sich, wie wohl sein Onkel empfunden hätte. Tor würde wahrscheinlich versuchen zu beten, besonders seit er bei den Pelbar gewesen war. Aber wie konnte ein Mensch zu so einer Zeit beten?

Er konnte Tor beinahe sagen hören: »Wann wäre eine bessere Zeit dafür?« Er war zu verzweifelt und zu wütend, um zu beten. Aber er konnte Tors Stimme hören: »Dann ist es Zeit, nicht mehr verzweifelt und wütend zu sein. Wenigstens darüber kannst du bestimmen – wenn auch sonst nicht über viel.« Und was war mit Raran? Auch sie war nicht bei Tristal geblieben. Sie mußte fortgelaufen sein, um Tor zu holen.

Viel hatte das genützt! Tristal atmete tief ein und seufzte. Er wußte, daß er versuchen sollte zu beten.

Er hatte darüber nicht soviel nachgedacht wie Tor. Er hatte sich meistens gegen Tors Bemühungen gesträubt, etwas Derartiges zu praktizieren. Nun wollte er es versuchen.

Er wurde unterbrochen, als der Axtschwinger seinen vier Wachtposten, die ein Stück weit vom Lager entfernt in einem Quadrat aufgestellt waren, etwas zurief. Alle waren ohne Deckung. Sie antworteten al-le. Dann trat der Axtschwinger heran und stellte sich vor Tristal. Er lächelte. »Das wird ein Vergnügen, Junge, nach dem Schmerz, den du uns zugefügt hast.

Und den drei Männern.«

»Ihretwegen tut es mir leid«, sagte Tristal. »Wir wollten nichts Böses. Wir wollten uns nur retten.«

»Wir wollten nichts Böses. Wir wollten uns nur retten«, äffte ihn der Axtschwinger mit gellender Fi-stelstimme nach. Mehrere Männer lachten.

Der Axtschwinger bückte sich, faßte nach dem Griff des Kurzschwertes, ließ es fallen, nahm dann einen Fetzen Tierhaut und hob das Schwert damit auf. Er ging auf Tristal zu und schwenkte es vor seinem Gesicht herum. »Willst du uns jetzt mehr darüber erzählen, was ihr hier wollt?« fragte er mit sanfter Stimme.

»Du willst doch gar nichts darüber wissen«, sagte Tristal. »Du willst nur jemandem weh tun.«

»Glaubst du?« Der Axtschwinger schwenkte die glühende Spitze des Schwerts vor Tristals Augen, dann schlug er ihm damit auf die Schulter. Tristal schrie auf, als der Schmerz wie ein Messer durch seinen Körper fuhr.

»Nun, können wir nicht etwas freundlicher sein?«

fragte er.

»Du könntest das sicher.«

Wieder berührte ihn die Schwertspitze, und Tristal spürte einen neuen, starken Schmerz. Er biß die Zäh-ne zusammen, sein Kopf zitterte, aber er sagte nichts.

Der Atem fuhr ihm zischend aus dem Mund.

»Sehr tapfer«, lobte der Axtschwinger.

»Tor!« brüllte Tristal. »Tor, Tor, Tor!« Er hatte nicht gewußt, daß er zu solch entsetzlicher Todesangst überhaupt fähig war.

»Paß auf! Es kommt keine Antwort«, sagte der Axtschwinger. »Jetzt wird es Zeit, daß wir zur Sache kommen.« Er senkte die Spitze des Schwertes wieder und zog eine Linie von Tristals linker Schulter quer über seine Brust zur rechten Hüfte. Tristal brüllte bei dem Ansturm des Schmerzes auf, und als sein Schrei erstarb, schien er in der Ferne widerzuhallen. Die zu-schauenden Männer drehten sich um. In der Ferne sahen sie, daß ein Wachtposten an einen Busch gebunden worden war. Der Busch stand in Flammen, und der Posten brüllte und kreischte.

»Das ist Doomy«, rief ein Mann. Drei Männer stürzten mit Speeren in den Händen davon, und währenddessen erblühte in einem anderen Wacht-quadranten ein zweites Feuer. Wieder schrie inmitten davon ein Mann auf.

»Bleibt hier!« schrie der Axtschwinger. »Es ist der alte Axtschwinger. Er will uns nur spalten.«

»Sollen wir sie verbrennen lassen?« brüllte ein Mann. Er drehte sich um und stürzte in Richtung auf den zweiten Scheiterhaufen in die Dunkelheit. Ein zweiter Mann folgte ihm.

»Bleibt hier!« wiederholte der Axtschwinger. Ein Schrei kam aus der Dunkelheit, vom ersten Feuer her.

»Seht ihr?« brüllte der Axtschwinger. »Er ist da. Er wartet. Ruft die anderen Posten herein! Er ist da ...«

Wie ein verwischter Schatten war Tor im Feuerschein, er schwang seine Axt und fällte vier Männer mit bogenförmigen Schlägen, die zu schnell waren, um sie einzeln zu erkennen. Der Axtschwinger sprang zurück, das matt glühende Kurzschwert in einer Hand, Tristals Kehle in der anderen.

»Wenn du näherkommst, werde ich ...« Hinter ihm rauschte etwas und stieß ihn nach vorne, Raran war ihm in den Rücken gesprungen, und ehe er sich von dem Schrecken erholt hatte, war Tor mit einem Satz bei ihm und hatte ihm mit einem raschen Schlag nach unten die Schulter gespalten. Der Mann schrie, während Tor hinter Tristal rannte und seine Fesseln mit einer Reihe schneller Streiche durchschnitt. Tristal sackte zu Boden.

»Auf!« verlangte Tor. »Da draußen sind noch zwei Wachtposten und mindestens zwei Männer.« Mit diesen Worten stieß er Raran zur Seite und erledigte den Axtschwinger. »Auf!« Er zog Tristal mit der Beuge seines verstümmelten, rechten Arms hoch und schob ihn in die Dunkelheit hinein, dabei steckte er seine Axt in die Scheide, bückte sich und packte das Kurzschwert.

Aus der Dunkelheit kamen Schritte. Er warf das Kurzschwert. Es schnellte unheimlich durch die Luft.

Ein Schrei ertönte. Tristal stolperte im Dunkeln. Raran knurrte und sprang vor. Tor folgte ihr. Tristal ließ sich wieder niedersinken, dann zwang er sich, aufzustehen. Er drehte sich um, rannte blindlings auf das Geschehen zu und fand sein Kurzschwert in einem kleinen Oval brennenden Grases. Daneben lag ein Körper. Er nahm sein Schwert, dessen Griff noch heiß war, und als er sich umdrehte, sah er zwei von der Läuferbande in den Feuerschein zurückkehren. Einer hatte einen Speer. Lautlos rannte Tristal auf sie zu, stürzte ins Licht, schlug den Speer beiseite und machte den Mann nieder. Der andere hob die Hände und schrie auf. Seine Beine waren rot und voller Blasen. Tristal stieß ihn zu Boden und rannte den Weg zurück, den er gekommen war.

Weit vorne hörte er Raran bellen. Er folgte dem Ge-räusch, seine Brust tobte vor Schmerz; er rannte hinaus in die Dunkelheit, gleichmäßig jetzt, aber mit nervös zitternden Armen, die das Kurzschwert um-faßt hielten.

»Raran!« brüllte er. Er hörte ein Rauschen, dann war der Hund schwanzwedelnd und tänzelnd, aber auch vor Angst winselnd an seiner Seite. Raran drehte sich um und stürzte davon, und Tristal folgte ihr.

Vor sich sah er eine Gestalt. »Tris. Wie schlimm ist es? Kannst du laufen? Ich glaube nicht, daß sie uns noch mehr Schwierigkeiten machen werden. Aber man weiß es nicht.«

»Ich kann laufen«, sagte Tristal verbissen.

»Gut. Ich glaube, ich habe im Wald eine Stelle gefunden, wo wir sicher sind. Sogar, wenn wir ein Feuer machen.«