ZWEI

Vor Tagesanbruch sahen die Gardisten auf den Türmen Stels Feuer aufflackern und erlöschen. Sie beobachteten es träge, weil das das einzige, einigermaßen interessante Objekt war, und stellten Spekulationen über Stels Zukunft an. Im frühen Morgenlicht sahen sie, wie Ruudi, Oleg und Rutch mit vier Gardisten ei-ne große, langgestreckte Eisbrücke zusammenbauten und sie auf den Fluß hinausschoben. Ruudi lag darauf und arbeitete sich über das dunkle Band der Fahrrinne vor. Sie sahen, wie er auf der anderen Seite stehenblieb, sich Spuren ansah und dann einen Blick auf den Trog im Eis warf, wo Stel eingebrochen war.

Sie sahen, wie er sich bückte und etwas aufhob, und wie er dann auf den Fischschuppen zueilte, ohne die Eisbrücke über die Fahrrinne zu den Gardisten zu-rückzuschieben.

Ruudi machte einen weiten Bogen um die Spuren, die zum Eis zurückführten, er rief aus Leibeskräften und brüllte nach Stel. Keine Antwort kam. Als er das Ufer erreichte, sah er das niedergebrannte Feuer, die Trümmer der Schuppenwand, eine dünne Rauchfah-ne vom Feuer, die sich in das frühe Sonnenlicht hin-aufkräuselte. Dann entdeckte er eine Botschaft im Schnee, tief eingegraben und in großen Lettern. Keuchend beschattete er seine Augen und las: Lebt wohl, Dahmens. Nun müßt ihr eure Spiele mit anderen spielen. Ich habe den Weg der Feiglinge gewählt, wie man so sagt. Lebt wohl, alle Ardens, auch du, Ardena, ich grüße dich. Möge es euch Wohlergehen, wie es sich geziemt. Ahme, du bist frei. Ich nehme alle Schande auf mich.

Ein großer Pfeil wies auf den Fluß hinaus, Stels Spuren begannen an seiner Spitze und führten direkt zu dem Loch im Eis.

»Große Aven«, keuchte Ruudi, dann drehte er sich wieder um und rannte schreiend auf das Eis hinaus.

Nicht lange nach der Viertelsonne versammelte sich der ganze Rat unter dem Vorsitz der Jestana, der Protektorin. Im Ratszimmer herrschte eine gespannte Atmosphäre. Rago, die Dahmena, in diesem Zyklus wieder Nordrätin, war von einer kleinen Gruppe flü-

sternder Familienmitglieder umgeben. Ahroe war anwesend, sie wirkte grimmig und leer. Sie schämte sich zutiefst, mußte aber wohl oder übel an dieser Untersuchung von Stels Selbstmord teilnehmen. Auf der anderen Seite des Raumes saß die Ardena, die Südrätin, bei Sagan und Rutch und einer kleinen Traube von anderen. Sie blickten grimmig und schweigend vor sich hin, auch sie schämten sich für Stels Tat. Ahroe bemerkte jedoch, daß Sagan sonderbar gefaßt war. Sie hatte nichts zu sagen.

Man bat Ruudi, über alle Geschehnisse des vorangegangenen Nachmittags und dieses Morgens zu be-richten. Die Protektorin gestattete keine Anklagen, nur Tatsachen. Als Rago bemerkte, daß Ahroe unter ihrem Stand geheiratet habe, verurteilte die Protektorin die Nordrätin für den Rest der Verhandlung zum Schweigen. Nichts konnte bewiesen werden. Man behauptete, daß Sentani, die draußen lagerten, die Eisbrücke zu Feuerholz zerhackt hätten. Andere bestrit-ten das. Niemand wußte es sicher. Die Protektorin achtete darauf, daß die Versammlung sich nicht in ein allgemeines Gerangel auflöste.

Es war fast Sonnenhochstand, als sie die Hand hob und für fünfzehn Sonnenspannen Schweigen im Ratszimmer verlangte. Diese Zeit, sagte sie, sei für ein Gebet zu Aven bestimmt, für Versöhnung und Trauer. Die meisten Leute schlossen jedoch weder die Augen, noch neigten sie den Kopf, sondern sie beobachteten, wie der Staub in den Lichtbahnen schwebte, die durch die hohen Fenster an der Südseite des Raumes hereinströmten. Die Jestana saß jedoch völlig reglos da, die Augen geschlossen, die Hände im Schoß.

Niemand wagte es, sich viel zu bewegen.

Schließlich öffnete sie die Augen. »Nun hört mir zu«, begann sie: »Ich bin im Geiste die Zeugenaussa-gen durchgegangen. Ich habe den Eindruck, daß Aparet Stels Leben mit Vorbedacht in Gefahr brachte, und daß sie dabei von ihrer Familie unterstützt wurde. Und doch gibt es dafür keinen Beweis; daher ist es gesetzlich keine Realität.« Eine Bewegung der Nordrätin veranlaßte sie, die Hand zu heben. »Andererseits hatte Stel die Dahmens fraglos schwer provo-ziert, da er dem Gesetz nach jetzt ein Dahmen war und daher den Familiengesetzen unterworfen. Er wußte, wie streng die Familie war, ehe er einheirate-te. Ich bin auch der Ansicht, daß Ahroe kein Vorwurf zu machen ist und daß sie keine Schande zu tragen haben soll. Ich weiß aber, daß das in der Praxis nicht so sein wird, und es ist wohl sehr wahrscheinlich, daß sie den Rest ihres Lebens ohne Ehemann verbringen wird, so groß ist die Empörung seitens der südlichen und westlichen Quadranten. Vielleicht, Ahroe, wirst du in einem entfernten Zweig deiner eigenen Familie einen Gatten finden.

Schwerwiegender ist, meiner Beurteilung nach, der Anstieg der Spannungen, der durch diesen Vorfall ausgelöst wurde. Als Bewohner einer geschlossenen Stadt – und das sind wir immer noch, obwohl es einige Tendenzen zu einer Öffnung gibt – müssen wir zusammenhalten. Nach dem Wegfall der Bedrohung von außen werden jedoch unsere Differenzen deutlicher sichtbar. Davor müssen wir uns hüten, denn es wird schwere Auswirkungen nach sich ziehen. Nur, weil wir für die Außenstämme offen sind, haben wir noch lange nicht unsere Gesellschaftsordnung geändert. Die Dahmens haben das Recht, sie sehr streng zu interpretieren. Andere Familien können das Wort Pells auf andere Weise lesen.« Wieder mußte sie die Hand heben und Aufmerksamkeit verlangen.

»Und doch gibt es in dieser ganzen Situation einen Aspekt, der mich verwirrt. Die Botschaft, die Stel im Schnee hinterlassen hat, ist sonderbar. Sie drückt Bedauern aus, aber keine Verzweiflung. Sie enthält Scherz. Sie wurde von einem Mann geschrieben, der gerade durch eine heldenhafte Anstrengung lebend dem Fluß entkommen war. Die Dahmens haben von ihm verlangt, völlig gegen sein innerstes Wesen zu handeln. Ich verstehe nicht, wieso er überhaupt in diese Heirat eingewilligt hat, aber nachdem er das getan hatte, war sein Schicksal sozusagen schon be-siegelt.

Dazu fällt mir folgendes ein. Sind wir sicher, daß er unters Eis ging? Wir haben keine Leiche. Wir haben auch die Tatsache, daß Ruudi ihm letzte Nacht eine Tasche mit Lebensmitteln und einen Schlafsack brachte. Hat Stel diese Dinge mit in den Fluß genommen? Man hat sie nicht gefunden.

Ich verfüge nunmehr, daß diese Angelegenheit im Augenblick noch nicht völlig abgeschlossen wird. Ich verfüge, daß die Garde flußaufwärts zum Shumailager geschickt werde, um einen Jäger zu holen, der alle Spuren am Westufer untersuchen soll, das heißt, falls die Neugierigen noch nicht alles zertrampelt haben.

Diese Information sollte uns bei Sonnenuntergang zur Verfügung stehen, und ich möchte, daß wir uns zu diesem Zeitpunkt noch einmal hier einfinden.«

Wieder hob sie beide Hände, um Schweigen zu gebieten.

»Bis dahin befehle ich den wegen dieser Sache im Streit liegenden Familien, über diese oder eine andere Sache kein Wort miteinander zu wechseln. Nun, Garde, schickt Leute aus, wie ich es verfügt habe! Die Ratssitzung ist vertagt.«

Ein sonderbar langes Schweigen hing im Zimmer, bis sich jemand regte. Die Protektorin war als kluge Frau bekannt, mit langer Erfahrung, aber sonst hatte niemand die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß Stel nicht tot sein könnte. Was war, wenn er geflohen war? Vielleicht nach Nordwall? Langsam schwoll das Stimmengemurmel an, als die Leute den Raum verließen.

Ein Gardist nahm sofort die kurze Strecke nach Norden zum Winterlager der Shumai in Angriff, weitere sechs Gardisten überquerten die Eisbrücke, um von nun an jegliche Einwirkung auf die verbliebenen Spuren zu verhindern, die Stel hinterlassen hatte. Aber der Schauplatz war ein einziges Durcheinander. Eine ganze Reihe von Leuten war an diesem Morgen auf der anderen Seite des Flusses gewesen, die sich überlagernden Spuren bildeten eine verwirrende Ansammlung von Fußabdrücken. Das Eis auf dem Fluß war zum Teil mit Schnee bedeckt, zum Teil freigeblasen. Soweit sich Ruudi erinnern konnte, hatte Stel mehrere schneefreie Stellen überquert, in den Schneezungen dahinter waren seine Spuren wieder aufgetaucht.

Die Sonne hatte noch kein Achtel ihres Wegs zum Untergang zurückgelegt, als der Gardist mit drei Shumai zurückkehrte, die leichtfüßig über das freie Eis nahe am Ufer trabten, dann einen Bogen machten und die Eisbrücke überquerten. Hagen, der älteste, ein dünner Mann mit hellblondem, zu einem Zopf geflochtenen Haar ging mit dem Gardisten zu Stels Botschaft. Die beiden anderen untersuchten das Eis, einer nach Norden, der andere nach Süden hin, sie bewegten sich im typischen, in der Hüfte lockeren Gang gewohnheitsmäßiger Läufer, ließen ihre Augen um-herschweifen und bückten sich gelegentlich.

Der Gardist las Hagen die Nachricht vor und der lächelte bei dem Gedanken, daß ein Mann sich so von einer Familie beherrschen ließ, daß er ihretwegen von zu Hause fortgehen mußte, ironisch. »Draußen auf den Prärien ist er vielleicht glücklicher«, sinnierte er.

»Aber wir wollen uns die Spuren anschauen, wenn ihr Pelbar mit euren großen Füßen sie nicht völlig zertrampelt habt.« Er nahm die Spuren bei der Botschaft auf, trabte leichtfüßig hinaus zur Fahrrinne und sah dabei Stels Fußspuren zwischen den vielen ähnlichen so deutlich, als wären sie blau angemalt.

Nach etwa drei Vierteln der Strecke nach draußen blieb er stehen und bückte sich. Hier war der Schnee wie ein leichter Schorf über das Eis geblasen, daneben war blankes Eis.

»Von hier an ist er in seinen Spuren zurückgegan-gen«, sagte Hagen. »Ein einfacher Trick. Sogar die Füchse wenden ihn an. Schau! Siehst du, wie er die Ferse abrollt? Habt ihr das nicht gesehen?« Hagen schaute nach Süden zu Assek. Er legte die Hände an den Mund und pfiff. »Ist er da hinübergegangen?«

rief er.

Assek war mehrere hundert Spannen entfernt. Er schwenkte die Arme. »Da ist jemand gegangen. Ein Mann von mittlerer Größe«, rief er zurück. »Soll ich den Spuren folgen?«

Hagen sah den Gardisten an, der bei ihm war. Der schüttelte den Kopf. »Nein. Aber bitte sieh dir die Spuren bis hinaus zur Fahrrinne an, damit wir dem Rat einen klaren Bericht geben können. Bitte ihn, der Spur noch einen halben Ayas zu folgen. Und komm bitte nach Pelbarigan, um etwas zu essen und zu trinken und die ausgepichten Körbe mitzunehmen, die wir euch versprochen haben.«

Als der Rat wieder versammelt war, berichtete Leyye, der Hauptmann der Südgarde, was Hagen gefunden hatte. Die Protektorin nickte. »Nun«, sagte sie, »damit ist die Angelegenheit klar. Stel ist fortgegangen.

Wenn er nicht zurückkehrt, ist Ahroe nach der vorgeschriebenen Zeit wieder frei. Wenn er zurückkehrt, kann ihn seine Familie – die Dahmens – bestrafen. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, daß ich mich infor-miert habe, welche Strafmaßnahmen Stel schon hinter sich hatte, und daß ich ihn für sehr zäh halte, weil er das so lange durchgestanden hat. Ich nehme an, man kann bei einer bestimmten Denkweise verlangen, daß er sich jedesmal, wenn eine Dahmenfrau, einschließ-

lich seiner eigenen oder eines fünfjährigen Kindes, den Raum betrat, hinkniete und die Stirn an den Boden drückte – auch wenn einige von uns dieses Verfahren höchst sonderbar finden mögen. Aber wenn man einem Menschen Essen vorenthält, ihn Sonder-aufgaben erfüllen läßt und ihn des Schlafs beraubt, so zehrt das im Laufe der Zeit an seinem Verständnis.

Sollte er zurückkehren, und man würde noch strengere Maßnahmen ergreifen, bis hin zu ausgesprochener Folter ...« Ein Protestgemurmel der Nordrätin veranlaßte die Jestana, mit erhobener Hand Schweigen zu verlangen. »Sollte man noch strengere Maß-

nahmen ergreifen, bis hin zu ausgesprochener Folter, wäre Stel in einer Lage, in der er seinerseits vom allgemeinen Rat Hilfe erbitten könnte. Ich glaube, er hätte das schon beim jetzigen Stand der Dinge tun können, hat es aber unterlassen. So wie er ist, glaube ich, daß er nicht zurückkehren wird. Man hat ihm gezeigt, daß es hier nichts für ihn gibt, nicht einmal Ahroe, die man ihm weggenommen hat. Sagan, du wirst es also ohne den Anblick deines Sohnes aushalten müssen. Ich war dazu ziemlich lange gezwungen, wie du weißt, und du hast mein Mitgefühl.« Lä-

chelnd fügte sie hinzu: »Um unseretwillen hoffe ich jedoch, daß Stel, falls er zurückkehrt, dies etwas weniger auffallend tun wird als Jestak. Die Sitzung ist beendet.«

Alle Mitglieder des Nordrats erhoben sich, um mit lauten Mißfallens-und Zornesrufen zu protestieren.

Die Gardisten stellten sich vor sie und umringten die Protektorin, die nur wehmütig lächelte und wieder die Hände hob, um Schweigen zu gebieten. »Nun, Nordrätin, was ist der Wille deines Wahlkreises?«

»Protektorin, wir protestieren aufs schärfste gegen diese Entscheidung. Wir glauben, daß es vielleicht Zeit ist, wieder einmal allgemeine Wahlen auszuru-fen. Wir sind einstimmig der Ansicht, daß Gardisten oder vielleicht Shumai, die das noch besser können, ausgeschickt werden müssen, um Stel zurückzuholen. Er hat die Dahmens beleidigt, sein Ehegelübde mißachtet, sein Volk verlassen und uns trügerischer-weise in Trauer um seinen Tod und in Bestürzung über seinen Mangel an Charakter gestürzt. Das müssen der Südrat und besonders die Ardens ertragen, denn es kommt von ihnen und ihren lockeren Sitten.

Das verlangen wir.«

Die Protektorin wandte sich an den Gardehaupt-mann. »Ich sehe Aparet nicht. Wir werden nach ihr schicken. Und jetzt wollen wir schweigend warten.

Und Hes soll die Lampen bringen.«

Wieder saß die Protektorin mit geschlossenen Augen und gefalteten Händen da. Einige Ratsmitglieder taten es ihr nach, die meisten waren jedoch unruhig.

Es war eine Erleichterung, Hes zuzusehen, wie er langsam herumhumpelte und geschickt mit einem langen Fidibus die vierzig Wachslampen in der Halle entzündete. Die Angehörigen des Nordrats blickten besonders grimmig drein. Sie sahen sich nervös und wütend an, aber das Schweigen der Protektorin war einer der grundlegendsten Befehle im Rat. Es hatte schon oft geholfen, überschießendes Temperament zu beschwichtigen. Schließlich kam Aparet, ihre Gardi-stentunika saß schief, und sie versuchte, sie glattzu-streichen. Die Protektorin winkte sie ans Podium.

»Aparet, man hat uns gestern berichtet, du hättest zu Stel, als du ihn auf das dünne Eis hinausschicktest, durch das er einbrach, gesagt, du seist drauf und dran zu empfehlen, man solle ihn aus Pelbarigan ausschließen, weil er nur widerwillig gehen wollte. Ist das richtig oder nicht?« Aus dem Augenwinkel sah die Protektorin, wie Ahroe zusammenzuckte.

»Protektorin, wer hat dir das berichtet?«

»Zeugen. Ist das richtig oder nicht?«

Aparet ließ den Kopf sinken. »Es ist richtig, Protektorin.«

»Und war das eine allgemeine Entscheidung der Dahmens, oder hast du es aus eigenem Antrieb gesagt?«

Die Nordrätin erhob sich, um gegen die Frage zu protestieren. Die Protektorin sah sie an, erteilte ihr aber nicht das Wort. »Nun«, sagte die Jestana sanft, »ich sehe, daß die Nordrätin gegen meine Frage Ein-spruch erhebt. Damit ist sie beantwortet. Ich brauche sie nicht noch einmal zu stellen. Ich glaube, es ist deutlich geworden, daß Stel gute Gründe hatte zu glauben, es war die Absicht der Dahmens als Familie, nicht wahr?«

»Nein, das ist nicht wahr«, platzte die Nordrätin dazwischen. »Es ist bösartig, dies zu unterstellen, nur weil Aparet, aufs äußerste gereizt, eine dumme Bemerkung gemacht hat. Du hast ...«

»Nordrätin«, unterbrach die Jestana, »du wirst dich zweifellos an andere Tatsachen erinnern. Stel brach wirklich im Eis ein, auf das er gegen seinen Willen ging, weil Aparet es ihm befohlen hatte. Sie befahl ihm, das Eis, in das er soeben eingebrochen war, noch einmal zu überqueren. Die Seile waren nicht an ihrem ordnungsgemäßen Platz. Viertens hatte Stel wenig Grund, sich in der Familie der Dahmens willkommen zu fühlen. Tatsache ist, daß Stel genügend Gründe hatte zu glauben, daß man ihn aus Pelbarigan ausschließen, wenn nicht sogar verletzen wollte, und so schloß er sich selbst aus, solange er noch unverletzt war. Nun willst du, daß er zurückgebracht wird.

Willst du das, um das Vergnügen zu haben, ihn ausschließen zu können? Ich will ihn aber nicht entschuldigen. Er hat dich beleidigt. Ich, die Protektorin, sage das. Und wenn du im Protokoll stehen haben willst, er sei ausgeschlossen worden, habe ich dagegen nichts einzuwenden. Willst du dazu etwas sagen, Sagan?«

»Was gibt es da zu sagen?« fragte Sagan. »Du kannst tun, was du willst. Wir kennen alle die Fakten, nicht wahr? Stel konnte sein Leben retten, aber du willst, daß diese Ansammlung von Tyrannen vor der Nachwelt gut dasteht.«

»Nun denn, obwohl du meiner Meinung nach deine Ansicht sehr schroff zum Ausdruck bringst, steht es den Dahmens frei, auch die ihre zu äußern, indem sie Stel ausschließen. Ich könnte jedoch darauf hinweisen, daß das ihre neunte Ausschließung in den vergangenen zweiunddreißig Jahren ist. Alle anderen Familien zusammen haben im gleichen Zeitraum insgesamt sieben Leute ausgeschlossen. Aber das ist das Recht der Dahmens. Es geht den Rat nichts an, solange keine physische Mißhandlung im Protokoll ver-merkt ist oder der Ausgeschlossene mit dieser Be-gründung Hilfe erbittet.

Solche Situationen sind niemals einfach. Ich würde gerne verlangen, daß Sagan und Ahroe mit dem Frie-denskuß wieder zu ihren Familien zurückgehen, ehe wir die Sitzung vertagen.«

Aber Ahroe war nicht mehr da. Niemand hatte sie fortgehen sehen, sie mußte während des Protests der Nordrätin hinausgeschlüpft sein. Die Protektorin mußte die Sitzung ohne die Zeremonie beenden. Das beunruhigte sie, denn es war mehr als eine Formali-tät. Es war ein heiliges Versprechen. Nun, wenn Ahroe zurückkehrte, würde sie den Rat erneut einbe-rufen, wenn nötig nur für den Kuß. Das wäre die Sache wert. Sie verließ den Saal und runzelte die Stirn, während sie sich leicht auf Druk, ihren Diener stützte.

Die restlichen Ratsmitglieder folgten ihr, meistens teils schweigend. Die Stadt war klein genug, um durch Stels Verschwinden tief beunruhigt zu sein. In diesem Augenblick, das wußten sie alle, war er drau-

ßen in der dunklen Winternacht, irgendwo, nicht zu weit entfernt, aber allein. Obwohl er sich wegen der Stämme keine Sorgen zu machen brauchte, war es für einen von Geburt an umfriedet lebenden Pelbar doch kein sehr erfreulicher Gedanke, außerhalb der schüt-zenden Mauern seiner Stadt zu sein.