Ja, ich will

In einer kleinen Stadt in North Carolina, wo es möglich war, daß ein Paar noch am selben Tag heiratete, an dem es den Antrag stellte, wurden Arden und ich von einem fetten, kahlköpfigen Friedensrichter getraut, während seine langweilig aussehende, dürre Frau auf einer abgenutzten alten Orgel die Hochzeitsmusik spielte. Nachdem die kurze Zeremonie beendet war, sang sie (ohne von uns gebeten worden zu sein): ›I Love You Truly.‹

Sylvia rutschte unruhig auf einem Stuhl herum, baumelte mit den Beinen und spielte mit den Kristallen, wobei sie unaufhörlich vor sich hin plapperte, als hätte sie plötzlich ihre Stimme gefunden und müßte sie nun auch benutzen, selbst wenn sie keine sinnvollen Worte sprechen konnte – oder versuchte sie zu singen? Es war schwer, sich auf die Zeremonie zu konzentrieren.

»Irgendwann machen wir das alles noch einmal, so, wie es sich gehört«, versprach Arden, als wir nach Süden weiterfuhren, einem berühmten Strand und einem guten Hotel entgegen. »In dem violetten Kleid siehst du hinreißend aus. Es paßt genau zu deinen Augen. Du hast wundervolle Augen, so tief. Ich frage mich, ob ich in einer Million Jahren Zeit genug habe, all deine Geheimnisse herauszufinden.«

Mir war nicht wohl zumute. »Ich habe keine Geheimnisse.«

Am Abend brachten wir unser Gepäck ins Hotelzimmer, und bald darauf saßen wir im Speisesaal, wo alle Gäste Sylvia anstarrten, die ihr Essen in den Mund schaufelte, ohne Besteck zu Hilfe zu nehmen. »Ich habe auch daran gearbeitet«, entschuldigte ich mich bei Arden. »Früher oder später wird sie das schon begreifen.«

Er lächelte und erklärte, daß wir beide aus Sylvia schon noch eine perfekte Dame machen würden.

Ich war froh, daß das Abendessen so lange dauerte. Nur zu bald würde der Augenblick kommen, vor dem ich mich am meisten fürchtete.

So sehr ich mich auch bemühte, die dunkle, unklare Erinnerung an den feuchten Tag im Wald blitzte immer wieder vor meinem geistigen Auge auf. Sex hatte die erste Audrina getötet, und heute war meine Hochzeitsnacht. Arden würde mir nicht weh tun, sagte ich mir erneut, um mich selbst zu beruhigen. Mit ihm würde es nicht schrecklich sein. Der Schmerz, das Entsetzen, all das Häßliche gehörten zu dem Schaukelstuhltraum der ersten Audrina; nichts davon gehörte in mein Leben, ich hatte ja die Hochzeitsurkunde in der Tasche.

Arden war wunderbar, rücksichtsvoll, tolerant, was Sylvia anging, während er gleichzeitig versuchte, romantisch mit mir zu sein – eine nahezu unmögliche Aufgabe. Er tat mir leid, weil er sich so sehr bemühte.

Er hatte eine Suite bestellt – zwei Zimmer mit Verbindungstür. So hatte Sylvia ihr eigenes Bad, und in ihrem Bad tat ich langsam, was ich zu tun hatte. Nachdem ich sie in das große Bett gesteckt hatte, gab ich ihr strikte Anweisungen, im Bett zu bleiben sonst … Ich stellte ihr noch ein halbvolles Glas mit Wasser auf den Nachttisch. »Trink so wenig wie möglich, damit dir heute nacht kein Mißgeschick passiert.«

Ich küßte sie und zog mich zögernd zurück, als sie einschlief, die Kristalle noch immer fest umklammernd.

In dem Schlafzimmer, das Arden und ich teilen würden, ging er ungeduldig auf und ab, während ich stundenlang badete und meine Haare wusch. Dann rollte ich sie auf Wickler, benutzte meinen Fön, cremte mir das Gesicht ein, und während mein Haar trocknete, entfernte ich meinen Nagellack und lackierte alle meine Nägel, einschließlich der Zehennägel, neu. Jetzt, wo mein Haar vollkommen trocken war, mußte ich warten, daß auch meine Nägel trockneten. Als der Lack fest genug zu sein schien, nahm ich vorsichtig die Lockenwickler aus den Haaren und bürstete es zu losen, weichen Wellen aus. Ich besprühte mich mit Eau-de-Cologne, bestäubte mich mit Talkumpuder, und schließlich zog ich ein hübsches Nachthemd über. Dummkopf, Dummkopf, schimpfte ich mich selbst, weil ich solche Angst davor hatte, zu meinem Ehemann zu gehen.

Ich zupfte an dem verführerischen Nachthemd, das Billie mir zu meinem letzten Geburtstag geschenkt hatte, und wünschte, es wäre weniger durchsichtig – wenngleich ich vermutete, daß sie es mir gerade deswegen geschenkt hatte. Dazu gehörte ein passender Frisiermantel in Violett, mit cremefarbener Spitze besetzt, der nichts, aber auch gar nichts, verbarg. Nachdem ich alles getan hatte, was mir überhaupt eingefallen war, setzte ich mich auf den Rand der Badewanne und starrte die geschlossene Tür an. Ich hatte Angst davor, sie zu öffnen und hindurchzugehen.

Immer wieder sah ich jetzt Mammi vor mir, die so ähnlich ausgesehen hatte wie ich, nur älter. Ich dachte an Papa und den Gürtel, den er als Peitsche benutzt hatte. Wieder sah ich alles vor mir, was der ersten Audrina zugestoßen war, an jenem schrecklichen Tag im Regen, als sie tot unter dem Goldregen gefunden worden war. Ein Kind zu vergewaltigen – das war nicht richtig, nicht fair. Ich fing an zu zittern, und Schweiß näßte meine Achseln trotz des Deodorants. Ich sah Vera mit Lámar Rensdale über den Boden rollen, sah die gewaltsamheftige Art, wie er sie genommen hatte, wie ein brünstiges Tier. Ich konnte das nicht. Ich wollte das nicht!

Ich stand auf und öffnete meinen Mantel – ich konnte mich ihm nicht in diesem Aufzug zeigen.

»Audrina«, rief Arden aus dem Zimmer, und seine Stimme hörte sich verärgert an, »warum brauchst du denn so lange? Du bist jetzt schon seit Stunden da drin.«

»Nur noch fünf Minuten«, antwortete ich nervös. Das hatte ich schon zweimal gesagt. Ich fummelte an meinem Haar herum, dann am Frisiermantel, nahm ihn ab, überlegte, ob ich mich wieder vollständig ankleiden sollte. Ich kaute an meinen Fingernägeln, eine Gewohnheit, die ich schon vor langer Zeit abgelegt hatte. Wieder sagte ich mir, daß Arden mich kannte, seit ich sieben Jahre alt war, daß er mich im Spiel- und im Badeanzug gesehen hatte, bei allen möglichen Gelegenheiten … aber noch nie hatte er mich in einem durchsichtigen Nachthemd gesehen … Aber er war jetzt schließlich mein Mann! Warum sollte ich mir da Sorgen machen? Ich würde nicht tot unter einem Goldregen enden oder auf dem Boden, und er würde auch nicht seinen Gürtel benutzen … oder?

»Noch eine Minute«, erinnerte mich Arden. »Diesmal nagle ich dich auf deinem Versprechen fest. Keine Entschuldigung mehr!«

Sein Ton war so grimmig, daß er mir angst machte. Nie zuvor hatte seine Stimme so hart geklungen. Es war fast, als hörte ich Tante Mercy Mary, Tante Elsbeth und Mammi sagen: Einen Mann kennt man erst, wenn man mit ihm verheiratet ist.

»Ich beobachte den Sekundenzeiger«, informierte er mich. »Du hast jetzt noch dreißig Sekunden. Wenn du nicht kommst, wie du es versprochen hast, komme ich rein. Und wenn ich die Tür eintreten muß, ich komme!«

Ich wich an die Wand zurück. Mein Herz hämmerte wild. Dann trat ich einen Schritt näher zur Tür, schickte ein Stoßgebet für die Seele meiner Tante zum Himmel und bat um Vergebung dafür, daß ich nicht an ihrer Beerdigung teilgenommen hatte.

»Deine Zeit ist um!« brüllte er. »Mach Platz – ich komme!«

Er würde sich verletzen, wenn er Anlauf nahm und sich dann gegen die Tür warf. Zweimal hatte er schon gegen die Tür getreten, aber sie hatte nicht nachgegeben. Ich hörte ihn fluchen und vermutete, daß er sich gegen die Tür werfen würde. Hastig drehte ich den Knauf um und riß die Tür auf.

Es war wirklich Pech, daß er sich gerade in dieser Sekunde vorwärts warf. Er donnerte gegen die Kachelwand gegenüber der Tür, glitt daran zu Boden und blieb dort liegen. Er sah aus, als wäre er völlig verblüfft und als hätte er entsetzliche Schmerzen.

Ich eilte zu ihm, kniete neben ihm nieder. »O Arden, es tut mir so leid, so schrecklich leid. Ich wußte doch nicht, daß du wirklich versuchen würdest, die Tür einzurennen.«

Zu meiner Überraschung lachte er und griff nach mir. Dann überhäufte er mich mit Küssen. Dazwischen kamen seine Worte: »Ich habe ja schon gehört, daß Bräute Lampenfieber bekommen, aber ich dachte, du liebst mich, Audrina.«

Noch mehr Küsse auf mein Gesicht, meinen Hals, meine Brüste. »Wir haben uns doch nicht erst jetzt kennengelernt.«

Ich sprang auf die Füße. Auch er erhob sich, tastete nach seinen Knochen. »Scheine keinen bleibenden Schaden davongetragen zu haben«, meinte er und grinste gutmütig. Zärtlich nahm er mich in die Arme und sah mir tief in die Augen. »Du mußt mich nicht so ängstlich ansehen. Irgendwie ist das alles ja lustig, eine Farce. Aber ich möchte nicht, daß unsere Hochzeitsnacht eine Farce wird. Ich liebe dich, Audrina. Wir lassen uns Zeit, gehen die Sache ganz ruhig an, und du wirst überrascht sein, wie natürlich das alles ist.«

Er küßte mich leicht mit geöffneten Lippen. »Dein Haar sah schon vorher herrlich aus, du hättest es nicht noch einmal zu waschen brauchen. Trotzdem, ich habe dich noch niemals so schön gesehen … und selbst wenn du so verängstigt aussiehst, für mich bist du atemberaubend.«

Wieder küßte er mich, als wollte er gar nicht mehr damit aufhören. »Ich bin blitzschnell fertig«, sagte er, gab mich zögernd frei und betrat das Badezimmer.

Das hätte er mir nicht zu sagen brauchen. Ich wußte die ganze Zeit über, daß er blitzschnell fertig sein würde.

Ich würde diese Nacht ertragen müssen und alle kommenden Nächte, wenn ich Papa entkommen wollte; wenn ich eine körperliche Beziehung finden wollte, die jede Frau mit dem Mann, den sie wahrhaft liebte, eigentlich genießen sollte.

Ich zog den Frisiermantel aus, den Arden nicht einmal bemerkt hatte, und schlüpfte unter die Decke des riesigen Bettes. Ich lag kaum bequem, als Arden auch schon die Badezimmertür öffnete. Er hatte geduscht und all das wenige getan, was ein Mann tun muß, ehe er schlafen gehen kann.

Schnell kam er zum Bett herüber. Seine Silhouette zeigte sich kurz vor dem goldenen Licht hinter ihm. Zu meinem Entsetzen trug er nichts als ein feuchtes Badetuch, das er sich um die Hüften geschlungen hatte. Das ganze spärliche Licht im Hotelzimmer schien sich auf seine feuchte, glänzende Haut zu konzentrieren, zwang mich, mir seiner Männlichkeit bewußt zu werden, an die ich doch überhaupt nicht denken wollte. Ich wollte diese Nacht so schnell wie möglich hinter mich bringen. Ich hätte schreien können, als er dieses Handtuch lässig abnahm und zu Boden fallen ließ.

Oh, es fing schon an, all die schlampigen Sachen, die Männer taten, wenn sie erst eine Frau hatten, die ihnen alles hinterherräumte. »Du hast vergessen, das Licht im Badezimmer auszumachen.«

»Weil du hier drin alles Licht ausgemacht hast«, sagte er, »und ich mag gern ein bißchen Licht. Ich kann aber statt dessen auch die Vorhänge öffnen und den Mondschein hereinlassen.«

Sein Atem roch nach Zahnpasta. Er stand neben dem Bett, als wollte er, daß ich ihn in dem blassen, rosigen Nachtlicht betrachtete, das er angeschaltet hatte.

»Liebling, sieh mich an. Dreh den Kopf nicht weg. Ich habe jahrelang auf diese Nacht gewartet. Ich habe mir solche Mühe gegeben, meinen Körper muskulös und fit zu halten, und nie, nicht ein einziges Mal, hast du irgend etwas gesagt, um mir zu zeigen, daß du es bemerkt hast. Siehst du eigentlich überhaupt einmal etwas anderes als mein Gesicht?«

Ich schluckte. »Ja, natürlich habe ich es bemerkt.«

Lächelnd setzte er ein Knie aufs Bett. Verängstigt von dem, was ich sah, ehe ich meinen Blick wieder abwendete, verkrampfte ich mich innerlich noch mehr und wich bis an den äußersten Rand des Bettes zurück. »Audrina, du zitterst ja. Es ist doch nicht kalt hier drin. Hab keine Angst. Wir lieben uns doch. Ich habe dich geküßt, umarmt, und ein paarmal habe ich etwas mehr gewagt und bin sofort zurechtgewiesen worden. Aber sich lieben – dazu gehört mehr als das alles zusammen.«

Seine leise Stimme klang besorgt. »Du weißt doch, um was es geht, hoffe ich …?«

Ja, ich wußte es. Vielleicht wußte ich sogar zuviel. Ich starrte zum Fenster; mir war übel vor Angst. Das ferne Grollen von Donner drang ins Zimmer. Mit dem näherkommenden Sturm und Gewitter kam eine neue Flut des Entsetzens, brachte Visionen des dunklen Waldes unter bleigrauem Himmel. Wie im Zimmer der ersten Audrina fühlte ich die ominöse Drohung dessen, was vor mir lag.

Regen! Oh, bitte, lieber Gott, laß es heute nacht nicht regnen!

Zentimeter für Zentimeter rückte Arden näher. Ich konnte ihn mit jeder Faser spüren. Ich atmete seinen männlichen Geruch, fühlte seine Nacktheit, spürte meine eigene Verwundbarkeit unter dem Nichts von einem Nachthemd. Meine Haut schien zu erwachen und sich in eine Million Antennen zu verwandeln; jedes nahezu unsichtbare Härchen bebte, befahl mir, etwas zu tun, und zwar schnell. Zurück, zurück, ich kehrte zu dem Schaukelstuhl zurück, in jene Zeit, als er mich noch geängstigt hatte, ehe ich gelernt hatte, den Schrecken des Waldes zu entfliehen. Ich fühlte mich schaukeln, hörte eine kindliche Stimme singen, sah die Spinnen ihre Netze weben, sah die Augen der Stofftiere funkeln, hörte die Bodenbretter knarren. Der Wind blies, und gleich würden Blitze zucken und Donner grollen.

Arden sagte etwas Liebes. Warum konnte ich ihn nicht richtig verstehen? »Ich liebe dich«, vernahm ich, seine Stimme drang durch einen Nebel zu mir. Mein Herz klopfte so laut, daß ich ihn über den Lärm in meinem Innern kaum hören konnte.

Jetzt war Arden ganz nah, drehte sich auf die Seite und streckte vorsichtig die Hand aus, um mich ganz leicht am Oberarm zu berühren. Seine Fingerspitzen streiften die linke Seite meiner Brust. Nicht, nicht, tu’s nicht! wollte ich schreien. Aber ich lag da, sprachlos vor Angst, die Augen so weit aufgerissen, daß sie zu schmerzen anfingen. Mein Mund wurde trocken.

Er räusperte sich und bewegte sich, bis sein Fleisch an meinem lag, heißes Fleisch, behaartes Fleisch. Seine Lippen, noch heißer und feucht, suchten meine. Ich wich zurück, versuchte, einen Schrei zu unterdrücken. »Was ist denn los?« fragte er. »Liebst du mich schon jetzt nicht mehr, Audrina?«

Aus irgendeinem Loch in meinem Gedächtnis kam eine Entschuldigung. Mammi sagte zu Papa, daß sie zu müde wäre. »Ich bin bloß so müde, Arden. Es war ein langer Tag. Meine Tante ist heute morgen gestorben. Warum kannst du mich heute nacht nicht einfach in den Armen halten und mir wieder und wieder sagen, daß du mich liebst. Dann würde ich mich vielleicht nicht so schämen.«

»Aber du hast überhaupt keinen Grund, dich zu schämen«, sagte er. »Du fühlst wie viele Bräute – hat man mir erzählt. Da du meine erste bist, und hoffentlich auch meine letzte, kann ich nicht aus Erfahrung sprechen.«

Ich wollte ihn fragen, ob ich das erste Mädchen war, mit dem er schlafen würde, aber ich fürchtete, er könnte nein sagen. Ich wollte, daß er genauso unerfahren wäre wie ich; und dann wieder wollte ich, daß er genau wüßte, was zu tun wäre, damit mir gefiele, was ich so unaussprechlich fürchtete. Wenn ich wirklich wüßte, daß er auf mich gewartet hatte, dann würde das beweisen, daß er mich genug liebte.

Seine Finger streichelten meinen Arm, als er sich über mich beugte und mich zwang, die Augen zu schließen.

Hatte ich nicht meine eigene Mutter sagen hören, daß Jungs immer eher zum Sex bereit waren als Mädchen? Damals hatte sie mit meiner Tante gescherzt und mit Tante Mercy Marie, die lächelnd auf dem Flügel stand.

Jetzt wagten seine Hände sich weiter, liebkosten meine Brüste, ehe seine Finger anfingen, meine Brustwarzen zu umkreisen, die von dem dünnen Stoff kaum bedeckt waren. Ich schauderte, wand mich und fragte: »Hast du schon mal mit jemandem geschlafen?«

»Mußt du das ausgerechnet jetzt fragen?«

»Ist es falsch, so etwas zu fragen?«

Sein Seufzen klang verzweifelt. »Es heißt, daß es Unterschiede in der Gefühlswelt von Männern und Frauen gibt. Vielleicht stimmt das, vielleicht auch nicht. Ich habe gehört, daß eine Frau ein recht glückliches Leben führen kann, auch ohne Sex, aber ein Mann hat eine bestimmte Menge Sperma, die auf die eine oder andere Weise verkleinert werden muß, um ihm Erleichterung zu verschaffen. Am schönsten ist das mit der Frau, die er liebt. Lieben heißt auch teilen, Audrina. Sich gegenseitig Vergnügen und Freude schenken, ohne Schmerz, ohne Scham.«

»Hat Billie dir gesagt, du solltest mir das erzählen?« fragte ich heiser.

Seine übereifrigen Lippen brannten in meiner Kehle, ehe er murmelte: »Ja. Ehe wir das Häuschen verlassen haben, hat sie mich beiseite genommen und mich gebeten, heute nacht ganz sanft und liebevoll mit dir umzugehen. Aber das hätte sie mir nicht zu sagen brauchen. Ich hätte es sowieso getan. Ich möchte alles richtig machen. Gib mir eine Chance, Audrina. Vielleicht ist es gar nicht so schrecklich, wie du glaubst.«

»Warum sagst du das? Warum glaubst du, daß ich denke, es wäre schrecklich?«

Sein kleines Lachen klang angespannt. »Das ist ja wohl offensichtlich. Du bist wie eine Geige, deren Saiten man zu fest angezogen hat … ich kann an deinen Nervenenden zupfen und sie förmlich surren und reißen hören. Aber du warst es doch, die heute zu mir gelaufen kam, oder nicht? Du hast dich mir in die Arme geworfen und gesagt: ›Laß uns heiraten‹, oder? Du wolltest heute fliehen – nicht morgen oder nächste Woche. Ist es da nicht natürlich, daß ich dachte, daß du nun endlich bereit wärest, mich auch als Liebhaber zu akzeptieren?«

Ich hatte nicht nachgedacht. Hatte bloß gehandelt. Flucht vor Papa war alles, was gezählt hatte. »Arden, du hast meine Frage nicht beantwortet.«

»Welche Frage?«

»Bin ich die erste?«

»Also schön, wenn du es wissen mußt. Es hat andere Mädchen gegeben, aber keines, das ich so geliebt hätte, wie ich dich liebe. Seit ich beschlossen habe, dich zu heiraten, habe ich kein anderes Mädchen mehr angerührt.«

»Wer war die erste?«

»Das ist doch egal«, antwortete er, das Gesicht zwischen meine Brüste gepreßt, während seine Hand unter meinem Hemd forschte. Ich hinderte ihn nicht, zu tun, was er tun wollte. Ich klammerte mich an meinen Schmerz. Er liebte mich nicht genug. Er hatte andere gehabt, hundert vielleicht. Und immer hatte er so getan, als wäre ich die einzige für ihn gewesen. Gemein und falsch, wie Papa.

»Du bist so schön, so weich und süß. Deine Haut ist so zart«, murmelte er, sein Atem ging schneller, als wäre alles wichtig, was er tat und was er brauchte, und nichts, was ich tat oder nicht tat, war von Bedeutung. Jetzt umspannte seine Hand meine Brust, knetet sie, während seine Lippen sich hart auf meinen Mund senkten. Ich war schon oft von ihm geküßt worden, aber noch niemals so.

Panik schickte mich in den Schaukelstuhl zurück, machte wieder ein Kind aus mir, das Angst vor dem Spielzimmer hatte, in das schreckliche Dinge eindrangen und mich mit Scham erfüllten. Blitze zuckten, und in meiner Angst bäumte ich mich auf. Arden hielt das für beginnende Leidenschaft, denn seine Lust riß ihn mit. Die dünnen Träger meines Nachthemds rissen, als er es mir auszog, damit seine Lippen und seine Zunge mit meinen nackten Brüsten spielen konnten. Ich bog den Nacken zurück und drückte den Kopf in die Kissen und biß mir auf die Unterlippe, um nicht laut zu schreien. Ich preßte die Augen zu und versuchte, die Schande all dessen hinzunehmen, was er tat. Innerlich schluchzte ich, genauso wie damals, als sie der ersten Audrina ihr hübsches, neues Kleid ausgezogen und ihre seidene Unterwäsche heruntergerissen hatten.

Ich weinte, weinte, und er sah und hörte meine Tränen nicht. Meine Augen öffneten sich, als der Donner krachte. Der Blitz erhellte das Zimmer gerade genug für mich, daß ich sein hübsches Gesicht über meinem sehen konnte, verzückt, außer sich vor Leidenschaft.

All seine Zärtlichkeiten, Berührungen, Liebkosungen und Küsse machten ihm Vergnügen, während sie mir nur angst machten. Ich fühlte mich hintergangen, betrogen, war wütend und bereit, ihm weh zu tun mit meinen Schreien, als er mein Nachthemd fortriß und beiseite warf wie einen Lumpen. Die im Wald hatten das auch getan!

Dann waren seine Hände überall, fanden alles, nur nicht, was sie zu suchen schienen. Ich haßte es, wo er seine Hand hatte, und war froh, als er fluchte, während seine Finger wie verrückt arbeiteten. Dann seufzte er und rollte sich auf mich, und ich spürte seine Härte.

Oh! Der Schaukelstuhl, ich saß wieder in ihm, schaukelte hin und her. Ich sah den Wald, hörte die obszönen Worte, hörte das Lachen.

Aber es war zu spät. Ich fühlte ihn tief in mir, dick und heiß und feucht. Ich kämpfte, wollte mich befreien, bäumte mich auf, trat und kratzte. Ich hieb meine Nägel in die Haut seines Rückens, kratzte ihn, aber er hörte nicht auf. Er stieß immer weiter zu, rief in mir dieselbe Art von Scham, dieselbe Art von Schmerz wach, die sie in ihr wachgerufen hatten. Sein Gesicht … war das Ardens Gesicht, das jungenhafte Gesicht, dem das Haar in der Stirn klebte, ehe er sich umdrehte und fortlief? Nein, nein, Arden war damals überhaupt noch nicht geboren. Er war einfach genau wie die andern, das war alles. Alle Männer waren gleich … alle gleich … alle …

Ich verlor den Sinn für die Realität. Tante Elsbeth hatte recht gehabt, als sie erklärte, ich wäre zu sensibel. Ich hätte Arden niemals glauben machen dürfen, ich könnte eine perfekte Ehefrau sein.

Ich konnte überhaupt keine Ehefrau sein.

Dann ergoß er sich in mir. Schrei, schrei, aber der Donner übertönte meine Schreie. Niemand hörte sie, nicht einmal er. Ich schmeckte mein eigenes Blut, so fest hatte ich mir auf die Lippen gebissen, um nicht zu schreien. Es war doch nur Arden, der mich liebte. So war körperliche Liebe nun einmal … ein weiterer, letzter Stoß riß mich fast entzwei … dann ein Wirbel, Scham und Entsetzen vergingen. Finsternis nahm mich gnädig auf, und ich fühlte nichts mehr, überhaupt nichts.

Das Licht der Morgensonne weckte mich. Sylvia kauerte in der Ecke unseres Schlafzimmers und spielte mit ihren Kristallen. Ihr Nachthemd war bis zu den Hüften hinaufgerutscht. Mit den leeren Augen, den geöffneten Lippen sah sie aus wie eine Puppe.

Mein Mann drehte sich um, wachte auf und griff nach meiner Brust, als würde sie ihm gehören. Er küßte erst sie, dann meine Lippen. »Liebling, ich liebe dich so sehr.«

Noch mehr Küsse regneten auf mein Gesicht, meinen Nacken, über meinen ganzen nackten Körper, und Sylvia war da – obwohl ich sicher war, daß er sie nicht gesehen hatte. »Zuerst schienst du so verängstigt und verkrampft. Und dann, ganz plötzlich, hast du mich gehalten und warst so leidenschaftlich. Ach, Audrina, ich hatte gehofft, daß du so sein würdest.«

Was sagte er da? Wie konnte ich seinen Worten glauben, wenn seine Augen so flehten, wie sie es taten? Und doch gestattete ich ihm, seine Befriedigung zu genießen, denn er hatte Befriedigung gefunden, während ich nichts als Schmerz, Scham und Schande verspürt hatte. Und weit, weit hinten in meinem perforierten Gedächtnis war der Geruch von Blut, von feuchter Erde und nassen Blättern … und Audrina taumelte heim, versuchte, die Fetzen eines teuren Kleides zusammenzuhalten, um ihre Nacktheit zu verdecken.