Kapitel 6

 

Als Mrs. Flawse am nächsten Morgen nach einer unruhigen Nacht nach unten kam, hatte sich der alte Mann in seinem Allerheiligsten vergraben und einen Zettel auf dem Küchentisch hinterlassen, auf dem stand, sie solle sich ihr Frühstück selber machen. Ein großer Topf Haferschleim blubberte zäh auf dem Herd; nachdem sie seinen Inhalt gekostet hatte, begnügte sie sich mit einer Kanne Tee und etwas Brot mit Marmelade. Von Mr. Dodd war nichts zu sehen. Im Hof lümmelten sich die grauen Ergebnisse von Mr. Flawses Eugenikexperimenten in der Wintersonne. Mrs. Flawse ging ihnen aus dem Weg, indem sie die Küchentür benutzte, und machte einen Rundgang durch den Garten. Er war durch eine hohe Mauer vor Wind und Wetter geschützt und nicht ohne Reiz. Irgendein früherer Flawse hatte Gewächshäuser sowie einen Küchengarten angelegt, und Capability Flawse, dessen Porträt auf dem Treppenabsatz hing, hatte in dem Viertelhektar, der nicht für Gemüse bestimmt war, eine südliche Landschaft en miniature entstehen lassen. Verkrüppelte Bäume und mit Sand bestreute Wege wanden sich durch Steingärten, in einem Fischteich sprudelte ein Springbrunnen. In einer Ecke stand ein Häuschen, ein Gartenhäuschen mit Panoramablick, in dessen Beton Feuersteine und Muscheln steckten und dessen winziges gotisches Fenster mit Buntglasscheiben versehen war. Mrs. Flawse stieg die Treppe zur unverschlossenen Tür hinauf, trat ein und entdeckte die ersten Anzeichen von Komfort auf dem Anwesen. Der eichenholzgetäfelte, mit verblichenen samtbezogenen Sitzgelegenheiten möblierte Raum hatte eine prunkvoll geschnitzte Decke und bot eine Aussicht über die Hochebene bis zum Stausee.
Mrs. Flawse nahm Platz und dachte wieder einmal darüber nach, in was für eine eigenartige Familie sie törichterweise eingeheiratet hatte. Daß diese Sippe bis in graue Vorzeit zurückreichte, hatte sie sich schon zusammengereimt, und daß sie Geld besaß, vermutete sie immer noch. Flawse Hall war zwar nicht unbedingt ein reizvolles Gebäude, aber immerhin mit Kostbarkeiten aus längst verlorenen Kolonien angefüllt, geklaut von jenen kühnen jüngeren Söhnen, die Malaria, Skorbut und Gelbfieber nicht gescheut hatten, um ihr Glück zu machen oder in abgelegenen Ecken des Empires verfrüht zu sterben. Mrs. Flawse beneidete und begriff ihren Unternehmungsgeist. Sie waren gen Süden und Osten (und oft genug gen Westen) gereist, um der heimischen Trostlosigkeit und Langeweile zu entkommen. Mrs. Flawse sehnte sich danach, ihrem Beispiel zu folgen. Alles war der unerträglichen Isolation des Flawseschen Anwesens vorzuziehen, und sie dachte gerade darüber nach, wie sie am besten ihre eigene Flucht in die Wege leiten könnte, als sie die hagere Gestalt ihres Gatten aus dem Küchengarten auftauchen und durch die Steingärten und Zwergbäume auf das Gartenhäuschen zukommen sah. Mrs. Flawse wappnete sich für die Konfrontation. Das hätte sie sich sparen können. Der Alte war offenkundig gut gelaunt. Er kam die Stufen hoch und klopfte an die Tür. »Darf ich eintreten?«
»Ich denke schon«, sagte Mrs. Flawse. Mr. Flawse blieb auf der Schwelle stehen. »Wie ich sehe, hast du Perkins Pavillon gefunden«, sagte er. »Eine charmante Konstruktion, 1774 von Perkins Flawse erbaut, dem Dichter der Familie. Hier schrieb er seine berühmte ‹Ode an die Kohle¤, zweifellos von jenem Bergwerksstollen inspiriert, den du dort drüben siehst.« Er deutete durch das Fensterchen auf einen Erdwall auf dem gegenüberliegenden Hügel. Neben dem Wall sah man ein dunkles Loch und ein paar verrostete Maschinenteile. »‹Von der Natur geformt, von der Natur gefällt Doch nicht die Natur hat‘s uns heute erhellt. Sondern des Menschen Wissensdrang, was andres kaum Enthüllt schwarze Reste von so
manchem Baum Und daher mit Wäldern, lang schon tot Kochen wir unsre Eier, backen wir unser Brot.
Erstklassiger Dichter, Ma‘am, leider viel zu wenig gewürdigt«, fuhr der Alte nach Beendigung seiner Rezitation fort, »aber schließlich haben wir Flawses ungeahnte Talente.«
»Wie ich bereits herausfand«, sagte Mrs. Flawse einigermaßen verbittert.
Der alte Mann neigte den Kopf. Auch er hatte eine schlaflose Nacht verbracht, mit seinem Gewissen gerungen und klar verloren.
»Ich bin gekommen, um dich um Vergebung zu bitten«, sagte er schließlich. »Mein Verhalten als Ehemann war unverzeihlich. Ich hoffe, daß du meine ergebensten Entschuldigungen annimmst.«
Mrs. Sandicott zögerte. Ihre erste Ehe hatte sie nicht gelehrt, ihr Recht auf Groll zu schnell aufzugeben. Daraus ließen sich Vorteile ableiten, Macht beispielsweise. »Du hast mich ein blödes junges Ding genannt«, gab sie zu bedenken.
»Ein blutjunges Ding, Ma‘am, blutjunges«, sagte Mr. Flawse. »Das heißt ein sehr junges Mädchen.« »Wo ich herkomme, verstehen wir darunter etwas ganz anderes«, sagte Mrs. Flawse. »Ich versichere dir, daß ich jung gemeint habe und keineswegs beabsichtigte, deine Intelligenz in Frage zu stellen.«
Das bezweifelte Mrs. Flawse eher. Sein Verhalten in der Hochzeitsnacht hatte sie Vorsicht gelehrt, was seine Absichten betraf. »Egal, was du beabsichtigt hast, auf jeden Fall hast du mich beschuldigt, ich hätte dich wegen deines Geldes geheiratet. Das lasse ich mir von keinem vorwerfen.«
»Ganz recht, Ma‘am. Der Satz fiel in der Hitze des Gefechts und im bescheidenen Bewußtsein, daß es einen einleuchtenderen Grund als meine armselige Person geben müsse. Ich ziehe die Bemerkung zurück.«
»Das freut mich. Ich habe dich geheiratet, weil du alt und einsam warst und jemanden brauchtest, der sich um dich kümmerte. An Geld zu denken, wäre mir nicht im Traum eingefallen.«
»Ganz recht«, sagte Mr. Flawse, der diese beleidigenden persönlichen Attribute mit einigen Schwierigkeiten schluckte, »wie du sagst, bin ich alt und einsam und brauche jemanden, der sich um mich kümmert.«
»Und man kann von mir nicht erwarten, daß ich mich bei dem gegenwärtigen Mangel an Komfort um jemanden kümmere. Wenn ich hier bleiben soll, will ich Strom, heiße Bäder, Fernsehen und Zentralheizung.«
Mr. Flawse nickte traurig. Daß es soweit kommen mußte! »Das sollt Ihr haben, Ma‘am«, sagte er, »das sollt Ihr haben.«
»Ich bin nicht hier, um an einer Lungenentzündung zu sterben. Ich will, daß all das umgehend installiert wird.«
»Ich werde die Angelegenheit sofort in Angriff nehmen«, sagte Mr. Flawse, »und nun sollten wir uns zum warmen Kamin in meinem Arbeitszimmer begeben und die Frage meines Testaments erörtern.«
»Dein Testament?« wiederholte Mrs. Flawse. »Sagtest du ‹mein Testament?«
»Allerdings, Ma‘am«, bestätigte der Alte und geleitete sie die Stufen des Gartenhäuschens hinunter und durch den mit verkrüppelten Bäumen bestandenen Garten ins Haus. Dort saßen sie sich in den großen Ledersesseln gegenüber, während sich vor dem Kohlenfeuer eine räudige Katze räkelte, und setzten ihr Gespräch fort.
»Ich werde offen mit dir reden«, behauptete Mr. Flawse. »Lockhart, mein Enkel, dein Schwiegersohn, ist ein Bastard.«
»Wirklich?« sagte Mrs. Flawse, unsicher, ob sie das Wort in seiner wörtlichen Bedeutung nehmen sollte. Der Alte beantwortete die Frage.
»Das Ergebnis einer unerlaubten Vereinigung meiner verstorbenen Tochter mit einer unbekannten Person oder unbekannten Personen, und ich habe mir das Lebensziel gesetzt, erstens seine väterliche Herkunft festzustellen und zweitens jene Neigungen auszumerzen, auf die ich, aufgrund der Tatsache, daß er teilweise ein Flawse ist, einwirken kann. Hoffentlich kannst du meinen Darlegungen folgen.«
Mrs. Flawse konnte zwar nicht, nickte aber folgsam.
»Ich bin, wie du nach einer Durchsicht meiner Bibliothek wohl schon vermutet hast, ein eiserner Anhänger der Theorie, daß sowohl physische wie psychische Eigenschaften von den Vorfahren vererbt werden. Um den großen William zu variieren: Daß die Vorväter unsre Zwecke formen, wie wir sie auch entwerfen. Vorväter, Ma‘am, nicht Vormütter. Die Begattung von Hunden, bei der ich beträchtliche Erfahrung sammeln konnte, deutet darauf hin.«
Mrs. Flawse schüttelte sich und starrte ihn wild an. Wenn ihre Ohren sie nicht trogen, hatte sie einen Mann geheiratet, der unglaublichen Perversionen frönte.
Mr. Flawse beachtete ihre Verblüffung nicht und fuhr fort: »Die läufige Hündin«, ergänzte: »Hoffentlich erregt dieses etwas heikle Thema bei dir keinen Anstoß?« und wiederholte, da er ihren zitternden Kopf als Bestätigung verstand, daß dem nicht so sei: »Die läufige Hündin lenkt die Aufmerksamkeit eines Rudels Rüden auf sich, die ihr über Berg und Tal folgen und untereinander um das dem bissigsten und stärksten Rüden gewährte Vorrecht kämpfen, sie prima nocte zu begatten. Daher wird sie zuerst von dem besten Exemplar geschwängert, doch um die Zeugung zu gewährleisten, wird sie anschließend von allen anderen Hunden im Rudel besprungen, bis hinunter zum kleinsten und schwächsten. Daraus resultiert das Überleben der Art, Ma‘am, und des Tüchtigsten. Das stammt von Darwin, Ma‘am, und Darwin hatte recht. Nun bin ich der Meinung, daß auch menschliches Verhalten in erster Linie erblich bedingt ist. Die Flawsesche Nase und das Flawsesche Kinn beweisen, wie physische Eigenheiten, die von unseren Flawseschen Ahnen herrühren, im Laufe der Jahrhunderte weiterverebt wurden, und ich bin der festen Überzeugung, daß wir nicht nur körperliche Eigenheiten von unseren Vorvätern erben, sondern auch geistige. Anders ausgedrückt, der Hund ist Vater des Menschen, und das Temperament eines Hundes wird durch seine Ahnen bestimmt. Aber wie ich sehe, glaubt Ihr mir nicht.«
Er hielt inne und musterte Mrs. Flawse genau; die Zweifel standen ihr ins Gesicht geschrieben. Doch die Zweifel galten der Zurechnungsfähigkeit ihres Ehemannes, nicht dem intellektuellen Gehalt seiner Rede.
»Ihr wendet ein«, fuhr der alte Mann fort, »was Euer gutes Recht ist, wenn die Vererbung das Temperament bestimmt, wie wirkt sich dann die Erziehung auf unser Wesen aus? Das denkt Ihr doch, hab‘ ich recht?«
Wieder nickte Mrs. Flawse unfreiwillig. Ihre eigene Erziehung war von toleranten Eltern und progressiven Lehrern so verwässert worden, daß sie seinem Gedankengang unmöglich folgen konnte. Davon abgesehen, daß er sich offensichtlich zwanghaft intensiv mit dem Liebesleben und den Fortpflanzungsgewohnheiten von Hunden beschäftigte und offen zugegeben hatte, daß in der Familie Flawse ein Hund anscheinend Vater des Menschen gewesen war, hatte sie keine Ahnung, wovon er redete.
»Die Antwort lautet, Ma‘am, und auch hier dient der Hund als unser Bezugspunkt, daß der Hund nicht von Natur aus Haustier war, sondern dies erst durch soziale Symbiose geworden ist. Hund und Mensch, Ma‘am, leben aufgrund gegenseitiger Bedürfnisse zusammen. Wir jagen zusammen, wir essen zusammen, wir wohnen zusammen und wir schlafen zusammen, doch vor allem erziehen wir einander. Durch den ständigen Umgang mit Hunden habe ich mehr gelernt als durch Menschen oder aus Büchern. Eine Ausnahme bildet Carlyle, doch auf ihn komme ich später zu sprechen. Vorher möchte ich sagen, daß ein Hund abgerichtet werden kann. Bis zu einem gewissen Punkt, Ma‘am, nur bis zu einem gewissen Punkt. Ich weiß genau, daß selbst der beste Schäfer der Welt aus einem Terrier keinen Schäferhund machen kann. Das ist unmöglich. Ein Terrier ist ein Erdhund, wie Eure Lateinkenntnisse Euch verraten werden. Terra œ Erde, Terrier œ Erdhund. Den kann man hüten lassen soviel man will, sein Hang zu graben läßt sich nicht austreiben. Soviel man ihn auch abrichtet, im Grunde seines Herzens wird er ein Wühler von Löchern bleiben. Auch wenn er nicht buddelt, der Instinkt ist da, und genauso ist es beim Menschen, Ma‘am. Nach diesen Ausführungen bleibt mir nur noch die Feststellung, daß ich mir bei Lockhart die größte Mühe gegeben habe, jene Instinkte auszumerzen, die uns Flawses, wie unsere bitteren Erfahrungen zeigen, zu eigen sind.«
»Freut mich zu hören«, murmelte Mrs. Flawse, die aus eigener bitterer Erfahrung die Instinkte kannte, die den Flawses zu eigen waren. Der alte Mann erhob warnend einen Zeigefinger. »Aber, Ma‘am, da ich nichts über die Vorfahren seines Vaters weiß, war ich im Nachteil. Aye, schwer im Nachteil. Die von Lockharts väterlicher Seite herrührenden Laster kenne ich nicht, und da ich sie nicht kenne, kann ich lediglich Vermutungen anstellen. Auch unter Aufbietung größter Phantasie konnte man meine Tochter wohl kaum ein wählerisches Mädchen nennen. Die Umstände ihres Todes beweisen das. Sie starb in einem Graben, Ma‘am, als sie ihren Sohn gebar. Und sie weigerte sich, den Vater zu nennen.«
Mr. Flawse hielt inne, um seine Verbitterung auszukosten und die bohrenden Zweifel zu verdrängen, daß die Starrköpfigkeit seiner Tochter hinsichtlich Lockharts Vater eine letzte Geste töchterlicher Großzügigkeit darstellte, um ihm die Schmach des Inzestes zu ersparen. Während er in die Tiefen des Kaminfeuers starrte, als wäre es die Hölle selbst, gab sich Mrs. Flawse mit der Erkenntnis zufrieden, daß Lockharts uneheliche Geburt einen weiteren Pfeil auf dem Bogen ihrer ehelichen Macht darstellte. Für dieses Eingeständnis würde der alte Trottel büßen. Mrs. Flawse hatte einen neuen Grund zu grollen gefunden.
»Wenn ich daran denke, daß meine Jessica mit einem unehelichen Mann verheiratet ist, muß ich ehrlich sagen, daß ich dein Benehmen unentschuldbar und unehrenhaft finde, also wirklich«, sagte sie, Mr. Flawses demütige Stimmung ausnutzend. »Hätte ich das gewußt, hätte ich nie und nimmer meine Einwilligung zu der Heirat erteilt.«
Mr. Flawse nickte ergeben. »Du mußt mir verzeihen«, sagte er, »aber Not kennt schließlich kein Gebot, und das fromme Wesen deiner Tochter wird das Lockhart väterlicherseits vererbte Böse mildern.«
»Das hoffe ich inständig«, sagte Mrs. Flawse. »Und da wir gerade beim Vererben sind: Wenn ich mich recht entsinne, erwähntest du, daß du dein Testament ändern willst.« Damit wandten sie sich von der Theorie den praktischen Dingen zu.
»Ich werde meinen Anwalt, Mr. Bullstrode, herbestellen und ihn ein neues Testament aufsetzen lassen. Ihr werdet die Begünstigtste sein, Ma‘am, das versichere ich Euch. Natürlich innerhalb der Grenzen, die mir meine Verpflichtungen gegenüber meinen Angestellten auferlegen, und mit der Maßgabe, daß das Erbe mit Eurem Ableben Lockhart und seinen Nachkommen zufällt.«
Mrs. Flawse lächelte zufrieden. Sie sah eine sorgenfreie Zukunft vor sich. »Und in der Zwischenzeit sorgst du dafür, daß das Herrenhaus modernisiert wird?« fragte sie. Wieder nickte Mr. Flawse.
»Wenn das so ist, werde ich bleiben«, erklärte Mrs. Flawse gnädig. Diesmal zeichnete sich auf Mr. Flawses Gesicht ein kurzes Lächeln ab, das aber sofort wieder erstarb. Es war überflüssig, sich zu verraten. Er würde Unterwürfigkeit heucheln und dadurch Zeit schinden.
Am selben Nachmittag schrieb Mrs. Flawse an Jessica. Es handelte sich weniger um einen Brief als um eine Liste ihrer Habseligkeiten, die mit dem Möbelwagen nach Flawse Hall gebracht werden sollten. Als sie fertig war, gab sie den Brief Mr. Dodd, damit dieser ihn in Black Pockrington aufgab. Doch als sie an diesem Abend zu Bett ging, war der Brief immer noch nicht unterwegs. In der Küche stellte Mr. Flawse einen Wasserkessel auf den Herd, öffnete über dem Dampf den Umschlag und las den Inhalt.
»Du kannst ihn einwerfen«, teilte er Mr. Dodd mit, als er den Umschlag wieder zuklebte. »Die olle Forelle hat den Köder geschluckt. Jetzt muß ich nur noch mit ihr spielen.«
Und das tat er die nächsten Monate. Flawse Hall wurde nicht modernisiert. Die Klempnerfirma sollte immer nächste Woche kommen, was sie jedoch nie tat. Die Elektrizität blieb in der Schwebe, und die Post weigerte sich, das Telefon anzuschließen, außer zu Kosten, die sogar Mrs. Flawse exorbitant hoch fand. Überall gab es Schwierigkeiten. Das Eintreffen ihrer Habseligkeiten verzögerte sich, weil der Möbelwagen die Brücke in der Talsohle nicht bewältigen konnte und die Möbelpacker sich weigerten, Kartons und Kisten einen Kilometer bergauf zu schleppen. Schließlich entluden sie den Lastwagen, verschwanden und überließen es Mrs. Flawse und Mr. Dodd, ein Teil nach dem anderen bergauf zu schaffen, ein langwieriger Prozeß, zusätzlich verlangsamt durch Mr. Dodds vielfältige andere Aufgaben. Der Frühling neigte sich seinem Ende, als der gesamte Tand und Tinneff aus Sandicott Crescent Nummer 12 endlich im Salon verstaut war, wo er vergeblich mit dem antiken Plunder aus Empirezeiten konkurrierte. Das Schlimmste war, daß Mrs. Flawses Rover mit der Bahn geschickt, nach Mr. Dodds Intervention beim Stationsvorsteher, wobei Geld den Besitzer wechselte, über Glasgow nach East Pursley zurückgeschickt und Lockhart und Jessica in unbenutzbarem Zustand und mit einem Schildchen mit der Aufschrift »Empfänger unbekannt« zugestellt wurde. Ohne ihr Auto war Mrs. Flawse verloren. Sie konnte Mr. Dodd im Einspänner bis Black Pockrington begleiten, doch in Pockrington besaß niemand ein Telefon, und weiter zu fahren, weigerte er sich.
Nach drei Monaten Unsicherheit und Unbequemlichkeit ihrerseits sowie Hinhaltetaktik ihres Gatten, was das Testament betraf, hatte sie genug. Mrs. Flawse stellte ihr Ultimatum.
»Entweder hältst du deine Versprechungen, oder ich gehe«, sagte sie. »Aber Ma‘am, ich habe mir allergrößte Mühe gegeben«, sagte Mr. Flawse. »Die Sache ist im Gange und ...«
»Es wäre besser, wenn sie schon hier eingetroffen wäre«, entgegnete Mrs. Flawse, die ihre Redeweise der ihres Mannes angepaßt hatte. »Ich meine es ernst. Mr. Bullstrode, der Anwalt, muß ein Testament zu meinen Gunsten aufsetzen, oder ich breche meine Zelte hier ab und kehre dorthin zurück, wo man meine Anwesenheit zu schätzen weiß.«
»Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg«, sagte der Alte, wobei er über die möglichen Interpretationen dieser Sentenz nachsann und an Schopenhauer dachte. »Wie der große Carlyle sagte ...«
»Das ist auch so ein Punkt. Keine Predigten mehr. Ich habe soviel von Mr. Carlyle gehört, daß es mir bis ans Lebensende reicht. Möglich, daß er so bedeutend war, wie du sagst, aber genug ist genug, und ich habe von Helden und Heldenverehrung die Nase gestrichen voll.«
»Ist das dein letztes Wort?« erkundigte sich Mr. Flawse hoffnungsvoll. »Ja«, sagte Mrs. Flawse, sich dadurch Lügen strafend. »Ich habe deine Gesellschaft und die Unannehmlichkeiten dieses Hauses lange genug ertragen. Entweder läßt sich Mr. Bullstrode innerhalb einer Woche blicken, oder ich werde mich entfernen.«
»Mr. Bullstrode ist morgen hier«, sagte Mr. Flawse. »Ich gebe dir mein Wort.«
»Das möchte ich hoffen«, sagte Mrs. Flawse, stürmte aus dem Zimmer und ließ den Alten zurück, der bedauerte, ihr je Samuel Smiles Buch über Selbsthilfe empfohlen zu haben.
An demselben Abend wurde Mr. Dodd mit einem versiegelten Umschlag losgeschickt, der das Flawsesche Wappen trug, einen in Wachs auf die Umschlagrückseite gedruckten Moosräuberwimpel. Er enthielt genaue Anweisungen über den Inhalt von Mr. Flawses neuem Testament, und als Mrs. Flawse am nächsten Morgen zum Frühstück nach unten kam, erfuhr sie, daß ihr Mann endlich einmal Wort gehalten hatte.
»Seht selbst, Ma‘am«, sagte Mr. Flawse und reichte ihr Mr. Bullstrodes Antwortschreiben, »er kommt heute nachmittag her, um das Testament aufzusetzen.«
»Das ist auch besser so«, sagte Mrs. Flawse. »Es war mir bitterernst.«
»Und ich meine jedes Wort ernst, das ich sage, Ma‘am. Das Testament wird aufgesetzt, und ich habe Lockhart herbestellt, der bei der Verlesung anwesend sein soll.«
»Ich wüßte nicht, warum er vor deinem Tod anwesend sein sollte«, wandte Mrs. Flawse ein. »Normalerweise wird ein Testament erst danach verlesen.«
»Dieses Testament nicht, Ma‘am«, sagte Mr. Flawse. »Gewarnt sein heißt gewappnet sein, wie es in dem alten Sprichwort heißt. Außerdem muß der Junge die Sporen spüren.«
Er zog sich in sein Allerheiligstes zurück, so daß Mrs. Flawse mit dieser rätselhaften Bemerkung allein blieb; nachmittags traf Mr. Bullstrode an der Brücke über der Schlucht ein und wurde von Mr. Dodd eingelassen. Die nächsten drei Stunden drang Stimmengemurmel aus dem Arbeitszimmer, doch obwohl sie am Schlüsselloch lauschte, bekam Mrs. Flawse von der Unterredung nichts mit. Sie hielt sich wieder im Salon auf, als der Anwalt seine Aufwartung machte, bevor er ging.
»Eine Frage noch, bevor Sie gehen, Mr. Bullstrode«, sagte sie. »Ich hätte gern Ihre Zusicherung, daß ich die Hauptnutznießerin des Testaments meines Mannes bin.«
»Dessen können Sie versichert sein, Mrs. Flawse. Sie sind wirklich die Hauptnutznießerin. Ich möchte sogar weitergehen, gemäß den Klauseln in Mr. Flawses neuem Testament fällt Ihnen bis zu Ihrem Tode sein gesamtes Erbe zu.«
Mrs. Flawse seufzte erleichtert auf. Es war eine anstrengende Schlacht gewesen, aber die erste Runde war an sie gegangen. Jetzt mußte sie nur noch darauf bestehen, daß moderne sanitäre Anlagen im Haus installiert wurden. Sie konnte es auf den Tod nicht mehr ertragen, das Plumpsklo zu benutzen.