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Am nächsten Morgen saßen sie, zusammen mit Dr. Liang, Chen Lu und sechs von Riques Männern, im Besprechungsraum und berieten die Lage. Auf dem großen Tisch lag ein Kartenausschnitt jenes Wohnviertels, in dem Katja lebte.

 

Riques Hoffnung, Marone habe die Überwachung ihres Hauses aufgegeben, erfüllte sich nicht. Inzwischen war es zwar ein schwarzer BMW, der unweit des Hauses parkte, und auch dessen Besatzung war neu, aber sie warteten immer noch auf Katja.

Die beiden Männer langweilten sich. Einer von ihnen trommelte zu einer Melodie, die er im Kopf hatte, mit seinen Fingern auf das Lenkrad, während der andere mit seinem Smartphone spielte und nur sporadisch einmal einen Blick zum Haus hinüber warf.

»Kannst du nicht mit dem Getrommel aufhören? Das macht einen ja ganz wahnsinnig.«

Der Trommler nahm seine Hände vom Lenkrad und seufzte: »Möchte wissen, womit sich René und die anderen die Warterei vertreiben.«

»Die bewerfen sich sicher gegenseitig mit der Unterwäsche der Kleinen«, feixte sein Kollege und öffnete zum wiederholten Male die Seitenscheibe, um frische Luft in das Wageninnere zu lassen. In diesem Moment kamen zwei Männer von etwa 30 Jahren aus der Querstraße in die Wohnstraße geschlendert. Einer der beiden führte einen langhaarigen Chihuahua an der Leine, der an den Zäunen der Vorgärten schnüffelte und ab und zu sein Bein hob. Die beiden Männer kamen näher. Sie hielten sich an den Händen und waren in ein angeregtes Gespräch vertieft. Als sie den BMW an der Beifahrerseite passierten, hörten die Männer im Inneren, dass es in dem Gespräch um eine neue Theaterinszenierung ging. Nachdem sie vorbei waren und sich weiter entfernten, grinsten sich die beiden im Auto vielsagend an. Sie vollführten mit ihren Händen übertrieben feminine Gesten mit abgespreizten kleinen Fingern.

Dann begann der Fahrer wieder zu trommeln. Einige Minuten später hielt ein Fiat 500 am Fahrbahnrand. Ihm entstieg ein alter Chinese von beinahe 80 Jahren und begann damit, in die Briefkästen der einzelnen Häuser Werbeprospekte zu werfen. Die Männer im BMW beachteten ihn nicht. Sie reagierten erst, als sie hinter sich Reifen quietschen hörten und drehten sich um.

Der Alte hatte die Straße überqueren wollen und dabei einen Honda Civic übersehen, der gerade an ihnen vorbeigefahren war. Der Wagen hatte ihn erfasst, er war über die Motorhaube gerollt und dann auf dem Asphalt gelandet. Der Fahrer des Wagens stieg aufgeregt aus und sah nach dem Chinesen. Der winkte immer wieder ab, so als wolle er sagen, dass nichts passiert sei. Dennoch fasste er sich mehrfach an den Hinterkopf und verzog das Gesicht. Die beiden vermeintlich Schwulen kamen angerannt und beugten sich ebenfalls zu dem Angefahrenen hinunter. Der mit dem Chihuahua nahm sein Handy und telefonierte. Es dauerte immerhin acht Minuten, bis zwei Martinshörner in der Ferne zu hören waren.

Der BMW-Fahrer drückte die Sprechtaste in der Speiche seines Lenkrades. »René?«

Es knisterte im Lautsprecher des eingebauten Funkgerätes. »Was gibt’s?«

»Hier hat es einen Unfall gegeben. Jemand hat 'nen Opa angefahren. Gleich werden Polizei und Krankenwagen hier sein. Es sammeln sich auch schon Gaffer an. Was sollen wir tun?«

»Dann verschwindet halt mal für eine halbe Stunde und kommt wieder, wenn die Luft rein ist. Zur Not sind wir ja auch noch da.«

Sie starteten den BMW und fuhren davon. Als Streifen- und Krankenwagen mit lautem Signal und Blaulicht in die Straße einbogen und die Aufmerksamkeit der ganzen Umgebung auf sich zogen, öffnete der Fahrer des Honda Civics seinen Kofferraum. Er entnahm ihm eine große Wolldecke, die er über den alten Chinesen zu legen gedachte. Auf diesem Weg hielt er sie aufgespannt zwischen seinen langen Armen. Geschickt schirmte er so die ersten geduckten Laufschritte von Rique und Katja ab, die im Kofferraum eng aneinander liegend gewartet hatten. Sie überbrückten schnell den kurzen Vorgarten zu Katjas Haus. Rique hatte den Dietrich schon in der Hand, öffnete die Haustür, und schon waren beide im Inneren des Hauses verschwunden.

Hier sah es nicht anders aus als in Ritas Wohnung. Die Ganoven waren auch hier eingedrungen und hatten alles durchsucht und verwüstet. Katja deutete in den ersten Stock hinauf, in dem sich ihr Zimmer befand. Sie beeilten sich, liefen die Holztreppe mit dem gedrechselten Geländer hinauf und bogen, oben angekommen, nach links in Richtung von Katjas Zimmer ab. Abrupt blieben sie stehen. Zwei kräftige Männer mit Pistolen im Anschlag versperrten ihnen den Weg und grinsten ihnen selbstgefällig entgegen. Katja und Rique drehten sich blitzschnell um und wollten zurück. Doch hinter ihnen standen bereits zwei weitere Kerle, die gerade aus dem oberen Bad getreten waren. Auch sie mit Waffen im Anschlag und einem Grinsen im Gesicht. Sie hörten, dass ein fünfter und sechster von ihnen gemächlich die Treppe hinauf kamen. Gegenwehr war aussichtslos.

Riques gesunder Arm wurde von hinten erfasst und schmerzhaft auf den Rücken gedreht. Er beugte sich unwillkürlich nach vorne und stöhnte. Dann sagte einer der Männer, die vor ihm standen: »René, das ist der Typ, der ihr gestern am Fischmarkt geholfen und mich ausgeschaltet hat.«

Der Angesprochene kam langsam auf Rique zu, hob dessen Gesicht an und kniff die Augen zusammen. »Wer bist du, he? Willst du die hübsche Kleine hier beeindrucken und den starken Prinzen spielen? Das war keine gute Idee! Halte dich zukünftig aus Sachen heraus, die dich nichts angehen.«

Rique reagierte nicht darauf, aber er war innerlich erleichtert. Sie wussten nicht, wer er war, sondern hielten ihn für einen ungefährlichen, wenn auch mutigen Einfaltspinsel. Sie ahnten offenbar nicht, dass sie es mit jemandem zu tun hatten, den sie besser aus dem Weg räumen sollten. Der Mann, der gerade zu ihm gesprochen hatte, sprach in ein kleines Mikro, das vor seinem Mund schwebte: »Sven, den Bus zum rückseitigen Gelände.« Dann nickte er jenem Mann zu, der Rique wiedererkannt hatte. Wehrlos hörte dieser gerade noch »Ich bin dir noch was schuldig«, als ihn auch schon ein Schlag mit der Waffe an der Schläfe traf. Er sackte zusammen, und vor seinen Augen wurde es schwarz.

 

Zu Katjas Haus gehörte ein größerer Garten nach hinten hinaus. An dessen Ende führten ein schmaler Bachlauf und ein Feldweg vorbei, der bei gutem Wetter von Spaziergängern genutzt wurde. Hinter einigen Ufersträuchern versteckten sich  Chen Lu und Jérome und warteten auf Katja und Rique. Von hier aus hatten sie einen guten Überblick, sowohl in Katjas Garten, als auch zur Querstraße hin, auf die der Feldweg mündete. Dort erschien plötzlich ein schwarzer Kleinbus mit dunkel getönten Fenstern. Von innen wurde die seitliche Schiebetür geöffnet, und sie konnten einen kleinen Tisch und Sitzreihen erkennen. Heraus trat ein unrasierter Mann in Anzug und mit mürrischem Gesicht. Chen Lu sah kurz auf Jéromes versteinerte Miene. Zeitgleich öffnete sich Katjas Terrassentür. Aber es waren nicht Rique und Katja, die heraus kamen. Sechs gut gelaunte  Männer überquerten die Rasenfläche, traten durch das hintere Gartentor auf den Feldweg und liefen auf den Kleinbus zu. Sie zerrten eine verängstigte Katja mit sich, die aber ruhig genug blieb, jeden Blick zu den Ufersträuchern zu vermeiden, hinter denen sie Chen Lu und Jérome wusste.

Chen Lu und Jérome sahen sich an, aber Jérome schüttelte nur den Kopf. »Zu viele«, flüsterte er ihr zu. Die Männer hievten Katja in den Wagen und stiegen dazu. Dann fuhren sie davon.

 

Als Rique wieder zu sich kam, war er allein. Benommen schleppte er sich in Katjas Zimmer, in dem alles mögliche kreuz und quer auf dem Boden verstreut lag. Vor ihrem Schreibtisch sah er eine leere Handtasche. Ihr Inhalt befand sich in einem durchwühlten Haufen daneben. Rique atmete auf. Er erkannte unter den Sachen einen Personalausweis: Katja Krömer, geboren 02.06.91 in Hamburg. Der Ausweis hatte die Typen nicht interessiert. Hübsches Passfoto, dachte er. Er steckte sich den Ausweis in die Gesäßtasche seiner Jeans. In dem Moment kam Chen Lu die Treppe hinauf gestürmt, sah ihn auf dem Boden liegen und rief laut: »Hier oben!«

Sie lief auf Rique zu, und als sie registrierte, dass er unverletzt und bei Bewusstsein war, ging sie vor ihm auf die Knie und umarmte ihn erleichtert. Dann aber setzte sie sich im Schneidersitz auf den Boden, direkt vor sein Gesicht, verzog den Mund und sagte:

»Toller Plan...«

 

Riques Einsatzgruppe hatte sich in Katjas Wohnzimmer versammelt. Was im Weg oder auf den Sitzmöbeln lag, wurde notdürftig zur Seite geräumt. Maik saß mit Hannes und Nikolai, jenen beiden Detektiven, die das homosexuelle Paar gemimt hatten, auf dem langen Sofa. Der Chihuahua lag zusammengerollt in einer Polsterecke und schlief. Jérome und Ben, der geschulte Fahrer des Honda Civics, benutzten die Zweiercouch und Dr. Liang, der mit all seiner Erfahrung und Übung einen fantastischen Stunt hingelegt hatte, befand sich im einzigen Sessel der Polstergarnitur. Chen Lu kauerte neben ihm auf der Armlehne und ließ ihren rechten Arm auf den Schultern ihres Großvaters ruhen. Polizei und Rettungssanitäter waren nach 20 Minuten unverrichteter Dinge wieder gefahren. Sie hatten  weder Verletzungen bei Dr. Liang, noch Schäden am Honda festgestellt und konnten somit, rein rechtlich, keinen Unfall aufnehmen.

Nur Rique Allmers saß nicht. Er lief die ganze Zeit nervös hin und her, verschwand zuweilen in der geräumigen Diele, um dort größere Schritte machen zu können, die ihn beruhigen sollten. Die Stimmung war gleichermaßen bedrückt und angespannt.

»Das war dilettantisch«, sagte Maik, der in einer Seitenstraße aus dem Firmen-Golf heraus die Aktion koordiniert hatte, »als ob wir es in der Vergangenheit nicht schon öfters mit Marones Männern zu tun gehabt hätten.«

»Aufarbeiten können wir später«, war Ben zu hören, »jetzt lasst uns überlegen, wie wir weiter vorgehen. Wie kommen wir wieder an das Mädchen heran? Wir geben uns doch nicht geschlagen, oder?«

»Natürlich nicht!«, kam es im Chor zurück.

»Wir könnten Marone einen Deal anbieten«, ließ sich Jérome mit seiner dunklen Bassstimme vernehmen.

»Und was soll das für ein Deal sein?«, fragte Maik.

Jérome erklärte in seiner seelenruhigen und gewohnt emotionslosen Art, dass in seinen Augen Marone nicht hinter dem Mädchen her war, sondern hinter dem, was ihre Mutter besaß und auf das Katja nun Zugriff habe. Das könne man ihm anbieten.

»Und was ist, wenn das extrem wichtig ist und in Marones Händen enormen Schaden anzurichten vermag?«, fragte Nikolai mit Empörung in der Stimme. »Wir wissen, wo Marones Anwesen ist. Lass uns hinfahren, dort alles zu Klump hauen und das Mädchen da raus boxen«, schlug er vor. Er war mit seiner Rolle in dem soeben schief gegangenen Einsatz überhaupt nicht glücklich gewesen.

»Leicht gesagt, Kollege«, mischte sich nun auch Hannes ein, »aber dass es wirklich Lorenzo Marone ist, der dahinter steckt, wissen wir nicht zuverlässig. Wir vermuten es. Nehmen wir mal an, er ist es. Dann wissen wir immer noch nicht, ob er Katja in sein Anwesen hat bringen lassen. Er hat überall in der Stadt Häuser, Lagerhallen und vieles mehr für ein geeignetes Versteck. Das sind mir zu viele Unwägbarkeiten.«

»Ich sage ja, wir sollten ihn anrufen«, schlug Jérome erneut vor.

»Anrufen...?«, fragte Ben völlig fassungslos.

»Ja, anrufen!«, wiederholte Jérome stoisch.

»Andree hat seine persönliche Mobilnummer in seiner Kartei. Der alte Italiener dürfte ziemlich überrascht sein, dass ein Fremder sie kennt, und dass wir ihn auf dieser Nummer direkt kontaktieren können. Er wird sich zu Beginn des Gesprächs erst einmal unsicher fühlen. Das wäre ein Vorteil für uns.«

Für einen Moment war es still im Raum. Nur die nervösen Schritte Riques in der Diele waren zu hören. Andree war ein absolutes Ass im IT-Bereich, aber dass er die persönliche Handynummer von Lorenzo Marone ermittelt hatte, überraschte sie dann doch. Bis auf Maik, der wie Jérome eng mit Andree arbeitete und es wusste.

»Lasst uns was machen, irgendwas, sofort!«, rief Chen Lu so aufgebracht, dass sich ihre Stimme überschlug und den Klang eines wütenden Kindes annahm. »Ich stelle mir vor, dass sie Katja gerade ebenso verprügeln wie Rita Tietjen und vielleicht sogar nacheinander über sie herfallen. Und ihr quatscht hier, als ginge es darum, welche Pizza wir uns bestellen sollen. Ich könnte kotzen!«

Sie begann zu weinen.

Dr. Liang nahm ihre Hand und streichelte sie beruhigend. Jedem anderen hätte sie ihre Hand in dem Moment entzogen, nicht aber ihm. Sie hörte sofort auf zu weinen und sah ihn fragend an.

»Sie we'den es nicht wagen, ih' etwas anzutun«, ließ sich der alte Chinese vernehmen, der ganz in sich zu ruhen schien. »Sie b'ingen sie zu Ma'one pe'sönlich. In sein Anwesen in Blankenese. Das ist ganz siche'. Wenn And'ee uns helfen kann, könnten wi' sie heute Nacht bef'eien«, fügte er hinzu.

Jetzt redeten alle durcheinander. Woher er das wissen wolle, ob er hellsehen könne und was wäre, wenn er sich irre, wollten sie wissen. Ein lauter Knall brachte sie zum Schweigen. Rique war in der Tür erschienen und hatte mit der flachen Hand gegen den hölzernen Türrahmen geschlagen. »Was macht dich sicher, Trainer?«, wandte er sich äußerlich ganz ruhig an seinen alten Lehrer.

»Weil Katja Lo'enzo Ma'ones Tochte' ist.«

 

Die Stille im Raum war so plötzlich eingetreten, und sie legte sich mit einer derart körperlich fühlbaren Macht auf alle Anwesenden, dass der Chihuahua irritiert aufwachte und sich umsah. Dann hingen sie an Liangs Lippen, als dieser seine Überlegungen erklärte. Er wisse es natürlich nicht, sei sich aber ganz sicher. Luka Marone habe vor zwei, drei Jahren bei ihm trainiert. Und als Rique und Katja bei ihm erschienen waren, hatte er das Gefühl, ihr Gesicht zu kennen, ohne es in diesem Moment einordnen zu können. Auch die Tätowierung am Arm des erstochenen jungen Mannes auf dem Zeitungsbild kam ihm bekannt vor. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass es sich bei dem Toten um Luka Marone gehandelt habe. Als Chen Lu ihm das heute Morgen berichtete, erinnerte er sich an seinen ehemaligen, wenn auch kurzzeitigen Schüler. Er könne versichern, dass die Ähnlichkeit zwischen Katja und Luka Marone sehr ausgeprägt war. Außerdem trugen beide die gleiche Tätowierung, das astrologische Zeichen des Zwillings. Luka mit einer 1, Katja mit einer 2 daneben, an der gleichen Stelle ihrer Schultern. Für ihn gäbe es keinen Zweifel mehr daran, dass Luka und Katja Zwillinge waren. Wieso Katja ihren Bruder nicht zu kennen schien und warum Luka bei seinem Vater, während Katja bei ihrer Mutter lebte, wisse er nicht. Aber für ihn sei es offensichtlich, dass Katjas Mutter Ramona und Lorenzo Marone einst ein Paar gewesen waren, das sich später getrennt habe. Das könne auch eine Erklärung für die ganze Situation sein, in der sie sich nun befänden. Wenn Ramona Krömer einst mit Lorenzo Marone zusammen gewesen war, könnte sie tatsächlich über etwas verfügen, das ihm gefährlich werden könne und mit dem sie ihn erpresst habe.

Keiner sagte etwas dazu. Alle dachten über die Schlussfolgerungen von Dr. Liang nach.

Chen Lu sah man neue Hoffnung an. Wenn das wahr sei, schwebte Katja tatsächlich nicht in der Gefahr, von Marones Männern verprügelt und vergewaltigt zu werden. Das würden sie nicht wagen. Sie sollten sie ihm nur bringen.

»Aber warum erst jetzt, Großvater?«, fragte sie ihn. »Ich meine, wenn Katja tatsächlich nichts von ihrem Zwillingsbruder wusste, dann leben Ramona und Katja schon seit über 20 Jahren von Lorenzo und Luka getrennt. Wieso macht Marone erst jetzt so einen Aufstand?«

»Weil der Junge nicht hätte sterben dürfen«, sagte Rique leise. »Dass Luka bei diesem blöden Streit auf der Reeperbahn erstochen wurde, war nicht vorgesehen. Das hat es ins Rollen gebracht.«

»Rique, du hast Recht«, führte Jérome den Gedanken weiter. »Der Junge war so etwas wie eine Lebensversicherung für Ramona. Sie hat von seinem Tod in der Zeitung gelesen, hat ihn auf dem Bild erkannt. Mit seinem Tod verlor sie ihre Versicherung Marone gegenüber.«

»Und Marone auch die seine!«, ergänzte Rique.

»Wie? Was?«, kam es aus mehreren Mündern.

»Ja, vielleicht hielt Lukas Existenz die beiden in Schach«, kombinierte Rique und rieb sich das Kinn. »Eine gegenseitige Erpressung. Würde Ramona ihr Wissen über Marone ausplaudern, drohte er damit, ihren Sohn zu töten. Und umgekehrt! Würde ihrem Sohn etwas zustoßen, würde sie plaudern. Ein Patt! Und dieses Patt hat zwanzig Jahre lang funktioniert. Bis Luka in dieser Auseinandersetzung umkam. Jetzt geriet Ramona in Panik. Zu Recht, wie wir inzwischen wissen. Das war kein Überfall auf ihr Geschäft. Man hat sie sofort ausgeschaltet, als Luka starb, rechtzeitig bevor sie das nutzen konnte, was sie in diesem Bankschließfach verwahrt. Es fügt sich alles zusammen.«

Sie sahen sich gegenseitig an und nickten.

»Und was nun?«, fragte Chen Lu.

Rique ballte entschlossen die Faust.

»Ich habe Katja verloren, ich werde sie mir auch wiederholen!«, sagte er bestimmt. Dann wandte er sich an Jérome und Maik: »Wir schlagen heute Nacht zu. Fahrt ins Büro. Andree soll die Zeit nutzen, mit seinem Zauberkasten in Marones Anwesen einzudringen. Ich will, dass er auf Kommando die Alarmanlage und die Videoüberwachung ausschaltet und das Einfahrtstor sowie die Haustüren öffnet. Er soll sich außerdem um einen Grundriss bemühen. Trainer, Du präparierst meinen Arm so, dass ich damit kämpfen kann. Wir treffen uns um Mitternacht in der Zentrale. Wer kann, schläft bis dahin noch etwas.«