21.

Rúna hatte das Schwert abgelegt. Die Hosen ebenso. Stattdessen trug sie ein Seidenkleid, das ihr eine Magd gebracht hatte. Das edle Kleidungsstück, ein Bad und wohlduftendes Parfum hatten sie in eine Dame verwandelt. Es kam ihr seltsam vor. Andererseits musste sie nur in die Runde schauen: Alle hatten das Ordentlichste und Beste am Leib, das sie besaßen – und keine Waffe.

Der Burgherr hatte zum Friedensmahl geladen und tatsächlich saßen sie alle einvernehmlich zusammen. Auch ohne Waffe und in einem feinen Zwirn fühlte sich Rúna nach wie vor als Kriegerin, genauso mutig wie jeder der anwesenden Kämpfer. Und sie saß auch mitten unter ihnen – Rouwen zu ihrer Rechten, Baldvin zu ihrer Linken. Ein Bediensteter hatte sie zu der Tafel führen wollen, wo die Frauen saßen, doch Rúna war, kaum dass sie gesehen hatte, wo man Rouwen hinführte, mit gerafftem Kleid über Tische und Bänke gesprungen und hatte sich unter dem Gelächter der Männer an seine Seite gesetzt.

Die Wikinger unterhielten sich angeregt mit den Schotten und sprachen dem Ale, dem Bier und dem ungewohnten Wein aus Südengland und dem Frankenreich zu. Riesige Holzplatten mit dampfenden Spanferkeln, Eierpasteten, gefüllten Broten und saftigen Kuchen waren herangetragen worden. Sogar ein Schwan, dem man die Federn nach dem Braten wieder angesteckt hatte. Davon hatte sich Rúna mit spitzen Fingern ein kleines Stück Fleisch abgepflückt und probiert – zu ihrem Leidwesen. Doch ansonsten war das schottische Essen würzig und wohlschmeckend. Auch Rouwen langte zu, anders als der Burggeistliche, der neidisch auf dessen Teller schielte – Mönchsritter durften ohne Zurückhaltung essen, wie Rouwen ihr erklärt hatte.

Zumal er fleischliche Genüsse anderer Art längst gekostet hatte. Sein durchdringender Blick, das Gefühl seiner Schenkel an ihren und die wie zufälligen Berührungen, wenn er nach etwas langte, erinnerten sie nur zu deutlich daran. Allein ihm zuzusehen, wie er Apfelmost trank und seine Zunge über seine schönen Lippen glitt, um einen Tropfen abzulecken, ließ ihren Körper vibrieren. Ein prächtiger Brokatmantel, den Wulfher ihm gegeben hatte, ließ ihn noch imposanter wirken, und trotz einer dicken, verkrusteten Schramme an der Schläfe sah er hinreißend aus. Er bemerkte ihre Musterung und warf ihr von der Seite einen vielsagenden Blick zu. Ich freue mich auf dich, verhießen seine Augen. Und: Wir werden nachher viele schöne Dinge tun.

Ihr wurde warm zwischen den Beinen und die Hitze stieg ihr zu Kopf; es war wohl besser, nicht mehr so heftig dem Wein und dem Ale zuzusprechen. Andererseits, auch die anderen Damen und Mägde ließen ihre Blicke über die muskelbepackten Nordmänner schweifen, steckten die Köpfe zusammen, kicherten und leckten sich die Lippen. So manche beging wohl in Gedanken eine Sünde, die sie später auf das sogenannte Büßerbänkchen zwingen würde. Jene Dame, die sich mit Fergus vergnügt hatte, hatte ein Auge auf Hallvardr geworfen. Und dieser auf sie.

Zwei Gaukler boten Tanz und Musik; mit ihren aus bunten Flecken genähten Kleidern und den Schellen an den Säumen erinnerten sie an das seltsame Pärchen in Eastfield. Diese hatten jedoch noch einen Zwerg bei sich, der mit seinem Schabernack die Frauen zum Kreischen und die Männer zum Lachen brachte. Sogar auf den Tischen schlug er Purzelbäume und riss Becher und Schalen um. Baldvin rettete seinen Zinnbecher gerade noch rechtzeitig vor ihm. Als der Zwerg vom Tisch sprang, stand ihr Vater auf.

Allmählich verebbte das Gelächter und die Gesichter wandten sich Baldvin zu. Er hob seinen Becher in Richtung von Wulfher, der ihm gegenüber saß.

»Ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft«, begann er feierlich. »Vor Jahren war ich bei einem englischen Lord zu Gast, dem Earl von Eastfield. Ich ging zu ihm, um ein kleines Stück Land zu pachten. Als ich zurückkam, war das Unglück geschehen, das uns letztlich hierher geführt hat, und nun sind wir wieder Ian MacCallums Gäste, nur dass er gar nicht weiß, wer gerade auf seiner kleinen Jagdburg bewirtet wird. Ich bin froh, dass dieser Tag anders enden wird: freudig und in Frieden.«

»In Frieden«, wiederholte Wulfher und hob auch seinen Becher; Baldvin und er tranken sich zu. Fast ehrfürchtige Stille war eingekehrt.

Baldvin fuhr fort: »Diese Fehde, die ich dann um der Rache willen heraufbeschwor … Ich hatte geglaubt, mein Hass auf diesen Mönch, ja, auf alle Mönche …«, flüchtig sah er zu Rouwen und räusperte sich, »er mache mich stark. Aber letztlich war er falsch, er hat mich nur zermürbt.«

Nachdem er seinen Becher wieder abgestellt hatte, legte er die rechte Hand auf Rúnas Schulter und die linke auf Ariens an seiner anderen Seite. Arien versuchte würdevoll dreinzuschauen, aber ausgerechnet jetzt packte ihn einer seiner üblichen Hustenanfälle.

»Meine Kinder – ich will mit euch in England siedeln, wie ich es damals schon vorhatte. Oder vielleicht auch hier in Schottland. Rúna Wirbelwind, würde dir das gefallen?«

Sie schluckte. Yotur, ihre Heimat, sie liebte sie doch … Aber sie liebte Rouwen noch mehr. Und ihre Neugier auf die Welt war noch lange nicht gestillt. »Ja, Vater.«

Arien sperrte den Mund auf, um ebenfalls zu antworten, doch Baldvin kam ihm zuvor. »Und für dich, Arien Adlerjunge, und deine Gesundheit ist der Süden wohl auch besser als die windigen Hjaltland-Inseln.«

»Ich möchte hier bleiben und viel lernen«, verkündete Arien.

»Du meinst, aus Büchern?«

»Ja.«

»Um aus Büchern lernen zu können, müssen junge Männer für gewöhnlich in ein Kloster eintreten«, warf Wulfher ein. Darauf folgte ein Gelächter, das so heftig war, dass sich Ariens Ohren röteten. Hinter Baldvin neigte sich Rúna ihm zu und strich ihm lachend über den Arm. Dann zwinkerte sie ihm zu. Ganz gewiss hielt dieses neue Leben Aufregendes für ihn bereit, auch wenn es ihn niemals in die Nähe schwarzgekleideter Mönche brachte.

»Männer«, wandte sich Baldvin an seine Schwertmänner. »Wir werden mit der Windjägerin nach Yotur zurückkehren. Ich hole mein Weib und Lady Athelna. Wer ebenfalls hier leben will, soll seine Familie mit sich nehmen.«

Nachdenklich nickten sie: Sverri, Hallvardr, Haakon und die anderen. Wer auf Yotur bleiben würde, wäre wohl bald Yngvarrs Schwertmann, denn Rúna zweifelte nicht daran, dass er dorthin zurückkehren und seinen Herrschaftsanspruch nach Baldvins Weggang durchsetzen würde. Vielleicht würde er eine neue Sippe gründen, die die Tradition der Wikingfahrten aufrechterhielt.

»Lasst mich mit Euch gehen, Herr Baldvin«, sagte der Burgherr. »Ich will Athelna so bald wie möglich in meine Arme schließen.«

Baldvin nickte, ohne zu zögern. Wulfher hob seinen Becher und prostete in die Runde. »Frieden, bei Gott! Man sagt, die Wikingerzeit begann, als eine Horde das Kloster auf der englischen Insel Lindisfarne überfiel. Und sie endete mit Wilhelm des Eroberers Sieg über England. In Wahrheit endete sie heute. Baldvin Baldvinsson, wollt Ihr nicht hier in der Nähe siedeln? Ich würde ein gutes Wort bei Lord MacCallum einlegen, dass er Euch ein fruchtbares Stück Land gibt.«

»Ich danke Euch, aber ich denke, ich will dorthin, wohin ich mit meiner Frau wollte.«

Wulfher nickte. »Das verstehe ich. Aber England oder Schottland, es gäbe da eine Sache, die für Euch und Eure Familie alles sehr viel einfacher machen würde.«

»Und das wäre?«

Grinsend hob der Burgherr seinen Becher noch ein Stück. »Die Taufe!«

Entsetzt schüttelte Baldvin den Kopf, während der Saal erneut in Gelächter ausbrach.

»Verrätst du mir jetzt, woher du stammst?«, fragte Rúna, während sie sich dicht an Rouwen kuschelte.

Sie hatten sich in einem ausladenden Himmelbett geliebt. Rouwen hatte ihr erzählt, dass er letzte Nacht noch bedauert hatte, dieses Bett nicht genießen zu können. Ob ihr die Weichheit der riesigen Matratze gefiel, wusste sie nicht so recht zu sagen. Die sauberen Laken und Decken jedoch waren herrlich, wie für die Götter gewoben. Sie dufteten nach Blüten, und am Fußende verbreitete ein eisernes Öfchen wohlige Wärme.

Doch wozu brauchte sie einen Ofen, wenn sie Rouwen hatte? Eng umschlungen lagen sie unter der Decke; er hatte den Arm unter ihren Kopf geschoben, und sie strich über seine straffen Bauchmuskeln bis hinunter zum Ansatz seiner Schamhaare, wo sie die Nägel kreisen ließ. Unruhig bewegte er die Beine.

»Aus Durham in Northumberland, das ist etwa drei Tagesritte südlich von hier.«

Dort also lebte sein Vater, der ihm die Bürde seines toten Bruders auferlegt und ihn gezwungen hatte, ein Mönchsritter zu werden. Rúna biss sich unsicher auf die Unterlippe. Sollte sie ihn fragen, wann und wie er gedachte, dorthin zurückzukehren? Ob er sie mitnehmen wollte? Eine Heidin? Wollte er überhaupt zurückkehren? Als ein Mann, der einen seiner Schwüre gebrochen hatte, nämlich den, keusch zu leben?

Sie spürte, dass Rouwen wusste, worüber sie nachdachte.

Er griff mit seiner freien Hand nach ihrer. »Mein Herz, meine wilde Wikingerkriegerin … Wo ist die Kristallkette, die für meine Mutter gedacht war?«

»Die … die mein Vater dir geraubt hat?« Sie schluckte und spürte, wie sie errötete. »Die liegt hoffentlich noch unweit von hier in einem Gebüsch verborgen. Wie auch Falkenkralle. Warum fragst du jetzt danach?«

»Weil ich mir vorstelle, dass du die Kette trägst, wenn ich dich meinem Vater vorstelle. Und Falkenkralle natürlich auch.«

»Natürlich?« Sie richtete sich auf, um ihm in die Augen sehen zu können. »Du verblüffst mich!«

Erstaunlich gelassen zog er sie zu einem Kuss zu sich hinunter. Dann sprach er weiter: »Ach, weißt du … Eine Frau, die kämpft, sollte doch auch nicht ungewöhnlicher sein als ein Mönch, der kämpft. Das wird er wohl einsehen müssen. Und alles andere.«

»Alles andere?« Rúna spürte, wie ihr Herz begann, schneller zu pochen.

»Dass ich kein Tempelritter mehr sein kann. Man wird mich entlassen, so viel ist sicher. Das Brechen des Gelübdes mag ja noch verzeihlich sein, schließlich gibt es genug Möglichkeiten, Buße zu tun. Eine ganze Nacht auf dem Büßerbänkchen beispielsweise. Oder einen Monat Latrinendienst … Aber das nützt mir ja nichts, wenn ich dem Komtur sage, dass ich dich zur Frau nehmen will.«

Seine Worte rauschten durch ihre Adern wie Feuer. Rúna löste sich von ihm und setzte sich an seiner Seite auf.

»Was ist?«, fragte er angespannt. »Du willst nicht …?«

Tief atmete sie ein. Natürlich wollte sie. Es erfüllte ihre kühnsten Träume. Nie hätte sie gedacht, dass es so einfach sein könnte.

Sie sah in sein banges Gesicht. Ihr wurde beinahe schwindelig, als sie an die Freude dachte, die sie gleich darin lesen würde, wenn sie ihm sagte, wie sehr sie ihn wollte. Doch für einen kurzen Moment lenkte sie der Anblick seiner nackten Brust ab.

Die Decke war bis zu seiner Hüfte heruntergerutscht. Ein kleines Stück mehr, und sie würde seine herrliche Männlichkeit sehen, die ihr schon so viel Lust bereitet hatte. Mit den Augen fuhr sie die Linien seines muskulösen Körpers entlang. Das untere Ende seines Templerkreuzes verschwand in der Armbinde, die um die Pfeilwunde lag. Auf ewig würde dieses Kreuz ihn an seine Vergangenheit erinnern – und sie noch lange daran, wie behutsam sie mit ihm umgehen musste.

Auch er betrachtete sie. Langsam, fast ehrfürchtig, hob er eine Hand, um über ihre offen wallenden Haare zu streichen, über ihre stolz gereckte Brust und ihre Taille hinab.

»Ich will dich«, sagte sie feierlich.

Seine herrlichen Lippen öffneten sich zu dem schönsten Lächeln, das sie je gesehen hatte. Einem Lächeln, das ihr eine Zukunft versprach. Wie würde es werden, dieses neue Leben? Um das auch nur zu erahnen, müsste sie ein Auge für die Kraft der Sehergabe geben, wie es Odin getan hatte. Freya, Odin und alle Götter – ihr habt mich einen Mönch mehr als jeden anderen Mensch hassen lassen, und jetzt habt ihr mir einen geschickt, ihn zu lieben. Ihr lacht doch dort oben in Asgard über uns, nicht wahr?

»Du bist so schön«, seufzte sie, sank auf ihn nieder und suchte die Lippen, die sie so liebte. Sie öffnete sich für seine zärtlich tastende Zunge, küsste ihn voller Hingabe. Seine Hände wanderten sanft über ihre Haut; seine Berührungen sandten tausend kleine wohlige Schauer durch ihren Leib. Plötzlich lachte er, warf sie herum und schob sich über sie. Sie spürte sein Glied, und wie von selbst glitten ihre Schenkel auseinander, um ihm Einlass zu gewähren. Sie umschlang ihn, ersehnte sein Eindringen, und als es geschah, schrie sie zugleich mit ihm ihre Lust in die Nacht. Er füllte sie völlig aus, sie spürte ihn in ihrem tiefsten Inneren. Was dann geschah, nahm sie wie einen Rausch wahr: Sie fielen übereinander her, wild und ohne etwas zurückzuhalten, bis sie meinte, vor Lust zu vergehen. Sie stieß ihn vor die Brust, rollte sich mit ihm und begann, ihn zu reiten. Sie blickte in sein wollüstig verzerrtes Gesicht hinab, während seine Hände ihre Brüste liebkosten und ihre Hüften sich immer schneller bewegten. Als die Ekstase sie überwältigte, meinte sie aus großer Höhe zu fallen. Doch Rouwen fing sie auf und umarmte sie.

»Mein Herz«, keuchte er erschöpft. »Ich liebe dich.«

»Ich … ich …«, mehr schaffte sie nicht. Sie starb noch den Tod der Lust.

Sanft strich er über ihre erhitzte, schweißfeuchte Haut, während sie von ihm glitt und sich an seine Seite kuschelte. »Es kam mir vor wie das erste Mal«, sagte er nachdenklich. »Es ist irgendwie jedes Mal neu und anders. Hört das nie auf?«

»Ich weiß es nicht, Liebster«, flüsterte sie. »Woher auch? Aber wir werden es herausfinden.«

»Ja. Es gibt noch viel zu lernen. Ich möchte zum Beispiel gerne wissen, was eigentlich die Runen in deinen Zehenringen bedeuten.«

Sie musste kichern. »Das erzähle ich dir morgen. Und ich möchte gerne wissen …«, sie überlegte kurz, »… was ist der heilige Gral?«

»Wie kommst du denn darauf?«

Sie öffnete den Mund, um zu antworten, aber er unterbrach sie lachend. »Nein, sage es mir nicht. Sag es mir morgen. Dann erzähle ich dir auch, was der heilige Gral ist. Jetzt aber, mein Herz … fühle ich mich noch ein wenig ungesättigt.«

Er drehte sich, sodass sie wieder unter ihm lag, und neigte den Kopf, um sie zu küssen.

Ach, dieser Mund …, dachte sie beglückt.