16

Mittlerweile war es schon zu einem festen Bestandteil in Amandas Leben geworden, dass jeden Morgen drei weiße Orchideen für sie abgegeben wurden. Mit einem Mal aber blieben die Blumen aus. Ihr Fehlen traf Amanda wie ein Schlag. Andererseits, wenn man die Diskussion am vorigen Abend bedachte - hätte sie da nicht eigentlich schon mit irgendetwas in der Art rechnen müssen? Martin hatte ihr gesagt, dass nun sie den nächsten Schritt machen müsse; dass es allein an ihr läge, ob sie all das, was er ihr gerne schenken wollte, annahm oder es ausschlug. Und die Tatsache, dass nun keine Orchideen mehr für sie kamen, bedeutete dann wohl, dass er es aufgegeben hatte, sich mit ihr zu streiten, dass er nicht mehr länger versuchen würde, sie mit seinen kleinen Verführungen in die Ehe mit ihm zu locken.

Aber vielleicht waren ihm ja auch bloß die Orchideen ausgegangen.

Den ganzen langen Tag über grübelte sie darüber nach, welche von beiden Möglichkeiten das Ausbleiben von Martins Orchideen wohl treffender erklären mochte. Sie konnte an kaum etwas anderes mehr denken, und dies, obwohl sich für Amanda ein Termin an den anderen reihte - es standen ein morgendlicher Teebesuch an, ein leichtes Mittagessen, eine Fahrt durch den Park und schließlich eine Einladung in Amandas Elternhaus. Ihre Stimmung schwankte also ständig, ähnlich dem Pendel einer Uhr; den einen Moment war sie noch relativ ruhig und ausgeglichen, den anderen dann wiederum zutiefst niedergeschlagen.

Als sie schließlich auf Lady Arbuthnots Ball erschien - Martin jedoch nirgends zu sehen war -, setzte sie zwar wie gewohnt ein strahlendes Lächeln auf, aber ihr Herz war ihr schwerer denn je.

Dann erreichte sie eine kleine Nachricht: Ein Lakai überbrachte ihr ein elfenbeinfarbenes, quadratisches Kärtchen, auf dem in Martins energischer Handschrift eine kurze Mitteilung stand.


Schau dich mal auf der Terrasse um.


Das war alles.

Amanda steckte die Karte in ihr Täschchen, entschuldigte sich bei den Gästen, mit denen sie sich gerade eben noch unterhalten hatte, und machte sich sofort daran, sich einen Weg quer durch den gut besuchten Ballsaal zu bahnen. Dieses Unterfangen dauerte allerdings seine Zeit, zumal immer noch mehr Gäste hereinströmten; als sie schließlich bei den hohen Fenstern angelangt war, die auf die Terrasse hinausgingen, war der Saal geradezu brechend voll. Die Nacht war sehr mild, und die Terrassentüren standen weit offen. Dennoch konnte Amanda im sanften Schein des Mondes noch niemanden entdecken.

Zart schimmerte das silberne Licht auf den Blütenblättern einer einzelnen weißen Blüte, die auf der obersten der zum Garten hinabführenden Stufen lag. Amanda nahm die Blüte auf, eine weiße Orchidee. Sollte Martin hiermit doch wieder an seine bisherige Tradition mit den täglichen drei Blumen anknüpfen wollen, so müssten hier irgendwo noch zwei weitere liegen. Amanda schaute sich suchend um, konnte aber sonst keine der kostbaren Blüten mehr ausmachen. Dann wandte sie den Blick wieder zu den Stufen um und fragte sich...

Sie schaute kurz zurück zum Ballsaal - ging dann aber entschlossen die kurze Treppe hinunter. Der Kiesweg entlang der Rasenfläche erstreckte sich sowohl nach rechts als auch nach links. Amanda blickte nach links, und schon sah sie die zweite Blüte, die, von einem Mondstrahl silbrig hell beschienen, an der Kreuzung zweier Wege lag.

Amandas Schuhe knirschten leise auf dem Kies, dann legte sie vorsichtig die zweite Blume zu der ersten in ihre Hand und schaute sich suchend nach der dritten um. Der Pfad, der weiter vom Haupthaus fortführte, lag dunkel und verlassen da; der kleine Weg jedoch, der entlang einer Hecke um die Seite des Anwesens herumführte... dort entdeckte Amanda eine weitere weiße Blüte.

Diese dritte Orchidee lag unmittelbar vor einem kleinen Bogengang, der die Hecke durchbrach und durch den man auf einen Innenhof gelangte. Amanda legte die dritte Blume zu den ersten beiden und ging durch den Bogengang. Dann hielt sie einen Moment inne und sah sich um.

Es war eine wirklich magische Szene, die sich ihr dort bot. Durch den Innenhof zogen sich lange Reihen von in Buchsbaum eingefassten Beeten, in denen Sommerblumen und Rosen wuchsen, Tränendes Herz und Iris. Zwischen diesen Beeten hindurch führten mit Steinplatten gepflasterte Wege, die alle auf einen halbkreisförmigen Platz zuliefen, der sich vor den Stufen eines weißen Sommerhauses erstreckte. Dieses Haus diente als Pförtnerloge und verband den Innenhof mit dem bewaldeten Grundstück dahinter. Es war umschlossen von der ersten der hohen Hecken des Waldgrundstücks; zugleich bildete diese Hecke die grüne Rückseite des Innenhofs.

Bleich ergoss sich das Mondlicht über das Sommerhaus, das einzige weiße Objekt in einem wahren Meer aus mattroten Pfaden und dem dunkelgrünen, fast schon schwarz anmutenden Hintergrund aus Hecken. Von dem Punkt aus, wo Amanda gerade stand, konnte sie nicht ausmachen, ob sich irgendjemand in dem Häuschen befand. Alles in dem kleinen Gebäude schien dunkel; sein Inneres war nicht zu erkennen.

Amanda atmete einmal tief durch, dankbar, dass der Abend so mild war und sie ohne Umschlagtuch durch die Gartenanlagen wandern konnte. Dann hob sie das Kinn und marschierte mutig weiter vorwärts. Sanft ließen die drei Orchideen in ihrer Hand die Köpfchen hüpfen.

Er war da, wartete auf sie - ein noch dichterer, noch schwärzerer Schatten in der Dunkelheit. Martin saß auf einer der breiten Bänke, die entlang der Wände des Innenhofs aufgestellt waren, der wiederum durch die beiden Bogengänge unterbrochen wurde; der eine dieser Bogengänge lag dem Hof zugewandt, der andere führte in das Gehölz hinein.

Am Fuße der vier Treppenstufen, die zu Martin hinaufführten, blieb Amanda stehen. Er erhob sich, verharrte aber unmittelbar vor dem Gartenhaus. Schweigend und reglos wartete er in der Nacht.

Er war ein Raubtier. Instinktiv war sie sich dessen bewusst, und doch schienen ihre Nerven vor lauter Erregung und spannungsvoller Vorfreude auf ihn geradezu zu vibrieren. Martin sagte noch immer nichts; auch Amanda schwieg. Einen langen Moment stand sie einfach nur da und schaute zu ihm auf. Hell fiel das Mondlicht über sie, Martin dagegen war tief in den Schatten verborgen. Schließlich nahm sie ihre Röcke auf und schritt die Stufen hinauf.

Hin zu ihm.

Wortlos ergriff er ihre Hände, nahm ihr die Orchideen aus den Fingern und legte sie beiseite. Dann wandte er sich wieder zu ihr um und musterte in dem Wechselspiel von Mondlicht und Schatten aufmerksam ihr Gesicht - bis er die Hände nach ihr ausstreckte, sie langsam in seine Arme zog und schließlich den Kopf zu ihr hinabneigte. Er ließ sich Zeit, sodass Amanda sich mit Leichtigkeit von ihm hätte zurückziehen können - wenn sie es denn gewollt hätte.

Stattdessen hob sie ihm ihr Gesicht entgegen, lud ihn ein, sie zu küssen, und erahnte das gedämpfte Knurren der Befriedigung, das tief aus seiner Brust aufstieg, als er seine Lippen auf die ihren legte. Genauso bereitwillig, wie sie ihm ihren Mund darbot, nahm er ihn ein - eine jede Erwiderung ihres Kusses ein neues Versprechen auf zahllose weitere Wonnen.

Ich will dich.

Amanda konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob sie diese Worte nur im Geist hörte, oder ob er sie ihr tatsächlich zugeflüstert hatte. Sie drückte für einen Moment ihre Handflächen gegen seine Brust und ließ sie dann emporgleiten, legte ihm die Arme um den Hals und drängte sich sanft gegen ihn. Sie schwelgte regelrecht in dem Augenblick, als auch seine Umarmung fester wurde, als er die Hände über ihrem Rücken spreizte, sie über ihre Hüften gleiten ließ und sie eng an sich zog. Ihre Münder labten sich aneinander, forschten eifrig und gierig nach dem Geschmack des anderen, verzehrten sich nacheinander, nach der Leidenschaft und dem heißen Sog des Verlangens, das sie schließlich schier überwältigte, sodass Amanda und Martin beinahe ins Taumeln gerieten. Sie ließen die Woge der Begierde aufsteigen, ließen sich von ihr durchtosen und schließlich von ihr mitreißen, bis sie haltlos auf dem Meer des ihnen nur schon allzu vertrauten Verlangens trieben.

Amanda und Martin unterbrachen ihren Kuss erst, als sie beide keuchend nach Luft rangen, als sie geradezu brannten vor Verlangen, getrieben von der einen, verzehrenden Sehnsucht nach Erfüllung. Ohne nachzudenken, ohne sich ihres Handelns wirklich bewusst zu sein, sanken sie auf die Polsterkissen der Bank nieder - in einem heillosen Durcheinander von fieberhaft tastenden Händen, einem Gewirr von Kleidern, einem wirren Knäuel von sich umeinanderschlingenden Gliedern; manche von ihnen heiß und hart, andere weich und nachgiebig. Amandas Abendrobe und Martins Anzug erwiesen sich dann allerdings noch als wahre Hürde. Mit hastig hantierenden Fingern versuchten sie, sich der störenden Hüllen zu entledigen. Endlich war das Oberteil von Amandas Kleid geöffnet, und Martins Lippen lagen auf ihren entblößten Brüsten.

Sie schrie leise auf, völlig überwältigt von der Intensität ihrer Empfindungen, die wie Blitze von ihren Brüsten bis in ihre Lenden hinabzuschießen schienen. Sie stöhnte, rang nach Luft und versuchte doch zugleich, ihre instinktive Reaktion auf seine erregenden Liebkosungen zu zügeln.

»Schschsch«, warnte Martin sie.

Mühsam tat Amanda einen tiefen Atemzug und schaffte es, mit einem schwachen Flüstern zu fragen: »Hier?«

Statt einer Antwort presste er seine Lippen, seinen glühenden Mund nun auf ihre andere Brust. Gleichzeitig spürte sie, wie er seine Hände unter ihre Röcke schob und an ihren Schenkeln hinaufgleiten ließ.

»Wie?« Eigentlich hatte Amanda ihrer Frage einen schockierten Tonfall verleihen wollen, um die Unmöglichkeit seines Vorhabens zu verdeutlichen. Stattdessen jedoch schwebte das Wort geradezu in der Luft, eine nur schlecht verhohlene Beschwörung, ein Eingeständnis ihres Verlangens, während sie die Augen schloss und Martins geschickte, hinterhältige Finger sie fanden. Sie streichelten, öffneten und sich in sie hineinschoben.

»Ganz einfach.« Amanda erahnte die Befriedigung, die Vorfreude, die in seinem kehligen Knurren mitschwangen. »Du oben.«

Es klang faszinierend. Und Amanda hatte keinen Zweifel daran, dass Martin genau wusste, was er tat. Sie berührte ihn, bis sie mit forschenden Fingern die harte Schwellung seiner Erektion erspürte, sie streichelte und liebkoste... Martins Körper wurde von einer plötzlichen Anspannung ergriffen, dann, einen leisen Fluch ausstoßend, ließ er sich zurücksinken gegen die Kissen. Mit den Schultern stützte er sich gegen das Fenstersims des kleinen Sommerhauses und zog Amanda auf sich, sodass sie schließlich rittlings auf ihm saß, die Knie jeweils seitlich seiner Hüften aufgestützt, die Hände auf seine Oberarme gelegt.

Tief pressten sich seine Finger in sie hinein, liebkosten die kleine, feste Knospe am Eingang ihres Schoßes, und Amanda seufzte lustvoll auf. Mit der anderen Hand umschloss er eine ihrer Pobacken und drängte sie auf diese Weise vorwärts, damit er mit der süßen Folter ihrer geschwollenen Brüste fortfahren konnte.

Seine fast schon magischen Lippen, seine beschwörende Zunge, seine unendlich geschickten, wissenden Finger brachten Amanda selbst noch um das letzte bisschen Selbstbeherrschung und benebelten ihre Sinne. Sie fühlte nur noch die sinnliche Hitze, die durch ihrer beider Adern pulsierte, das verzweifelte Verlangen, sich zu vereinigen, eins zu werden.

Die glühende Woge der Lust wurde immer gewaltiger, stieg immer höher und noch höher. Mit rhythmischen Bewegungen fachten seine Hand, seine Finger das Feuer in ihrem Inneren noch stärker an, trieben Amanda gnadenlos in die Flammen der Leidenschaft. Sie schnappte atemlos nach Luft, krümmte sich, stöhnte, bis sie schon glaubte, mit dem nächsten Gleiten seiner Finger in ihren Schoß zerschmelzen zu müssen, bis die köstliche Qual seiner an ihrer Brustwarze saugenden Lippen schier unerträglich zu werden schien. Ihre Brüste schienen wie von flüssigem Feuer überzogen; die Haut schien mit einem Mal viel zu eng. In Amandas Schoß tobten die Flammen, erfüllten sie mit einem Gefühl der Hitze und der Nässe - und der Leere.

Ein schmerzliches Sehnen ergriff sie. Ein Sehnen nach Martin.

»Jetzt - bitte.« Amanda erkannte kaum ihre eigene Stimme wieder; Martin aber hörte sie genau. Er zog seine Hand von ihr fort, und Amanda merkte, wie er mit seinem Hosenbund kämpfte.

Dann spürte sie die glühende, samtene Haut, das schwere Gewicht seiner Erektion unter sich. Sie griff unter ihre Röcke, fand ihn und streichelte ihn. Dann schloss sie ihre Hand um ihn, während Martin lustvoll aufstöhnte. Schließlich schob er Amandas Finger beiseite, packte ihre Hüften und führte sie -

»Oh! Ist das wundervoll!«

»Ganz und gar magisch.«

»Der Gentleman hatte wirklich Recht. Es ist ein wirklich bezaubernder Ort, nicht wahr?«

»Und auch noch mit einem solch hübschen Sommerhaus geschmückt.«

Wie gut, dass Amanda so außer Atem war, dass sie in diesem Augenblick noch nicht einmal mehr aufstöhnen konnte - dass sie nun nicht in laute Schimpftiraden ausbrechen konnte, um die schnatternde Schar junger Damen, die gerade in den kleinen Innenhof geströmt kamen, wieder in den Ballsaal zurückzuscheuchen. Schon kamen die Mädchen den Pfad heraufspaziert, blieben nur hier und dort für einen Moment stehen, um die Blumen zu bewundern.

Martin war regelrecht erstarrt vor Anspannung. Hilflos schaute Amanda zu ihm hinab.

Selbst in dem schwachen Licht konnte sie seinen grimmigen Gesichtsausdruck erkennen. »Schschsch.«

Nur ganz leise drang sein Flüstern an ihr Ohr, dann schloss er die Hände um ihre Taille und hob sie wieder von sich herunter, stellte sie auf die Füße, packte im Aufstehen ihre Hand - und zerrte sie in aller Eile vom Sommerhaus fort und die Stufen zu dem kleinen Gehölz hinab.

»Ooooh! Seht doch mal

Mit einem Ruck riss Martin Amanda auf die Seite und fort von dem Bogengang. Amanda prallte regelrecht gegen ihn, als Martin mit dem Rücken zur Hecke gewandt abrupt stehen blieb. Schrilles Gekicher schallte ihnen hinterher.

»Donnerwetter! Wer waren die beiden? Konntet ihr das sehen?«

Doch keine der jungen Damen hatte Amanda und Martin deutlich genug erblickt, um sie mit Sicherheit identifizieren zu können. Die beiden waren glücklicherweise sehr schnell gewesen, kaum mehr als zwei schemenhafte Gestalten, die sich unscharf gegen den Hintergrund des Sommerhauses abzeichneten; geschützt durch die im Inneren des Hauses herrschende Dunkelheit und die Schatten, die das Gehölz warf.

Hastig sah Martin sich um, hantierte dabei an den Knöpfen an seinem Hosenbund herum, bis er abermals mit festem Griff seine Finger um Amandas Hand legte. »Komm weiter - noch sind wir nicht aus dem Schneider.«

»Aber ich verliere gleich mein Kleid!« zischte sie, während sie sich damit abmühte, ihr Oberteil mit bloß einer Hand weiterhin geschlossen zu halten.

Er schaute kurz zu ihr zurück, zog sie aber dennoch unerbittlich weiter hinter sich her. Martin blieb erst stehen, als sie in dem Schutz einer jenseits des Sommerhauses liegenden Zierhecke angekommen waren. Dort wirbelte er abrupt herum, drängte Amanda gegen die hinter ihr liegende Hecke zurück und küsste sie leidenschaftlich, während er zugleich die Hände hob und sie abermals um ihre Brüste schloss.

Die Glut in ihrem Inneren war noch immer da, schwelte, hatte durch das Warten nur noch an Hitze gewonnen - wie ein Vulkan, in dem sich die brodelnde Lava aufgestaut hatte und der kurz davor war, unter dem in seinem Kern stetig ansteigenden Druck auszubrechen -

»Ob es hier entlang geht, was meint ihr?«

Martin löste seine Lippen von Amandas Mund und fluchte lästerlich. Leise drang vom Ende des Pfades das Knirschen von über den Kies stapfenden Füßen zu ihnen herüber.

Das Geräusch der sich unaufhaltsam nähernden Schritte wirkte auf sie beide wie eine Dusche eiskalten Wassers und löschte nunmehr unwiederruflich selbst die letzten Funken der Leidenschaft aus. Ihre Blicke trafen sich; dann ließ Amanda ihren Blick langsam zu Martins Mund hinabwandern.

Martin wiederum blickte in einer Mischung aus Bedauern und schmerzlicher Sehnsucht auf Amandas Lippen und tat bebend einen tiefen Atemzug, sodass sein Brustkorb sich gegen ihre Brüste presste. Dann jedoch richtete er sich auf, wich einen Schritt zurück und stützte Amanda, bis sie festen Halt gefunden hatte. Schließlich schloss er mit einigen geschickten Griffen das Oberteil ihrer Abendrobe.

»Ich will dich.« Damit griff er nach seinem Hosenbund, vergewisserte sich noch einmal, dass alle Knöpfe ordnungsgemäß geschlossen waren, während Amanda rasch die Bänder an den Seiten ihres miederartigen Oberteils zusammenband. »Aber nicht so. Ich will dich in meinem Haus, will dich in meinem Bett haben. Ich will, dass du mein wirst.«

Sie erwiderte seinen grimmigen Blick, erspürte die Frustration hinter seinen Worten, erahnte das Sehnen, das Verlangen - sein drängendes Bedürfnis. Verunsicherung ergriff von ihr Besitz, untergrub langsam, aber stetig ihren Entschluss... Dann jedoch hörte sie in Gedanken wieder Lady Osbaldestones Stimme. Amanda atmete einmal tief durch, hob das Kinn und hielt Martins Blick stand. »Wie sehr willst du mich?«

Er antwortete nicht sofort. Ist diesem Augenblick kamen die Mädchen den Pfad heraufgeschlendert - sie suchten scheinbar nach irgendeinem Teich - und bewahrten Martin davor, nun vorschnell etwas zu sagen, was er später vermutlich wieder bereut hätte.

Amandas Hand lag fest auf seinem Arm, als sie sich auf den Weg zurück zum Herrenhaus machten. Sie nickten höflich, als sie die kleine Gruppe von Störenfrieden passierten. Martin runzelte die Stirn - immerhin war Amanda einige Jahre älter als die Mädchen, und er hoffte, dass sie dieser Umstand vor etwaigen üblen Nachreden durch die jungen Damen bewahren würde. Wenigstens hatte man sie nicht in flagranti erwischt...

Denn damit wäre sein Leben zweifellos nur noch komplizierter geworden, als es ohnehin schon war. Seine Übereinkunft mit dem Cynster-Clan, mit Amandas Cousins, beinhaltete nämlich, dass er, Martin, in seinen Versuchen, Amanda zur Ehe zu überreden, zwar einerseits sämtliche Register ziehen dürfte - allerdings nur insoweit, wie es unbedingt nötig war, um sie schließlich doch noch zu seiner Frau zu machen. Jeglichen Skandal aber, den er mit seinen Tricks womöglich auslösen könnte, sollte er dagegen tunlichst vermeiden.

Martin hatte im Augenblick also eine keineswegs einfache Aufgabe zu lösen. Er sollte eine junge Dame aus dem Cynster-Clan dazu bewegen, ihren Widerstand aufzugeben und seine Ehefrau zu werden, durfte sich unterdessen allerdings nicht zu jenem gewissen Eingeständnis verlocken lassen, das sie ihm ihrerseits so gerne abringen wollte; zudem musste das Ganze auch noch mitten unter den argwöhnischen Blicken der versammelten Londoner Gesellschaft stattfinden und durfte wiederum nicht den kleinsten Skandal heraufbeschwören… Das konnte man wahrhaftig als eine echte Herausforderung bezeichnen.

Ein Teil von ihm hatte durchaus Gefallen an dem Spiel gefunden. Ein anderer Teil seines Ichs aber wünschte, das alles wäre längst vorbei und Amanda wäre endlich die Seine - genauso freimütig und für alle klar ersichtlich, wie er bereits der Ihre war.

Langsam stiegen sie die Stufen zur Terrasse empor. Martin schaute hinab in Amandas Gesicht. Sie hielt das Kinn hoch erhoben, die Kiefer in bekannter störrischer Manier fest aufeinander gepresst. Und doch erahnte Martin unter der entschlossenen Fassade eine verletzlichere, wehmütigere Seite an ihr. Vielleicht, wenn er nur noch ein klein wenig mehr Druck auf sie ausübte...

Vor der Tür, die zum Ballsaal führte, hielt er einen Moment inne, schob seine Finger durch ihre Finger, hob ihre Hand an seine Lippen und drückte einen Kuss auf ihre zarten Knöchel, den Blick unterdessen die ganze Zeit tief in ihre Augen versenkt. »Es liegt ganz bei dir.«

Amanda hielt seinem Blick stand, schaute ihm forschend in die Augen - dann wandte sie sich um und kehrte zurück in den Ballsaal.


Sie blieben den ganzen Abend über zusammen, während des Essens und sogar bis zum letzten Walzer. Dann aber verabschiedete Martin sich von Amanda - so wie es die guten Sitten geboten. Amanda blickte ihm nach, als er die Treppen, die aus dem Ballsaal hinausführten, hinaufschritt, und beobachtete ihn so lange, bis seine breiten Schultern und das goldbraun schimmernde Haar hinter der geschwungenen Tür verschwanden.

Und sie wünschte sich, sie hätte gemeinsam mit ihm den Ball verlassen. Wünschte sich, sie hätte den Mut dazu gefunden.

Wünschte tief in ihrem Herzen, dass sie ihm einfach geben könnte, wonach er sich so verzehrte, auf dass dieses emotional so aufreibende Hinundhergezerre endlich ein Ende haben würde. Sicherlich, es war durchaus von Bedeutung zu wissen, dass Martin sie liebte - doch diese Gewissheit hatte sie doch schon längst. Musste er ihr dies denn unbedingt auch noch mit seinen eigenen Worten eingestehen?

Nach dem Urteil von Lady Osbaldestone und dem ihrer anderen klugen Ratgeberinnen war dies in Martins Fall durchaus vonnöten. Obwohl sie auch gesagt hatten, dass es viele Arten von Zeichen gäbe, viele Formen der Kommunikation, die manchmal mehr als bloße Worte sagten. Amanda konnte alle Argumente auch durchaus nachvollziehen. Aber sie erahnte allmählich, dass es bei einem offenen Eingeständnis seiner Liebe für sie womöglich um noch mehr ging als bloß um die Tatsache, dass er sich seiner Gefühle für sie auch vollends bewusst sein sollte. Und dieses gewisse Etwas, um das es ging, kannte die alte und überaus gewitzte Lady Osbaldestone nur allzu genau; aber genau die würde es Amanda unter Garantie nicht verraten. Folglich hatte es auch keinen Sinn, ihr dieses Geheimnis mit Gewalt entreißen zu wollen. Denn wenn sie Amanda bis jetzt noch nicht eingeweiht hatte, dann würde sie es auch nicht mehr tun - selbst die Coldstream Guards, das älteste und renommierteste Regiment der britischen Armee, könnten daran nichts ändern.

Der Gedanke an dieses »Mehr«, um das es in ihrem Ringen mit Martin ging, ließ Amanda nicht mehr los, während sie darauf wartete, dass auch Amelia und Louise sich endlich von ihren Gastgebern verabschiedeten. Gedankenverloren ließ sie den Blick durch den Raum schweifen, bis plötzlich Edward Ashford ihre Aufmerksamkeit erregte. Er wartete in untadeliger Haltung und mit einem Ausdruck hochmütiger Verachtung auf dem Gesicht, während seine Schwestern noch rasch eine Verabredung mit zwei anderen jungen und eindeutig aus den ländlicheren Regionen stammenden Damen trafen.

Mit einem entspannten Lächeln ging Amanda auf ihn zu und suchte unterdessen angestrengt nach irgendeinem geeigneten Thema, mit dem sie ihre Unterhaltung beginnen könnte.

Edward begrüßte sie mit einem knappen Nicken und leicht gerunzelter Stirn. »Gut, dass du kommst. Dann kann ich dir ja gleich einmal eine kleine Warnung zukommen lassen.«

»Eine Warnung?« Amanda sah ihn aus betont großen, neugierigen Augen an, um ihn zum Weitersprechen zu ermuntern.

»Und zwar, was diesen Dexter betrifft.« Das Gesicht dem sich langsam leerenden Ballsaal zugewandt, hob Edward sein Lorgnon und musterte mit affektiertem Ausdruck die schwindende Gästeschar. »So widerwärtig es ja auch ist, so über einen Verwandten sprechen zu müssen, so muss ich dir doch sagen, dass Dexter ein durch und durch unzuverlässiger und alles andere als vertrauenswürdiger Charakter ist.« Damit senkte er die Stielbrille wieder ein wenig und schaute Amanda fest in die Augen. »Dexter hat nämlich einen Mann getötet, verstehst du. Hat ihn über einen Felsvorsprung gestoßen und dann mit einem Stein so lange auf ihn eingeschlagen, bis er schließlich starb. Das Opfer war ein alter Mann, der sich nicht mehr selbst verteidigen konnte. Dexter hat ein vollkommen unberechenbares Naturell, und sein Ruf ist geradezu skandalös. Genau genommen wundert es mich sogar sehr, dass deine Familie noch keinerlei Schritte unternommen hat, um ihm endlich mal zu untersagen, dir noch länger nachzustellen - ich meine, nun, da die Ballsaison ihren Höhepunkt erreicht hat, und deine Cousins und Onkels doch allesamt in der Stadt sind. Aber sie werden zweifellos schon noch sehen, was Dexter sich alles herausnimmt, und dann energisch dagegen einschreiten.«

Amanda fragte sich, was Martin wohl verbrochen haben mochte, um solch einen Abschaum von einem Cousin verdient zu haben. »Edward, St. Ives hat Martin sogar seine offizielle Erlaubnis gegeben, mir den Hof machen zu dürfen.«

Edward schienen die Gesichtszüge regelrecht zu entgleisen. Die Hand, in der er das Lorgnon hielt, sank schlaff herab. »Seine offizielle Erlaubnis. Du meinst...«

Amanda verzog die Lippen zu einem Lächeln. »Ich meine genau das, was ich gesagt habe. Guten Abend, Edward.« Mit einem kühlen Nicken ließ sie ihn stehen und entfernte sich von ihm. Sie war stolz darauf, dass sie die Ruhe bewahrt hatte und sich nicht von ihren Gefühlen - ihrem instinktiven Drang, Martin beschützen zu wollen - zu einer unbedachten Reaktion hatte hinreißen lassen.

In diesem Moment schlenderte Luc auf Edward und ihre beiden Schwestern zu. Zweifellos hatte er dem Ball bereits nach dem zweiten Tanz den Rücken gekehrt, um sich anderswo zu amüsieren, und war erst jetzt wieder zurückgekommen. Spontan stellte Amanda sich ihm in den Weg. Er blieb stehen, sah zu ihr hinab und hob fragend eine Braue.

Geradeheraus und entschlossen erwiderte sie seinen Blick. »Dexter hat darum gebeten, mich offiziell umwerben zu dürfen. Und er hat die Erlaubnis bekommen.«

»Das hatte ich mir schon gedacht.«

»Und, was hältst du davon?«

Luc musterte Amanda so lange und ausgiebig, dass sie schon befürchtete, er könnte betrunken sein. Dann jedoch zog er beide Brauen hoch und entgegnete: »Tja, wenn du mich fragst, dann denke ich, er muss wohl den Verstand verloren haben. Und genau das habe ich ihm auch gesagt.«

»Den Verstand verloren?« Amanda starrte Luc an. »Aber wieso das denn?«

Wieder sah er sie schweigend an, sein Blick aus tiefblauen Augen war geradezu zermürbend fest und durchdringend. Dann erwiderte er in etwas gedämpfterem Ton: »Ich weiß von deinen Besuchen bei Mellors und Helen Hennessy. Und ich weiß auch, dass Martin dich nicht nur einmal, sondern sogar mehrmals aus einer brenzligen Situation gerettet hat. Außerdem hat er sich wieder in die Londoner Gesellschaft eingefügt, eine Gesellschaft, die er nicht mag. Und es gibt auch wahrlich keinerlei Anlass, warum er diese Menschen mögen sollte - im Gegenteil, er hätte mehr als bloß einen guten Grund, um sie zu meiden. Trotzdem ist er hier, und das alles nur deinetwegen. Er hat dir vor aller Augen den Hof gemacht, sein Temperament gezügelt und den Braven gespielt, ganz so, wie die Gesellschaft es vorgibt. Diese Kapitulation vor alledem, was ihm doch eigentlich herzlich zuwider ist, muss ihn bestimmt einige Überwindung gekostet haben. Nicht zuletzt hat er bei deinem Cousin vorgesprochen und Gott weiß was für Zugeständnisse gemacht - und alles das bloß, um die Erlaubnis zu erhalten, um dein zierliches Händchen werben zu dürfen.«

Luc hielt einen Moment inne, den Blick noch immer gnadenlos direkt und durchbohrend auf Amanda gerichtet. »Und jetzt sag du mir doch bitte mal, was du eigentlich an dir hast, dass du all das wert wärest? Was ist es, das all diese Opfer rechtfertigt? Oder, um es noch genauer zu sagen, wie kommst du dazu, dir das Recht herauszunehmen, ihn immer noch zappeln zu lassen - wie irgendeinen bedeutungslosen kleinen Fisch, den du im Grunde schon längst von deiner Angel lösen und wieder in die Freiheit hättest entlassen sollen?«

Amanda weigerte sich, den Blick abzuwenden, weigerte sich, die Lider zu senken. »All das«, antwortete sie mit gedämpfter Stimme, »geht nur ihn und mich etwas an.«

Luc nickte ihr zu und trat um sie herum. »Nun denn, solange wenigstens du weißt, was dieses Theater eigentlich soll.«


Irgendjemand verfolgte Amanda, jemand anderer als er, Martin. Jemand beobachtete Amanda, beobachtete sie beide. Aber wer? Und warum?

Während Martin am folgenden Morgen beim Frühstück saß, prüfte er diese Fragen aus allen nur erdenklichen Blickwinkeln. Immerhin aber konnte zumindest dieses Thema ihn ein wenig von seiner leise schwelenden Frustration ablenken.

Während ihm der Grund, weshalb sie beide verfolgt wurden, noch immer unklar war, bestand zumindest an der Tatsache, ob sich ihnen wirklich jemand an die Fersen geheftet hätte, kein Zweifel mehr. Dieses Briefchen, mit dem Amanda auf eine dunkle, menschenleere Terrasse hatte gelockt werden sollen, war nur der Anfang gewesen. Davor hatte sich noch nichts Verdächtiges ereignet; oder zumindest nichts, an das Martin sich erinnern könnte. Später allerdings war in einem äußerst prekären Augenblick ganz plötzlich und unerwartet Edward mit seinen Begleiterinnen auf der Veranda der Fortescues aufgetaucht. Außerdem gab es da noch diese ominöse Nachricht, mit der Sally Jersey in die Bibliothek der Hamiltons gelockt worden war, und schließlich, vergangene Nacht, war dieser Schwarm junger Mädchen in dem ungünstigsten aller denkbaren Augenblicke herbeigestürmt gekommen, um sich bei nahezu stockfinsterer Nacht das Sommerhaus der Arbuthnots anzusehen.

Die jungen Damen waren von »dem Gentleman« nach draußen geschickt worden. Martin konnte sich an diese Bemerkung noch gut erinnern.

Irgendein Gentleman hatte es sich also zur Aufgabe gemacht, Amandas Ruf zu ruinieren.

Und ein handfester Skandal könnte ihre Reputation zweifellos nachhaltig schädigen - so zumindest musste wohl jemand denken, der Amandas Umfeld nicht genauer kannte. Nur jene, die zu ihrem engeren Kreis gehörten, jene, die wussten, um was es in der Angelegenheit zwischen Martin und Amanda wirklich ging, und die vor allem wussten, dass Martin bereits offiziell die Erlaubnis eingeholt hatte, Amanda den Hof machen zu dürfen, wussten es besser. In Wahrheit nämlich hätte ein Skandal um ihn und Amanda zwar zweifellos so manches Gemüt erhitzt, gleichzeitig wäre dadurch aber auch die Zeit, bis Amanda sich endlich dazu bequemte, mit Martin vor den Traualtar zu treten, erheblich verkürzt worden.

Genau genommen war ein potenzieller Skandal sogar einer der Trümpfe, auf den Martin noch immer hoffte - so zum Beispiel eine plötzliche Schwangerschaft.

Vor allem aber bedeutete dies alles im Moment nur eines: Wer immer dieser Gentleman, der sie verfolgte, auch sein mochte, so hatte dieser Herr zwar offenbar Anlass dazu, Amanda Böses zu wünschen, hatte jedoch augenscheinlich keinerlei Zutritt zu ihrem engeren Kreis.

Und damit war Graf Connor der Einzige, den Martin auf seiner Liste hatte.

Nach einem nachmittäglichen Besuch bei dem Grafen musste Martin seine Liste allerdings sogar auf null reduzieren. Merkwürdigerweise nämlich fühlte Connor sich zwar augenscheinlich geschmeichelt, in den Verdacht geraten zu sein, Martin und Amanda zu verfolgen; allerdings klang seine Erklärung, dass er wirklich nur Amandas Bestes wolle und allein in onkelhafter Güte an sie denke, in Martins Ohren dann doch zu glaubhaft, als dass er noch irgendeinen Zweifel an Connors wohlmeinender Haltung ihr gegenüber hegen konnte. Er gab Martin sogar sein Wort darauf, dass er Amanda nichts Böses wünsche, und nutzte die Gelegenheit überdies noch dazu aus, Martin vor dem undankbaren Schicksal zu warnen, das jene ereilte, die zu lange damit warteten, sich eine Frau zu nehmen und eine Familie zu gründen. Diese endeten laut Connor dann nämlich irgendwann als alte Männer, die nicht mehr wussten, wofür sie eigentlich noch lebten.

Connors guter Ratschlag »Seht Euch vor!«, den dieser seinem Gast zum Abschied nachrief, hallte Martin noch immer in den Ohren, als er nach Hause und in seine Bibliothek zurückkehrte, wo er sich abermals mit der Frage beschäftigte, was genau da im Augenblick eigentlich vor sich ging. Und wer hinter alledem steckte.


»Aber wenn es nicht Connor ist, wer dann?« Amanda schaute sich kurz nach Martin um, als dieser ihr in den Wintergarten ihrer Tante Horatia folgte. Er schloss die Tür und ließ scheinbar gedankenverloren den kleinen Riegel einrasten; der Lärm des Balls, zu dem eine wirklich beachtliche Anzahl an Gästen geladen worden war, verebbte hinter der Tür.

Eine längst vergessene Erinnerung kehrte in Amandas Bewusstsein zurück - einst hatte sie Vane hier hereingezerrt, um ihn nach seiner Meinung über einen gewissen Gentleman zu fragen. Als sie wieder herausgekommen waren, waren sie unmittelbar hinter der Tür auf Patience gestoßen; ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte diese wohl gerade die Tür aufreißen und hineinstürmen wollen. Vane hatte Patience daraufhin ein wenig hinterlistig angelächelt und sie eingeladen, mit ihm zu kommen und die mit Palmen geschmückte Oase seiner Mutter zu bewundern. Als Amanda davongegangen war, hatte sie hinter sich ebenfalls das leise Einrasten des Türriegels gehört.

Und sie konnte sich auch noch immer an den leicht träumerischen Ausdruck auf Patiences Gesicht erinnern, als sie und Vane bedeutend später endlich wieder aus dem Wintergarten hervorgekommen waren.

Amanda verdrängte diese Erinnerung rasch wieder aus ihrem Bewusstsein und konzentrierte sich erneut ganz auf das Problem, das sie und Martin gerade wälzten. »Aber außer Connor gibt es niemanden, dem ich irgendwann mal auf die Zehen getreten wäre.«

»Dann hast du also nie, weder vor deinem Besuch bei Mellors noch hinterher, jemals irgendeinem Gentleman Hoffnungen gemacht?«

»Nein, nicht in der Art, die du meinst.« Sie blickte zu Martin auf, als dieser ihre Hand ergriff. »Denn das war auch nie mein Ziel.«

Er hob die Brauen. Erwiderte ihren Blick.

Nur das schwache Mondlicht drang in das Gewächshaus und tastete sich zwischen den Wedeln diverser exotischer Palmen hindurch; es war zu dunkel, als dass Martin hätte erkennen können, wie Amanda leicht errötete. »Ich wüsste wirklich nicht, wer mir etwas Böses wünschen sollte. Und schon gar nicht mit solcher Inbrunst, dass ich am Ende...«

Amandas Stimme verhallte. Martin hakte nach: »Wer?«

Sein Tonfall ließ ihr keine andere Wahl, als einzugestehen, dass ihr gerade eben doch noch ein Kandidat eingefallen war, der augenscheinlich nicht sonderlich freundlich über sie dachte. »Luc.« Sie schaute Martin in die Augen. »Er hält nicht viel von mir, geschweige denn davon, dass ich, wie er es nannte, dich an meiner Angel zappeln ließe.«

»Er hat sich für mich eingesetzt?«

»Allerdings.« Dann aber zuckte Amanda mit den Schultern und fuhr fort: »Luc hat eben schon immer eine sehr scharfe Zunge gehabt.«

Martin unterdrückte ein Lächeln. »Wie dem auch sei - er wird es bestimmt nicht sein. Denn mal abgesehen von allem anderen muss dieser merkwürdige Kerl jemand sein, der nicht in das aktuelle Geschehen zwischen uns beiden eingeweiht ist. Und Luc weiß wirklich alles darüber.«

»Zweifellos«, stimmte Amanda Martin widerwillig zu. »Außerdem kann es so oder so nicht Luc sein. So etwas ist einfach nicht seine Art.«

Martin warf einen Blick in Amandas Gesicht, während sie neben ihm den Weg zwischen den Pflanzkübeln entlangwanderte. Er konnte ihre Züge nicht erkennen, hörte aber an ihrer Stimme, dass sie sich mittlerweile offenbar nicht mehr so sicher war, ob sie ihn, Martin, noch länger »zappeln lassen« wollte. Falls Lucs offene Worte Amanda also tatsächlich dazu gebracht haben sollten, ihre Haltung noch einmal zu überdenken, so stand Martin eindeutig in Lucs Schuld.

Im Übrigen war es, gerade was dieses spezielle Thema zwischen ihm und Amanda anging, nun eindeutig an der Zeit, mal wieder ein wenig Überzeugungsarbeit zu leisten. Dieses Mal würden sie auch ganz sicher nicht gestört werden; Martin hatte nämlich gewisse Vorkehrungen getroffen, damit sie auch wirklich allein wären und damit er genügend Spielraum hatte, die sinnliche Verbindung zwischen ihnen beiden noch einmal aufzufrischen und Amanda damit eventuell dazu zu bewegen, sich ihm heute Nacht für immer zu ergeben.

Vane war derjenige gewesen, der Martin den Wintergarten seiner Mutter vorgeschlagen hatte. Und als Martin sich nun abschätzend umblickte, musste er eingestehen, dass dieser Ort wirklich eine gute Wahl war. Die Luft war warm und leicht feucht, das Licht war gedämpft, aber nicht zu schwach. Schließlich erreichten Amanda und Martin eine Art kleiner Lichtung, in deren Mitte ein Springbrunnen stand. Der Brunnen präsentierte die Statue einer Frau in römischer Tunika, die eine Amphore hielt, aus der ein schier endloser Schwall von Wasser strömte. Der kleine Springbrunnen stand auf einem Podium, sodass Martin im Stillen bereits überlegte, ob… Doch dann schloss er die Finger um Amandas Ellenbogen und führte sie, die noch immer ganz in Gedanken versunken war, noch ein Stückchen weiter.

Der kleine Pfad schlängelte sich einmal quer durch den gesamten langen Raum und endete auf einer weiteren Lichtung, einem einsamen und von außen vollkommen abgeschirmten Halbkreis, in dem Martin schließlich genau das fand, wonach er gesucht hatte.