Absolut tierisch

Die Tiere haben es bekanntlich nicht so einfach mit den Menschen. Das schlägt sich auch in unserer täglichen Arbeit nieder. Sie können sich wahrscheinlich kaum vorstellen, wie oft wir Feuerwehrleute uns vor und für die lieben Tiere zum Affen machen – sei es, um sie vor den Menschen oder auch die Menschen vor ihnen zu retten. Wir rennen mit Netzen, Kisten und Stangen hinter Waschbären, Würgeschlangen, Füchsen, Leguanen, Hasen, Skorpionen, Dachsen, Wildsäuen, Tauben, Vogelspinnen und Schwänen her. Wir retten ertrinkende Rehe, verwaiste Baby-Eichhörnchen und abgestürzte Fledermäuse. Wir graben jagdwütige Dackel aus metertiefen Kaninchenbauten, stellen gestrauchelte Elefantenmädchen wieder auf die Beine und schneiden eingeklemmte Hunde aus Gittertoren. Und es gibt eine ganze Reihe überaus peinlicher Pressefotos von Feuerwehrleuten, die kläglich an der Aufgabe scheiterten, in annehmbarer Zeit zehn panisch herumrasende Entenküken einzufangen.

Wir tun das alles gern, weil wir wissen, dass der Dienst am Tier immer auch ein Dienst am Menschen ist. Weil viele von uns selbst Tiere haben. Weil die Bürger uns für unsere Tierliebe lieben. Und auch weil wir nicht so blöd sind, uns mit Tierfreunden anzulegen.

Obwohl es zuweilen Fälle gibt, bei denen sich selbst der größte Tierfreund unter uns ans Hirn fasst. Also jetzt mal ehrlich, Freunde: Habt ihr jemals ein Katzenskelett im Baum sitzen sehen? Nein? Ich auch nicht. Weil die meisten Katzen nämlich ohne Weiteres allein vom Baum herabsteigen könnten. Wenn sie wollten. Sie wollen es aber nicht, wenn unter der Kastanie das hysterisch schluchzende Frauchen, umringt von 20 fremden Menschen, steht und dann auch noch blau gekleidete Männer mit roten Leitern anrücken. Da würde ich ja auch lieber erst mal auf meinem sicheren Ast sitzen bleiben. Nun ja. Egal. Des Bürgers kleiner Freund ist in Not und wir kommen – zum Beispiel zu …

Katze Sissy

Man sollte meinen, dass die Eskapaden eines kleinen Kätzchens nicht gerade eine Herausforderung für eine Großstadtfeuerwehr darstellen. Das dachte ich auch – bis mir die Katze Sissy begegnete. Ein erst vier Monate altes, zartes Tierchen, das es schon damals allerdings faustdick hinter den rot getigerten Öhrchen hatte, wie sich schnell erweisen sollte.

In einer lauen Herbstnacht kaperte das Katzenkind im Stadtteil Fasan­garten eine 25 Meter hohe Eiche – und kam nicht mehr herunter. Geschlagene vier Stunden harrte Frauchen unter dem Baum aus und lockte mit allem, was gut und teuer und nach Katzengeschmack ist. Doch Sissy blieb standhaft.

Wer hilft in diesem Fall? Na klar, die Feuerwehr. Weil Tierrettungen dieser Art in der Nacht zu gefährlich sind, warteten wir bis zum Morgengrauen. Im ersten Licht schickte ich dann unsere kleinste Drehleiter los. Die altbewährte DL 16-4 – im günstigsten Falle hoch genug, um 16 Meter in die Höhe zu steigen. Diese Leiter ist überaus wendig und zum Beispiel gut geeignet für enge Hinterhöfe. Aber leider nicht hoch genug für Sissys Baum. Also Kommando zurück. Damit wurde das Kätzchen ein Fall für unsere Höhenretter. Acht Mann rückten nun aus mit zwei Fahrzeugen und einer kompletten Bergausrüstung, so ziemlich ausreichend für die Besteigung eines Achttausenders. Aber nicht ausreichend für Sissy. Das kleine Biest hatte sich nämlich mittlerweile auf die dünnen äußeren Äste verzogen. Die tragen gerade noch ein Kätzchen, aber natürlich keinen Mann. Mist!

In der Zwischenzeit hatte sich unter der Eiche bereits die halbe Siedlung eingefunden. Und die Münchner Berufsfeuerwehr steuerte unaufhaltsam dem Gipfel der Lächerlichkeit entgegen …

Der Einsatzleiter der Höhenretter erwog kurzfristig den Einsatz der Hubrettungsbühne. Das ist unser derzeit längstes und teuerstes Rettungsgerät mit einer Plattform, die sich bis zu 53 Meter in die Höhe fahren lässt – konstruiert für Rettungen aus Hochhäusern, höher als die meisten großen Fahrgeschäfte auf dem Oktoberfest. Aber natürlich – man ahnt es schon: Auch die Hubrettungsbühne hätte Sissy nicht erreicht. Die nämlich hatte sich jetzt in das tiefste Innerste des Blätterdaches verkrochen. Darum entschieden sich die Kollegen für unseren 50-Tonnen-Kran, der vom anderen Ende der Stadt anrückte – nunmehr begleitet vom Blitzlichtgewitter diverser Pressefotografen und dem unüberhörbaren Gelächter der Anwohner, deren Schar unaufhörlich wuchs und die mit wachsendem Vergnügen unseren millionenschweren Fuhrpark bestaunten. Doch das rot-weiß getigerte Objekt unserer Bemühungen hatte sich mittlerweile unsichtbar gemacht. Der Kran scheiterte in dem schwierigen Gelände letztlich an seiner gewaltigen Ausladung. Und ich saß in der Leitstelle und griff mir ans Hirn. Was ging da draußen eigentlich vor und wer würde wohl als Nächstes bestellt? Der Tierarzt mit dem Betäubungsgewehr? Ein Holzfällerkommando? Der Rettungshubschrauber? James Bond?

Drei Stunden und gut 100 Liter Diesel später waren 14 gestandene Feuerwehrmänner mit ihrem Latein am Ende. Ich konnte sehr gut nachfühlen, wie blöd sich die Kollegen vorkommen mussten. Ich habe selbst einmal eine Katze vom Drehleiterkorb aus 18 Meter in die Höhe verfolgt. Zum Dank griff sie mich dann wie ein wilder Tiger an. Trotz kompletter Schutzkleidung und dicker Handschuhe gelang es mir nicht, diese kleine Furie zu bändigen. Am Ende ließ sie sich einfach fallen und ich fürchtete schon das Schlimmste. Stattdessen landete sie geschmeidig wippend im Rasen, schüttelte sich und marschierte ohne sonderliche Eile offensichtlich beleidigt und augenscheinlich unverletzt heim. Dabei würdigte sie den Blödmann da oben in seinem komischen Korb keines Blickes mehr. Sie sind halt eine Kategorie für sich, diese Katzen.

Wir rückten also auch in diesem Fall erfolglos ab und überließen Sissy samt Frauchen vorerst ihrem Schicksal. Am Nachmittag dieses denkwürdigen Tages meldete sich die Besitzerin ein wenig kleinlaut ein weiteres Mal in der Leitstelle. Sie wolle sich nur noch mal recht herzlich bedanken für den großen Aufwand und teilte uns ferner mit, dass Fräulein Sissy soeben allein vom Baum gestiegen und wohlauf sei.

Ich fürchte mich schon vor dem Tag, an dem sie uns erneut um Hilfe bitten wird.

Jamuna Toni

Kaum ein Tierschicksal hat die Münchner so sehr bewegt wie die traurige Geschichte des erst sieben Monate alten Elefantenkindes Jamuna Toni, das kurz vor Weihnachten 2009 im Münchner Tierpark Hellabrunn zur Welt kam. Im Frühjahr 2010 hatte ich noch Tränen gelacht, als die Kleine mit einem pinkfarbenen Riesen-Osterei über die Außenanlage tobte und sich in ihre heiß geliebten Schlammbäder stürzte. Als uns im Juni ein Hilferuf aus Hellabrunn erreichte, war ich ehrlich betroffen. Das kleine Mockelchen – so wurde Jamuna Toni in Hellabrunn genannt – war sterbenskrank. Sie litt unter einer unerklärlichen Krankheit, die ihre Knochen brechen ließ wie Glas. Möglichst aufrecht in einer Tragevorrichtung hängend und unter größtmöglicher Geheimhaltung, sollte das Elefantenkind daher so schnell wie möglich in eine Klinik für Großtiere nahe Augsburg verlegt werden. Aber wie und in was für einem Fahrzeug bringt man einen schwer kranken Elefanten heimlich aus der Stadt?

Alle Hoffnungen der Tierpfleger und Tierärzte ruhten plötzlich auf uns. Und ich fühlte augenblicklich eine elefantöse Last auf meinen Schultern. In meiner Not rief ich den Fahrzeugmeister der Feuerwache 6 an, der bekannt ist für sein bestens bestücktes Sondergerätelager. Alle Feuerwehrleute sind Meister der Improvisation und einer hat eigentlich immer eine zündende Idee. Der Kollege hatte zwar kein geeignetes Material auf Lager, aber er enttäuschte mich nicht: »Hast du schon mal Paul gefragt?« Ja klar, Paul!

Die Münchner Berufsfeuerwehr betreibt eine eigene Sattlerei, in der unter anderem unsere Stiefel repariert und unzerreißbare Planen und Taschen für allerhand Gerätschaften genäht und gerichtet werden. Kollege Paul ist von Beruf Sattler. Und fuhr an jenem Tag zu unser aller Glück Rettungsdienst.

Als ihn am Vormittag mein Notruf erreichte, war er gerade mit einem Patienten unterwegs ins Schwabinger Krankenhaus. Sein Wachabteilungsführer erkannte jedoch sofort den Ernst der Lage und ließ ihn ablösen.

Paul hat in seinem Leben schon alles Mögliche ausgemessen, aber noch nie ein 180-Kilogramm-Baby im Zoo. Angesichts der Situation entschied er sich für eine flexible Netzkonstruktion, in der das arme Tier in jenen warmen Frühsommertagen möglichst wenig schwitzen würde. Er trieb sogar kurz vor Geschäftsschluss noch einen geeigneten Lieferanten auf. Ein alter Freund noch aus Pauls Gesellenzeiten, der ihn nicht im Stich ließ.

Um 16 Uhr schloss sich Paul mit zwei Wurstsemmeln und dem Material in unsere Sattlerei ein, war für niemanden mehr zu sprechen und nähte in Rekordzeit ein erstklassiges Elefantentransportnetz, verstärkt mit alten Sicherheitsgurten aus unseren Fahrzeugen. Um 20.30 Uhr wurde es Jamuna Toni bereits angezogen, es passte wie angegossen. Der sonst stets gut gelaunte Paul kam ziemlich still aus dem Tierpark zurück. Von Freude keine Spur. Die Leiden des Tieres und die Verzweiflung seiner Pfleger hatten ihm mächtig zugesetzt.

In der Zwischenzeit hatten der Fahrzeugmeister und ich auf der Suche nach einem geeigneten Fahrzeug sämtliche große Verleihfirmen und Fahrzeugniederlassungen abtelefoniert. Selbst von seinem Urlaubsort aus schaltete sich noch einer unserer Brandräte mit guten Beziehungen zur Autobranche ein. Zwei Meter hoch mit Arbeitsfläche, Klimaanlage und getönten Scheiben (gegen unliebsame Gaffer) sollte das Transportfahrzeug sein. Die Kosten – so hatte man uns in Hellabrunn mittlerweile sogar schriftlich versichert – würden in diesem Fall keine Rolle spielen. Alle wollten helfen, unseren Münchner Minijumbo zu retten.

Weil sich der Zustand des Tieres im Laufe des Abends dramatisch verschlechterte, wurde Jamuna Toni schließlich zwar in Pauls Netz, aber in einem gewöhnlichen Tierparkfahrzeug eilends nach Augsburg gefahren.

Leider gab es keine Rettung mehr. Jamuna Toni wurde am 14. Juni 2010 von ihren Leiden erlöst. Seit damals aber weiß ich, dass wir im Notfall in der Stadt überall verlässliche Freunde haben. Am Ende jenes ereignisreichen Tages hatten wir von mehreren großen Fahrzeugfirmen Zusagen – genug für eine ganze Elefantenflotte.

Ein paar Tage später bekamen wir ein Dankesschreiben des Tierparks Hellabrunn. Ich habe es in einer sentimentalen Anwandlung bis heute aufgehoben. Weil es mich einfach gefreut hat.

Ganz München hat damals tagelang um das Elefantenkind getrauert. An meinem Spind fand ich am nächsten Tag ein großformatiges Zeitungsposter des kleinen Elefanten mit dem rührseligen Titel »München wird dich nie vergessen«. Jemand hatte in Großbuchstaben hinzugefügt : »... und der Christian dich auch nicht«. Das stimmt.

Das Grauen im Keller

Ob ich ein Tierfreund bin? Aber selbstverständlich! Ich bin schließlich auf dem Land groß geworden, bin den Umgang mit großen und kleinen Tieren gewohnt. Mein Sittich Hansi ist steinalt geworden. Und unser Familiendackel Seppi begrüßt mich bei jeder Heimkehr wie den verloren geglaubten Sohn. Da habe ich also wohl alles richtig gemacht. Ich bin auch noch nie ernsthaft gebissen, gekratzt oder getreten worden oder sonst wie in Ungnade gefallen in unserer heimischen Tierwelt. Wenn man von einer höchst unangenehmen Begegnung mit einem angeblich zahmen Waschbären mal absieht. Dazu später mehr.

Es gibt allerdings Wesen, die bringen mich aus der Fassung. Alles was mehr als vier oder – schlimmer noch – überhaupt keine Beine, Schuppen oder gespaltene Zungen hat, bleibe mir vom Leibe. Ich kenne nicht den Grund für diese ausgeprägte Aversion. Aber fette Spinnen, Schlangen und Echsen lösen bei mir auf der Stelle Angstgefühle und einen schier unbezwingbaren Fluchtreflex aus. Vor allem wenn sie an Stellen auftauchen, an denen ich überhaupt nicht mit ihnen gerechnet habe.

Ich erinnere mich da mit Grausen an eine Begegnung der schlimmsten Art während eines Kellerbrandes. Kellerbrände sind für Feuerwehrleute in jeder Beziehung eine besondere Herausforderung, bei der jeder von uns ganz vorne dabei sein möchte. Kellerbrände sind unter Umständen sehr gefährlich. Die Sicht ist meist gleich null, die Räume sind eng, verwinkelt, nicht selten zugestellt. Und nie weiß man, was die Bewohner da unten alles gelagert haben. Gasflaschen, Pflanzengifte, Gummireifen, größere Mengen Sprit, Spiritus, Farben oder Lacke, im schlimmsten Fall hochexplosives Feuerwerk oder gar Munition – alles schon da gewesen.

Ich rutsche also auf den Knien zusammen mit meinem Kollegen die Stufen hinunter in das schwarze, vollkommen verrauchte Kellerloch eines großen, alten Münchner Einfamilienhauses. Der Stresspegel steigt rapide an. Die einzig sichere Verbindung zur Außenwelt ist in diesem Fall der Schlauch, den ich unter keinen Umständen aus den Händen lassen werde. Im Ernstfall ist er nämlich die einzige Orientierungshilfe, wenn wir hier den sofortigen Rückzug antreten müssten. Wenn zum Beispiel etwas explodieren oder herunterkrachen würde.

Vorsichtig robbe ich über den rauen Steinfußboden durch den Rauch – immer der Hitze entgegen und auf den Feuerschein zu, der sich weiter vorne, gelb-rot flackernd, hinter der Rauchwand abzeichnet. Und dann sehe ich es plötzlich, keine Armlänge vor mir. Ich schaue in die kalten Augen eines – KROKODILS! Graugrün mit scharfzackigen Schuppen, locker einen halben Meter lang! Ich glaube, ich werde wahnsinnig! Die Muskeln erstarren. Das Herz rast. Schweißausbruch. Das Atmen fällt mir schwer. Ich hechele wie ein kurzatmiger Spaniel. Erster Reflex: Raus! Raus! Raus! Zweiter Reflex: Stopp! Keine Panik. Ruhig ein- und ausatmen, Hirn einschalten.

Der Kollege hat die Echse auch entdeckt. Und bevor ich ihn daran hindern kann, stößt er zu meinem großen Entsetzen das grässliche Monster an. Wahnsinn! Ich greife nach meiner Axt und erwarte, dass der kleine Killer herumschnellen und seine fürchterlichen Zähne in unsere Schutzausrüstung schlagen wird. Oder ist das Tier vielleicht doch schon halb tot? Aber es reißt doch das Maul auf …

Und dann wirft sich das Mistviech plötzlich feige auf den Rücken. Wie zum Hohn wippt lustig der schuppige Gummischwanz. Verdammt noch mal! Wütend stoße ich das Gummikroko aus dem Weg. Ich schwöre dem Schicksal Rache für diesen gemeinen Streich. Und der Spielzeugindustrie auch …

Wir haben übrigens nie wieder ein Wort über diese peinliche Kellerepisode verloren. Es ist unser kleines, dunkles Geheimnis geblieben. Danke, Kollege. Bist ein toller Kumpel.

Ein Waschbär namens Teddy

Mitten in der Nacht meldet sich ein Tankwart und berichtet von einem ungewöhnlichen Besucher: »Im Baum neben unserer Waschstraße sitzt ein Waschbär! Könnt ihr mal kommen?« Aber ja doch. Die wilden Waschbären haben sich in München und Umgebung in den letzten Jahren ziemlich vermehrt und leider auch gelernt, Mülltonnen zu plündern. Dieser hier scheint aber ein besonderes Exemplar zu sein. »Er trägt eine rote Schleife um den Hals.«

Weil er sich die wohl kaum selbst umgebunden hat, muss er ein zahmes Haustier sein. Im Geiste sehe ich ihn daher schon freiwillig und ohne jedes Theater in unsere Tierfangkiste steigen und uns dankbar die Hände lecken. Ich soll mich bitter in ihm täuschen. Und ich schwör es: Ich hätte ihn laufen lassen, wenn ich geahnt hätte, was das für eine kämpferische Kneifzange war. Vielleicht hätte mich auch der Umstand warnen können, dass es sich um den Donnerstag vor Fasching – also Weiberfastnacht – handelte. Wie auch immer. Völlig unvoreingenommen nähern wir uns ihm – acht Mann für einen kleinen Waschbären. So war das damals bei der Freiwilligen Feuerwehr.

Das Bäumchen, auf dem er sitzt, ist gerade mal zwei Meter hoch. In Sekundenschnelle haben wir dem kleinen Kerl ein Netz übergeworfen, in das er sich sofort wild fauchend verwickelt. Von wegen zahm. Dann fällt er uns wie eine reife Frucht in die Arme. Deckel auf, Waschbär in die Kiste, Deckel zu – fertig. Wie er da aber so gefesselt in den Maschen hängt und uns hasserfüllt anstarrt, regt sich ein Gefühl von Mitleid in mir. Ich habe auch Sorge, er könne sich strangulieren. Ein so freiheitsliebendes Wildtier sollte sich doch wenigstens in der Kiste frei bewegen können. Also beginnen wir, den Waschbären vorsichtig aus dem Netz auszuwickeln.

Eine saublöde Idee. Der Versuch endet in der Ambulanz des Erdinger Krankenhauses, wo Kollege Schorsch und ich mit um die blutenden Hände gewickelten Geschirrhandtüchern auf den Chirurgen und die Tetanusimpfung warten. »Hey, ihr Helden, was ist denn mit euch passiert?«, hat uns die hübsche Ambulanzschwester an der Aufnahme gefragt. Wir hätten ihr ja gern eine schöne Heldengeschichte auf Leben und Tod aufgetischt, haben uns dann aber doch für die Wahrheit entschieden. Unser Waschbärabenteuer erzeugte bei ihr diesen ungläubigen »Was habt ihr denn getrunken?«-Blick, der mich echt kränkte. Verehrte Schwester, falls Sie das hier lesen sollten: Wir waren stocknüchtern. Ich schwöre es! Höchst demütigend war auch das Telefonat, das die nette Schwester mit dem diensthabenden Chirurgen führte. Der wollte nämlich gar nicht erst kommen, weil er die Nummer mit dem Waschbären neben der Waschstraße an Weiberfastnacht für einen vorgezogenen Aprilscherz hielt.

Die nadelspitzen Zähne des Waschbären haben mühelos und in Sekundenschnelle mit der Präzision einer Turbonähmaschine unsere dicksten Lederhandschuhe durchdrungen und markante Kratz- und Bissmuster hinterlassen. Die Narben an Fingern und Handrücken sieht man heute noch.

Der Waschbär hieß übrigens Teddy und wurde kurz nach seiner Wutattacke von seiner Familie im Tierheim abgeholt. Er soll angeblich ein umgänglicher, total an Menschen gewöhnter Bursche gewesen sein. Dass ich nicht lache …

Notruf 112
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