17

»Du bist wach.«

»Mir kommt es eher wie ein Traum vor.« Wade legte seinen Arm enger um Vanessas Bauch und presste sich an sie. Sein warmer Atem jagte ihr Schauder über den Rücken. Er schlang sein Bein über das ihre und schmiegte sich mit seiner erneut auflebenden Erektion an ihren wohlgeformten Hintern.

Hatte sich jemals etwas so gut angefühlt? Oh ja, ihr Techtelmechtel im Ozean war auch nicht zu verachten gewesen.

Er drehte sie zu sich um, küsste sie auf Stirn und Augen und arbeitete sich dann bis zu ihrem Mund vor, wo er ein paar Minuten verweilte, um ihre Lippen mit seiner Zunge zu erkunden, während er ihre Brustwarze mit dem Daumen umspielte.

»Weißt du, was dumm ist?«, fragte er, ohne von ihrem Nippel abzulassen, der sich unter der Berührung ebenso aufstellte wie sein Schwanz.

Sie lachte. »Ist das eine Scherzfrage? Keine Ahnung.«

»Dumm ist, dass ich dachte, du wärst nicht mein Typ, als ich dich zum ersten Mal sah.«

»Bestimmt hab ich da mal wieder schlimme Wörter benutzt.«

Er küsste sie. »Nicht nur einmal.«

»Geschmack kann sich ändern.« Sie presste die Schenkel zusammen und rieb sich an seiner wachsenden Erektion, was seiner Brust ein lustvolles Stöhnen entlockte.

»Ohne Scheiß, wie du sagen würdest.« Er küsste sie erneut, während ihre Körper wie von selbst in einen harmonischen Bewegungsrhythmus verfielen.

»Auch Menschen können sich ändern«, fügte sie hinzu. »Vielleicht kann ich ja an meiner Sprache arbeiten.«

Ihre Haut fühlte sich an wie warme Seide. »Glaub ich eher nicht.«

»Vielen Dank für den Vertrauensvorschuss.« Sie schmiegte sich an ihn. »Vielleicht kannst du dich ja von deiner Kanone lösen und ich mich von meiner verletzenden Ausdrucksweise und dann fangen wir noch mal von vorn an.«

»Vielleicht.«

Sie rückte ab. »Du würdest dich nie von deiner Waffe trennen, stimmt’s?«

»Ich kann nicht. Sie ist ein Teil von mir.«

Vanessa löste sich vollständig von ihm und ließ ihn voller Verlangen nach ihrem warmen Körper zurück. Doch er blieb regungslos und sah zu, wie sich ihr Gesichtsausdruck veränderte.

»Die Waffe ist ein Teil von dir? Warum? Sie ist ein Instrument des Todes, Wade.«

Er hatte gewusst, dass so etwas kommen würde. Er hatte gewusst, dass ihr, wenn die Lust erst einmal abgeklungen war, aufgehen würde, dass sie mit dem Todfeind geschlafen hatte.

Und sie ahnte nicht einmal, wie schlimm er war.

»Waffen sind dafür geschaffen, Menschen zu töten und die schlimmsten Verbrechen zu begehen«, erklärte sie.

Es ist nicht Mord, wenn es die Welt zu einem besseren, sichereren Ort macht und Tausende von Menschen von Ihren ganz besonderen Fähigkeiten profitieren.

Irgendwie hatte er das Gefühl, Vanessa und Lucy Sharpe wären in diesem Punkt nicht einer Meinung.

»Nicht die schlimmsten Verbrechen«, korrigierte er. »Dafür braucht man keine Schusswaffen.« Er wickelte seinen Finger in ihr Haar und versuchte, sie zu sich zurückzubewegen. »Komm schon, Liebes. Wir wollen doch jetzt nicht so ein Gespräch führen.«

»Du willst es nicht.«

»Ganz genau.«

Sie stützte sich auf den Ellbogen, und es war sonnenklar, dass sie ihm jetzt gleich eine Standpauke halten würde, die seinen Steifen killen und diesen nächtlichen Sex vermasseln würde. Außerdem würde er noch einmal überdenken müssen, was wahre Dummheit war. Dumm war nämlich, mit einem Steifen und einer Schönheit im Bett zu liegen und ethische Fragen zu diskutieren.

Er legte ihr die Hand auf den Mund, ehe sie loslegen konnte. »Hör zu, Vanessa. Mein Daddy hat mir eine Knarre in die Hand gedrückt, als ich drei war. So ist das eben dort, wo ich aufgewachsen bin.«

»Ach ja? Du hast aber zwei Hände.«

»Ja, in die andere hat meine Mom mir eine Bibel gelegt, nur um mich zu verwirren.«

»Du kannst also besser schießen als beten.«

»Oh, ich bete immer, bevor ich abdrücke. Außerdem « Warum sollte er ihr das jetzt nicht sagen? Die Stimmung war sowieso im Eimer. »Ich bin eine sehr guter Schütze, ob dir das gefällt oder nicht. Ich treffe auch auf größte Entfernung.«

»Schön für dich.« Mit einem verächtlichen Zischen ließ sie ihren Kopf in das Kissen sinken und sah ihn dann kalt an.

»Wenn ich dir eine persönliche Frage stelle, bekomme ich dann eine absolut ehrliche Antwort?«

Oh Mann, er hasste das. Andererseits war es ihr gutes Recht, ihm Fragen zu stellen. Sie hatten miteinander geschlafen, sie hatten einander vertraut. War es da nicht recht und billig, Aufrichtigkeit zu erwarten? Vielleicht würde er sie dadurch für immer verlieren, aber er wollte nicht mehr lügen. Nie mehr.

»Nur zu, frag mich«, forderte er sie auf und rechnete mit dem Schlimmsten.

»Wie viele Menschen hast du ermordet, Wade?«

Er hielt ihren Blick, ohne zu zucken. »Im Krieg gehört das Töten dazu, da spricht man nicht von Mord.«

»Wie viele?«

»Bist du sicher, dass du das wirklich wissen willst?«

»Ja.« Sie schob sich in eine aufrechte Position. »Einen? Zehn? Fünfzig?«

Was auch immer er ihr als Zahl angab sie würde sich wünschen, nie danach gefragt zu haben. »Du musst wirklich nicht «

»Verdammt, wie viele, Wade?«

»Vier.«

Sie starrte ihn an. »Du hast vier Menschen getötet.«

Im Krieg waren es noch viel mehr gewesen, aber diese vier würde sie ganz sicher als Morde bezeichnen.

»Einen Al-Kaida-Terroristen in Pakistan, sauber ins Atlasgelenk getroffen, genau hier.« Er berührte sie knapp über dem Haaransatz zwischen Genick und Hinterkopf. »Die Stelle garantiert den sofortigen Tod.«

Sie zuckte voller Abscheu zusammen, aber damit hatte er gerechnet.

»Dann habe ich einen philippinischen Warlord erschossen, in Quezon City, – auf den Philippinen – aus einer Entfernung von tausendsechshundert Meter. Dabei wurden sechzig Menschen befreit, die er in einem Gefängnis verhungern ließ.« Er schwieg einen Augenblick, damit sie die Geschichte verarbeiten konnte. »Als Nächstes habe ich in Sierra Leone einen erledigt, der mit Blutdiamanten gedealt hat und persönlich für den Tod vieler Dutzend Kinder verantwortlich war.«

Bis jetzt hatte sie noch nicht einmal gezwinkert. »Das macht drei.«

»Nun, der Letzte«, setzte er an und schloss in einem Anflug von Selbsthass die Augen, »das war in Budapest eine wirklich miese Geschichte. Damals habe ich beschlossen, nicht mehr für die US-Regierung zu arbeiten, sondern nur noch für private Auftraggeber.«

»Du bist also so was wie ein ein Auftragskiller?« Sie klang entsetzt.

»Bezahlt von deinen Steuergeldern.«

Die Zeit verstrich, und nur der Schlag seines Herzens begleitete die scheinbar endlosen Minuten, in denen sie ihn mit strengem Blick musterte. Mit Sicherheit würde sie ihn für schuldig befinden und für immer verabscheuen.

Doch dann wurde ihre Miene weich. Sie seufzte und zu allem Überfluss legte sie ihre Hand auf seine Wange.

»Das scheint dich ganz schön mitgenommen zu haben, Billy Wade.«

Sein Magen sank ihm in die Kniekehlen. »Ich bin nicht stolz darauf, wenn du das meinst. Ich habe meine Arbeit gemacht. Und ich habe sie richtig gemacht.«

»Aber ich hätte damit gerechnet, dass ein harter Kerl wie du diese Tötungen wie Orden vor sich herträgt. So viele Menschen gerettet, Kinder gerächt, Bösewichter ausgelöscht.«

»Es sind sehr gemischte Gefühle«, gab er zu und hätte gern ihre Finger geküsst, für den Trost, den sie spendeten. Hatte sie eigentlich eine Ahnung, was ihm das bedeutete?

»Vielleicht bist du für diese Arbeit nicht geschaffen.«

»Ich bin echt gut darin.«

»Aber dein Herz kommt dir dabei in die Quere.« Sie nahm ihre Hand weg, ihre Wange ruhte auf ihrem Arm, und ihr Gesichtsausdruck zeigte das Gegenteil von dem, was er erwartet hatte. »Da war eben noch die andere Hand.«

»In die Bibel habe ich nicht oft geschaut.«

Sie nickte schweigend.

»Willst du lieber aufstehen und heiß duschen, um dich von mir reinzuwaschen?« Er hörte selbst, wie angestrengt seine Stimme klang.

Sie schüttelte den Kopf. »Wir haben erst vor zwei Stunden geduscht. Schon vergessen?«

Vergessen, dass sie mitten im herabströmenden Wasser vor ihm in die Knie gegangen war und sein Glied auf die herrlichste Art und Weise in den Mund genommen hatte?

»Ich erinnere mich«, sagte er leise, rollte sich auf den Rücken und blickte an die Decke. »Aber ich würde verstehen, wenn du es jetzt bereust.«

Er rechnete schon damit, dass sie aufstand, doch stattdessen spürte er ihren warmen Körper, der sich an ihn schmiegte.

»Weißt du, was ich glaube, Billy Wade? Ich glaube, du hasst dich genug für uns beide«, flüsterte sie.

Er wandte den Kopf. »Wie kommst du darauf?«

»Es strahlt von dir ab. Es ist, wie wenn ich über die Frau im Gefängnis spreche, die mich zur Welt gebracht hat. Hass ganz gleich, ob man ihn gegen sich selbst richtet oder gegen andere ist ebenso real und greifbar wie Liebe.«

Wie gerne würde er sie jetzt berühren. »Manchmal denke ich « Die Worte drohten ihm im Hals stecken zu bleiben. »…an ihre Familien.«

Sie schloss die Augen, als schmerzte es sie, zuzuhören.

»Sicher waren sie böse. Drogenbosse, Terroristen. Folterer. Aber irgendwo muss es doch jemanden gegeben haben, der sie geliebt hat, oder?«

Sie legte ihm die Hand auf die Wange und streichelte ihn mit äußerster Zärtlichkeit. »Gestern Abend hast du mir gesagt, es sei Zeit, meiner Mutter zu vergeben. Vielleicht ist es für dich Zeit, dir selbst zu vergeben.«

Vielleicht war das so. Er schloss kurz die Augen, nahm sie in die Arme und zog sie an sich.

»Vanessa, Liebes, du birgst eine Überraschung nach der anderen. Ich hätte erwartet, dass du mir einen Vortrag über Waffengesetze und die böse Regierung hältst und mich dann zumindest auf das Sofa verbannst. Du hast einen weichen Kern, aber ich hätte nie im Leben gedacht, dass das ausgerechnet bei diesem Thema herauskommt.«

Sie lächelte. »Erzähl bloß nicht meinen Kunden, dass ich einen weichen Kern habe.«

Er küsste sie. »Du hasst mich nicht.«

»Was ich hasse, ist willkürliche Gewalt. Wenn die Menschen mit Waffen umherlaufen, steigt einfach die Gefahr, dass andere versehentlich zu Tode kommen.« Sie sah zu ihm auf, und ihre Augen strahlten große Ernsthaftigkeit aus. »Aber ich weiß natürlich auch, was das für eine Welt ist, in der wir leben. Klingt, als hättest du ein paar böse Dinge gemacht, um sie zu verbessern.«

Wade küsste sie und zog ihren seidigen, erregenden weiblichen Körper an sich, um ihren wunderbaren Duft und ihre Wärme einzusaugen. Trotz seiner Erektion empfand er diesen Kuss als süß und tröstlich.

Er streichelte ihr Haar und spürte in ihrer sanft wiegenden Umarmung so viel innere Zufriedenheit wie schon sehr lange nicht mehr. Eine wahnwitzige Sekunde lang war er fast ein bisschen verliebt in diese Frau, die da in seinen Armen lag.

»Aber wie kann es sein«, fragte er, »dass du meine verkorkste Vergangenheit so klar analysieren kannst und gleichzeitig nicht in der Lage bist, dich von dem Hass gegen diese Frau zu befreien, die sich, so viel muss man ihr zugestehen, damals genauso gut für eine Abtreibung hätte entscheiden können?«

Sie hielt mitten in der Bewegung inne. »Du hast ja keine Ahnung, was mich das kostet, Gefühle zu zeigen. Und trotzdem riskierst du es, alles zu versauen, indem du mit diesem Thema anfängst?«

»Du bist voller Liebe, du bist wunderbar, und du bist unglaublich erregend.«

Sie wand ein seidiges Bein um ihn und setzte sich dann rittlings auf ihn.

»Sex hat nichts mit Liebe zu tun.« Als wollte sie das beweisen, öffnete sie die Beine und nahm sein Glied, um es zu reiben.

Seine Erektion wurde sofort und fast schmerzhaft hart. »Er liebt es auf jeden Fall!«

»Haha. Sie liebt es auch«, sagte sie heiser und spreizte die Beine noch weiter. »Du wirst ihn jetzt da reinstecken, und du wirst so heftig kommen, dass du dich nicht mehr erinnern kannst, wie du heißt und anschließend werde ich es dir gleichtun.«

Sie bäumte sich auf und schob sein Glied in sich hinein, das noch mehr anschwoll. Wade zischte überrascht durch die Zähne.

»Es wird wunderbar werden und unglaublich erregend oder wie immer du dich ausgedrückt hast, aber es wird nichts mit Liebe zu tun haben.« Sie senkte sich voll und ganz auf seinen Schwanz. »Es ist einfach nur Fi«

Er warf sie so heftig herum, dass sie vor Schreck aufkeuchte, und presste seinen Mund so fest auf ihren, dass die Zähne aneinanderschlugen. »Nein«, sagte er barsch und zog sich ein Stück aus ihr zurück. »Das ist es nicht. Sag so etwas nicht.«

Sie drängte sich mit solcher Wucht gegen ihn, dass ihre Hüftknochen aneinanderprallten. Er musste seinen ganzen Willen aufbringen, um nicht hemmungslos zuzustoßen und ihr damit recht zu geben. Stattdessen zog er sein Glied heraus und richtete sich auf.

Sie stöhnte enttäuscht auf. »Was hast du vor?«

Über ihr kniend, senkte er den Kopf auf ihre Brust und begann, mit der Zunge kreisend über ihre Haut zu fahren und sie einzusaugen – bis hinunter zu ihrem flachen Bauch. »Ich will dir zeigen, was Liebe ist.«

Als sie leicht auflachte, spannte sich ihr Bauch an, und er verweilte mit seiner Zunge dort, um ihre Muskeln zu erkunden. Stöhnend vergrub sie die Finger in seinem Haar und lenkte seinen Kopf, während er mal hier, mal da knabberte, ihre Haut kostete, ihren Nabel erforschte und dazu bedeutungslose Worte der Liebe murmelte, verzaubert von ihrem wunderbaren Körper.

Sie kippte das Becken und schob ihn tiefer, der duftenden Feuchte entgegen, die ihn magnetisch anzog.

»Nenn es, wie du willst, Wade«, stöhnte sie. »Nur hör nicht auf.«

An ihrem verlockenden blonden Vlies vorbei arbeitete er sich weiter vor bis zur Innenseite ihrer Schenkel, versenkte sich mit Gesicht und Mund in ihrer weichen Höhle, um dann ihr Bein zu heben, sie in die Kniekehle zu küssen und mit der Zunge über ihre Wade zu fahren.

Lustvoll wimmernd knüllte sie das Laken in ihren Fäusten zusammen, sie erbebte unter seinen Küssen – wand und rekelte sich auf dem Bett. Als er ihre Füße küsste, erschauderte sie kichernd, und als er über das andere Bein wieder zurückkam, öffnete sie die Schenkel für ihn.

Er wollte ihr zeigen, wie sich Liebe anfühlte. Wie viel ihm ihre Reaktion auf seine schlimme Vergangenheit bedeutete. Er wollte sie schmecken, wenn sie durch seinen Mund kam, und ihr die größte Lust bereiten, die sie je empfunden hatte. Und am liebsten hätte er ihr all das gesagt, doch ihre Augen waren geschlossen, sie ließ sich im Meer ihrer Empfindungen treiben und war nicht an Unterhaltung interessiert.

Dann würde er es ihr eben später sagen, wenn er ihr gezeigt hatte, wie sich Liebe anfühlte. Und so ließ er sich Zeit, um in aller Ruhe zwischen ihre Schenkel zurückzukehren.

Wade legte die Hände auf ihr Becken, fuhr dann weiter hoch, um ihre Brüste zu liebkosen, und versenkte sein Gesicht in ihrem weichen, feuchten Zentrum. Flehend wand sie sich ihm entgegen und verkrallte sich in seinen Schultern, als wollte sie, dass er sie mit Haut und Haaren verschlinge.

Er pustete über ihr lockiges Dreieck und schloss dann seinen Mund über ihrem zarten Fleisch, sog es mit der Zunge an, ließ den geschwollenen Kitzler hin- und herschnellen, schmeckte ihre Säfte und atmete den scharfen Geruch ihrer Erregung.

»Wade.« Sie vergrub erneut die Finger in seinem Haar und wand sich unter dem heraufdämmernden Orgasmus. »Das war jetzt liebevoll genug. Bitte bitte ich will dich in mir spüren.« Damit zerrte sie ihn nach oben und schlang ihre Beine um seine Hüften. »Oh Gott, bitte

Schließlich legte er sich auf sie und drang in sie ein, blind vor Schweiß und angeheizt vom Rauschen des Blutes in seinen Adern. Sein Körper war entflammt vor Verlangen, und in ihr zu sein erzeugte eine rohe Lust in ihm, die sich unter Stöhnen Bahn brach.

Sie kam sofort, biss ihn in die Schulter und trieb ihm ihre Fingernägel in die Arme. Er explodierte mit ihr zusammen in einem langen, sengenden Orgasmus, der auch den letzten Tropfen aus ihm herausholte.

Als sich ihrer beider Atem wieder beruhigt und ihr Herzschlag sich etwas normalisiert hatte und ihre Haut wieder abgekühlt war, hob er den Kopf, um sie anzusehen. Jetzt würde er ihr all das sagen, was er sagen wollte. Jetzt würde er von Liebe und Vergeben sprechen und was er in diesem Moment für sie empfand.

Doch als er ihre tränennassen Augen sah, blieben ihm die Worte im Hals stecken. »Warum weinst du? Wegen all der Liebe?«

»Nein.«

»War es zu intensiv?«

»Nein.«

»Weil du jetzt weißt, wie gut die gute Sache wirklich ist?«

Sie stieß ein ersticktes Lachen aus und schüttelte den Kopf. »Das hatte ich schon unten am Strand verstanden.«

»Warum dann?«

»Weil du der netteste, erotischste, süßeste Mann bist, der mir je über den Weg gelaufen ist.«

»Ja?« Er unterdrückte ein Lächeln und verspürte ein tiefes Gefühl von Zufriedenheit in sich aufsteigen. »Danke.«

»Und du kaltblütig vier Menschen umgebracht hast.«

»Du hast mir diese Vergangenheit gerade eben vergeben.«

»Ja. Aber Vergeben und Vergessen ist nicht dasselbe.«

Er ließ seinen Kopf ins Kissen sinken. Was hatte er erwartet? Alle Liebe der Welt konnte die Fakten nicht auslöschen.

An Samstagvormittagen lief in der Zentrale von Bullet Catcher alles ein bisschen anders als an den anderen Werktagen. Lucy genoss jene besondere Atmosphäre der Zusammenkünfte, bei denen alle Team-Mitglieder, die es möglich machen konnten, sich trafen und laufende Projekte besprachen oder neue Aufträge übernahmen.

Manchmal kamen bis zu acht Mitarbeiter, und am Nachmittag wurde es oft richtig locker und kameradschaftlich. Wenn Johnny Christiano in der Stadt war, kochte er für alle irgendetwas Sensationelles. Dan Gallagher organisierte sofort ein Fußballspiel auf ihrem Rasen, bei dem, wenn auch noch Alex Romero und Max Roper da waren, gern mal alte Rivalitäten auf freundschaftliche Weise gepflegt wurden.

Manchmal gesellte sich auch Chase Ryker dazu; vor zwei Monaten hatte er Arianna Killian mitgebracht, die bei Bullet Catcher als erste Ermittlerin mit übersinnlichen Fähigkeiten eingestiegen war.

Früh am Morgen war bereits Lucys ehemalige Assistentin Raquel eingetroffen, die ein Jahr lang mit dem Ex-Doppelagenten und Multimillionär Grigori Nyekovic durch die Welt gereist war. Strahlend hatte sie verkündet, dass sie nun mit Lucys langjährigem Freund verlobt sei.

Voller Vorfreude sowohl auf den Nachmittag als auch auf die morgendliche Arbeit trat Lucy weg vom Fenster, um ihre Notizen für die Telefonkonferenz mit Wade zu holen. Doch als sie eine dunkle Limousine über die Auffahrt heranrollen sah, blieb sie stehen.

Sie warf einen Blick auf die Uhr. Nicht zu glauben. Er war tatsächlich pünktlich.

Lucy ballte ihre Hände zu Fäusten und sah zu, wie Jack Culver aus dem Wagen stieg. Selbst aus dieser Entfernung konnte sie erkennen, dass er lang und tief einatmete.

Warum brauchten sie eigentlich beide immer besonders viel Sauerstoff, wenn sie sich zusammen an einem Ort aufhielten?

Am Schreibtisch griff sie zu ihrem Blackberry, um sich die Tagesordnung noch einmal anzusehen und zu überprüfen, ob Avery das Memo so verschickt hatte, wie sie es angeordnet hatte. Die heutige Agenda enthielt eine Liste aller Teilnehmer, sodass Dan nicht der Schlag treffen würde, wenn er dem Mann begegnete, der ihn um ein Haar getötet hätte.

Das Memo gab ihm die faire Chance, dem Termin fernzubleiben. Er war gerade sehr intensiv mit einer Sicherheitsanalyse für ein Unternehmen in der Stadt beschäftigt, was ihm einen guten Vorwand bieten würde, nicht zu kommen. Allerdings war er samstags fast immer da und gehörte meist zu den letzten, die gingen.

Vielleicht würde er also trotzdem auftauchen und wie üblich seinen Platz zu ihrer Rechten einnehmen, um alle Bullet Catcher, auch die ehemaligen, daran zu erinnern, welche wenn auch inoffizielle Stellung er in der Firma genoss.

Sie summte ihre Assistentin an. »Jack Culver ist gerade eingetroffen. Bring ihn bitte direkt in die Operationszentrale. Miranda und Fletch dürften schon dort sein, glaube ich.«

»Ja, sind sie.«

»Und ich muss dir das wahrscheinlich nicht extra sagen, aber «

»›Erzähl Jack nichts, auch wenn er noch so sehr versucht, etwas aus dir herauszulocken?‹«

Lucy lachte. »Sieht so aus, als wüsstest du Bescheid.«

»Keine Sorge, Luce. Ich kenne diese Maschen.«

Es hatte schon stärkere und klügere Frauen als Avery Cole gegeben, die gedacht hatten, dass sie Jack durchschauten. »Pass trotzdem auf.«

Avery lachte kurz auf. »Schon kapiert.«

Lucy schob ihre Unterlagen zusammen und durchschritt die Verbindungstür zwischen ihrem Büro und der benachbarten Operationszentrale. Alle waren leger gekleidet, was aber nichts an der aufgeladenen Atmosphäre im Raum änderte, dessen Wände mit Flachbildschirmen tapeziert waren, die über sämtliche laufenden Aufträge Auskunft gaben.

Sage Valentine, Lucys Nichte und Johnnys feste Freundin, leitete die Operationszentrale mit erstaunlich sicherer Hand ursprünglich investigative Journalistin, hatte sie die besten Voraussetzungen mitgebracht, um die Ermittungs- und Rechercheabteilung von Bullet Catcher zu übernehmen. Aus dem ehemaligen Konferenzraum mit Wandkarte hatte sie im Alleingang das High-Tech-Herz der Firma gemacht, mitsamt einem speziellen Verfolger-System, das jederzeit über jeden Mitarbeiter, der im Auftrag unterwegs war, Status und Aufenthaltsort meldete.

Das Einzige, was noch an den alten Konferenzraum erinnerte, war der fünf Meter lange antike Mahagonitisch in der Mitte. Im Augenblick war er übersät mit Zeitungen, einer Karte der Karibik, einem Bild von Vanessa Porter, mehreren Computerausdrucken, ein paar Geburtsurkunden das alles gekrönt von einer Tüte Donuts.

»Hungrig, Fletch?« Lucy nahm am Kopfende des Tisches Platz. Ihr Blick fiel kurz auf die pink-weiße Dunkin’-Donut-Schachtel, ehe sie in Adriens zwinkernde Bernsteinaugen sah.

»Die sind für Jack«, erklärte er in seinem ausgeprägten australischen Akzent, und sein Grübchengrinsen verriet ihr, dass dies ein Versuch war, seinem Freund die unangenehme Situation zu erleichtern, die ihn erwartete. »Eine Schwäche von ihm.«

»Davon hat er ja einige«, kommentierte Lucy trocken und wandte sich Miranda zu. Die zarte Schönheit hatte die traumatischen Erlebnisse in Kalifornien gut überstanden und schien von Tag zu Tag an Kraft zu gewinnen. Fletch hatte ein Glitzern in ihre graublauen Augen und gesunde Farbe auf ihre fein geschnittenen Wangen gezaubert. »Miranda, gibt es Neues von Eileen?«

»Allerdings«, antwortete sie und warf ihre kastanienbraune Mähne zurück. »Die Ärzte haben zugestimmt, die Dosierung der Chemo zu erhöhen, wie es als Vorbereitung für die Knochenmarkspende erforderlich ist. Ich konnte sie davon überzeugen, dass wir bald eine geeignete Spenderin haben werden.« Ihr Blick fiel auf die Landkarte, die mitten auf dem Tisch lag. »Sobald Vanessa den Bluttest gemacht hat und vorausgesetzt, alles läuft gut können sie sofort mit der Prozedur beginnen, wenn Eileen aus dem Koma aufgewacht ist. Bis dahin « Sie sah Fletch an.

»Sie denken, nachdem Eileen einmal auf Mirandas Stimme reagiert hat, könnte das auch wieder passieren. Deshalb werden wir sie heute noch besuchen.«

»Nehmt einen von den Firmen-Jets«, sagte Lucy. »Sie haben Ihre Flugangst überwunden, nicht wahr, Miranda?«

»Sie braucht immer noch ein wenig moralische Unterstützung«, beeilte sich Fletch zu erklären, »die ich sehr gerne weiter übernehmen würde.«

»Keine Sorge, Fletch. Ich gebe dir so lange keinen neuen Auftrag, bis Wade mit Vanessa kommt und Jack Culver die dritte Schwester gefunden hat.«

»Spricht da jemand über mich?« Jack schlenderte herein, mit bemerkenswert klaren Augen, frisch rasiert und war sogar sein Hemd gebügelt?

Da hatte er sich aber schwer in Schale geworfen.

Fletch begrüßte seinen Freund mit Handschlag und klopfte ihm kurz auf den Rücken. Er war der einzige Bullet Catcher, der Jack nach dessen verfehltem Schuss zur Seite gestanden hatte; ihre Freundschaft war tief und unerschütterlich. Deshalb hatte sich Jack an Fletch gewandt, als er bei der Suche nach Eileens Töchtern nicht mehr ohne Hilfe weiterkam.

Miranda umarmte Jack herzlich, und das war nicht überraschend, nachdem die drei viel Zeit zusammen verbracht hatten.

Jack warf Lucy ein halbes Lächeln zu, und sein dunkler, verschleierter Blick ließ vermuten, dass er irgendwas im Schilde führte. »Guten Morgen, Ms Sharpe.«

»Jack. Setzen Sie sich. Nehmen Sie einen Donut.«

Er zog den Stuhl rechts von ihr zurück. Dabei wusste er verdammt gut, dass das Dan Gallaghers Platz war.

»Treiben Sie es nicht zu weit«, sagte sie so leise, dass sie von den anderen niemand hören konnte.

»Oh, das ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen«, erwiderte er, ließ sich auf den Stuhl sinken und klappte die Donut-Schachtel auf, die zwei Teigkringel enthielt, einen mit Schokolade, einen mit Glasur. Seine Hand blieb unentschlossen in der Luft stehen. »Was meinst du, Lucy? Lieber klebrig oder lieber fettig?«

»Ich esse keine Süßigkeiten«, sagte sie und schlug die Akte auf, die vor ihr lag.

»Stimmt. Du bist auch so süß genug.«

Sie legte beide Hände flach auf die Blätter vor ihr und versetzte ihm einen warnenden Blick. »Wir sind hier, um die Suche nach der dritten Schwester zu organisieren, Jack. Unter Ihrer Leitung.« Sie nickte leicht, um zu betonen, dass dies ein enormes Zugeständnis für sie bedeutete. »Geben Sie uns bitte einen vollständigen Bericht über sämtliche Informationen, die Sie bislang über sie gesammelt haben. Sage, du möchtest das bestimmt auch hören.«

»Bin sofort bei euch, Luce«, sagte Sage, die an ihrem Terminal saß und die Finger über das Keyboard huschen ließ. »Ich glaube, ich habe den Anruf an Vanessa Porter lokalisiert.«

»Gut. Also, Jack, was haben Sie?«

Er legte einen Donut auf eine Serviette vor ihm. »Erst möchte ich von Vanessa hören. Was gibt es Neues von den Inseln?«

Wie gern hätte sie ihn darauf hingewiesen, dass sie diejenige war, die die Meetings leitete; doch es lagen so viele Augenpaare auf ihnen, dass sie lieber nicht weiter darauf einging. »Sie weigert sich immer noch, die Antillen zu verlassen, solange sie diesen Freund nicht gefunden haben. Und, um ehrlich zu sein, ist sie nicht sonderlich angetan von unserem Angebot.«

»Das heißt wohl im Klartext«, bemerkte Jack sarkastisch, »sie kennt die Fakten, ist aber nicht bereit, zu helfen. Können wir sie irgendwie zwingen?«

»Nein.« Miranda beugte sich vor. »Ich verstehe sehr gut, wie sie empfindet, und die Entscheidung liegt voll und ganz bei ihr.«

Lucy nickte. »Das sehe ich auch so. Nichtsdestotrotz gibt Wade sein Bestes, um sie dazu zu bringen, die richtige Entscheidung zu treffen, und zwar schnell. Aber jetzt möchte ich zur dritten Stafford-Tochter kommen.« Sie sah Jack auffordernd an. »Was haben wir bislang?«

»Nicht wirklich viel, muss ich gestehen.« Er förderte ein abgegriffenes Notizbuch zutage.

»Du solltest endlich auf moderne Technologie umsteigen, Kumpel«, sagte Fletch lachend.

Jack zuckte die Achseln und blätterte eine Seite um. »Der beste Hinweis, den ich bislang bekommen habe, kommt von Rebecca Aubry, der Krankenschwester und Hebamme vom Sapphire Trail, die die Tätowierungen gemacht haben will. Sie hat mir eine Geburtsurkunde gegeben die mir dann prompt gestohlen wurde , ausgestellt auf eine Familie Whitaker, die irgendwo aus Virginia stammt. Ich habe den ganzen Staat durchkämmt nach einer Frau, die 1977 geboren ist und diesen Namen trägt oder als Mädchennamen getragen hat. Gefunden hab ich ein paar, aber die passten alle nicht.«

»Darum kann ich mich kümmern«, bot Sage an und stand von ihrem Rechner auf, um ihren langen honigblonden Pferdeschwanz fester zu ziehen.

»Gib dir Mühe«, sagte Jack und biss in seinen Donut. »Ich freue mich über jede neue Adresse.«

Er sah Lucy an, und in seinen dunklen Augen stand ein Ausdruck von Zweifel und Misstrauen. Sie kannte diesen Blick. Da war noch etwas, nur war er nicht sicher, ob er ihr davon erzählen sollte.

»Komm schon«, sagte sie. »Ich will doch helfen.«

Puderzucker rieselte auf die Serviette, als er seine Finger abklopfte. »Okay. Der Polizist, der Eileen damals festgenommen hat, war gestern in dem Schwesternheim, in dem Rebecca jetzt lebt, und hat Unterlagen und Fotos an sich gebracht, die vom Sapphire Trail stammen könnten. Entweder er hat sich irgendwie in ihr Leben geschlichen, oder er ist einfach dort eingebrochen das weiß ich nicht genau, aber ich kann es herausfinden.«

Lucy schlug in ihrer Akte eine Seite um. »Du meinst Willie Gilbert.«

»Ja.«

»Ich hatte einen meiner Männer auf ihn angesetzt, um ihn zu befragen.«

»Was?« Jack konnte seine Überraschung nicht unterdrücken. »Warum das denn?«

»Er hat Eileen verhaftet und ihr das Geständnis abgenommen. Somit steht er ganz oben auf der Liste der Personen, mit denen ich Kontakt aufnehmen muss.«

»Nur, wenn du in dem Mordfall ermittelst. Aber nicht, wenn du versuchst, ein Kind zu finden, das auf dem Schwarzmarkt verkauft wurde.«

»Die beiden Fälle lassen sich nicht voneinander trennen«, widersprach Lucy ruhig und ließ einen Moment verstreichen, bis sie die Bombe platzen ließ. »Es war also sehr wohl sinnvoll, dass Dan mit Willie Gilbert gesprochen hat.« Sie blätterte um und sah dann schließlich auf, um Jacks finsterem Blick zu begegnen.

»Ich dachte, er macht in New York einen Sicherheitscheck bei einer Firma.«

»Er hat das in einer Pause gemacht«, entgegnete Lucy in einem Tonfall, der ihm unmissverständlich klarmachen sollte, dass sie entschied, wer ihrer Leute wann wohin ging.

»Ich hoffe nur, er war vorsichtig«, bemerkte Jack scharf. »Der Typ ist nämlich ein echtes Arschloch. Als ich zum letzten Mal bei ihm war, hat er zum Schluss gedroht, Eileens Tochter etwas anzutun. Damals gingen wir noch davon aus, dass er Miranda meint, aber da wussten wir noch nicht, dass sie ein Drilling ist. Die beiden Schwestern sind so lange in Gefahr, wie sie als Druckmittel gegen Eileen dienen können.«

»Guter Punkt«, gab Lucy zu. »Wir sollten Willie Gilbert auf jeden Fall im Auge behalten.«

Die Tür zu Lucys Büro sprang auf.

»Das wird nicht nötig sein.« Mit seinem charakteristischen Lächeln und dem typischen selbstsicheren Gang betrat Dan Gallagher die Operationszentrale. Niemand sagte etwas, während er um den Tisch herumschlenderte, Sage zuzwinkerte, Fletch freundschaftlich mit der Faust anstieß und Miranda anlächelte. Als er bei Lucy am Tischende angekommen war, blieb er direkt gegenüber von Jack stehen.

»Donuts? Da muss wohl ein Cop im Raum sein.«

Jack fand seinen Blick. »Was frühstückt man denn so beim FBI

»Cops.« Dan ließ sich auf den Stuhl gegenüber sinken und streckte den Arm über den Tisch, um die Hand auf Lucys zu legen. »Hi, Luce. Wie läuft’s so?«

Sie zog ihre Hand unter seiner heraus. »Was meinst du damit, es wäre nicht nötig, ein Auge auf Willie Gilbert zu haben?«

»Weil es gestern Nacht in seiner Wohnung gebrannt hat.« Dan blickte Jack unverwandt an und sagte dann in beißendem Tonfall: »Ich hätte gedacht, dass du das weißt, schließlich ist es sozusagen dein Fall.«

Jack überging die Bemerkung. »Was ist passiert?«

»Willie hat es nicht mehr rechtzeitig nach draußen geschafft. Er wurde gegrillt.«

»Und was sonst noch in der Wohnung war?«

Dan grinste abfällig. »Deine Empfindsamkeit erstaunt mich immer wieder, Culver. Alles ein Opfer der Flammen.«

Jack sank in seinen Stuhl zurück. »Brandstiftung?«

»Das weiß man noch nicht. Aber sonst kam niemand ums Leben.«

»Er ist zu allem fähig«, flüsterte Jack.

»Wie bitte?«, fragte Lucy nach.

»Das hat Eileen immer gesagt: ›Er ist zu allem fähig.‹ Ich dachte, sie meinte vielleicht sogar Willie Gilbert damit, aber « Er seufzte frustriert. »Verdammt noch mal, ich dachte wirklich, sie spricht von Willie Gilbert.«

»Jack«, sagte Lucy leise und beugte sich zu ihm. »Wer auch immer er ist, wir können ihn finden.«

»Ich kann ihn finden«, verbesserte er.

Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. »Wir.«

»Ich habe Wade Cordell in der Leitung«, meldete Sage.

Dan stieß sich so heftig zurück, dass der Tisch wackelte. »Weißt du was«, sagte er, und sein funkensprühender Blick strafte seinen beiläufigen Tonfall Lügen. »Dieser Aspekt des Falls interessiert mich nicht. Ich werde in deinem Büro warten.« Er schwieg und warf Lucy einen bedeutungsschweren Blick zu. »Wenn das für dich in Ordnung ist, Juice.«

Der Spitzname »Lucy-Juicy«, den ihr Dan schon vor langem gegeben hatte, und seine sämtlichen Variationen brachten sie normalerweise immer zum Lächeln. In Jacks Gegenwart aber fühlte sie sich dabei unwohl. »Schon okay.«

Dan verschwand, und die Tür schloss sich mit leisem Klicken. Doch er hätte sie genauso gut zuschlagen können. Lucy zwang sich, seinen Abgang kommentarlos zu übergehen, und auch Jack hielt sich zurück, wie sie anerkennend feststellen musste. Sie tippte auf den in den Tisch eingelassenen Monitor, um die Audioverbindung herzustellen. »Sprechen Sie, Wade, es sind alle da.«

»Hallo, Luce.« Sein gedehnter Südstaatenakzent wirkte wie ein sanft-heiterer Sonnenstrahl nach dem Gewittersturm, der gerade durch den Raum gefegt war. »Sage hat mir die Koordinaten des Anrufers durchgegeben. So wie es aussieht, ist das eine ziemlich abgelegene Gegend am Ostufer von Nevis, nicht weit von unserem aktuellen Standort. Wir fahren so schnell wie möglich dahin.«

»Wir?« Miranda neigte sich leicht vor. »Ist Vanessa bei Ihnen, Wade? Hier spricht Miranda Lang.«

»Sie ist hier, Miranda«, sagte Wade.

»Miranda blickte Fletch an, und in ihrem Gesicht rangen widerstreitende Gefühle. »Kann ich mit ihr reden?«

Stille.

»Na ja, sie ist im Augenblick ziemlich beschäftigt«, ließ sich Wade schließlich vernehmen. »Es ist gerade kein guter Zeitpunkt.«

Miranda nickte, als bekäme sie kein Wort heraus, und sagte dann: »Schon in Ordnung. Ich verstehe das.«

»Wade, wenn Sie Vanessas Freund gefunden haben«, warf Lucy ein, »kann ich binnen Stunden ein Flugzeug schicken. Es gibt einen kleinen Flugplatz auf Nevis, im Norden der Insel. Die Stadt heißt Newcastle.«

Zunächst herrschte wieder Stille, dann sagte Wade: »Ähm, ja. Eine Sekunde, bitte.« Nach einer weiteren Pause sprach Wade mit gesenkter Stimme weiter. »Hören Sie, wir werden in kein Flugzeug steigen, solange wir nicht wissen, wo Clive Easterbrook steckt und ob es ihm gut geht. Ihr ›Geschenk‹, Lucy, erweist sich als ganz schön knifflige Angelegenheit.«

»Ich verstehe. Aber Sie würden auch der New Yorker Polizei einen großen Gefallen tun, wenn Sie ihn finden.«

»Wie das?«, fragte Wade.

»Die Ermittlungen im Fall Charlie French sind in vollem Gang«, berichtete Lucy und schlug eine weitere Akte auf. »Ich habe mich nach unserem letzten Gespräch ein wenig informiert. Auch wenn offiziell immer noch von einem willkürlichen Akt der Gewalt gesprochen wird und die Spurensicherung noch immer nicht abgeschlossen ist, deuten wohl einige Hinweise auf einen Exfreund, der allerdings ein wasserdichtes Alibi hat. Jetzt werden auch Personen aus ihrem Fitnessstudio und von der Arbeit in die Ermittlungen einbezogen, einschließlich Clive Easterbrook.«

»Er versteckt sich vor etwas oder jemandem, das steht fest«, sagte Wade. »Wenn wir ihn finden, werden wir das hoffentlich erfahren.«

»Ach, und Wade«, fuhr Lucy fort und zog den Wirtschaftsteil der aktuellen New York Times heraus. »Sagten Sie nicht, Sie würden in Nicholas Vex’ Ferienhaus wohnen?«

»Dazu kam es nicht. Er ist aufgetaucht und hat uns hochkant rausgeworfen. Warum?«

»Er ist auf Nevis? Interessanter Zeitpunkt, um in Urlaub zu gehen.« Lucy drehte die Zeitung, sodass die anderen am Tisch die Schlagzeile lesen konnten. »Die Umweltbehörde in Washington hat gestern Klage gegen Vexell eingereicht; offenbar wurden gesundheitliche Risiken eines Produktes verschleiert.«

»Die Umweltbehörde?« Wade klang überrascht.

»Die sind dafür zuständig«, erklärte Lucy. »Die Auswirkungen auf den Aktienmarkt haben Mr Vex bis zum Ende des gestrigen Börsentages wahrscheinlich mehrere Milliarden Dollar gekostet. Ganz zu schweigen davon, dass er jetzt von der Presse und seinen Großkunden aufs Korn genommen wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er seine Firma in dieser Situation im Stich lässt, um Urlaub zu machen.«

»Können Sie herausfinden, wer bei der Umweltbehörde die Klage vorbereitet hat?«, fragte Wade.

Lucy runzelte die Stirn. »Ich denke schon. Warum?«

»Sagt Ihnen der Name Russell Winslow noch etwas? Der mit seinem Wagen kürzlich über die Klippen gestürzt ist? Er hat für die Umweltbehörde gearbeitet. Kann das Zufall sein?«

Jack hob eine Braue und flüsterte Lucy zu: »Wir wissen ja alle, wie du über Zufälle denkst.«

Als sie das Telefonat beendet hatten, entschuldigte sich Lucy und ging nach nebenan in ihr Büro. Dan stand vor dem Fenster und sah hinaus.

»Ich kann mich nicht erinnern, dich jemals so wütend gesehen zu haben«, sagte sie.

Er drehte sich nicht um. »Du hast überhaupt noch nicht viel von mir gesehen, Luce. Du hast mich auch noch nie, sagen wir, woanders arbeiten sehen.«

Sie trat näher an ihn heran. »Soll das eine Drohung sein?«

Als er sich schließlich umwandte, erstarrte sie förmlich beim Anblick seiner hasserfüllten Augen. »Ich kann hier nicht bleiben, wenn du ihn zurückholst.«

»Ich werde ihn nicht zurückholen, Dan. Er war von Anfang an eng mit diesem Fall verbunden. Mit ihm können wir die ganze Sache einfach schneller abschließen, das ist alles. Er ist noch nicht mal als freier Mitarbeiter tätig.«

»Bezahlst du ihn?«

»Ich stelle ihm für die Suche nach der dritten Schwester Ressourcen zur Verfügung.« Sie nahm hinter ihrem Schreibtisch Platz. »Aber das geht dich im Grunde gar nichts an. Es ist meine Firma, Dan.«

Mit gesenkten Lidern schlenderte er zu dem kleinen Sofa hinüber, setzte sich und wuchtete schwungvoll seine schweren Beine auf einen Tisch, den sie letztes Jahr für siebenundzwanzigtausend Dollar auf einer Auktion bei Sotheby’s ersteigert hatte. Wie Dan sehr wohl wusste, denn er war mit ihr dort gewesen.

Es war eine vernichtende Geste, die wehtat.

»Dan, es geht hier um ein bestimmtes Projekt, bei dem ich mit ihm zusammenarbeite. Ich habe nicht vergessen, dass er uns über seine gesundheitlichen Probleme belogen hat und dich eine Kugel aus seiner Waffe getroffen hat. Er wird nie wieder fest für mich arbeiten. Wir werden das dritte Mädchen finden. Und wenn jemand anders den Mord begangen hat, für den diese Frau sitzt, dann werde ich das auch herausfinden schon aus Prinzip.«

»Das könnte eine Weile dauern«, bemerkte er mit einer gehörigen Portion Sarkasmus in der Stimme. »Wieder eine Gelegenheit, mit Jack Culver eng zusammenzuarbeiten.«

Lucy ließ sich nichts anmerken. »Du gehst zu weit, Dan.«

»Und du streitest es nicht einmal ab.«

Sie deutete mit einem Finger auf ihn. »Eindeutig zu weit.«

»Entspann dich, Luce. Du hast eben eine kleine Schwäche für eine bestimmte Person, und du gibst ihr hin und wieder nach. Das macht dich menschlich. Vielleicht ist dann auch endlich Schluss mit den Gerüchten, an dir wäre rein gar nichts menschlich.« Er stand auf und setzte dieses typische schiefe Grinsen auf, das jedoch nicht seine Augen erreichte. »Ich habe mich das auch schon manchmal gefragt.«

Den Blick starr auf ihn gerichtet, hörte sie, wie die Tür zur Operationszentrale aufging. Sie musste nicht hinsehen, um zu wissen, wer hereinkam, denn mit einem Schlag wurde der Sauerstoff im Raum knapp.

»Ich habe, was ich brauche, Luce«, sagte Jack. »Sage hat mir ein paar hervorragende Hinweise gegeben. Wir bleiben in Kontakt.«

»Okay«, antwortete Lucy. »Dan wird sich zusammen mit der Polizei in Charleston den Wohnungsbrand ansehen.«

Jack sah nicht gerade begeistert aus, bedachte Dan aber mit einem Nicken. »Ich finde allein raus.«

»Ich komme mit«, sagte Dan mit Blick auf Lucy. »So wie es aussieht, kann ich heute nicht länger bleiben.«

Nachdem beide weg waren, blieb Lucy minutenlang sitzen, ohne sich zu rühren. Ihre Bibliothek, der Schreibtisch, die Antiquitäten, alles war von höchster Eleganz und perfekt aufeinander abgestimmt. Ihr ganzes Leben war bis in die kleinste Faser durchorganisiert und kontrolliert. Schwäche zu zeigen hieße, all das zu gefährden. Hatte Dan recht? Hatte sie eine Schwäche für Jack? Sie hasste Schwäche in der Firma, in ihrem Leben und besonders an sich selbst.

Sie verwob ihren Finger mit der einen weißen Strähne in ihrem pechschwarzen Haar, die sie beständig daran erinnerte, welch hohen Preis sie dafür bezahlt hatte, dass sie einmal die Kontrolle verloren hatte. Diesen Fehler würde sie nicht wieder machen. Nie wieder.