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Vanessa klopfte voller Ungeduld mit allem, was ihr zur Verfügung stand mit den Füßen auf den abgetretenen Holzboden, mit den Fingern an den Oberschenkel und mit der Zunge an den Gaumen.

Wie lange würde sie wohl noch in diesem von Zigarren verqualmten Raum sitzen und auf »Madame Gideon« warten müssen? Seit zehn Minuten war sie schon hier, und abgesehen von dem gruseligen kleinen Typ, der ihr die Tür geöffnet hatte, hatte sie noch niemanden gesehen oder gehört. Dafür umso mehr gerochen: abgestandenen Zigarrenrauch, muffige Feuchtigkeit und eine Mülltonne ganz in der Nähe.

Sie rieb sich die Arme und versuchte das ungute Gefühl zu vertreiben, das sie nicht mehr losgeworden war, seit sie das Schiff verlassen hatte. Es war als würde jemand sie beobachten. Dass der Taxifahrer es abgelehnt hatte, für zwanzig Dollar auf sie zu warten und sie schließlich allein vor dem zweistöckigen Haus am Rande des Regenwaldes stand, hatte auch nicht unbedingt zu ihrer Beruhigung beigetragen.

Sie nahm ihre Brille ab, um sich den Schweiß aus dem Gesicht zu wischen, und blickte dann zum sechsmillionsten Mal auf ihre Uhr. In New York war es jetzt noch früh am Tag, während die Londoner Börse bald schließen würde; die meisten ihrer Kunden in Hongkong schliefen noch. Überall auf der Welt wurde Handel getrieben, Geld gemacht und investiert.

Nur sie hockte auf irgendeinem gottverlassenen Sandhaufen mitten im Meer fest

Aber sie tat das Richtige.

Das musste sie sich immer wieder ins Gedächtnis rufen. Sie zog ihr iPhone heraus natürlich gab es wieder mal keinen Empfang und verfluchte diesen Mann, den einzigen Mann, den sie genug liebte, um sich willentlich solchen Strapazen auszusetzen. Aber dafür sollte er bezahlen, dieser Mistkerl! Sobald sie ihn aufgespürt, ihm seine Medikamente verabreicht und ihn wieder dorthin zurückbefördert hätte, wo er hingehörte, würde sich Clive Easterbrook dafür gefälligst revanchieren.

Er würde sie ein Jahr lang jeden Tag zum Mittagessen und jeden Freitag nach Börsenschluss auf einen Drink oder zwei einladen und ihr außerdem noch einen Teil der Provisionen erstatten, die ihr durch diesen Samariterdienst durch die Lappen gingen.

Acht quälende Minuten später knarrten die Holzdielen im Flur unter schweren Schritten. Sie kramte im Seitenfach ihrer Tasche nach dem Foto und zog es in dem Moment heraus, als ein Schatten den Raum verdunkelte.

Er passte kaum durch den Türrahmen und füllte buchstäblich den ganzen Raum aus, als er eintrat: ein etwa hundertfünfzig Kilo schwerer Hüne mit elfenbeinfarbener Haut, tintenschwarzen Augen und Dreadlocks, von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt, der dreinblickte, als wollte er Vanessa am liebsten roh verspeisen.

»Mr Gideon?«

»Man nennt mich Bones.«

Immerhin hatte man hier Sinn für Humor.

Er ging an ihr vorbei, um sie herum, und sie drehte sich mit, dem widerlichen schweren Zigarrengestank folgend, der ihn umgab.

»Was wollen Sie?« Seine Stimme passte nicht zu seiner Erscheinung. Er hatte einen britischen Akzent mit leichtem Insel-Einschlag.

Sie streckte ihm die Hand entgegen. »Ich bin Vanessa Porter aus New York.«

Er zeigte keine Regung, nicht einmal einen Lidschlag, geschweige denn ein Lächeln. Seine Augen verschwanden hinter schmalen Schlitzen über seinen feisten, fettig glänzenden Wangen. Wenn er Zähne besaß, so zeigte er sie jedenfalls nicht. Vanessa ließ die Hand sinken.

»Was wollen Sie?«, wiederholte er.

Sie hielt ihm das Foto hin, doch auch darauf reagierte er nicht. »Ich suche einen Freund.«

Er maß sie mit drohendem Blick. Zu hören war nur das rhythmische Klicken des weitgehend wirkungslosen Deckenventilators über ihnen.

»Soweit ich weiß, war er kürzlich hier.«

Seine Nasenflügel blähten sich auf, und sie dachte unwillkürlich an einen Drachen. Hoffentlich fing er nicht an, Feuer zu spucken. »Ich kann Ihnen nicht helfen. Bitte gehen Sie jetzt.«

»Sie wissen doch noch gar nicht, was ich will«, gab sie zurück und straffte empört den Rücken. »Ich versuche, einen Freund zu finden. Diesen Mann hier.« Sie hielt ihm das Foto vor die Augen. »Vor etwa einem Monat kam er auf die Insel, um Urlaub zu «

»Gehen Sie.«

»Wollen Sie sich denn das Foto nicht wenigstens einmal ansehen?«, hakte sie nach, mit vor Anspannung schon leicht gehobener Stimme. Genau das hatte sie nicht gewollt. Sie räusperte sich und sah ihm direkt in seine undurchdringlichen schwarzen Augen. Bei Übernahmeverhandlungen hatte sie es schon mit ganz anderen Gegnern zu tun gehabt, und keiner hatte sie jemals kleingekriegt. Auch dieser Freak hier würde das nicht schaffen. »Sein Name ist Clive Easter«

»Nein.«

»…brook«, fuhr sie entschlossen fort. »Clive Easterbrook. Er ist ein Freund von mir. Schauen Sie sich doch bitte dieses Foto an, Mr Bones.«

»Nein.«

Sie ließ ihre Hand klatschend auf ihrem Oberschenkel landen. »Hören Sie, ich habe nichts mit der Presse oder der Polizei oder so was zu tun. Clive ist ein enger Freund von mir, der «

»Nein.«

Shit. »Der vor einem Monat hierherkam, um Urlaub zu machen, und dann beschloss, nicht mehr nach Hause zu fahren. Ich mache mir Sorgen um ihn.«

Die Augen des monströsen Kerls waren wieder zu schwarzen Schlitzen geworden. »Warum?«

»Weil er « Musste sie Clive verraten, damit ihr jemand half? Es war nicht ihre Art, die Geheimnisse anderer auszuplaudern.

»Schwul ist?«, ergänzte er ihren Satz und hob provozierend die Brauen.

»Das ist er, ja, aber das ist nicht der Grund, warum ich mir Sorgen mache. Clive ist mein engster Freund, und wir sind Kollegen. Er leidet unter gewissen Stimmungsschwankungen.« Bipolare Störung nannte man so etwas auch. »Er könnte in einer Depression stecken.«

Und obendrein betrunken sein, ganz zu schweigen von Drogen und Selbstmordgedanken.

»Nein.«

Diese Einsilbigkeit nervte allmählich. »Nein was? Nein, er ist nicht depressiv, oder nein, Sie wollen mir nicht helfen, oder nein, Sie kennen ihn nicht?« In ihrer Stimme schwang Verzweiflung mit. »Nein was, Mr Bones?«

»Nein, ich spreche grundsätzlich nicht über Kunden meines Etablissements. Sie können jetzt gehen.«

Vanessa seufzte entnervt. So ging das schon, seit sie in der Karibik angekommen war.

»Ich verstehe Ihre Haltung, Mr Bones. Ich arbeite auch mit Kunden und lege großen Wert auf Diskretion. Aber ich mache mir Sorgen, dass mein Freund krank ist oder einen Unfall hatte oder auf einer Depression hängen geblieben ist, das passiert ihm nämlich häufiger, und «

Sie erstarrte, als sich etwas Kaltes, Hartes in ihren Rücken drückte. Wer auch immer hinter ihr stand, war hereingekommen, ohne dass eine einzige Diele geknarrt hatte. Trotz der Höllenhitze überlief sie ein eiskalter Schauer.

Bones fixierte sie, weiterhin regungslos.

»Sie reden zu viel«, sagte er.

Sie war vom Scheitel bis zu den Zehen wie gelähmt. Es gab nicht viele Dinge, die ihr Angst machten aber Waffen gehörten dazu.

Waffen waren tödlich. Davon wusste sie ein Lied zu singen.

»Gehen Sie, Miss Porter.«

»Okay.« Sie hob mechanisch die Hände, als müsste sie beweisen, dass sie unbewaffnet war die Geste war in etwa so absurd wie ein Schneesturm in der Karibik. »Ich gehe dann jetzt, okay?« Bitte nicht schießen.

Sie blickte starr geradeaus, um auf keinen Fall dem Blick desjenigen zu begegnen, der ihr die Waffe in den Rücken hielt.

»Ich, äh, ich habe das Taxi fahren lassen.« Besser gesagt, es war davongerast und hatte sie mutterseelenallein vor diesem Schwulenbordell zurückgelassen, im allerletzten Schmuddelviertel der Stadt, an einer gottverlassenen, nicht einmal mehr asphaltierten Straße, mehr als eine Meile entfernt von allem, was man annähernd als Zivilisation bezeichnen konnte. Es würde verdammt teuer werden für Clive.

Sofern sie die Sache überhaupt überlebte.

»Gehen Sie.«

Sie hörte, wie die Waffe entsichert wurde, und spürte, wie das kalte Metall über ihren Rücken strich, während sie langsam auf die Ausgangstür zuschritt, durch die die Sonne fiel und Freiheit und Sicherheit versprach.

Als sie über die Schulter einen Blick auf Bones warf, nickte der dem Mann mit der Waffe zu. Um Gottes willen! Was hatte das jetzt wieder zu bedeuten? Los, erschieß sie?

Vanessa stürmte auf die Tür zu und stieß sie so fest auf, dass sie gegen die Wand schlug. Genau in dem Moment, als sie aus dem Haus trat, kam mit quietschenden Reifen ein gelbes Taxi um die Ecke gebogen, das Staub aufwirbelnd vor ihr zum Stehen kam.

»Das nehm ich!« Clive fand schon immer, dass der Taxigott es erstaunlich gut mit ihr meinte, und behielt wieder einmal recht.

Die Autotür flog auf, gerade als hinter ihr die Haustür krachend zuschlug.

»Verschwinden Sie!« Gideon war auf die Holzveranda gepoltert, die unter seinem enormen Gewicht ächzte. Doch plötzlich erhellte ein breites Lächeln seine Züge, als er ihr über die Schulter blickte. »Oh, halloo«, flötete er.

Vanessa schnellte herum. Der Olymp hatte ihr ganz offensichtlich diesmal den Taxi-Gott persönlich geschickt. Vor ihr ragte eine ein Meter neunzig große Gestalt auf, mit kurzem, von der Sonne golden schimmerndem Haar, gebräunter Haut, kantigen, wie gemeißelten Gesichtszügen, breiten Schultern unter einem vanillegelben Hemd und Augen, die so blau waren wie das Meer und der Himmel im Hintergrund.

Ein Kunde, kein Zweifel. Das musste sie Clive erzählen. Ihr Jungs kriegt immer die Besten ab.

Sie deutete auf das Taxi. »Ich nehme das hier ich möchte zurück in die Stadt.« Mit einem Satz war sie von der Veranda auf die unbefestigte Auffahrt gehüpft.

Der Mann trat einen Schritt zur Seite und hielt ihr die Tür auf. »Ma’am.«

Sie murmelte einen Dank und tauchte hinein, ihre Tasche hinter sich über die Sitzbank ziehend. »Nach Basseterre, bitte«, sagte sie zum Fahrer. »Aber schnell.«

Der Goldjunge schob sich neben sie.

»Tut mir leid«, sagte sie mit einem leichten Lächeln, das nicht verbarg, dass sie um dieses Taxi kämpfen würde. »Es ist ein Notfall, ich muss dringend in die Stadt.«

Er nickte dem Fahrer zu. »Fahren Sie uns bitte in die Stadt.«

»Aber « Sie warf einen Blick auf das Haus. »Er würde Ihnen doch sicher ein Taxi rufen, sobald Sie, ähm, fertig sind.«

»Ich bin fertig.« Er lehnte sich im Sitz zurück und legte ruhig seinen Arm auf die Rückenlehne. Der Blick, den er ihr zuwarf, war vertrauenerweckend und zugleich aufreizend. »Ich habe den gleichen Weg wie Sie.«

Durch das schmutzige Rückfenster sah sie ein Paar schwarze Augen, die sie von der Veranda her durchbohrten.

»Vielen Dank. Er mochte mich von Anfang an nicht, aber jetzt hasst er mich.«

»Wieso das?« Er streckte seine langen Beine aus und lenkte ihren Blick auf seine muskulösen Oberschenkel, die in sauberen Baumwollhosen steckten.

»Weil ich Fragen gestellt habe, die er nicht beantworten wollte, und ihn damit so fuchsig gemacht habe, dass er seinen Killer auf mich gehetzt hat, und jetzt schnappe ich ihm auch noch sein neuestes Sahneschnittchen vor der Nase weg.« Sie tippte auf den Fahrersitz. »Ich hab’s wirklich eilig. Basseterre, bitte. Aber dalli.«

»Ich bin kein Kunde«, sagte der Goldjunge.

»Sie waren also gerade dabei, diese gottverlassene Anhöhe zu besichtigen, und kamen ganz zufällig bei dem besten Schwulenbordell von St. Kitts vorbei? Sorry, das nehm ich Ihnen nicht ab.«

»Ich bin Ihretwegen hier.«

Für den Bruchteil einer Sekunde zögerte sie und genoss die erotische Würze dieses Satzes und das Glitzern in den Augen des rätselhaften Fremden. »Super Anmache. Wenn ich nicht gerade um mein Leben laufen würde, würde ich Ihnen glatt eine Chance geben.« Sie rüttelte am Vordersitz. »Zum Ballahoo-Restaurant, bitte. Schnell!«

Endlich fuhr das Taxi los, wobei ein paar Kiesel auf Bones geschleudert wurden. Damit wäre ihr Schicksal als dessen lebenslange Feindin endgültig besiegelt. Als sie aus dem Heckfenster sah, telefonierte er mit einem Handy. Hatte denn auf dieser blöden Insel jeder Handy-Empfang außer ihr?

»Haben Sie denn gefunden, wonach Sie so verzweifelt suchen?«

Seine Frage brachte sie in etwa genauso aus dem Gleichgewicht wie die scharfen Serpentinen auf dem Weg in die Stadt hinunter. Sie klammerte sich an den zerfetzten PVC-Sitz vor ihr, um nicht umhergeschleudert zu werden. Das Bild von Clive hatte sie dabei immer noch fest in der Hand.

Woher wusste er, dass sie etwas suchte?

»Nein«, erwiderte sie. »Ich war zu beschäftigt damit, Madam Gideon zu erzürnen.«

»Das ist mir nicht entgangen.«

Etwas in seiner Stimme jagte ihr einen wohligen Schauder über die Haut. Ein Akzent, weich und süß und aus dem tiefsten Dixieland, vermischt mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein.

»Ach ja? Ist Ihnen sein Killerblick aufgefallen?«

»Nein, aber der Lauf der Walther P99, die aus dem Fenster im ersten Stock auf Ihren Kopf gerichtet war.«

»Sind Sie deshalb wieder mit ins Taxi gestiegen?« Entweder dieser Typ war extrem ritterlich, oder er hatte genauso viel Angst vor Waffen wie sie. Sie ließ einen kurzen, prüfenden Blick über seine massiven Schultern, seinen sehnigen Hals und seinen Waschbrettbauch gleiten und tippte dann auf Ritterlichkeit dieser Mann hatte mit Sicherheit vor nichts Angst. »Nun, recht herzlichen Dank, aber ich brauche keine Eskorte.«

»Ich bin nicht als Eskorte mitgekommen«, widersprach er mit einem umwerfenden Lächeln, das sie unter anderen Umständen sofort erwidert hätte.

Was auch immer er im Bartholomew Nine gewollt hatte schwul war er nicht. Auf gar keinen Fall. Dieser Typ frühstückte morgens Testosteron, aß zu Mittag ein paar Stahlnägel, und zum Abendessen verspeiste er, wer auch immer an glücklichen weiblichen Wesen sich ihm auf dem Tablett servierte.

Dann konnte er Clive!

Sie hielt ihm das Foto entgegen, das Clive bei dem Marathon in Boston zeigte, den sie im April zusammen besucht hatten. »Sie kennen ihn, nicht wahr?«

Er nahm das Bild, und seine starken Finger streiften dabei ihre Hand, woraufhin ihr Arm bis zur Schulter hinauf kribbelte. Anders als alle anderen, denen sie das Foto gezeigt hatte, warf er nicht nur einen kurzen Blick darauf und schüttelte dann den Kopf. Er hielt es ins Licht und musterte es eingehend.

Dann hob er mit gerunzelter Stirn den Blick. »Tut mir leid, Ma’am, aber ich kann Ihnen nicht helfen.«

Und wieder einmal traf sie mit unverminderter Härte die Enttäuschung.

»Wenn ich das richtig verstehe, ist er ein «

»Ein Freund von mir«, sagte sie. »Er ist vor einem Monat hierher in Urlaub gefahren und nicht wieder nach Hause gekommen.«

Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. »Haben Sie die Behörden informiert?«

»Nein.« Nach dem, was sie gerade mit Mr Knochenbrecher Bones erlebt hatte, wäre das aber vielleicht doch keine schlechte Idee. »Er ist nicht in Gefahr. Er ist nur ausgestiegen. Sie haben bestimmt schon von diesen Menschen gehört, die auf eine Insel gehen und dann dort bleiben, um sich selbst zu finden obwohl sie zum Beispiel zu den besten Hedgefonds-Managern von ganz New York City gehören.« Verbitterung schlich sich in ihre Stimme.

»Sind Sie sicher, dass es so ist?«

Sie strich sich das Haar aus dem Gesicht und klemmte die Strähnen hinter die Ohren. »Ja. Mein Chef hat mit ihm gesprochen, ich habe sein Kündigungsschreiben gelesen und ich kenne seine Unterschrift , sonst hätte ich es auch nicht geglaubt. Außerdem hat er seine Mutter angerufen und ihr eine Nachricht hinterlassen.«

»Aber persönlich mit ihm gesprochen haben Sie nicht?«

»Ich habe SMS-Nachrichten bekommen.« Die knapp und seltsam gewesen waren, aber nicht so seltsam, dass sie diesen Blick rechtfertigen würden, der nichts anderes besagte, als dass sie eine Närrin war, weil sie die Polizei der Insel nicht eingeschaltet hatte.

»Und Sie sind hergekommen, um was zu machen ihn heimzuholen?«

Sie lächelte über seine Wortwahl und den gedehnten Südstaaten-Akzent. »Ja, ich will ihn heimholen. Oder zumindest an seinen Verstand appellieren. Er leidet extrem unter Stimmungsschwankungen. Die letzten drei Tage habe ich damit verbracht, über die Insel zu rasen, um ihn ausfindig zu machen.«

»›Rasen‹ trifft es ziemlich gut.«

Sie zuckte die Achseln. »So bewege ich mich eben. Schnell.«

»Das ist mir auch aufgefallen.«

Aufgefallen? War er so etwas wie ein Stalker? »Wann?«, fragte sie scharf.

»Etwa zwei Minuten, nachdem Sie an Land gegangen waren.«

Ihr Magen machte einen eigenartigen kleinen Hüpfer. »Sie sind mir hierher gefolgt? Warum?«

»Sie sind Vanessa Porter, nicht wahr?«

Sie rückte instinktiv von ihm ab, näher an die Tür. Wenn es sein musste, würde sie rausspringen allzu schnell fuhren sie nicht.

»Woher wissen Sie meinen Namen?«

Er streckte ihr die Hand entgegen. »Machen wir es offiziell, Ma’am. Mein Name ist Wade Cordell, und ich bin auf St. Kitts, um Sie zu treffen.«

Sie wusste nicht, ob sie lachen oder sich aus dem Auto werfen sollte. Meinte er das ernst? Vielleicht war er auch auf dem Kreuzfahrtschiff gewesen. Ob ihn ein Kollege geschickt hatte? Hatte das irgendetwas mit Clive zu tun?

»Sie sind doch Vanessa Porter, oder?«, wiederholte er seine Frage, als sie nicht reagierte.

Statt seine Hand zu nehmen, legte sie sich die Finger auf ihre Schläfen, um das Rauschen ihres Blutes zu beruhigen, doch die Ohren hörten nicht auf zu surren und zu vibrieren. »Ja.«

»Das dachte ich mir. Ich war « Er blickte auf ihre Tasche. »Wollen Sie das nicht annehmen?«

»Was?«

»Ist das nicht Ihr Telefon?«

Sofort griff sie nach dem Verschluss ihrer Tasche. »Ist ziemlich lange her, dass ich es zuletzt gehört habe « Sie berührte den Bildschirm, und das Vibrieren hörte auf. »Eine SMS.« Es würde einen Augenblick dauern, bis der Name des Absenders erschien, und so blickte sie den Mann an, der sich in weniger als einer Minute von umwerfend sexy zu leicht angsteinflößend verwandelt hatte. »Woher wissen Sie, wer ich bin?«

»Ich wurde hierhergeschickt, um Sie zu finden.« Die Silben flossen aus seinem Mund wie heißer Karamell über Vanilleeis.

Es musste etwas damit zu tun haben, dass sie Dutzende von Leuten angesprochen und überall in der Karibik Clives Foto herumgezeigt hatte. Das iPhone vibrierte erneut und erinnerte sie wieder an die SMS. Als sie auf das Display blickte, stieß sie fast einen Freudenschrei aus. Eine Nachricht von Clive!

Nimm dich in 8!

Sie hob das Gerät und schattete es gegen die Sonne ab.

Nimm dich in 8!

Drei Wochen ohne ein Wort von ihm und jetzt das. Es war ein Insiderwitz zwischen ihnen, so alt wie ihre Freundschaft, mit dem sie sich insgeheim gegenseitig daran erinnerten, dass die Wall Street ein Haifischbecken war.

Was um alles in der Welt wollte er ihr damit sagen?

Sie ließ die Hände in den Schoß fallen, ohne ihr iPhone loszulassen. Den Blick auf den Mann neben sich gerichtet schossen ihr die wildesten Fragen durch den Kopf. Am besten fing sie mit denen an, die ihr der Fremde ganz sicher beantworten konnte. »Wer sind Sie, und warum verfolgen Sie mich?«

»Ich will es Ihnen gerne rundheraus sagen, aber ich warne Sie. Was ich zu sagen habe, könnte Sie möglicherweise aus der Fassung bringen.«

Konnte es noch schlimmer kommen?

»Schießen Sie los, Mann. Ich hab’s eilig.«

»Okay.« Er setzte sich gerade auf und blickte ihr unverwandt in die Augen. »Ich bin im Auftrag einer Frau namens Eileen Stafford hier.«

Weiße Blitze zuckten vor ihrem Blickfeld auf, als hätte sie einen Schlag auf den Kopf bekommen.

Eileen Stafford.

Na großartig. Noch schlimmer konnte es gar nicht kommen.