27

Während Holly und Alessandro schliefen, hatte Geneva die Nichtmenschlichen für die kommende Nacht zu einem Kampf auf ihrem Campus herausgefordert. Sie tat es auf die traditionelle Art, mit einer schriftlichen Aufforderung zum Duell, der ein Silbermesser beigelegt war. Die blutige Silberklinge bedeutete, dass es ein Kampf auf Leben und Tod würde.

Es war kalt, der Himmel sternenklar. Der Südcampus, der am weitesten von den Coffee-Shops und Kinos entfernt lag, war so gut wie verlassen, als hätten die Menschen die nahende Gefahr gespürt und sich nach drinnen verkrochen. Obwohl es erst elf Uhr abends war, waren die Fenster der Häuser drumherum fast alle dunkel. Vampire, Werwesen und andere Kreaturen verbargen sich abwartend in den Schatten.

Omara und die anderen Anführer der Rudel und Clans mussten zugeben, dass die Ortswahl des Dämons der Logik gehorchte. Die Fairview-University lag direkt in der Mitte der bisher erfolgreich geöffneten Portale. Aus welchen Gründen auch immer funktionierte Genevas Magie hier am besten. Die Aufforderung zum Duell war ebenfalls keine Überraschung gewesen, auch wenn sie früher als erwartet kam. Frisch aus der Burg, sollte Geneva noch geschwächt sein.

Was gewisse Fragen aufwarf.

Sie alle waren nervös, weil sie nicht wussten, was auf sie zukam. Und sie sorgten sich um die Sicherheit der Menschen. Außerdem hofften sie, dass keine Menschen sahen, was sie lieber nicht sehen sollten.

Wie Geneva den Krieg erklären würde, wusste niemand. Für sie alle stand lediglich fest, dass sie nicht allein sein würde.

Entsprechend hatte Königin Omara ihren Schwertführer sofort zum Campus bestellt.

 

Alessandro fand Omara, als sie auf dem taufeuchten Rasen hin- und herschritt. Ungerührt und zielgerichtet sank er hinab.

Unten packte er ihren Arm und zerrte sie von ihren beiden Bodyguards weg, die Omara mit einer Handbewegung anwies, sich nicht einzumischen. Sie wirkte gänzlich unbesorgt. Als Alessandro sie losließ, strich sie sich das Haar glatt und tauchte mit den Händen in die Taschen ihres langen pelzbesetzten Mantels. Königinnen zeigten keine Furcht.

Was Alessandro unbedingt ändern wollte. »Du hinterhältige Schlampe!«, fuhr er sie an. »Du wusstest es! Du wusstest, dass es andere Methoden gab, um Holly zu retten!«

Omaras Reaktion bestand darin, dass sie die Lippen zusammenkniff und die Brauen hochzog. Ansonsten blieb die Königin stumm, nur dass ihre Haltung ein Haiku auf die bevorstehende Gewalt beschrieb.

Alessandro wusste nicht einmal mehr, ob es ihn noch scherte.

»Ich musste mich vergewissern, dass wir die Kontrolle über die Magie deiner Hexe haben«, entgegnete sie vollkommen ruhig. »Das Risiko, dass sie sich verwandelte, bevor wir ihr helfen konnten, war zu groß.«

»Nicht, wenn du gewillt gewesen wärst, sie zu retten. Dann hättest du ganz anders gehandelt.«

»Du stellst mich absichtlich böse dar.«

»Ich kenne dich.«

»Du nahmst dir, wonach du gegiert hast.«

»Ich hätte mich beherrschen können.«

»Was ich in Frage stelle. Ich wette, du verzehrst dich in diesem Moment nach ihrem Blut.«

Es gab keine gute Erwiderung auf ihre Behauptung. Alessandro wandte den Blick von Omara ab. Wenn ich Holly liebe, muss ich mich der Hölle stellen, sie zu verlassen. Alles andere wäre ihr Untergang.

Eine unermessliche Wut packte ihn, übelkeiterregend wie ein fieses Gift. Omara wäre freundlicher zu ihm gewesen, hätte sie ihn getötet.

Er wurde das Bild von Hollys Gesicht nicht los, als sie ihm erzählte, was ihre Großmutter gesagt hatte. Sie war kreidebleich gewesen. Ja, Holly war stark. Sie hatte weder geweint noch herumgeschrien. Aber in ihren Augen hatte er die schiere Fassungslosigkeit gesehen, dass ihrer beider Leben für nichts zerstört worden war, weil Vampire nun einmal grausame Spiele trieben.

Dieser Moment hatte alles verändert. Etwas in Alessandros Seele war mit einem hallenden Knall zugefallen. Und jetzt wusste er, was es war. Er hatte eine Entscheidung gefällt, und das bedeutete, dass er Omara hinter dieser geschlossenen Tür weggesperrt hatte, zusammen mit seiner Loyalität ihr gegenüber.

»Mein Wohlwollen macht dich kühn, mein Bester«, bemerkte Omara und bleckte dabei die Oberlippe, um ihre Reißzähne zu zeigen. »Deine Herzensangelegenheiten sind nicht mein Problem.«

Beinahe hätte Alessandro gelacht. Die Ironie des Ganzen machte ihn krank. »Wohlwollen? Du hast das kleine bisschen Frieden zerstört, das ich gefunden hatte – sei es aus Eifersucht oder aus Berechnung.«

Für einen Moment hing die Wahrheit in der Luft, erstickend giftig und drückend. Dennoch war Alessandro ruhiger, nun, da er es ausgesprochen hatte. Womit die Frage blieb, was er als Nächstes tat.

»Ich habe stets dem Wohl unserer Leute gedient.«

»Öffentliche Fürsorge ist kein Freibrief für private Grausamkeit.«

Omara öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Ein Ausdruck von Empörung, gepaart mit Überraschung, huschte über ihr Gesicht. Alessandro indessen verzog keine Miene.

»Es gibt Wichtigeres«, erwiderte sie und strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Nachdem sie zuvor gänzlich emotionslos erschienen war, wirkte diese schlichte Geste geradezu dramatisch. »Geneva ist der traditionellen Form treu geblieben. Sie hat jedem der nichtmenschlichen Anführer ein Messer geschickt.«

»Beeindruckend – wenigstens hat sie Stil!«

Omara wartete, während der Wind ihnen beiden das Haar zerzauste – sein helles, ihr dunkles. »Ist das alles, was du zu sagen hast?«

Hier war sie, die Weggabelung, die Alessandro zwang, sich zu entscheiden. Was ihm nicht weiter schwerfiel. »Was gibt es zu sagen? Ich werde heute Nacht kämpfen, aber nur, weil der Dämon uns alle bedroht. Ich kämpfe nicht für dich. Ich war dein Ritter, aber du hast meine Loyalität verraten, mein Vertrauen missbraucht. Du verdienst meine Lehnstreue nicht.«

Omaras Augen funkelten blassgolden auf. »Du bist mein Gefolgsmann.«

»Und du hast mich so großzügig für meine Dienste belohnt.«

»Tut mir leid. Das war mein Fehler.« Omara sah ihn an, allerdings weniger selbstsicher als eben noch.

Alessandro kannte diesen Ausdruck. »Was ist passiert?«

»Der Albion-Clan ist meinem Ruf nicht gefolgt. Der gesamte Clan ist aus Fairview verschwunden, bis zum letzten Jungvampir.«

Pierces Clan. »Verrat.«

Omara gestikulierte hilflos. »Du gewinnst. Ich hätte auf dich hören sollen, als du meintest, dass sie mit allem zu tun hätten.«

Geschickt hatte die Königin seinen Zorn von sich abgelenkt, was Alessandro durchaus bewusst war. Trotzdem dachte er über das nach, was sie eben gesagt hatte. Der Albion-Clan verfügte über die besten Kämpfer.

Wortlos legte Omara ihre Hand auf seine, und alles, was sie zu sagen hatte, steckte in dieser Berührung: Komm zurück zu mir!

Alessandros Atem stockte. »Nein«, beantwortete er ihre stumme Bitte.

»Kämpfst du heute Nacht für mich?«, fragte sie. Es dürfte die direkteste, ehrlichste Frage gewesen sein, die er jemals von ihr vernommen hatte.

»Ja.«

Danach, falls es ein Danach gab, würde er sich sowohl aus Omaras Diensten als auch aus der Gesellschaft seinesgleichen verabschieden. Manche Dinge waren schlimmer als Einsamkeit. Und das Schlimmste war unehrenhafte Knechtschaft.

 

Eine miese Königin nach der anderen.

Konzentrier dich auf Geneva und den, der diesen seelensaugenden Wanderzirkus nach Fairview geholt hat! Sobald das hier vorbei ist, kannst du dir überlegen, wie du Omara zu Staub machst.

Außerdem war die Vampirdiva des Bösen bereits anderweitig beschäftigt.

Holly konnte Alessandro und Omara als Schattensilhouetten vor den Laternen wahrnehmen, die überall entlang der Campuswege standen. Und sie musste nicht hören, worüber die beiden sprachen, um zu erkennen, dass ihre langjährige Beziehung gerade in die Brüche ging. Die Art, wie ihre Hände durch die Luft schnitten, während sie redeten, illustrierte es mehr als deutlich.

Holly wandte sich ab, weil sie sich wie ein Voyeur vorkam.

Der Abendwind enthielt eine Note von Leder und Kiefernharz, dem typischen Geruch wilder uralter Orte. Werwesen. Die Rudel waren eingetroffen und schnürten in Zweier- und Dreiergruppen über die Wege. Die Zeit der Schlacht nahte.

An die Arbeit! Holly bündelte ihre Sinne und schloss die Szenerie um sich herum aus. Die Mordopfer waren hauptsächlich Studentinnen gewesen. Alle kürzlich geöffneten Portale hatte sich in oder in der Nähe der Universität befunden: das Flanders-Haus, der Fakultätsclub, das »Sinsation«, der Friedhof; und ihr eigenes Haus war auch nicht allzu weit weg. Was bedeutete, dass etwas hier die Magie stärken musste, etwas, das all diese Orte berührte. Eine natürliche Kraftquelle? Sie könnte aus Gewässern oder aus Erdspalten entspringen. Ley-Linien.

Holly kniete sich ins Gras und tauchte ihre Hände in den dichten feuchten Rasen. Aufmerksam überprüfte sie die Erde, genau wie sie es auf dem Friedhof getan hatte. Nachdem ihre Kraft nicht mehr blockiert war, schien es fast lachhaft einfach. Holly drang tiefer ein.

Und da waren sie: Breite goldene Magnetströme durchzogen die Erde, Pinselstriche von leuchtender Magie, in denen die Kraft des Erdkerns pulsierte. Holly holte staunend Luft. Noch nie zuvor hatte sie Ley-Linien finden können. Sie verliefen so tief, dass die meisten Hexen sie bestenfalls fühlen, nicht aber sehen konnten. Und Holly besaß nicht bloß Kraft, sie besaß eine Menge Kraft. Und die Schmerzen blieben aus!

Mit ihrem Geist folgte sie den Strömen. Sie verzweigten sich in alle möglichen Richtungen, liefen aber mehr oder minder ostwärts, unter der Universität hindurch und dann südlich vom Friedhof. Holly ließ sich von der stärksten Linie mitnehmen, die ihren Geist wie ein winziges Boot zum Meer trieb.

Die Erde wurde schneller, als die Strömung der Ley-Linie im Tempo eines Wagens unter der Stadt hindurchrauschte. Es dauerte keine Minute, bis die Turbulenzen kamen. Elektrizität durchfuhr Holly, ein physisches Gefühl, obwohl sie die Energie nur mit ihren Gedanken berührte. Und gleich darauf fing die Kraft an, zu verwirbeln.

Sie entdeckte noch eine Linie, die von Norden nach Süden verlief. Sie war mächtiger, dunkel wie alter Rum und donnerte an ihr vorbei. Sie war kühl und wild, karg wie verlassene Eislandschaften. Die beiden Flüsse kollidierten, krachten mit einer Wucht zusammen, unter der die ätherische Atmosphäre erbebte. Energie zuckte in Blitzen aus dem magischen Strudel. Es war haarsträubend, wunderschön und schrecklich zugleich. Holly ließ ihren Geist aufwärtstreiben, um die Quelle des Sturms zu entdecken.

Sie befand sich unter dem Flanders-Haus. Tja, das dürfte das eine oder andere erklären!

Was für eine geniale Grundstückswahl für ein Hexenhaus! Selbst ohne die Zusatzverstärkung durch den Dämon wäre jener Zauber, der dem Haus sein Gefühl verlieh, durch den Strudel an Kraft unter dem Fundament erheblich gestärkt worden. Kein Wunder, dass es so schwer gewesen war, es niederzuschlagen.

Angesichts dieses unterirdischen Kraftnetzwerks war klar, weshalb der Rufzauber funktioniert hatte. Die Energie durchdrang die Campusluft wie Nebel. Geneva konnte sie problemlos schöpfen. Sie hatte sich ein wahres Arsenal als Schlachtfeld ausgesucht.

Aber ich kann diese Waffe ebenfalls benutzen. Holly zog ihren Geist langsam wieder zu sich zurück. Sie schwankte ein wenig, dann setzte sie sich ins Gras und senkte den Kopf zwischen ihre Knie.

»Geht es Ihnen gut?«

Die Dunkelheit machte sie noch schwindliger. Sie blinzelte einige Male, ehe sie Perry erkannte, der ein kariertes Hemd und eine Jeans trug. Sorgenfalten standen auf seiner Stirn.

»Ja, ich bin okay. Ich habe nur gerade ein bisschen magische Fährtensuche betrieben und bin wohl etwas zu schnell wiedergekommen.«

Eigentlich hätte sie erst einmal üben müssen, mit ihren neuen Kräften umzugehen, nur blieb dafür keine Zeit. Nun sah es aus, als sollte sie, bildlich gesprochen, ihre Führerscheinprüfung beim Grand Prix ablegen. Cool bleiben oder untergehen, Süße! Sie ließ sich von Perry wieder auf die Beine helfen.

Hinter ihm stand ein großer dunkelhaariger junger Mann mit strengen Wangenknochen und skeptischem Blick. Ein merkwürdiger Gesichtsausdruck für jemanden, der so offensichtlich stark ist, dachte Holly. Sein ganzer Körper strahlte übermenschliche Kraft aus.

»Das ist Lor«, stellte Perry vor. »Er ist von der anderen Seite des Portals gekommen, zusammen mit dem Rest seines Rudels. Er ist ihr Alpha.«

»Rudel?« Holly klopfte sich das Gras von ihrer klammen Kleidung, in der sie fröstelte.

»Wir sind Höllenhunde«, erklärte Lor mit einem bedrohlichen Unterton, als wollte er sie warnen, ihn ja nicht anzugreifen.

»Sie kämpfen mit uns. Im Gegenzug sichern wir ihnen Amnestie zu, denn sie möchten in Fairview leben«, erläuterte Perry, der seinerseits ziemlich geschockt wirkte. »Ich hatte ja keine Ahnung, was für eine Hölle … ich meine … ich wusste von den Dämonen, aber …«

Lor nickte einmal knapp, was wohl als eine Art Begrüßung herhalten sollte. »Falls du gegen Geneva kämpfen willst, musst du alles erfahren. Die Portale führen an einen Ort, der die Burg genannt wird.« Er sprach langsam, mit jener präzisen Artikuliertheit von jemandem, der eine Fremdsprache benutzte, sie allerdings gut beherrschte. Er hatte gar keinen Akzent. Vielleicht redet er sonst einfach nicht viel.

»Das Dämonengefängnis«, sagte Holly, die sich fragte, was die Höllenhunde auf der anderen Seite des Portals gewesen sein mochten. Dann fiel ihr das Bild in Grandmas Buch ein. Lor passte prima zu den gruseligen Illustrationen.

»Es ist mehr als das. Viele leben dort, Kreaturen aller Arten. Es ist ein gigantischer verschlungener Ort ohne Ende, an dem es weder Türen noch Fenster gibt. Niemand ist je den ganzen Weg an einer der Mauern entlanggegangen und von dort zurückgekehrt, um anderen davon erzählen zu können.«

»Dann sind nicht bloß Dämonen in der Burg eingesperrt?«, fragte Holly verwirrt.

»Es gibt viele Gefangene. Viele Leute. Sie alle wurden dort vergessen.«

Holly war sprachlos. Wie konnte das geschehen?

Lor fuhr fort: »Der Rufende hat mehrere Anläufe unternommen, um diesen Dämon zu befreien. Und wo immer sich eine Tür öffnete, haben so viele zu entkommen versucht, wie nur konnten. Viele Fehlwandler. Die Hunde. Und schließlich die Dämonin selbst.«

Perry mischte sich ein, der ungefähr doppelt so schnell sprach wie Lor. »Anscheinend waren anfangs ein paar Fehlwandler von unserer Seite mit dabei, die ihre Freunde aus der Burg hergelockt haben, um ein Heer aufzustellen. Sie wandern hin und her, benutzen die Burg quasi als ihre Kaserne. Sie haben ein Zauberbuch, das ihnen das Passwort liefert, mit dem sie ungehindert rein- und rauskönnen.«

Ein Heer. Das erklärt, was ich auf dem Friedhof gesehen habe, dachte Holly.

»Wir haben über Jahre in Frieden gelebt«, fuhr Lor fort. »Die Burgwachen hatten unsere Ecke des Gefängnisses schon vergessen. Falls Geneva oder ihre Soldaten die auf sich aufmerksam machen, werden die Wachen sich wieder an diesen Teil der Burg erinnern, und dann bestrafen sie alle, die sie dort lebend vorfinden.«

»Würden die Wachen auf unsere Seite wechseln?«, wollte Holly wissen.

»Ja, und vor ihnen muss man sich fürchten.« Lor ballte eine Faust, was weit mehr aussagte, als seine schlichten Worte es vermochten. »Ich bedaure, dass wir die Tür nicht offen lassen und diejenigen befreien können, die es verdienen.«

Holly betrachtete Lor. Er trug grobe Kleidung und blickte sich immerfort misstrauisch um. Ein entflohener Gefangener. Ein Flüchtling. Wie viele andere wie er befanden sich noch in der Burg?

Ihre Gedanken wurden abrupt abgelenkt, denn Alessandro kam quer über den Rasen auf sie zu. Sein langer abgetragener Ledermantel wehte hinter ihm auf. Zusätzlich zu seinen üblichen Waffen spannte sich ein nietenbesetzter Gurt über seinen Oberkörper, an dem unten ein versilbertes Breitschwert hing. Es stellte das Erkennungszeichen des königlichen Schwertführers dar und war eigens geschmiedet und versilbert worden, um Unsterbliche zu töten. Mit einer Silberklinge geköpft zu werden, bedeutete selbst für sie den endgültigen Tod.

Alessandro blieb vor Holly stehen, umfing ihr Gesicht mit beiden Händen und küsste sie. Die Energie zwischen ihnen flirrte auf, so dass sie weiche Knie bekam. Sollte die Dämonin doch warten! Sie wollte, musste in seinen Armen liegen. Im Aufenthaltsraum für Studenten müssten Sofas stehen. Oder sie suchten sich ein leeres Zimmer im Wohnheim. Oder eine Arbeitsnische.

Perry und Lor regten sich und machten der Umarmung mit verlegenem Räuspern ein Ende. Alessandro ließ Holly los und hob den Kopf, um im Wind zu schnuppern. Ein leerer Pappkaffeebecher trudelte den Weg hinunter, gejagt von einer Böe.

»Die Feen sind da.«

»Ich dachte, sie wären neutral«, sagte Perry.

»Sie wollen auch nicht kämpfen, aber sie sind bereit, die Menschen auf Abstand zu halten. Sie haben an der Nordseite Stellung bezogen«, erklärte Alessandro und wandte sich zu Lor. »Hunde patrouillieren die äußere Campusgrenze. Sie fangen die Menschen ab, die es an den Feen vorbeigeschafft haben, damit sie nicht in die Schlacht geraten. Notfalls jagen sie ihnen Angst ein. Die Werwölfe kämpfen mit den Vampiren zusammen. Omaras Truppen decken den Südteil ab, von ihr angeführt.«

»Wenn sie die Vampire anführt, was machst du dann?«, fragte Perry.

»Ich passe auf Holly auf. Sie ist unsere wichtigste magische Waffe. Ruf mich umgehend auf dem Handy an, sowie du hörst, dass Geneva sich irgendwo gezeigt hat!«

»Ich habe das Energienetz hier gefunden«, schaltete Holly sich ein. »Vielleicht können wir darüber schneller erfahren, wann sie sich nähert. Ich muss bloß auf Störungen achten. Bevor ein Portal aufgeht, gibt es einen Energiefunken. Und wenn wir den entdecken, wissen wir frühzeitig, wo sie auftaucht.«

»Woher wissen wir, dass sie selbst ein Portal öffnet?«, erkundigte Alessandro sich.

»Lor sagt, dass sie ihre Armee in der Burg versteckt.«

Interessiert sah Alessandro den Höllenhund an. »In der Burg? Kein Wunder, dass wir keine Fehlwandler aufspüren konnten!«

Perry klopfte Lor auf die Schulter. »Gehen wir!« Sie drehten sich um und liefen nach Norden.

Alessandro trat so dicht an Holly heran, dass sich beinahe ihre Ärmel streiften. Sie konnte die Spannung in der Luft fühlen, als würde sie das Gemisch aus Furcht und Aufregung berühren, das sämtliche Kreaturen hier erfüllte. Es erinnerte sie an die Stimmung in einem Stadion unmittelbar vor Spielbeginn.

»Wie ist es mit Omara gelaufen?«, wollte sie wissen.

»Ich bin nicht mehr ihr Diener. Mir reicht es, mich dauernd in ihren Lügen zu verfangen.« Er rückte seinen Waffengurt zurecht. »Wir sollten uns eine sichere Stelle suchen, von der aus du nach … nach was auch immer suchst.«

»Nein, sicher ist nicht gut. Ich sollte im Zentrum der Energie bleiben.«

»Okay, und wo wäre das?«

»Wir müssen ins Flanders-Haus zurück.«

Alessandro sah wenig begeistert aus.