20

D afür zahlt Macmillan!

Alessandro betätigte den Blinker. Er wollte Holly sicher nach Hause bringen, bei Omara Bericht erstatten und dann Macmillan den Kopf abreißen. Vielleicht änderte er bei den letzten beiden Programmpunkten die Reihenfolge. Diese Möglichkeit hielt er sich offen.

»Aber wieso sollte er so etwas machen?« Holly boxte gegen das Armaturenbrett.

Alessandro zuckte zusammen, denn ihm lag an seinem Wagen, und wer wusste schon, was eine wütende Hexe mit Oldtimer-Leder anstellen konnte? »Ich weiß es nicht. Irgendwie haben sich unsere Feinde Macmillan als Verbündeten gesichert.«

Holly wirkte völlig perplex. »Gestern Abend schien es ihm noch gut zu gehen.«

»Worüber habt ihr geredet, nachdem ich ging?«

Sie seufzte. »Ich erinnere mich nicht. Irgendwie hatte ich einen Blackout. Ich habe eine Menge Magie betrieben, das Haus gegen weitere Dämonen geschützt und so. Grandma meint, ich könnte in eine Art übersinnliche Zeitlücke geplumpst sein. Wie ich dir schon erzählt habe: Ich scheine zu Gedächtnisverlusten zu neigen.«

Alessandro runzelte die Stirn. Das ist gar nicht gut. »Du hast alles von gestern Abend vergessen? Hast du nicht gesagt, dass ihr gegessen und euch unterhalten habt?«

»Ja, na ja …« Holly drehte an ihrem Pferdeschwanz, als würde es ihre Hirnzellen stimulieren, wenn sie sich das Haar ausrupfte. »Ich erinnere mich an das Essen. Gutes Essen, aber so ziemlich alles andere, nachdem du verschwunden bist, ist einfach … weg.«

»Und du bist sicher, dass es bloß Stress ist?«

»Was soll es denn sonst sein? Jedenfalls denkt Grandma das.«

Hollys Großmutter irrte sich selten, deshalb entspannte Alessandro sich ein bisschen. »Und es kann nicht daran liegen, dass der Detective schlicht wahnsinnig langweilig war? Vielleicht gab es gar nichts, was erinnerungswürdig ist.«

»Ja, klar.« Wieder boxte Holly gegen das Armaturenbrett. »Was ist mit ihm passiert? Er kam mir wie ein netter, normaler Mann vor.«

Er hasste es, sie so durcheinander zu sehen. Was soll ich tun? »Überlass mir Macmillan! Ich finde heraus, was schiefgelaufen ist. Falls ihm geholfen werden kann, werde ich dafür sorgen, dass ihm geholfen wird.«

Holly sah ihn an. Unter den vorbeifliegenden Straßenlichtern war ihr Gesicht abwechselnd hell und dunkel. »Danke. Ich würde ihn wirklich ungern als Kollateralschaden hinnehmen müssen.«

»Du magst ihn.«

»Er ist ein anständiger Kerl. Ich bin sicher, dass es nett ist, mit ihm Zeit zu verbringen, auch wenn ich mich nicht erinnere.«

»Ein Abend mit mir wäre unvergesslich.« Alessandro ließ willentlich all die unausgesprochene Begierde in seine Worte einfließen, auf dass sie die Furcht und Unsicherheit wegspülten, die er in Hollys Stimme wahrnahm. »Du würdest mich nicht vergessen.«

Hollys Augen funkelten in der Dunkelheit, und dieser Blick spiegelte pures feminines Feuer. Was auch immer heute Nacht geschehen war, zwischen ihnen war noch manches unvollendet. Dürfen wir riskieren, es zu Ende zu bringen?

Alessandro bog in ihre Einfahrt ein. Die Straßenlaterne vor dem Grundstück leuchtete durch die fingrigen Zweige des Weißdorns. Kaum hatte er den Motor abgestellt, tobten die Gefühle in ihm. Hollys Geschmack war noch in seinem Mund, alles, was sie ausmachte, das Salzige wie das Süße.

Was er von ihrem Blut hatte kosten dürfen, war lediglich ein Appetitanreger gewesen, aber mehr hatte er nicht zu nehmen gewagt. Ihr absolutes Vertrauen war es, was sie gerettet hatte. Hätte sie sich nur ein einziges Mal gewehrt, wäre womöglich sein Instinkt mit ihm durchgegangen.

Sie vertraut mir. Allein dafür liebte er sie. Mit allem in ihm, dem Vampir wie dem Mann. Er würde in seinen endgültigen Tod gehen, freiwillig in die Hölle marschieren, wenn es nötig war, damit sie ihr Leben in Sicherheit verbringen konnte.

Diese Gedanken versetzten ihn für einen kurzen Moment in Panik. Nicht einmal Omara besaß eine solche Macht über seine Seele. Ich fürchte, ich stecke in Schwierigkeiten. Wie kann ich ein Herz verlieren, das kaum noch schlägt?

Holly lehnte sich über den Beifahrersitz, um nach ihrem Rucksack zu angeln, was zur Folge hatte, dass ihr Duft im Wageninnern flirrte und ihn unbarmherzig anlockte. »Kommst du mit rein?«, fragte sie, während sie schon die Tür öffnete und ausstieg.

Zuerst hockte Alessandro regungslos da, seine Hände um das Lenkrad geklammert. Er war erstarrt, gefangen in einer über ihn hereinbrechenden Woge aus Furcht und Verlangen. Er war ein Monster, und sie war verwundbar.

Ich liebe sie. Ich vergewissere mich, dass in ihrem Haus alles sicher ist, dann gehe ich. »Ja, natürlich. Ich weiß, dass du das Haus geschützt hast, aber ich möchte noch einmal alles überprüfen – nur sicherheitshalber.«

»Klar. Wäre ja blöd, wenn ich dich losjagen müsste, um noch mehr Mäusefallen zu besorgen.« Holly lief die Verandatreppe hinauf und schloss die Tür auf. In ihrem Ton schwang eine Flirtnote mit, die er unmöglich überhören konnte. Also folgte er ihr in Vampirgeschwindigkeit, was bedeutete, dass er sie sofort eingeholt hatte.

In dem Sekundenbruchteil, den er brauchte, um bei ihr zu sein, gestattete er sich, zu träumen. Was, wenn ich für einen winzigen Augenblick der Mann für sie sein könnte, nicht das Monster? Das kann doch nicht zu viel verlangt sein!

Er durfte nicht. Es gab zu viel zu tun. Er hatte Pflichten. Es gab Risiken.

Holly stellte das Dielenlicht an. »Komm rein!«

 

»Danke«, sagte Alessandro und zögerte nur einen winzigen Moment, ehe er ins Haus trat.

Holly beobachtete ihn, wie er dastand und jede Faser von ihm angespannt wirkte. Dann, nachdem er einmal kurz an sich herabgesehen hatte, streifte er die Reste seiner zerfetzten Jacke ab und ließ sie auf einen Stuhl fallen. Holly würde das gefranste Leder fehlen – vielmehr die Phantasiebilder, die es genährt hatte.

»Mach’s dir bequem!«, bot sie ihm an und ging voraus ins Wohnzimmer. Sie strengte sich an, möglichst normal zu klingen. »Möchtest du einen Tee?«

»Ja, gern.« Er klang ein klein wenig unsicher. Zwischen ihnen war etwas anders, aber keiner von beiden wusste, was es bedeutete.

»Bin gleich wieder da!«

Als sie sich umwandte, um in die Küche zu eilen, ging er zu ihrem CD-Regal und blätterte systematisch die Hüllen durch.

Ich habe einen Vampir von meinem Blut trinken lassen. Das sollte sie entsetzen, tat es aber nicht. Es war ein ganz und gar nicht beängstigendes Erlebnis gewesen. Stattdessen fühlte sie sich auf eine erstaunliche Weise leicht, kribbelnd vor gespannter Erwartung. Vielleicht lag sie vollkommen falsch, und es gab doch einen Weg, wie Alessandro und sie mehr als Geschäftspartner sein konnten.

Das Siederauschen im Wasserkocher wechselte zu einem grollenden Brodeln, so dass der Behälter auf dem windschiefen alten Herd leise klapperte. Holly löffelte »Lady Grey« in die Kanne, zitronig und beruhigend, und goss den Tee auf. Dampf schlängelte sich aus dem Schnabel nach oben, der Holly an einen Miniaturflaschengeist denken ließ.

Sie genoss diesen Moment des Innehaltens, in dem noch alles möglich war. Das Haus um sie herum fühlte sich versonnen ernst an, sein Bewusstsein nach innen gekehrt wie bei einer Katze, die am Ofen döste.

Das war vollkommener Friede. Ich bin hundemüde!

Holly brachte das Teetablett ins Wohnzimmer und stellte es auf den alten Walnuss-Bibliothekstisch unterm Fenster. Betont vorsichtig goss sie ihnen ein und reichte Alessandro seine Tasse. Er schnupperte an dem dampfenden Tee, wobei er die dünne Raku-Tasse mit beiden Händen hielt.

»Denkst du, dass wir hier heute Nacht sicher sind? Dass keine Fehlwandlerarmeen anrücken?«, fragte sie.

»Ich würde sagen, dass wir beide mit lästigen Besuchern fertig werden«, antwortete er achselzuckend und lächelte sogar ein kleines bisschen. Das netzgewebte T-Shirt brachte seine Brust und Arme sehr gut zur Geltung. Er besaß feste, praktische Muskeln, die typische Physiognomie vorindustrieller Zeiten, bei der schon ein Achselzucken richtig hübsch anzusehen war.

Holly setzte sich. Die Krise war vorbei und mit ihr jede Notwendigkeit, zu handeln. Ich bin soooo müde. Sie trank von ihrem Tee und fühlte, wie die Wärme köstlich ihre Kehle hinabfloss.

Dieser Augenblick der Entspannung war trügerisch. Genau wie nach dem Kampf mit dem Flanders-Haus forderte auch nun die Nachwirkung von Angst und Magie ihren Tribut. Zu spät erst fühlte Holly, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Hastig stellte sie ihre Tasse auf den Couchtisch und wischte sich mit dem Handrücken das Gesicht trocken.

Das ist ja lächerlich! Irgendwo hier musste eine Schachtel mit Papiertüchern stehen.

»Holly?«, fragte Alessandro unüberhörbar verwirrt und stand auf.

»Entschuldige!« Sie sprang auf, doch er hatte schon ihre Hand ergriffen. Zuerst schaffte sie es nicht, zu ihm aufzusehen, sondern starrte stattdessen Löcher in sein T-Shirt. Wo die Haut durch die groben Maschen schimmerte, schien sie elfenbeinweiß. Holly versuchte, sich behutsam von ihm abzuwenden, ohne dass die Geste ablehnend wirkte.

Doch Alessandro legte seine Hände auf ihre Schultern und hielt sie sanft, aber zugleich bestimmt fest. Wenn ein Vampir wollte, dass jemand blieb, blieb derjenige.

»Was ist?«

»Es war ein langer Tag«, entgegnete sie und blinzelte die Tränen aus ihren Augen. Zwar wurde der Tränenfluss langsamer, doch es blieb ein flaues Gefühl in Hollys Bauch. »Es ist nicht eine bestimmte Sache, sondern einfach alles. Mac. Der Dämon. Das College. Alles.«

»Wie kann ich es für dich erträglicher machen?«, erkundigte Alessandro sich, dessen Hände von ihren Schultern zu ihren Armen glitten.

»Es gibt nichts, was du tun kannst. Ich bin bloß müde.« Sie lehnte sich an ihn, so dass sie das Waffelmuster seines T-Shirts an ihrer Wange spürte. All die langen festen Muskeln befanden sich direkt unter ihren Fingern.

»Holly«, flüsterte er und streichelte ihr Haar. »Es tut mir leid. Ich wünschte, alles wäre einfacher.«

Eine ganze Weile blieb sie an ihn gelehnt und genoss es, ihn zu fühlen. Trotz der leisen Musik, die Alessandro angestellt hatte, hörte sie das einzelne Herzpochen. Sie hob einen Arm und ließ ihre Finger über Alessandros Bizeps tanzen. Die Enge in ihrer Brust löste sich, denn einzig durch die Nähe zu ihm schöpfte sie neue Kraft.

»Was sollen wir jetzt machen?«, wollte sie wissen.

»Wobei?« Er strich mit einem Finger über ihr Ohr.

»Bei Mac? Den Fehlwandlern? Was du über ihre Geschichte erzählt hast, klingt unglaublich.« Holly blickte zu ihm auf. »Übrigens hast du noch nie ein Wort über deine Geschichte verloren.«

Seine Mundwinkel zuckten. »Frage niemals einen Vampir, was er war!«

»Warum nicht?«

Alessandro schloss die Augen. Seine Wimpern waren hellbraun, lang und dicht genug, um jedes Titel-Model neidisch zu machen. »Viele möchten ungern daran erinnert werden.«

Zunächst war Holly wie erstarrt. Und weil ihr keine Erwiderung einfallen wollte, küsste sie ihn. Immer noch waren seine Augen geschlossen, aber sie fühlte, wie er auf die Berührung ihrer Lippen reagierte. Er hielt die Luft an, was gleichermaßen eine Geste des Selbstschutzes war wie auch unverhohlenes Verlangen signalisierte.

»Du weißt, dass ich keine kluge Wahl bin«, raunte er ihr zu.

»Warum nicht?«

Alessandro drückte sanft ihren Arm. »Die Antwort kennst du. Vampirismus bedeutet mehr als merkwürdige Essgewohnheiten.«

Holly wich ein wenig zurück, denn sie fühlte die übermenschliche Kraft seiner Hand. »Aber das ist nur eine Hälfte von dir …«

Nun öffnete er die Augen. »Diesen Fehler solltest du nie begehen. Man kann die eine nicht von der anderen trennen. Ich habe mich verloren, als Kalil mich nahm. Damals verließ ich deine Welt.«

»Kalil?«, fragte sie.

Alessandro sah sie an, und für einen Moment erblickte sie nichts als eine andere Seele. »Kalil«, wiederholte er bedeutungsvoll, obgleich ihm klar sein musste, dass der Name ihr nichts sagte. »Du willst wissen, wer ich war? Ich war ein Geschenk an ihn. Er machte mich zu dem, was ich bin. Er war mein Erzeuger.«

»Ein Geschenk?«

Er zögerte, bevor er nickte. »Es mag dir seltsam vorkommen, aber die totale Kontrolle über eine andere Person war zu meiner Zeit etwas Natürliches. Dich und mich trennen nicht bloß unsere Spezies, sondern auch Jahrhunderte anderer Kulturen und Bräuche. Die Welt, in die ich geboren wurde, unterschied sich sehr von deiner heutigen.«

Holly nahm stumm auf, was er erzählte.

Seinem Stirnrunzeln nach war er nicht sicher, wo er anfangen sollte. »Zu meiner Zeit als Mensch waren die Medici eine aufstrebende Bankiersfamilie, die es auf politische Macht in Florenz abgesehen hatte. Sie besaßen mehr Geld, als man sich vorstellen konnte. Ich arbeitete als Hausdiener bei ihnen, als einer ihrer vielen Musiker. Folglich gehörte ich ihnen, und sie konnten mit mir tun, was immer sie wollten.«

Holly versuchte, sich Leute vorzustellen, die einen Menschen wie eine Kiste Bier weggaben. »Wussten sie, dass Kalil ein Vampir war?« Ahnten sie, dass er dich aussaugen wollte?

»Ja. Er war ein hochgeachteter Gast in ihrem Haus«, antwortete Alessandro. »Deshalb musste ihr Geschenk etwas Besonderes sein. Sie wollten ihn beeindrucken, denn er genoss großen Einfluss bei den orientalischen Händlern.«

»Und da haben sie dich an ihn verschenkt?«

»Sie haben ihm viele Geschenke gemacht. Ich war nur eines, eine Kuriosität, wie ein exotisches Haustier. Die Leute aus meinem Dorf stammten von den nordischen Horden ab, den großen germanischen Kriegern, die Rom Jahrhunderte zuvor in die Knie gezwungen hatten. Wir fielen durch unser Aussehen auf, weil wir hellhaarig und groß waren, anders eben. Außerdem spielte ich mehrere Instrumente, und ich sang in sieben Sprachen. All das qualifizierte mich zur exquisiten Gabe, ungefähr so wie ein gutes Pferd.«

Okay, kein Mann statt einer Kiste Bier, sondern ein Mann als Entertainmentcenter. Dennoch war die Situation, die er schilderte, befremdlich. Holly suchte nach etwas, zu dem sie einen Bezug herstellen konnte. »Ich habe dich bei einem Konzert getroffen.«

»Ja, ich höre immer noch gern Musik, und ich spiele auch nach wie vor. Das wenigstens konnte Kalil mir nicht nehmen.«

»Hatte er beschlossen, dass du ihm als Geschenk erhalten bleiben solltest? Für immer?«

Alessandro lächelte verbittert. »Oder er wollte meine äußeren Werte konservieren, so wie man es bei einer Blume tut, indem man sie in Wachs taucht.«

»Deine äußeren Werte?«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich war hübsch und gab angenehme Laute von mir. Wie ein Krieger zu kämpfen lernte ich erst nach meiner Wandlung. Vorher konnte ich dem Kampf nie etwas abgewinnen. Erst Kalils Fluch weckte mein Interesse für das Schwert.«

»Was ist mit ihm geschehen?«

Ein Schatten legte sich über Alessandros Züge. »Menschliche Jäger töteten ihn. Sie kamen bei Tage, während mein Clan schlief, und brachten alle um. Ich überlebte durch puren Zufall, weil ich gerade fort war, um ein Pferd zu kaufen.«

»Der Göttin sei Dank!«, murmelte Holly.

»Dank lieber dem streitsüchtigen und halsstarrigen Pferdehändler. Jetzt weißt du alles, was es über mich zu wissen gibt«, sagte er und strich mit seinem Handrücken über ihre Wange. »Es geschah nichts Gutes oder Angenehmes mehr bis zu dem Abend, als ich dir begegnete.«

»Ich glaube, dass du die Geschichte frisierst, damit sie zu diesem Moment passt.«

Sein Lächeln drückte weder Leugnung noch Bestätigung aus, und sein Blick war ein bisschen zu prüfend. »Ich erinnere mich an jenes Coffeehouse-Konzert. Du kamst zu mir und gabst mir eine Liste, wer in diesem Monat dort spielen würde.«

»Ja, weil du ausgesehen hast, als würde dir die Musik gefallen.«

»Trotzdem kommen solche Gesten selten vor, solche selbstverständliche Freundlichkeit gegenüber jemandem meiner Spezies. Und das aus gutem Grund.«

Holly bemühte sich, ihm zu folgen, konnte es aber nicht, denn seine goldgesprenkelten Augen nahmen sie vollständig gefangen.

Derweil wurde seine Stimme zu einem Flüstern. »Du hast mich angesehen und auf das reagiert, was dort war, genau wie ich. Alle anderen in dem Raum sahen einen Jäger, eine Gefahr, du hingegen sahst mich.«

Während er weiter ihr Gesicht streichelte, wartete Holly stumm ab, denn sie wollte gar nichts anderes als diese Berührung. Was gesprochen wurde, war nebensächlich.

»Holly, du verdienst dasselbe. Du verdienst einen Mann, der dich ansieht, dein Haus und deine Arbeit und alles davon bewundert. Ben konnte dich nie so sehen, sonst hätte er dir längst sein Herz zu Füßen gelegt.«

Oh. Ein leiser Stich regte sich in Hollys Herz, und sie fühlte zugleich, wie ihr Blut zu Alessandros Hand strebte. Oh. »Alessandro …«

»Ja?«

»Können wir zusammen sein, ohne dass alles schiefgeht? Nur ein Mal?«

Holly war nicht sicher, was sie erwartet hatte, das er tat oder sagte. Er war vollkommen still, so regungslos, wie es nur ein Untoter sein konnte. Dann zog er sie näher zu sich, so dass sie fest an ihn geschmiegt war.

»Ein Mal«, raunte er fast wie ein Gebet, als würde er seine Seele für diese eine Chance hergeben.

Als seine Lippen sich auf ihre legten, lief ihr ein wohliges Kribbeln hinten die Beine hinunter. Sie ließ ihre Hände über seine lederverhüllten Schenkel wandern und wickelte ein paar der Fransen mit ihren Fingern auf. Auf diese Weise holte sie ihn noch dichter zu sich und drückte zugleich ihren Oberkörper gegen seinen.

Ungeduldig küsste sie ihn, wobei sie seine Zähne an ihrer Zunge fühlte. Holly malte sich aus, den Druck dieser Zähne auf ihrer Haut zu spüren, und erbebte. Sie stellte Alessandros Selbstbeherrschung auf eine gefährliche Probe, doch ihr fehlte die Kraft, dieser Versuchung zu widerstehen. »Das wollte ich schon, seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe«, hauchte sie.

»Wo ist dein Bett?« Es war keine Frage, sondern eher ein Befehl, rauh und tief.

Als er sie hochhob, hielt sie sich an seinen Schultern fest. Das elektrische Knistern zwischen ihnen summte in ihren Bauch, ihre Wirbelsäule hinauf und kribbelnd bis in ihre Fingerspitzen. Eine matte Röte trat auf Alessandros Wangen. Ja, er spürte es genauso deutlich wie sie.

»Oben«, antwortete sie, obwohl ihr schleierhaft war, wie sie überhaupt einen Mucks herausbrachte.

Mühelos eilte er die dunkle Treppe hinauf und stieß die halboffene Tür zu ihrem Schlafzimmer seitlich auf. Drinnen benutzte Holly ihre Magie, um die Kerze auf ihrem Nachttisch anzuzünden. Sie musste die rohe Zärtlichkeit in seinem Gesicht sehen, damit sie sich dieses Bild für immer einprägen konnte.

Wie ein Juwelier, der sein kostbarstes Stück ausbreitete, legte Alessandro sie auf ihr Bett, setzte sich neben sie und strich ihr das lange dunkle Haar aus der Stirn.

»Ich liebe dich«, sagte er. »Vergiss das nie!«

Seine Worte hatten etwas Befreiendes, gaben sie ihr doch eine Gewissheit, die sie sich gar nicht zu ersehnen getraut hatte. Holly streichelte ihm über den Mund. Ihr eigener war ausgetrocknet vor Verlangen. »Mein Gedächtnis ist weniger löchrig, als es bisweilen scheinen mag.«

Wortlos streifte er sich das T-Shirt über den Kopf, so dass seine muskulöse Brust und der feste Bauch entblößt waren.

»Und das vergesse ich ganz sicher nicht«, fügte sie hinzu.

Tatsächlich entlockte sie ihm ein überraschtes Lachen. Dann streckte sie beide Arme aus, und endlich sank Alessandro neben sie. Seine Haut war kühl und glatt wie Seide.

»Ich muss dich fühlen«, sagte er und tauchte mit seinen Händen unter ihren Pullover.

Er wurde spürbar wärmer, und sein Herz schlug langsam, unregelmäßig. Es ist, als würde er durch diesen Akt wieder zum Leben erweckt. Durch mich. Als wäre ich eine Göttin.

Ihr Pullover verschwand, danach der Rest ihrer Kleidung. Holly vergrub ihre Finger in seinem dichten Haar und schlang ihre Beine um seinen strammen langen Leib. Er bestand aus nichts als Sehnen, Muskeln und elfenbeinheller Vollkommenheit. Zudem war er beeindruckend männlich, lang und dick genug, dass ihr Bauch sich lustvoll, allerdings auch mit einem Quentchen Furcht, zusammenzog. Kein Wunder, dass Kalil und dessen Clan Alessandro für die Ewigkeit erhalten wollten!

Heftige Küsse machten ihre Lippen heiß und wund. Seine Leidenschaft unterlag einer ganz eigenen Dynamik, trieb ihn so sehr an, dass seine Hände zitterten und er sie in die Bettdecken krallte. Die Muskeln in seinem Nacken und an seinen Oberarmen waren straff gespannt. Er beherrscht sich.

Das war falsch. Sie wollte nicht, dass er sich zurücknahm. Er sollte sich genauso frei fühlen wie sie. Holly begann, ihn fester zu streicheln, ertastete die Stellen, an denen sie ihm die größte Wonne bereiten konnte, doch er fing ihre Hände ab. »Nein, ich wage es nicht. Lass mich dich verwöhnen! Auf diese Art ist es sehr viel sicherer.«

»Aber …«

Sein Gesicht war sehr ernst. »Vertrau mir! Lass mich! Ich weiß, wohin ich in diesem Tanz führe.«

Zwar gestattete Holly ihm, ihre Arme festzuhalten und die Kontrolle zu übernehmen, kam sich jedoch irgendwie betrogen vor.

Was sich bald änderte. Alessandro kostete sie von den Ohrläppchen bis zum Schlüsselbein, umrundete ihre Brustspitzen und schabte nur ganz hauchzart mit seinen Zähnen über die Haut. Es war ein gefährliches Necken, aber herrlich prickelnd.

Holly wand und rekelte sich unter ihm, während ihr beständig heißer wurde. Bis seine Lippen ihren Bauch erreichten, konnte sie es kaum mehr abwarten, auf direkte Weise befriedigt zu werden. Sie fand, dass seine eindrucksvolle Erektion allmählich zum Einsatz kommen sollte. Aber natürlich hatte er andere Pläne. Unsterblichen blieb nun einmal die Ewigkeit, um die Freuden der verlängerten Spannung zu erproben.

Oder er klammerte sich schlicht an den Rest Vernunft, der ihm blieb. Als er sie ansah, loderte blankes Verlangen in seinen Augen. Holly hielt den Atem an, halb ängstlich, halb vor Erregung. Der Jäger in Alessandro lauerte direkt unter der Oberfläche, geweckt von fleischlicher Lust.

Sein Blick allein hätte Holly schon zum Orgasmus bringen können, wäre Alessandros Kontrolle weniger stark gewesen.

Mit federleichten Küssen, bei denen sein Haar sie streichelte, bewegte er sich tiefer. Er dirigierte seine Zärtlichkeiten mit verblüffender Präzision, sparte indessen ihre empfindlichsten Stellen aus. Das war Holly sehr recht, denn er entdeckte erogene Zonen an ihrem Körper, von deren Existenz sie nie etwas geahnt hatte: ihre Rippen, ihre Hüfte, die Innenseite ihres Handgelenks, wo sich ein bläuliches Adergeflecht durch die dünne Haut abzeichnete.

Er schwitzte und zitterte, stellte sie fest.

»Geht es dir gut?«, fragte Holly.

Seine Augen waren halb zugekniffen. »Sprich jetzt nicht!«, murmelte er. »Wenn du mich wirklich liebst, lenk mich bitte nicht ab!«

Mit unmenschlicher Kraft drückte er sie einhändig nach unten und bedeckte jenen Punkt an ihrem Innenschenkel mit dem Mund, unter dem ihre Beinarterie pulsierte. Holly erschauderte, kalt, heiß und fiebernd vor Erregung. Sie konnte seine Zähne auf ihrer Haut spüren, intim und tödlich. Ihr Körper wollte sich ihm entgegenrecken, aber Holly wagte nicht einmal zu atmen. Sie fühlte den Druck des kantigen Kinns und ihren Puls, der ihm entgegenpochte.

Bei jedem Herzschlag kitzelte ihre Haut.

Er würde sie beißen, auch wenn er mit aller Macht darum kämpfte, es nicht zu tun.

Dieses Gefühl, so nahe an ihrer Scham, war erotisch und beängstigend. Ihr Pulsschlag wurde intensiver, drängender, so dass das Rauschen sie vollständig auszufüllen schien.

Alessandro glitt mit einer Hand höher an ihrem Schenkel hinauf und drückte sich fester an sie. Ihr Leben hing ganz davon ab, wie gut er sich beherrschen konnte, hin- und hergerissen zwischen Vernunft und Appetit. Und seltsamerweise machte Hollys Angst diesen Moment besonders köstlich. Das Universum schrumpfte zusammen auf ihren Herzschlag und den Moment, in dem er sich dieses Pulsieren nahm.

Holly stand unmittelbar vor dem Orgasmus, hilflos, verzweifelt vor Verlangen.

Alessandro ließ von ihr ab wie ein Schwimmer, der auftauchte und nach Luft schnappte. Dann küsste er ihre geschwollenen Schamlippen und beförderte sie aus ihrer Trance in einen solch überwältigenden Orgasmus, dass sie sein Haar packte, ihn zu sich hinaufzog und auf den Mund küsste. Die schiere Intensität dieses Liebesaktes hatte ihr sämtliche Willenskraft geraubt.

Stöhnend gab Alessandro ihr nach, drang in sie ein und vollführte harte, ungeduldige Stöße. Holly war feucht und mehr als bereit für ihn.

Als er kam, zerrissen seine Hände die Decken wie dünnes Papier.