19. KAPITEL

Priscilla Jayne lässt ihr Publikum in

ausverkauften Konzerten nach Zugaben rufen

Denver Post

u pfeifst ja schon wieder.“ P.J. sah zu Nell hinüber, die mit ihr gemeinsam nach dem Konzert in Fort Collins die Garderobe leer räumte. „In letzter Zeit pfeifst du auffallend oft. Ist das ein neuer Song?“

„Mhmm.“ Nell wurde rot.

P.J., die gerade den Stern aus Silberfolie von der Tür abnahm, hielt inne und starrte ihre Freundin an. „O mein Gott!“ Sie klemmte sich den Stern unter den Arm, kam zurück in die Garderobe und schloss die Tür mit dem Fuß. „Neil Husner! Fiedelst du etwa mit meinem Fiedler?“ Sie sah Nell neugierig an. „Du und Hank, ihr habt es getan, stimmt’s?“

Nun wurde Nell tiefrot, konterte aber mit fester Stimme: „Du und Jared aber auch, oder nicht?“

Sorgsam verstaute P.J. den glänzenden Stern, den Hank ihr zu Ehren ihres ersten Plattenvertrags gebastelt hatte, in der Kiste, die alles enthielt, womit sie jede ihrer Garderoben ausstattete. Dann sah sie ihre Freundin an. Und grinste. „Ja, haben wir. Und wieder und wieder und wieder. Und ich muss gestehen, es war so … mein Gott, es war einfach …“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich kann es gar nicht in Worte fassen. Wahrscheinlich ist es armselig, wenn ich das in meinem Alter sage, aber ich hatte keine Ahnung, dass es so sein kann.“

Na gut – dass Jared jedes Mal darauf bestand, sich bis zur letzten Sekunde zurückzuhalten, machte es vielleicht nicht ganz perfekt. Aber sie hoffte sehr, dass er sich bald etwas mehr gehen lassen und ihr mehr Möglichkeiten zur Revanche gewähren würde.

Nell grinste zurück. „Ich hatte ja auch schon ein paar gute Liebhaber, aber Hank …“ Ihre Augen nahmen einen verträumten Ausdruck an. „Er ist einfach eine Klasse für sich. Dieser Mann verwöhnt mich so, dass ich schon eine Zigarette brauche, wenn ich nur darüber rede.“

„Und dabei rauchst du noch nicht einmal.“

„Ich weiß.“ Sie lächelte geheimnisvoll. „Was eindeutig beweist, wie gut er ist.“

„Was unseren Stalker betrifft, bin ich tatsächlich einen großen Schritt weitergekommen“, verkündete Jared und sammelte die fertigen Seiten aus dem Drucker. Alle sahen ihn erwartungsvoll an.

Die letzten Tage hatte er unermüdlich an seinem Projekt gearbeitet und zwischen seinen regulären Pflichten jede freie Minute darauf verwandt. Die Informationen, die er heute erhalten hatte, waren nun schließlich der Lohn für all diese Mühe. „Will irgendjemand ein Foto von dem Typen sehen?“

„Ja!“ Alle außer Eddie, der wieder einmal nicht da war, versammelten sich um den Tisch. Jared gab P.J. das erste Foto, ein Schwarz-Weiß-Bild, das er von der Wach- und Schließgesellschaft erhalten hatte, für die dieser Menks arbeitete. „Die Qualität ist nicht die beste“, warnte er, „aber es ist ein Anfang.“ Er blickte von P.J. zu Marvin, der ihr über die Schulter sah. „Er sieht Ihrem Phantombild sehr ähnlich, aber Sie sind der Einzige, der ihm von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden hat. Was meinen Sie? Ist das der Kerl, der das Paket geliefert hat?“

Marvin studierte das Bild, dann nickte er. „Ja, Sir. Wie Sie schon sagten, ist es kein besonders deutliches Foto. Aber ich erinnere mich genau an die Konturen seiner Ohren.“

„Gut. Von nun an werden Kopien dieses Fotos an den Sicherheitsdienst an jedem Veranstaltungsort ausgegeben. Ich werde auf die Ohren hinweisen. Wenn es ein Detail gibt, auf das man achten kann, steigen die Erfolgschancen. Bestenfalls können wir Menks der Polizei übergeben. Für den Anfang wäre es allerdings schon gut, wenn wir ihn einfach von den Konzerten fernhalten könnten.“

Der nächste Punkt seiner Aufzeichnungen veranlasste ihn zu besonderer Zufriedenheit. „Und es gibt einen weiteren Durchbruch. Menks hat eine Tochter namens Mary, die in Amarillo lebt. Ich werde mich auf unserem Weg nach Lubbock dort absetzen lassen, einen Wagen mieten und euch so schnell wie möglich wieder einholen.“ Er sah zu P.J. „Denk nicht, dass ich dich deshalb vernachlässige“, meinte er. „Ich werde John anrufen und ihn bitten, solange für mich einzuspringen.“

„Das brauchst du nicht“, erwiderte sie. „Ich komme nämlich mit dir.“

Jared schwieg einen Moment, dann setzte er einen Gesichtsausdruck auf, der sagen sollte: Vertrau mir. „Das ist wirklich nicht nötig.“

„Das ist es sehr wohl! Schließlich geht es hier um mein Leben. Wenn die Tochter irgendetwas Interessantes zu sagen hat, will ich es sofort hören und nicht erst später in einem trockenen Bericht lesen.“

Verdammt. Er hatte es immer noch nicht geschafft, das Gespräch mit ihr zu führen. Jeden Morgen wachte er mit dem Entschluss auf, es heute zu tun.

Aber immer wieder kamen ihm irgendwelche Sachen dazwischen. Er hatte sich darauf gefreut, bei seinem kurzen Zwischenstopp in Amarillo allein zu sein, um sich von seiner ständigen Zerrissenheit zwischen dem, was er hinsichtlich ihrer Beziehung tun sollte, und dem, was er tatsächlich tat, zu erholen. Und Letzteres war zugegebenermaßen nicht viel.

Nun ja, man bekommt eben nicht immer das, was man will, und er wusste, dass sie tatsächlich jedes Recht darauf hatte, bei seinem Gespräch mit Menks’ Tochter dabei zu sein. „Okay. Ich war mir erst nicht sicher, ob ich dort unangekündigt auftauchen oder eine Zeit ausmachen soll, aber wahrscheinlich ist es besser, sich zu verabreden. Dann sind wir auf jeden Fall rechtzeitig zum Konzert wieder in Lubbock.“

Sechsundzwanzig Stunden später standen sie in Amarillo, Texas, vor einem Autoverleih. P.J. sah ihrem Tourbus hinterher, der Richtung Lubbock weiterfuhr.

Auf dem Weg in die Stadt waren sie vorhin durch einen Stadtteil mit großen Häusern und üppigen Rasenflächen gekommen. Mit dem Mietwagen fuhren sie nun durch ein weniger pompöses, aber immer noch sehr ansehnliches Viertel.

Doch je weiter sie sich vom Zentrum entfernten, desto armseliger und heruntergekommener wurde die Gegend, bis sie schließlich den Orten ähnelte, in denen P.J. aufgewachsen war. Irgendwann bogen sie von der asphaltierten Straße auf einen von verkrüppelten Pappeln gesäumten Schotterweg ab. Als Jared vor drei Wohnwagen stehen blieb, die aussahen, als wären sie seit Carters Präsidentschaft nicht mehr gewartet worden, fühlte P.J. sich plötzlich in ihre Zeit als Dreizehnjährige … Fünfzehnjährige … Achtzehnjährige zurückversetzt.

Sie atmete tief durch und riss sich zusammen. So sah ihr Leben nicht mehr aus; sie hatte die Trostlosigkeit solcher Wohnwagenparks hinter sich gelassen und würde nie mehr dorthin zurückgehen. Sie straffte die Schultern und stieg aus.

Der Prospekt einer Supermarktkette wirbelte über den heißen, schmutzigen Parkplatz, als sie und Jared die klapprigen Stufen des mittleren Wohnwagens hinaufstiegen. Während Jared an die Tür klopfte, betrachtete P.J. noch einmal die staubigen Pappeln, die das einzige Grün in dieser eintönigen, graubraunen Landschaft zeigten.

Die Tür wurde geöffnet, und sie standen einer Frau gegenüber, die ungefähr in ihrem Alter war. Die gleißende Sonne beleuchtete ihr rot gefärbtes Haar, ihre vermutlich mit Silikon vergrößerten Brüste unter einem engen Trägerhemd sowie die kleine Tätowierung eines lachenden Teufels an ihrem rechten Knöchel. Ohne P.J. eines Blickes zu würdigen, starrte sie Jared an. „Sind Sie Hamilton?“

„Ja, und das hier ist Priscilla Jayne. Danke, dass wir vorbeikommen durften.“

Achselzuckend trat die Frau beiseite und winkte die beiden herein. „Ich weiß nicht, was Sie erwarten. Ich hab meinen Alten seit über zehn Jahren nicht mehr gesehen.“

Das Innere des Wohnwagens roch nach Zigarettenqualm, der sich in der Verkleidung aus Holzimitat festgesetzt hatte.

Allerdings war er mit hellen, gold- und beigefarben gepolsterten Möbeln, hübschen Lampen und Kissen eingerichtet. Es sah vielleicht ein wenig kitschig aus, zeigte aber weitaus mehr liebevolle Ausstattung als jeder Wohnwagen, in dem P.J. gehaust hatte.

Mary bemerkte, dass P.J. sich neugierig umsah, und starrte sie feindselig an. „Wahrscheinlich halten Sie das hier für ’ne Müllhalde.“

„Nein. In genau solchen Wohnwagen bin ich aufgewachsen, und ich dachte mir gerade, wie schön Sie das alles eingerichtet haben.“

„Ach ja? Na, dann … danke schön.“ Nun wirkte Mary schon freundlicher. „Der Club zahlt ganz gut. Ich spare mein Trinkgeld für ’ne richtige Wohnung, vielleicht sogar für ein Reihenhaus.“

„In welchem Club arbeiten Sie?“, erkundigte sich Jared. „Vielleicht können wir ihn noch besuchen, bevor wir die Stadt verlassen.“

„Ich glaub nicht, dass das Ihr Ding ist – das ist ein Herrenclub.“ Sie schien darauf zu warten, dass er etwas Abfälliges sagte.

„Na, dann vielleicht nicht“, meinte Jared freundlich. „Gefällt Ihnen die Arbeit dort?“

Sie zuckte mit den Schultern. „Das ist schon okay. Vor ein paar Jahren hab ich meinen Highschool-Abschluss an der Abendschule nachgeholt, aber damit hab ich bisher auch keinen Job kriegen können, der besser bezahlt ist als meiner. Und Sie sind Countrysängerin?“

Sie wandte sich wieder an P.J. „Ich habe nämlich keine Ahnung von Countrymusic. Die hat nur mein Alter immer gehört.“

„Ja, das bin ich“, antwortete sie lächelnd. „Wenn ich es recht verstehe, kamen Sie mit Ihrem Vater nicht besonders gut aus.“

Mary schnaubte verächtlich, zündete eine Zigarette an, ließ sich in einen Sessel fallen und bedeutete den beiden mit Gesten, sich auf das Sofa gegenüber zu setzen. „Das können Sie laut sagen.“

„Damit kenne ich mich auch aus“, erwiderte P.J. mitfühlend. „Nur bei mir war es meine Mutter.“

„Meine Mutter war toll – bis zu dem Tag, wo der Alte sie mit seinen ständigen Moralpredigten und diesem Sauberkeitswahn endgültig verscheucht hat. Er wollte ihr immer genau vorschreiben, was sie tun und was sie lassen sollte. Na ja, irgendwann hatte sie die Nase voll, schätze ich, und ist mit ’nem anderen Mann abgehauen. Und an dem Tag hat mein Alter gesagt, dass sie für uns gestorben ist, und hat mich sie nicht mehr sehen lassen.“ Sie sog heftig an der Zigarette. „Das werde ich ihm nie verzeihen, und auch nicht, dass sie schon zwei Jahre tot war, als ich endlich die Kurve kriegte und abhaute. Dieser Mistkerl wusste das, aber er hat es mir nicht gesagt. Bis ich an dem Tag, als ich wegwollte, nach ihrer Adresse gefragt hab.“ Ihre Augen funkelten wütend. „Und es ist mir egal, was sonst jemand sagt, aber sie ist bestimmt nicht in der Hölle.“

„Natürlich nicht“, sagte P.J., der allmählich übel wurde. „Wenn jemand in die Hölle kommt, dann einer, der einem Kind so etwas einreden will.“

„Verdammter Dreckskerl.“ Mary stieß den Rauch durch ihre Nase aus. „Wollen Sie ein Wasser oder so was?“

„Gern. Das wäre nett.“

Als Mary in die Küchenecke ging, legte Jared eine Hand auf P.J.s Knie. „Gut, dass du mitgekommen bist.“

„Ja, obwohl sie in einer Bar arbeitet und die Sache dort gut im Griff zu haben scheint, stehen Männer auf ihrer Beliebtheitsliste offenbar nicht an erster Stelle.“ Sie konnte die Nervosität in ihrer Stimme nicht verbergen, als sie leicht heiser hinzufügte: „Dieser Menks scheint schon eine ganze Weile eine Schraube locker zu haben.“

Er nickte und streichelte beruhigend ihr Knie, bevor Mary mit drei Dosen Cola zurückkehrte. Jared nahm seine dankend entgegen, öffnete sie, trank einen Schluck und fragte: „Mary, glauben Sie, dass ihr Vater jemandem auch körperlichen Schaden zufügen könnte?“

Sie hielt mit ihrer Dose auf halbem Weg zum Mund inne. „Ich … ach, Gott, ich weiß echt nicht. Ich hab noch nie gesehen, dass er was Schlimmes gemacht hat, aber er hat sicher nicht alle Tassen im Schrank. Wenn wir früher in der Kirche waren, hab ich auch die andern Eltern beobachtet, und keiner war so fanatisch wie mein Alter. Und, wie ich schon sagte, es ist lange her, dass ich ihn gesehen habe. Warum? Hat er was angestellt?“

„Er hat mir ein Foto aus einer Zeitschrift geschickt, auf dem er meine Augen herausgeschnitten hatte“, sagte P.J. „Und dann hat er in meinen Tourbus eine Kornnatter für mich abgegeben.“

„Eine Schlange?“ Mary starrte sie entsetzt an. „Warum?“

„Anscheinend findet er, dass ich meine Mutter nicht genug ehre.“

„Ach du Schande.“ Marys Blick wurde hart. „Ja, das klingt wirklich nach ihm. Dieses Zeug mit Vater und Mutter ehren‘ hat er mir auch dauernd unter die Nase gerieben. Eine Schlange!“ Sie schüttelte sich. „Das ist ja echt abgefahren.“

„Wie es aussieht, verfolgt er sie auch“, fügte Jared hinzu.

„Sie meinen, er hat tatsächlich Iowa verlassen?“

„Ja.“ Jared berichtete kurz von dem Mann, der die Schlange abgegeben hatte, und zeigte ihr das ausgedruckte Schwarz-Weiß-Foto.

„Ja, das ist er. Was für eine Geschichte! Anscheinend ist er jetzt völlig ausgetickt.“

Es wurde Zeit, sich zu verabschieden. P.J. schüttelte Mary die Hand. „Ich weiß ja, dass Sie für Countrymusic nicht viel übrig haben, und vermutlich werden Sie heute Abend auch arbeiten“, sagte sie. „Aber ich trete nachher in Lubbock in der Stadthalle auf und würde Sie gern dorthin einladen.“

„Ach, ich weiß nicht.“ Mary trat von einem Fuß auf den anderen. „Ich hab heut Abend sogar frei, aber das ist echt nicht so mein Ding.“

P.J. lächelte schief. „Glauben Sie mir, wenn jemand versteht, warum Sie nichts mit dem zu tun haben wollen, was Ihrem Vater gefällt, dann ich. Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag: Ich hinterlege einfach zwei Tickets unter Ihrem Namen an der Abendkasse, und wenn Sie dann doch kommen wollen – prima. Wenn nicht, ist es auch okay.“

Als sie kurze Zeit später wieder unterwegs waren, meinte P.J. zu Jared: „Abgesehen von einer Bestätigung, dass dieser Menks genau so durchgeknallt ist, wie wir befürchtet hatten, war der Besuch ja nicht besonders erfolgreich.“

„Ich schätze, da hast du recht.“ Er sah sie bedauernd an. „Aber ich nehme mir lieber die Zeit, jeden noch so kleinen Hinweis zu überprüfen, als dass ich mir später vorwerfen muss, irgendetwas Wichtiges übersehen zu haben. Schließlich geht es um deine Sicherheit.“

Die Sonne war bereits untergegangen und ein feiner, sichelförmiger Streifen des Mondes schimmerte am Himmel, als Luther Menks inmitten der Menge von Konzertgängern krampfhaft versuchte, mit niemandem in Körperkontakt zu geraten – ein Vorhaben, das angesichts der vorwärts drängelnden und schiebenden Menge vor den Eingängen der Lubbocker Stadthalle nur scheitern konnte. Schaudernd nahm er all die verhassten, nach Schweiß und Parfüm stinkenden schmutzigen Menschen wahr. Doch er riss sich zusammen. Denn schon bald würde er von einem nummerierten Sitzplatz aus ohne weiteres Gedränge Priscilla Jaynes Auftritt erleben können.

Heute war bestimmt die Nacht, in der sie ihre Sünden bereute. Die Schwarzmarkt-Tickets der letzten drei Vorstellungen waren viel zu teuer für ihn gewesen, sodass er die Auswirkung seiner Lektion nicht hatte verfolgen können. Seither hatte sie jedoch viel Zeit gehabt, über ihr Verhalten nachzudenken und es wieder in die rechten Bahnen christlicher Moral zu lenken. Zumindest hoffte er das.

Denn nur dann könnte er ihr ihre Sünden vergeben.

Er war noch immer gute zehn Meter vom Kartenkontrolleur am Drehkreuz entfernt, als er lautstarke Unmutsbekundungen der umstehenden Leute wahrnahm.

„Was, zum Teufel, hält die da nur so lange auf?“, rief einer der Jugendlichen, die gegen seine Hacken traten.

„So langsam ging das hier noch nie“, sagte eine Frau mit Rüschenbluse zu einem Mädchen mit Minirock und Cowboyhut.

„Was ist da los? Suchen die etwa jemanden?“, wollte ein aggressiv aussehender Typ mit Ohrring und Stirnband wissen.

Bei dieser letzten Frage stellten sich Luther Menks automatisch die Nackenhaare auf. Suchten sie tatsächlich nach jemandem?

Suchten sie etwa nach ihm?

Besser nicht.

Denn das würde bedeuten, dass Priscilla Jayne ihre moralisch verwerflichen Taten in keiner Weise bereute. Allein der Gedanke rief eine solche Wut in ihm hervor, dass er kaum an sich halten konnte. Wie ein Schwärm Bienen begann es in seinen Nerven zu sirren und zu summen.

Aber das waren voreilige Schlüsse. Er atmete tief aus, ballte seine freie Hand zur Faust und entspannte sie wieder, um seine Anspannung zu lösen. Nein, hier ging ganz sicher seine Fantasie mit ihm durch. Es gab keinen vernünftigen Grund, anzunehmen, dass die Ordner an den Eingängen irgendjemanden suchten – und dass es sich, selbst wenn sie es täten, dabei um ihn handelte. Allmählich verebbte sein Zorn wieder.

Während er auf den Eingang zusteuerte, beobachtete er den Kontrolleur. Als er nur noch wenige Meter von ihm entfernt war, sah er, wie dieser Mann auf die Gruppe der schreienden Jugendlichen hinter ihm blickte. Plötzlich schien er ihm direkt ins Gesicht zu sehen und riss die Augen weit auf. Dann wandte er sich sofort einem anderen in der Reihe zu, aber Menks war selbst schon lange genug im selben Geschäft tätig, um zu wissen, dass er entdeckt worden war.

Und das war nur möglich, wenn Priscilla Jayne so weit von der Erlösung entfernt war, dass sie die helfende Hand nicht wahrnahm, die er ihr hingestreckt hatte.

Er unterdrückte seine erneut aufkeimende Wut und trat automatisch aus der Warteschlange. Er fuhr herum und kämpfte sich durch die entgegenkommende Menge wie ein Lachs, der stromaufwärts schwamm.

Bei einem Blick über die Schulter sah er, wie der Kontrolleur einem anderen zuwinkte, um seinen Platz einzunehmen, während er über die Absperrung sprang und ihm nacheilte. Ohne den Protest der Leute zu beachten, die er zur Seite drängte, wand Luther Menks sich im Zickzack durch die Menge, schob und schubste, duckte sich, so gut er konnte, und betete zu seinem Schöpfer, dass der Sicherheitsmann ihn nicht entdeckte.

Schließlich hatte er es geschafft. Er schüttelte sich heftig, klopfte und wischte sich ab, um den bakterienverseuchten Schmutz der Menschen von Händen, Armen und Haaren zu entfernen. Dann zwang er sich, damit aufzuhören, weil er wusste, dass er ohne den Schutz der Menschenmenge viel zu sehr auffiel und dass ihm keine Zeit mehr blieb. Vorsichtig schlängelte er sich zwischen den nicht ganz so dicht stehenden Leuten am Rand des Eingangsbereichs hindurch in Richtung Parkplatz.

Kurz überlegte er, ob er es noch an einem anderen Eingang versuchen sollte. Er wusste aus Erfahrung, dass nicht alle Wachposten gleichermaßen gründlich und aufmerksam waren. Doch er entschied sich dagegen.

Er hatte ein Zeichen bekommen, und ein intelligenter Mensch übersah ein solches Zeichen nur auf eigene Gefahr. Es war Zeit, einen sichereren Ort aufzusuchen und einen neuen Plan zu schmieden. Kalte Wut stieg in ihm hoch.

Priscilla Jayne hatte keine Ahnung, mit wem sie es zu tun hatte! Sie sollte sich lieber gut in Acht nehmen. Denn Gott stand auf seiner Seite.

Sie hatte sich gerade mehr Ärger eingehandelt, als sie sich vorstellen konnte.