21
Ich lag auf der Seite und spürte das Gewicht von Alex’ Arm auf meiner Hüfte. Vorsichtig öffnete ich die Augen und sah seine Hand direkt vor mir auf dem Bettbezug. Er hatte die Pistole locker umschlossen. Am Rücken spürte ich seine Wärme, obwohl er sich nicht gegen mich drückte – zwischen uns mochten mindestens ein, zwei Zentimeter Abstand sein. Mühsam unterdrückte ich den Impuls, mich enger an ihn zu schmiegen.
Langsam verlagerte ich mein Körpergewicht und drehte mich um. Ich wollte ihn nicht aufwecken, wollte nicht riskieren, dass er den Arm zurückzog. Als ich endlich auf dem Rücken lag, ruhte sein Arm quer über meinem Bauch. Ich betrachtete Alex durch halb geschlossene Augen: Er war im Schlaf noch wunderbarer als im wachen Zustand. So nah war ich ihm noch nie gewesen und ich hatte ihn auch noch nie schlafend gesehen. Die paar Übernachtungen bei ihm zu Hause, als ich sieben war, zählten nun wirklich nicht. Außerdem hatte er damals im Stockbett über mir geschlafen.
Ich war froh, dass sein Arm mich praktisch gefangen hielt. Sonst hätte ich der Versuchung nicht widerstehen können, ihm mit den Fingerspitzen sanft über das Gesicht zu streichen und die Konturen seiner Lippen nachzuziehen. Vergebens versuchte ich, meinen schneller werdenden Atem zu beruhigen.
Sein Körper schien sich einen Augenblick lang anzuspannen, dann entspannte er sich wieder. Sein Atem ging gleichmäßig. Ich betrachtete seinen Mund. Wenn ich den Kopf nur ein paar Zentimeter weiter vorschob, könnten meine Lippen … Es war, als müsste ich verhungern, eine reich gedeckte Festtafel direkt vor mir. Ich ertappte mich dabei, wie ich mir vor Vorfreude die Lippen leckte.
Dann öffnete er plötzlich die Augen. Eben hatte er tief und fest geschlafen, jetzt blickte er mich an. Mir stockte der Atem. Wir starrten einander im Halbdunkel an. Ich war verloren. Endgültig. Hoffnungslos. Ich hörte meinen eigenen Herzschlag, der ungleichmäßig dahinstolperte, und war absolut sicher, dass auch Alex ihn hören konnte.
Abrupt zog er den Arm zurück. Auf einmal fühlte ich mich schutzlos, als könnte ich wie ein dünnes Blatt davongeweht werden. Gleich würde er sich von mir wegdrehen … Stattdessen hob er langsam die Hand und legte sie sanft, ganz sanft auf meine Wange. Der Daumen ruhte neben meinem Mundwinkel. Als ich in seiner Umarmung aufgewacht war, hatte mein Körper gekribbelt. Doch das war nichts im Vergleich zu den Schmetterlingen, die seine Berührung jetzt in mir freiließ. Mein Hirn setzte aus. Er blickte mich unverwandt an und ich verlor mich im tiefen Blau seiner Augen. Dann bewegte er sich kaum merklich – und einen Herzschlag später berührten sich unsere Lippen.
Die Welt schien zu explodieren. Es kam mir vor, als würde ich in ein riesiges schwarzes Loch gezogen, in dem nichts mehr greifbar, nichts mehr wirklich war. Ich fühlte mich körperlos, schwerelos, frei. Wie Feenstaub funkelten winzige, glitzernde Lichter vor meinen geschlossenen Lidern. Musste wohl am Sauerstoffmangel liegen. Ich wurde von einem verzweifelten Verlangen gepackt, seinen Körper, seine Haut auf meiner Haut zu spüren. Unzählige Male war er mir so nahe gewesen, dass ich nur die Hand hätte ausstrecken müssen, um ihn zu berühren. Unzählige Unterrichtsstunden hatte ich genau davon geträumt … Jetzt endlich hatte ich die Gelegenheit, das alles wahr werden zu lassen – und noch viel mehr.
Die Wirklichkeit war besser als jeder Tagtraum. Meine Hände glitten unter sein T-Shirt. Es rutschte hoch, ohne dass ich es auch nur berührt hätte. Wie praktisch meine Superkraft doch sein konnte! Und schon strichen meine Fingerspitzen über seinen flachen Bauch, ertasteten die Konturen der Muskeln und mein Atem ging schneller.
Dann erstarrte Alex. Er packte mein Handgelenk und schob mich von sich.
Ich riss die Augen auf. Die Blitzlichter waren weder einem Feenstaub noch akutem Sauerstoffmangel zuzuschreiben. Sie waren echt – die Lampen im Zimmer flackerten. Kaum hatte ich es bemerkt, hörte das Flackern auf. Nun lagen wir im Dunkeln. Nur ein schmaler Lichtstreifen fiel von draußen durch einen Spalt zwischen den Vorhängen herein.
»Tut mir leid«, murmelte Alex, ließ mein Handgelenk los und rollte sich von mir weg.
Seine Worte trafen mich unerwartet. Ich spürte, wie die Flammen der Leidenschaft erloschen.
Alex setzte sich auf, schwang entschlossen die Beine aus dem Bett und wandte mir dabei den Rücken zu. Ich zog die Knie an den Körper und versuchte, meine Gefühle unter Kontrolle zu bringen.
»Was tut dir leid?«, fragte ich mit bebender Stimme. Ich stellte fest, dass meine Hand über seiner Schulter schwebte, unentschlossen, ob sie den kleinen Abstand wahren oder ihn berühren sollte.
Alex stand auf und trat einen Schritt vom Bett weg. »Lila, das ist nicht richtig.«
Nicht richtig? Machte er Witze? Das war total richtig. Richtiger ging überhaupt nicht.
»Was meinst du damit? Geht es um meine … Kraft?«
Er hatte den Kuss abgebrochen. Daran waren bestimmt die flackernden Lichter schuld gewesen. Ich gab ja zu, so etwas konnte ein bisschen abtörnend sein, aber andererseits hatte ich nicht wie ein durchgeknallter Cowboy mit einer Pistole herumgeballert.
Alex drehte sich schnell um. »Nein, das darfst du nie glauben«, sagte er heftig. »Es hat nichts mit dir zu tun. Was du auch tust, welche Kräfte du auch hast, du bist und bleibst Lila. Ich habe inzwischen kapiert, dass die Kraft zu dir gehört, sie ist ein Teil von dir. Und an dir würde ich nichts ändern wollen – höchstens deine Neigung, bei jeder Gelegenheit abzuhauen«, fügte er hinzu.
Ich ließ die Hand sinken und schluckte den Kloß hinunter, der in meiner Kehle steckte. Dann beugte ich mich langsam vor und wollte seine Hand ergreifen. Er fuhr zurück und Panik schoss wie Gift durch meinen Körper. Ohne mich anzusehen, ging Alex zur Badezimmertür und schloss sie hinter sich. Ich hörte, dass er sie von innen verriegelte.
Ich saß auf dem Bett wie auf einem Floß und überlegte, wie ich ans sichere Ufer zurückpaddeln könnte. Unwillkürlich hatte ich mir die Hand auf die Lippen gelegt, als wollte ich ihnen den sanften Druck, den Geschmack seines Mundes für immer aufprägen. Sprachlos starrte ich die Badezimmertür an, während mein Gehirn versuchte, das zu verarbeiten, was er mir gesagt hatte.
Ungefähr fünf Minuten später kam er wieder heraus. Er wich meinem Blick aus. »Wir sollten losfahren, solange es noch dunkel ist«, sagte er, während er in seiner Reisetasche herumwühlte.
Ich starrte ihn mit offenem Mund an. Das war alles, was er mir zu sagen hatte? Die Bettdecke zerknüllte sich wie von selbst. Wenigstens bewies das, dass ich noch so etwas wie Wut und Verbitterung empfinden konnte. Ich versank in einem Meer der Verzweiflung. Wir hatten uns geküsst, oder nicht? Das war doch wirklich geschehen oder war alles nur Einbildung gewesen?
Ein Reißverschluss wurde zugezogen; bei dem Geräusch fuhr mein Kopf hoch. Alex warf sich die Reisetasche über die Schulter und schob die Pistole ins Halfter. Er schien verlegen zu sein. Doch dann griff er nach dem Autoschlüssel auf dem Tisch und machte eine Kopfbewegung zur Tür. »Bist du so weit?«
Unsicher stieg ich vom Bett. Mir war schwindelig, als ich in meine Schuhe schlüpfte. Mein Gesicht glühte und meine Lippen brannten. Ich kochte vor Wut. Ich hatte keine Ahnung, warum er mich so brutal von sich stieß, und ich wusste auch nicht, wie ich darüber mit ihm sprechen konnte. Gäbe es doch so etwas wie eine Gebrauchsanleitung für Männer! War es ihm peinlich, weil ich Jacks Schwester war? Verabscheute er mich? Nein, sein Kuss hatte alles andere als Abscheu ausgedrückt. Also, was war es dann? Schuldgefühle vielleicht? Ging es doch darum, dass ich Jacks Schwester war?
Oh. Nein.
Rachel.
Natürlich. Wie hatte ich sie auch nur einen Augenblick vergessen können? Punktuelle Gedächtnisstörung, ganz klar. Oder Verdrängung.
Bevor ich mich aufhalten konnte, flog Alex’ Tasche von seiner Schulter und krachte seitlich gegen das Bett. Ich biss mir auf die Unterlippe, sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an und wartete auf seine Reaktion. Er starrte geschockt auf die Tasche. Dann wanderte sein Blick zu mir zurück – auf seinem Gesicht spiegelte sich Ungläubigkeit. Verdammt! Er konnte von Glück sagen, dass Rachel nicht anwesend war, sonst wären bestimmt Möbelstücke geflogen und nicht nur eine Tasche.
»Hast du das gemacht?« Seine Stimme klang ruhig.
»Hm. Kann sein.«
»Lila?«
Ich fühlte mich wie damals, als ich wegen dem fliegenden Marmeladenglas zur Rektorin zitiert wurde.
»Ja, okay. Ich war’s. War keine Absicht. Ein Unfall. Das passiert eben manchmal.«
»Wie damals mit der Schere?«
Scheiße. »Ja.«
Er nickte langsam. »Aha.« Unter seinem forschenden Blick zog sich mein Magen zusammen. »Vielleicht hätte ich dir nicht zeigen sollen, wie man eine Pistole entsichert. Muss ich jetzt ständig eine schusssichere Weste tragen?«
Das sagte er mit leichtem Lächeln, wobei sich an seinen Augenwinkeln winzige Lachfältchen zeigten. Er versuchte, die Sache locker abzutun, aber mir war nicht nach Scherzen zumute. Ich war sauer auf ihn. Warum hatte er mich geküsst, wenn er doch in diese Zicke Rachel verknallt war?
»Warum bist du überhaupt hier, bei mir?«
»Entschuldige?« Er wirkte verblüfft. »Ich dachte, das hätte ich dir schon längst erklärt?«
»Ich meine«, fuhr ich fort und meine Stimme wurde schrill, »warum bist du hier bei mir, obwohl du doch viel lieber bei Rachel wärst?« Eigentlich wollte ich wissen, warum er mich geküsst hatte, wenn er mit dieser Ich-bin-der-Boss-Barbie eine Sache am Laufen hatte.
»Rachel?« Nun starrte er mich völlig verwirrt an.
»Ja. Rachel. Warum gehst du nicht zu ihr zurück? Du hast die Wahl, es steht dir frei. Du musst nicht hier bei mir sein.« Ich konnte selbst hören, wie eifersüchtig und lächerlich ich klang. Am liebsten hätte ich mir seine Reisetasche selbst über den Schädel gezogen und mich damit k.o. geschlagen.
»Mach dich nicht lächerlich.«
Wenigstens stimmte er mir zu, dass ich mich lächerlich machte. Super! Ich wandte mich ab, damit er nicht sehen konnte, dass mir vor Wut die Tränen kamen.
»Du glaubst also, dass ich Rachel … gernhätte?«, fragte Alex meinen Rücken. Er klang ehrlich überrascht.
Ich wirbelte herum, stinksauer, weil er mich zwang, ihm die Sache zu erklären. »Du hattest doch ein Date mit ihr oder nicht?« Im Restaurant, wo wir seinen Geburtstag gefeiert hatten, aber Alex schien sich daran nicht zu erinnern. Er runzelte die Stirn. »Und in der Bar hab ich euch auch beobachtet«, fügte ich hastig hinzu. »Ihr habt miteinander gelacht und herumgealbert. Also noch mal: Warum bist du hier bei mir?«
Nun endlich schien es bei ihm klick zu machen. Ich konnte förmlich beobachten, wie es ihm dämmerte.
Seine Miene wurde ernst. Er trat näher und legte mir beide Hände auf die Schultern. Dieses Mal versuchte ich gar nicht erst, ihn abzuschütteln.
»Lila«, sagte er und schaute mir tief in die Augen, »da läuft nichts zwischen Rachel und mir. Und hier bei dir bin ich, weil ich es will.«
»D-du … und Rachel?«, stotterte ich.
Er schüttelte den Kopf. »Es ist nicht so, wie du denkst.«
Oh. Das musste ich erst mal verarbeiten.
Alex nahm die Hände von meinen Schultern. »Ich hatte nie ein Date mit Rachel. Wenn du Jacks Bemerkung im Restaurant meinst: Da ging es um eine dienstliche Besprechung. Mit allen anderen Teamleitern.«
Noch mal: oh.
Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: »Und was du in der Bar beobachtet hast, war auch nicht so, wie du denkst. Sie hat mir etwas erzählt, was ich nicht glauben konnte – und darüber musste ich lachen. Und dann habe ich zu dir hinübergeschaut und …« Er verstummte.
Was hatte sie ihm erzählt? Einen Witz? Oder dass die Kernarbeitszeit verlängert wurde? Was konnte derart witzig sein? Sie war sein Boss. Bosse sollten keine Witze reißen. Schon gar nicht die Bosse irgendwelcher Geheimkommandos.
»Was hat sie dir denn erzählt?«, fragte ich, nun selbst völlig verwirrt.
Alex senkte kurz den Blick, doch dann blitzten mich seine blauen Augen belustigt an. »Sie meinte … sie glaubte, dass du für mich … gewisse Gefühle hättest …«
Ich schluckte heftig und versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. »Gefühle?« Mein Herz schaltete ein paar Gänge höher, als pumpte es nicht Blut, sondern Amphetamine durch meinen Körper.
Er atmete tief ein. »Sie hat wohl mit angehört, was du in der Bar zu Sara gesagt hast. Dass du in mich verliebt seist …«
Das V-Wort verklang und blieb doch wie ein Echo im Raum. Ich konnte Alex nicht in die Augen schauen. Starrte voll Entsetzen auf den Boden. Rachel hatte es zufällig gehört? Wo war sie gewesen? Am Tresen hatte dichtes Gedränge geherrscht, aber auch viel Lärm. Sie hätte mir also ziemlich nahe sein müssen. Warum hatte ich sie nicht bemerkt?
Vielleicht, weil ich nur auf Alex geachtet hatte. Okay, Rachel hatte mich das sagen gehört, aber warum hatte sie es ihm erzählt? Warum tat sie so was?
Weil sie ein totales Miststück war. Darum.
Ich dachte zurück an die Szene in der Bar. Alex hatte gelacht, weil er herausgefunden hatte, dass ich ihn liebte. Das ließ die Sache natürlich in ganz anderem Licht erscheinen, aber das machte es keineswegs besser. Er hatte es lachhaft gefunden, dass ich ihn liebte. So war das. Ich schaute zu Boden und wünschte mir ein abgrundtiefes Loch herbei, um darin zu versinken. Natürlich passierte nichts. Wofür war diese verdammte Kraft überhaupt gut?
Auf jeden Fall musste ich erst mal ins Bad. Irgendwohin, wo es eine abschließbare Tür gab, hinter der ich mich verstecken konnte. Auf das Treffen mit Jack hatte ich keine Lust, dort konnte Alex auch allein hingehen. Während ich im Bad darauf wartete, dass mich die Einheit holte.
Aber Alex war vor mir an der Tür und versperrte mir den Weg. Ich versuchte vergeblich, mich an ihm vorbeizudrängen. Schließlich marschierte ich wütend zum Bett zurück und ließ mich darauffallen. Ich legte die Arme um die hochgezogenen Knie und vergrub das Gesicht darin.
Eine ganze Weile herrschte Stille. Mein Atem ging laut und ungleichmäßig. Ich wartete darauf, dass Alex einfach seine Tasche nahm und verschwand, aber das tat er nicht. Er setzte sich neben mich und ich spürte seine Hand auf meinem Rücken.
»Lila. Bitte. Können wir nicht vernünftig miteinander reden?«
Seine Stimme war so sanft, dass ich mich ihm instinktiv zuwenden, mich an ihn schmiegen und trösten lassen wollte. Aber ich zwang mich, still sitzen zu bleiben. Dann sagte er leise: »Ich habe dir gesagt, dass ich keine andere Wahl hätte, als dir zu helfen. Das habe ich auch so gemeint. Weil du die einzige Wahl bist. Im Moment kann ich niemandem mehr vertrauen. Aber in einer Sache bin ich mir sicher, und darauf baue ich voll und ganz …« – er unterbrach sich ein paar Herzschläge lang – »… nämlich, was ich für dich empfinde.«
Er brach ab und ich riss die Augen auf. Was empfand er denn für mich? Ich hatte keine Ahnung, was er meinte. Ich drehte mich langsam um und schaute ihn an. Meine Stimme klang heiser, als ich sagte: »Was meinst du damit?«
Alex runzelte die Stirn, seine Kiefermuskeln arbeiteten. »Ich meine, dass ich das, was ich für dich empfinde, nicht empfinden sollte.«
»Sorry, aber das verstehe ich nicht. Was solltest du denn für mich empfinden?« Ich spürte, wie mein Körper zu zittern anfing.
Er machte ein finsteres Gesicht. »Ich mag dich sehr. Zu sehr.«
Ich schnappte nach Luft. Er mochte mich? Alex, den ich mein Leben lang geliebt hatte, mochte mich? Und so, wie es geklungen hatte, meinte er mit »mögen« genau das, was ich darunter verstehen wollte. Und nicht »mögen«, wie man eine Tante mochte oder Zucker im Tee. Aber das machte keinerlei Sinn! Es passte einfach nicht zusammen. Ich setzte mich aufrecht hin.
»Du hast gelacht! Als Rachel es dir sagte, hast du dich halb totgelacht!«
Alex schloss kurz die Augen, und als er sie wieder öffnete, schien er einen Entschluss gefasst zu haben. »Ich musste lachen, weil ich ihr nicht geglaubt habe. Ich hab gedacht, dass Rachel Witze macht.«
Und plötzlich schien nichts mehr wichtig zu sein. Nicht Rachel. Nicht die Einheit. Nicht mal Demos. Alex mochte mich. Er mochte mich wirklich. Er mochte mich zu sehr. Ich konnte nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitete.
»Aber, Lila, wie gesagt – es darf nicht sein. Ich werde deine Lage nicht ausnutzen.« Er stand auf.
Mein Lächeln verschwand. Was war das jetzt wieder? Ein Scherz? Ich sprang vom Bett und stellte mich vor ihn hin. »Los, nutze sie aus, verdammt!«
Er wich einen Schritt zurück. »Nein, Lila. Hör auf. Du bist Jacks Schwester.«
»Dann … dann geht es also um Jack?«
Ich konnte es nicht glauben. Als ob Jack so viel Rücksicht auf Alex nehmen würde, wenn die Sache umgekehrt wäre!
»Er würde mich umbringen.«
Gegen dieses Argument konnte ich nichts einwenden. Aber es ging hier nicht um Jacks Leben. Sondern um meins. Und das ging Jack nichts an.
Bevor ich das in Worte fassen konnte, redete Alex schon weiter. »Es geht auch um mehr. Ich will nicht, dass dir etwas passiert, und das hier … das wird noch schlimm enden.«
Wie – konnte er etwa auch in die Zukunft blicken?
»Was wird schlimm enden?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich will dir nicht wehtun.« Es klang wie ein Versprechen. Und so endgültig. Als sei er fest entschlossen.
Panik breitete sich in meiner Brust aus und nahm mir die Luft zum Atmen. »Nein«, flüsterte ich. »Nur eins würde mir wehtun – wenn du mich verlässt.«
Wie konnte er mir erzählen, dass er mich mochte, mich küssen, nur um dann wieder alles kaputt zu machen?
Das war einfach nicht fair. Ich hatte schon so viel verloren. Dieses Mal würde ich es nicht hinnehmen.
Alex schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Lila. Ich hätte dich nicht küssen dürfen.« Er fuhr sich mit der Hand durch das Haar, als wollte er die Erinnerung auslöschen. Ich starrte ihn mit offenem Mund an. »Es war mein Fehler«, fuhr er fort. »Ich hätte dir auch nicht von meinen Gefühlen erzählen dürfen. Aber du darfst nicht denken, dass ich dich wegen deiner Fähigkeiten irgendwie anders sehe als vorher.«
»Wie kannst du dich dann von mir zurückziehen, wenn du so empfindest? Wie kannst du nur?« Meine Stimme bebte.
»Weil es nicht darum geht, was ich will. Sondern darum, was für dich am besten ist.« Alex zögerte. »Ich will, dass du glücklich bist, und ich will, dass du sicher leben kannst«, sagte er schließlich.
»Beides bin ich, wenn ich bei dir bin.«
Ein schmerzlicher Ausdruck trat auf sein Gesicht. Ich fühlte mich, als würde mir das Herz herausgerissen und vor seinen Augen ausgewrungen werden. Er reagierte sofort.
»Komm schon.« Er streckte mir die Hand hin. »Wir reden später weiter. Das ist jetzt nicht der richtige Augenblick. Wir müssen verschwinden.«
Er zog mich zur Tür und hob dabei seine Tasche auf. Ich sträubte mich nicht mehr. Ich brauchte ihn. Ich konnte mir nicht vorstellen, in dieser Welt ohne Alex in meiner Nähe zu leben. Und damit meinte ich nicht nur die Welt, in der mich die Einheit jagte. Sondern jede denkbare Welt.