Zeit totschlagen

337.tif

1

Seth hörte ein Glitschen in der Dunkelheit. Müde hob er den Kopf.

»Bist du wach?«, krächzte er.

Justin stöhnte. »Glaub nicht. Ich hab gerade einen Albtraum.«

»So ein Zufall! Ich auch«, murmelte Seth.

Justin hustete. Wieder schmatzte es im Schlick. Bei jeder Bewegung stießen sie gegen etwas widerwärtig Weiches, das irgendwann in die Grube gefallen und in der schleimigen Drecksbrühe ertrunken war. Der süßlich faulige Gestank war kaum auszuhalten, und obwohl Seth sich mittlerweile halbwegs daran gewöhnt hatte, war ihm ständig leicht übel. Er bezweifelte, dass er irgendetwas Essbares bei sich behalten hätte– wenn sie denn etwas gehabt hätten.

Die beiden konnten die Zeit, die sie jetzt schon in diesem Drecksloch hockten, nur an ihrem Hunger und ihrem Durst abschätzen, einen anderen Anhaltspunkt hatten sie nicht. Keiner von ihnen trug eine Armbanduhr und Justin hatte sein Handy längst weggeworfen, weil es hier ohnehin nichts nützte.

»Das ist einer der Vorteile an Malice«, hatte er Seth grinsend erzählt. »Hier ist das totale Funkloch. Es kann dir zwar passieren, dass du von ’ner riesigen Mutantenspinne gefressen wirst, aber wenigstens musst du nicht neben irgendeinem Trottel sitzen, der in sein Handy brüllt, auf was für einer endgeilen Technoparty er gewesen ist. Warum machen die Leute das? Warum wollen die, dass jeder mitkriegt, was für ein stinklangweiliges Leben sie haben? Und dann die Tussen, die sich in der U-Bahn über Handy mit ihrem Typ zoffen. Hallo? Haben die keine Selbstachtung, oder was?«

Justin hatte sich seine gute Laune zunächst nicht verderben lassen– nicht einmal, nachdem sie feststellen mussten, dass sie an den spiegelglatten Metallwänden unmöglich aus der Grube herausklettern konnten. Seth war vor Verzweiflung verstummt, während Justin anfangs noch munter vor sich hin geplappert hatte. Aber irgendwann hatte selbst seine unerschütterliche Fröhlichkeit vor der Dunkelheit kapituliert.

Immer wieder schliefen sie erschöpft ein, und wenn sie aus den kurzen Phasen der Besinnungslosigkeit aufschreckten, fühlten sie sich nur noch mutloser. Ab und zu unterhielten sie sich, aber immer nur über oberflächliche Themen– Filme, die sie gesehen hatten, oder witzige Erlebnisse mit Freunden. Beiden war bewusst, dass sie nur die Zeit totschlugen. Hier unten war keine Hilfe zu erwarten und ohne Licht hatten sie sowieso keine Chance, jemals wieder aus der Oubliette herauszukommen. Bald würden sie qualvoll verdurstet sein.

Seth konnte nicht glauben, was passiert war. Er hatte von Abenteuern und aufregenden Herausforderungen geträumt. Dass alles so jäh enden würde, damit hätte er nie gerechnet. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass er irgendwann vor Erschöpfung einschlief und nicht wieder aufwachte.

Wenigstens kann Kady nicht sehen, wie ich gestorben bin, dachte er. Das heißt, falls dieser Grendel keine Infrarotkamera benutzt.

Es war so unbeschreiblich dunkel, dass er nicht einmal mit Sicherheit sagen konnte, ob er die Augen geöffnet oder geschlossen hatte. Alles an ihm– Haare, Haut, Kleidung– war klatschnass und schleimverschmiert. Jeder Muskel seines Körpers schmerzte von den Strapazen, die er hinter sich hatte.

Aber er würde nicht aufgeben. Wenn er schon sterben musste, wollte er wenigstens bis zur letzten Sekunde kämpfen. Er hatte unbeschreiblichen Durst, er hatte Hunger. Er war zu Tode erschöpft.

»Hey, Justin?«, krächzte er. Seine Kehle fühlte sich an, als hätte sie jemand mit einem Scheuerschwamm aufgeraut.

»Was liegt an, kleiner Mann?« Justin lachte kurz auf und begann dann zu husten. »’tschuldigung.« Nachdem der Hustenanfall sich gelegt hatte, sagte er: »Das hat meine Mutter Nummer drei immer zu mir gesagt.«

»Wie bist du eigentlich hergekommen?«

»So wie du. Hab den Spruch gesagt und das Ritual durchgezogen.«

»Nein, ich meine… wahrscheinlich meinte ich eher: Warum bist du hergekommen?«

Justin blieb stumm.

»Komm schon«, drängte Seth. »Ich hab dir meine Geschichte auch erzählt.«

Das stimmte. Er hatte ihm von Luke und Kady und seinen Eltern erzählt und von seiner langweiligen Kindheit in Hathern. Davon, dass er Angst gehabt hatte, ein langweiliger Erwachsener zu werden, und von seiner Sehnsucht nach Abenteuern.

Während sie so im Dunkeln nebeneinandersaßen, hatte er Justin sogar weit mehr anvertraut, als er eigentlich vorgehabt hatte. Dass er ein schlechtes Gewissen hatte, weil seine Eltern sicher glaubten, er wäre von zu Hause abgehauen, und dass er sich geschworen hatte, an Tall Jake Rache zu üben. Und auch, dass er sich schuldig fühlte, weil er lieber hierher nach Malice gewollt hatte, als in der wirklichen Welt zu bleiben.

»Gefällt’s dir denn hier besser?«, hatte Justin gefragt. »Würdest du jetzt nicht lieber gemütlich mit der Playstation in deinem Zimmer sitzen, statt in dieser ekligen Schlammbrühe?«

Seth hatte kurz nachgedacht. »Ehrlich gesagt war Playstation-Spielen noch nie so mein Ding.«

»Bereust du es echt nicht? Dass du ihn gerufen hast, meine ich. Dass du nach Malice gekommen bist?«

»Nein«, hatte Seth gesagt. »Ich bereue bloß, dass ich in dieses verdammte Loch gefallen bin.«

Während er überlegte, ob diese Antwort immer noch galt, fiel ihm plötzlich auf, dass Justin seine Frage noch nicht beantwortet hatte.

»Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht…«

»Ich denke nach, okay«, fauchte Justin. Kurz hörte man es leise glitschen, als er sich im Schlamm eine angenehmere Sitzposition suchte.

2

»Na schön. Wenn du wirklich wissen willst, warum ich nach Malice gekommen bin, musst du dir aber die ganze Geschichte anhören, klar? Sonst kapiert man es nämlich nicht. Obwohl ich bei dir sogar das Gefühl hab, dass du mich auch so verstehen würdest. Die anderen Typen hier nicht, aber du wahrscheinlich schon.

Ich hab in Kilburn gewohnt. Weißt du, wo das ist? Nordlondon, in der Nähe von West Hampstead, aber am falschen Ende. In West Hampstead sind die ganzen teuren Klamottenläden, Cafés und so– Kilburn ist dagegen bloß ’ne Müllkippe.

Mein Vater war Kfz-Mechaniker… na ja, ist er wohl immer noch. Ich hab noch ’nen Bruder. Er heißt Chas und ist zehn Jahre älter als ich. Chas ist die Abkürzung von Charles. Chaaaahhls. Der volle Bonzenname. In der Schule haben sie ihn deswegen natürlich fertiggemacht, aber seine Mutter fand den Namen todschick. Sie wollte, dass er mal was Besseres wird. Aber sobald er die Klappe aufgemacht hat, hat man sofort gehört, wo er herkommt.

Mein Vater hat uns geschlagen. Ich will damit jetzt nicht sagen, dass ich misshandelt worden bin oder so. Da gibt es ganz andere Fälle, so richtig krasse. Bei mir gab’s nur Prügel. Das war bei uns normal. Für meinen Bruder war ich der Blitzableiter, und vom Alten hat’s sofort Schläge gesetzt, wenn ich mal wieder irgendwas nicht so gemacht hab, wie er sich das vorgestellt hat.

Aber das Problemkind der Familie war Chas. Das hat bei dem schon mit dreizehn angefangen. Von Dad hat er sich überhaupt nichts sagen lassen und seine Mutter war schon längst nicht mehr da. Und dass Dad ihn wegen jedem Scheiß gleich verprügelt hat, hat es auch nicht besser gemacht. Als ich in die Schule gekommen bin, war ich bei den Lehrern von Anfang an unten durch. ›Achtung, das ist der kleine Bruder von Chas Cauldwell‹, hat es immer geheißen. Dass ich ganz anders war als er, hat die gar nicht interessiert. Dabei war ich echt ein stilles Kind, weißt du? Ich hab mir voll gerne Bücher angeschaut und so, aber für die war ich genau so ein Loser wie mein Bruder.

Als ich acht war, hat er allen bewiesen, dass sie mit ihrer Meinung über ihn Recht gehabt hatten. Er hat jemanden umgebracht und ist dafür in den Knast gewandert. Normalerweise wäre er irgendwann rausgekommen, aber denen hat seine Art nicht gepasst, also hat er lebenslänglich gekriegt. Kann man ja auch verstehen. Chas war echt ’n fieser Typ. Ich hoffe, er verreckt da drin.

Ich wollte immer Erfinder werden. Schätze, das hab ich von meinem Dad geerbt. Ich steh einfach auf Maschinen und so. Ich finde es spannend rauszufinden, wie sie funktionieren. Bei Maschinen weiß man immer, was Sache ist. Wenn sie kaputtgehen, dann ist der Typ dran schuld, der sie gebaut hat, oder der Typ, der sie nicht richtig gewartet hat. Wenn du eine Maschine gut behandelst, lässt sie dich auch nicht im Stich. Und wenn’s ein Problem gibt, kannst du es beheben. Alles schön einfach und unkompliziert. Bei Menschen blick ich meistens überhaupt nicht durch, bei Maschinen schon.

Ich hab mir in der Schule Mühe gegeben. Ehrlich, hab ich wirklich. Du kennst doch bestimmt solche Filme– vom Tellerwäscher zum Millionär und so. Ich hab den Müll geglaubt, den die einem da erzählen. Ich hab gedacht, wenn ich mir nur genug Mühe gebe, würde ich… keine Ahnung. Dann würde irgendwie alles gut werden und ich könnte richtig erfolgreich werden und so. Ich war echt gut– einer der Besten sogar. Vor allem in Werken und Technik. Ich weiß noch, wie viel Spaß mir das immer gemacht hat, als wir angefangen haben, Schaltkreise zu bauen. Das war voll cool.

Aber das hat auch nichts geändert. Es war scheißegal, wie viel Mühe ich mir gegeben hab, keiner hat gemerkt, wie ich mich anstrenge. Irgendwann hatte ich einfach keinen Nerv mehr, die ganze Zeit kämpfen zu müssen, verstehst du? Ich hab’s einfach sattgehabt. Wenn die mich die ganze Zeit wie einen Gangster behandeln, dacht ich, dann kann ich ja auch gleich einer werden, oder? Ich mein, was soll’s?

Ich hab angefangen, mit ein paar Kumpels Autos zu knacken. Einfach so für den Kick. Einmal hab ich mich dann hinters Steuer gesetzt. Ich hatte natürlich noch keinen Führerschein und keine Ahnung vom Autofahren. Aber man kann’s ja trotzdem mal probieren, stimmt’s? Jedenfalls bin ich voll gegen einen Laternenmast gebrettert und hab mich dabei ziemlich übel verletzt. Die anderen sind abgehauen und haben mich einfach liegen lassen, als die Bullen kamen. In so ’nem Moment weißt du, was deine Kumpels wert sind.

Weil ich noch minderjährig war und es meine erste Straftat war, hätten die mich eigentlich laufen lassen müssen, aber die kannten meinen Bruder und deswegen haben sie mir drei Monate Knast aufgebrummt. Die nennen das zwar ›Jugendverwahrung‹, aber das ist praktisch dasselbe. Da sperren sie die Kids weg, die fürs richtige Gefängnis noch zu jung sind. Eigentlich war’s da gar nicht mal so schlimm, fast wie in ’nem Internat oder so.

Na ja, und dort hab ich zum ersten Mal von Malice gehört. Die Jungs haben zwar aus lauter Langeweile jede Menge Scheiß erzählt, aber diese Gerüchte über Malice hab ich immer wieder gehört. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, fällt mir auf, dass in dem Jahr ein paar Jungs verschwunden sind, und wir alle dachten, dass die getürmt wären. Die waren unsere Helden. Tja, kann gut sein, dass sie bloß Tall Jake gerufen haben.

Ich hab dir ja schon erzählt, dass ich mich echt lange mit Malice beschäftigt hab. Dabei hab ich mitgekriegt, dass man nie weiß, wann er kommt. Auch wenn man alles richtig gemacht hat, den Spruch und das Ritual und so, ist das noch lange keine Garantie dafür, dass er einen auch wirklich holt. Manche Leute holt er nie… oder jedenfalls hat er sie bis jetzt nicht geholt. Manchmal denke ich, dass er vielleicht nur die holt, die wirklich nach Malice wollen oder die ganz fest dran glauben. Vielleicht wartet er ja auch, bis die Leute echt glücklich sind und alles super läuft, und holt sie dann erst.

Jetzt bin ich aber ganz schön abgeschweift. Wo war ich? Ach so, ja. Im Knast gab’s so einen Typ, der geschworen hat, er würde jemanden kennen, der jemanden kennen würde, der mir eine Ausgabe von Malice besorgen könnte. Ich hab ihn ehrlich gesagt für einen Schwätzer gehalten, aber als ich rausgekommen bin, hab ich den Kerl angerufen. Wir haben uns getroffen und der Typ hat sich voll aufgespielt und so getan, als wäre die Sache topsecret. Ich hab gedacht, das ist bloß so ein durchgeknallter Spinner, aber ’n paar Tage später lag das erste Heft im Briefkasten. Keine Briefmarke, kein Absender, nichts. Es war einfach da.

Danach wurde es mit meinem Dad immer heftiger. Meine richtige Mutter war ja schon lange weg, aber während ich im Knast gewesen bin, hat Mum Nummer drei auch noch die Kurve gekratzt. Dad hat angefangen, mich wegen jeder Kleinigkeit zu verprügeln. Die Comics waren wie so ’ne Art Insel für mich, auf der ich mich verkriechen konnte. Ich hab die Dinger echt verschlungen. Ich hab nie rausgekriegt, wer sie in den Briefkasten geworfen hat, aber ich hab sie gelesen, bis die Farbe verschwunden war, und dann hab ich sehnsüchtig auf das nächste Heft gewartet. Einmal hab ich versucht, ein Heft im Copyshop zu kopieren, weil ich es unbedingt behalten wollte, aber die Seite kam komplett weiß raus. Ich schätze, das Papier ist mit einer lichtreflektierenden Folie beschichtet, die sich nicht kopieren lässt. Ziemlich clever.

Ich hab von Malice geträumt. Kein Scheiß, Alter. Ich war total besessen davon. Und es war mir egal, wie schlimm es dort zuging. Mich hat bloß interessiert, dass es woanders war. Verstehst du das? Ja, das verstehst du, das spüre ich, auch wenn ich dich nicht sehen kann.

Irgendwann sind nacheinander ein paar Hefte rausgekommen, in denen es ziemlich viel um Havoc ging. In einem haben sie einen Riesenraubzug organisiert, um an Tall Jakes Geheimvorräte zu kommen. So hab ich’s jedenfalls verstanden. Was da genau ablief, hab ich nie rausgekriegt, die Zeichnungen sind ja immer voll chaotisch. Jedenfalls hat man ein paar Leute von Havoc gesehen, irgendwelche neuen Mitglieder, und dann gab es noch einen Anführer, der die Befehle gegeben hat. Superspannend, sag ich dir. Ich hab den Typen jedes Mal so was von die Daumen gedrückt.

Und weißt du, was ich dann irgendwann gedacht hab? Das ist genau mein Ding. Die sind richtig cool, diese Jungs. Die lassen sich nicht alles gefallen wie die anderen in Malice, die bloß rumrennen wie aufgescheuchte Hühner und versuchen, nicht zu sterben. Die von Havoc machen Tall Jake echt das Leben schwer.

Ich glaub, das war der Tag, an dem ich beschlossen hab herzukommen. Der Tag, an dem ich das erste Mal von Havoc gelesen hab, meine ich. Ich hab noch ein paar Monate und eine richtig krasse Prügelattacke gebraucht, bis ich den Mut gehabt hab, den Spruch zu sagen. Ich hab damals ja schon wirklich an Malice geglaubt. Deswegen hatte ich ja auch so ’nen Respekt davor. Aber am Ende hab ich’s gemacht. Na ja, und was danach passiert ist, kannst du dir ja denken.

Ich hab mir nicht überlegt, was ich machen soll, wenn ich herkomme. Und dann bin ich eben im Uhrenturm gelandet. Nach dem ersten Schock hab ich versucht, mich ein bisschen zurechtzufinden, aber das Problem war, dass niemand wusste, wo die Typen von Havoc sich verstecken. Also hab ich die Sache selbst in die Hand genommen und bin ziemlich bald nach oben in die Menagerie und hab mir das schwarze Ticket besorgt. Dann hab ich angefangen, mich für die Maschinen zu interessieren und rauszufinden, wie die Zischler funktionieren und so. Ich hab auch daran gedacht, zu Skarla zu gehen, aber mir war klar, dass ich nicht alleine in die Oubliette runtergehen würde. Ich hatte ja alles darüber gelesen und wusste, wie es hier unten aussieht. Ich hab einfach gehofft, dass früher oder später irgendwer kommt, der was über Havoc weiß. Und als du dann aufgetaucht bist… keine Ahnung. Ich hab mir gedacht, hey, warum gehst du nicht mit ihm mit? Du kannst ja nicht für immer in den Gängen bleiben und diese Pampe fressen.

Tja, und jetzt sitze ich halb verdurstet bis zur Brust in diesem stinkenden Schleim hier und erzähl ’nem Typ meine Lebensgeschichte, der denkt, dass er gegen Tall Jake gewinnen kann.

Ist doch irgendwie echt zum Lachen, oder?«

3

Nachdem Justin fertig war, sagte Seth erst einmal eine ganze Weile nichts. Gegen das glatte Metall der Röhre gelehnt und bis zur Hüfte in der widerlichen Schlammbrühe hockend, starrte er blind in die Dunkelheit.

»Hey, bist du noch da?«, fragte Justin irgendwann.

»Nein. Während du geredet hast, hab ich es geschafft, hier rauszuklettern.«

»Ha, ha. Und ich dachte schon, ich hab dich mit meiner Geschichte vielleicht… na ja, zu Tode gelangweilt oder so.«

»Ich hab nachgedacht.«

»Worüber?«

»Wieso du ausgerechnet mit mir mitgekommen bist.«

Justin schwieg lange.

»Bis jetzt hab ich eigentlich immer bloß Leute gekannt, bei denen ich mir sicher war, dass sie mich stehen lassen würden, wenn es mal hart auf hart kommt«, sagte er dann leise. »Wie die Typen, die abgehauen sind, als ich damals die Karre zu Schrott gefahren hab. Du bist anders. Frag mich nicht, woher ich das weiß, ich weiß es einfach. Die anderen im Uhrenturm… na ja… die waren alle, keine Ahnung…« Er dachte kurz nach und stieß dann hervor: »Von den ganzen Leuten, die ich hier getroffen hab, bist du einfach der Erste, der wirklich in Ordnung ist– abgesehen von Tatyana natürlich, die hab ich nämlich echt gemocht. Aber Tatyana wollte raus und ich wollte bleiben. So, jetzt weißt du’s. Bist du jetzt zufrieden?«

»Und deswegen bist du mit mir in die Menagerie raufgegangen und hast mir geholfen, als der Zeithüter auf mich los ist?«

Justin schwieg einen Moment. »Denk jetzt bloß nicht, dass ich schwul bin, ja?«

Seth musste lachen. »Wir sitzen hier eine halbe Meile unter der Erde ohne Licht in einer Sickergrube fest und so, wie’s aussieht, werden wir hier verrecken. Von mir aus könntest du auch ein transsexueller Vampir sein, Hauptsache, du redest mit mir.«

Justin kicherte und plötzlich brachen beide in wieherndes Lachen aus. Sie lachten, bis ihnen schwindelig wurde und ihnen der Hals wehtat. Irgendwann wurde aus dem Lachen ein leises Glucksen und dann erstarb es ganz. Seth hörte, wie Justin sich im Schlick bewegte, und spürte kurz darauf eine Hand, die seinen Arm entlangtastete, bis sie seine Schulter gefunden hatte.

»Weißt du was?«, sagte Justin heiser und drückte seine Schulter. »Du bist ’n echter Kumpel.«

Seths Augen brannten, aber es war lange her, dass er das letzte Mal geweint hatte. Er hatte vergessen, wie es ging. »Ich wünschte…«, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Ich wünschte bloß… Verdammt, das ging alles viel zu schnell. Ich hätte so gern mehr entdeckt. Ich wollte doch noch in diese Stadt, die ich vom Zug aus gesehen hab. Ich wollte sehen, was hinter den Bergen liegt. Und jetzt werde ich nie mehr die Chance bekommen.«

Justin schwieg lange.

Plötzlich fragte er: »Sag mal, dreh ich jetzt schon völlig durch oder wird es da oben heller?«

Seth hob den Kopf. Die Dunkelheit schien tatsächlich nicht mehr ganz so vollkommen zu sein, und auf einmal konnten sie sogar den Rand der Grube erkennen. Im ersten Moment glaubten sie noch an eine Sinnestäuschung, aber es wurde immer heller und schließlich sahen sie einen zitternden Lichtkegel über die Wände huschen. Gebannt starrten sie hinauf, bis ihnen die Augen tränten und sie wegschauen mussten.

»Hier unten sind wir!«, rief Justin, so laut er konnte. »Hey! Hier unten! Hilfe!«

Seth fiel in seine Rufe ein, obwohl seine Kehle so trocken war, dass sie wie Feuer brannte. Es wurde immer heller, bis sie sogar die Decke des Raumes erkennen konnten, in dem sich die Grube befand. Schritte näherten sich und im nächsten Moment tauchten zwei Gesichter über dem Rand der Grube auf. Eines hatte menschliche Züge, das andere erinnerte an eine riesige Katze.

»Oh Mann, Leute, ihr seht ganz schön fertig aus«, sagte Kady und warf ihnen ein Seil hinunter.

Malice - Du entkommst ihm nicht
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