Zeitgenössische Architektur
Barcelonas jüngste architektonische Revolution begann in den 1980er-Jahren. Die damalige Ernennung Oriol Bohigas’ (geb. 1925) zum Leiter des Stadtplanungsbüros durch die regierende Sozialistische Partei läutete einen Neuanfang ein. Die Stadt begann ihre größte Phase der Erneuerung seit der aufregenden Erschließung des Eixample.
Zeitgenössische Architektur
Zurück zum Anfang des Kapitels
BARCELONA SEIT DEN OLYMPISCHEN SPIELEN
Die größten städtebaulichen Neuerungen der letzten hundert Jahre geschahen im Vorfeld der Olympischen Spiele von 1992, als über 150 Architekten an fast 300 Gebäuden und Designprojekten arbeiteten. Dabei wurde die Stadt teilweise komplett umgekrempelt, etwa durch den Bau großer Stadtautobahnen oder die Sanierung ganzer heruntergekommener Stadtviertel. Die Stadtverwaltung nutzte für diese Projekte auf clevere Weise staatliche Gelder, die sonst niemals bewilligt worden wären. Mehrere Kilometer Ödland am Meer, darunter auch der Port Vell, wurden in blitzsaubere neue Strände umgewandelt – plötzlich verfügte Barcelona über erstklassige Grundstücke und Immobilien am Wasser. Die Aufgabe, Montjuïc aufzuwerten, begann mit der Umgestaltung des Olympiastadions und der Schaffung von Wahrzeichen wie Santiago Calatravas berühmtem Torre Calatrava.
Nach 1992 entstanden weitere herausragende Gebäude an strategischen Stellen, meist mit dem Hintergedanken, dadurch die jeweilige Umgebung mit mehr Leben zu füllen. Eines der markantesten dieser Vorhaben war das strahlend weiße Museu d’Art Contemporani de Barcelona (Macba), das 1995 eröffnete. Es wurde von Richard Meier entworfen und umfasst die für den amerikanischen Architekten typischen Elemente – den geometrischen Minimalismus, die durchgehende Nutzung von Weiß zusammen mit Glas und Stahl – und wird in Architekturkreisen nach wie vor heiß diskutiert. „Meiers Gebäude war schlecht für die Kunst, schlecht beleuchtet und hatte räumlich kaum einen Zusammenhalt“, schrieb Kunstkritiker Robert Hughes.
Insgesamt begeisterter wurde das 1996 eröffnete Teatre Nacional de Catalunya aufgenommen, ein herrlicher Stilmix aus Neoklassizismus und Moderne. Mit seinen 26 Säulen, einem einzigen Giebeldach und einer großen Eingangstreppe hat es die Form eines griechischen Tempels, doch seine gläserne Hülle verleiht ihm Helligkeit und Offenheit.
Henry Cobbs World Trade Center, das an der Spitze eines Kais in Port Vell aufs Wasser hinausragt, wurde von Ricardo Bofills neuem Hotel W Barcelona in den Schatten gestellt. Dessen segelartige Front, blickt vom südlichen Ende des Strands von La Barceloneta aufs Meer.
Eines der größten Projekte der letzten zehn Jahre ist Diagonal Mar. In der Nordostecke der Stadt entstand auf einer Brache am Meer ein ganzes neues Viertel. Wohnblocks, Bürotürme am Wasser und Fünf-Sterne-Hotels – darunter das auffallende Hotel Me (fertiggestellt 2008) von Dominique Perrault – prägen den neuen Bezirk. Das über dem Boden schwebende blaue dreieckige Edifici Fòrum der Schweizer Architekten Herzog & de Meuron ist das bemerkenswerteste Gebäude hier, zusammen mit einer riesigen Fotovoltaikanlage, die das Viertel zum Teil mit Strom versorgt. Ein großer Bereich des Viertels wurde 2004 fertiggestellt, doch entstehen ständig weitere Neubauten.
Der wichtigste Neuling in der Skyline entstand im Jahr 2005. Der glitzernde gurkenförmige Torre Agbar, ein Werk des französischen Architekten Jean Nouvel, steht für das Bestreben der Stadt, die Hightechzone 22@ Wirklichkeit werden zu lassen.
Im Südwesten, Richtung Flughafen, wird das neue Messegelände Fira M2 entlang der Gran Via de les Corts Catalanes nun von roten „zweieiigen“ Zwillingstürmen geprägt, von denen einer das Hotel Santos Porta Fira beherbergt und der andere Büros. Entworfen wurden die Türme vom japanischen Stararchitekten und Gaudí-Fan Toyo Ito.
Im Herzen von La Ribera sorgt der brandneue Mercat de Santa Caterina für eine erfrischende Atmosphäre. Mit ihrem gewellten Keramikdach und ihrer röhrenförmigen Struktur ist die Markthalle ein beeindruckendes Gebäude. Gestaltet wurde sie von Enric Miralles (1955–2000), der leider früh verstarb. Miralles’ Edifici de Gas Natural, ein 100 m hoher Glasturm in Wassernähe in La Barceloneta, beeindruckt durch seine spiegelartige Oberfläche und die merkwürdig herausragenden Nachbargebäude, die aussehen, als seien sie riesige Glasfelsen, die aus der Seite des Hauptturms herausbrechen.
Niemand sehnt sich nach den Tagen vor den Olympischen Spielen zurück, als der gesamte Küstenstreifen ein gefährliches und verseuchtes Ödland war. Einige Alteingesessene vermissen jedoch die alten wackeligen Restaurantschuppen, die auf Stelzen über dem Wasser standen und völlig schnörkellose, aber köstliche Fischgerichte servierten.
KUNST IM ÖFFENTLICHEN RAUM
Auf den Straßen Barcelonas sind eine ganze Reihe von Skulpturen zu bewundern, zum Beispiel Mirós 1983 entstandene Dona i Ocell in dem Park, der dem Künstler gewidmet ist, oder Peix (Fisch), Frank Gehrys glänzender, bronzefarbener kopfloser Fisch gegenüber dem Port Olímpic. Auf halbem Weg die Rambla hinunter trifft man an der Plaça de la Boqueria auf Mirós Mosaïc de Miró.
Picasso hat an der Fassade des Col.legi Arquitectes gegenüber der Kathedrale im Barri Gòtic seine Signatur hinterlassen. Andere Skulpturen im öffentlichen Raum sind der Barcelona Head von Roy Lichtenstein am unteren Ende der Via Laietana und Fernando Boteros El Gat auf der Rambla del Raval.
In Barceloneta steht Rebecca Horns Hommage an die alten Hütten, die hier früher am Wasser standen. Der scheinbar wackelige Stapel heißt denn auch Homenatge a la Barceloneta (Hommage an La Barceloneta, 1992). Etwas weiter südlich befindet sich die Homenatge als Nedadors (Hommage an die Schwimmer, 2003) von Alfredo Lanz, eine komplexe Metallskulptur von Schwimmern und Tauchern.
1983 schuf Antoni Tàpies am Passeig de Picasso seine Homenatge a Picasso, einen mit Sperrmüll gefüllten Glaskubus in einem Teich. Antoni Llenas David i Goliat, eine massive Skulptur aus Eisenröhren und -blech im Parc de les Cascades nahe den zwei Hochhäusern des Port Olímpic, sieht aus wie ein von Halloween inspirierter zerknitterter Drachen. Ein Stück weiter, in der Avinguda d’Icària, stehen die sogenannten Pergoles, recht merkwürdige verdrehte Metallkonstruktionen des Architekten Enric Miralles.
Und wer oder was sitzt da nachdenklich am Ende der Rambla de Catalunya? Die Skulptur eines denkenden Bullen, ein Werk von Josep Granyer, heißt einfach Meditatió. Was Rodin wohl davon gehalten hätte?
Eines der besten Beispiele für verschrobene öffentliche Kunst in Barcelona ist Xavier Mariscals Gamba (Garnele – sieht aber eher wie eine Languste aus) am Passeig de Colom. Sie wurde 1987 auf dem Dach der Bar Gambrinus installiert und ist seither eine Art Symbol für die Meeresfrüchte-Küche der Stadt.
Zurück zum Anfang des Kapitels
DAS BARCELONA VON MORGEN
Nach wie vor werden in der Stadt große Bauvorhaben umgesetzt, wenngleich das Ganze durch die anhaltende Wirtschaftskrise etwas ins Stocken geraten ist. Die Umgestaltung der Plaça de les Glòries Catalanes und ihrer Umgebung ist eines der jüngsten Projekte. Damit soll dem gesamten Viertel neues Leben eingehaucht werden, sodass es auch für Touristen attraktiv wird. Dazu führt das Architekturbüro MBM (Martorell, Bohigas & Mackey) eine Reihe von Projekten aus: So wird eine hässliche Hochstraße abgerissen, größere Durchgangsstraßen werden unter die Erde verlegt und es entstehen neue Parks und ein unterirdischer Bahnhof. Zentrum des Ganzen wird das Disseny Hub (ein Designmuseum), ein anspruchsvoller umweltfreundlicher Bau mit Metallverkleidung. Das leicht futuristische Gebäude wird wie ein Amboss über die neue Grünanlage und den kleinen See ragen. Weiter östlich wird der im Bau befindliche dynamische Spiralturm von Zaha Hadid die Skyline der Stadt noch futuristischer wirken lassen; die hypermoderne Architektur soll der weiteren Erschließung des Viertels 22@ dienlich sein.
Im Areal Diagonal Mar/Fòrum schreiten die Arbeiten zügig voran. Der markanteste Neubau, ein 24-stöckiger, verwegen schmal geschnittener Wolkenkratzer, dient als neuer Hauptsitz der nationalen Telefongesellschaft Telefónia. Entworfen von Enric Massip-Bosch, ist der Bau als Torre ZeroZero bekannt. Kurz nach Fertigstellung wurde er mit dem renommierten LEAF-Preis des Leading European Architects Forum als bestes kommerzielles Gebäude ausgezeichnet.
Etwas weiter vom Stadtzentrum entfernt befindet sich das lang vernachlässigte Viertel La Sagrera. Hier soll die Gestaltung eines großen Verkehrsknotenpunkts für U-Bahn, Busse und den Hochgeschwindigkeitszug AVE aus Madrid durch ein charakteristisches Gebäude von Frank Gehry vervollständigt werden. Die fünf verdrehten Türme aus Glas und Stahl sollen sich zum großen Teil selbst mit Sonnenenergie versorgen. Wenn er fertig ist, wird Sagrera der größte Bahnhof Spaniens sein.
Richard Rogers verwandelte die ehemalige Stierkampfarena Las Arenas auf der Plaça d’Espanya in einen einzigartigen, kreisförmigen Freizeitkomplex, der 2011 eröffnet wurde und Geschäfte, Kinos und vieles mehr beherbergt. Die maurisch wirkende Fassade aus dem 19. Jh. blieb erhalten. Schön ist auch das Dach mit Blick auf die offene Promenade mit Cafés und Restaurants.
Aufgrund der Wirtschaftskrise wurden einige extravagante Projekte vorerst auf Eis gelegt. Der neue Barça-Präsident stoppte Norman Fosters atemberaubenden Umbau des Camp Nou. Foster, der in der Vergangenheit eher gedämpfte Farben bevorzugte, „hat begonnen, Gebäude zu entwerfen, als ob er LSD genommen hätte“, schrieb Tom Dyckhoff in der Londoner Times. Der Umbau, der aus dem Stadion eine bunte, im Dunkeln glühende Torte gemacht hätte, ist auf unbestimmte Zeit verschoben.