Probleme
Februar 2003
Flughafen Bozeman, Abfertigungsschalter von Delta Airlines. Sechs Uhr morgens. Wir haben unsere Koffer aufgegeben und die Bordkarten für den Flug nach Salt Lake City und weiter über Atlanta nach Frankfurt erhalten. Abschiedsstimmung macht sich bei meiner kleinen Gruppe breit. Nach zehn Tagen in der Einsamkeit und bei den Wölfen will keiner nach Hause fliegen. Während ich in wenigen Wochen schon wieder mit der nächsten Gruppe von Wolfsbeobachtern hier bin, müssen die anderen noch eine ganze Weile länger warten, bis sie zurück ins »gelobte Wolfsland« können. Wiederkommen wollen die meisten von ihnen.
Damit der Abschied nicht so schwerfällt, stürzen sich die meisten der Wolfsfans noch einmal in den kleinen und wohl sortierten Souvenirladen des Flughafens, um vielleicht doch noch ein paar allerletzte Wolfsartikel zu ergattern (als ob die Koffer nicht schon randvoll wären mit Wolfshemden, Wolfsbüchern, Wolfstassen, Wolfs-CDs usw.).
Unterdessen schlendere ich zu dem fahrbaren Cappuccino-Stand, dem einzigen Ort, wo man um diese Zeit schon etwas Heißes zu trinken bekommt. Elli, die ältere Bedienung mit dem schneeweißen Haar und den vielen Lachfältchen, begrüßt mich wie eine lang vermisste Freundin und bereitet schon meine Spezialmischung »koffeinfreier Kaffee Latte« zu, noch bevor ich es aussprechen kann. In all den vielen Jahren, die ich hierher komme, sind Elli und ich gute Bekannte geworden, und das nicht nur wegen unserer gemeinsamen Vornamen oder der Tafel deutscher Schokolade, die ich ihr ab und zu mitbringe. Sie findet es faszinierend, dass so »crazy Germans« den weiten Weg auf sich nehmen, um die Wölfe zu sehen.
Während ich meinen Milchkaffee genieße, erzähle ich ihr von der letzten Tour und den Wolfserlebnissen, die wir hatten. Ellis Lachfältchen streuen einen noch breiteren Kranz um ihre Augen, wenn sie voller Begeisterung ausruft »how wonderful« sie das alles findet. Und mit genau dieser Freude strahlt sie auch zwei hochgewachsene Männer mit sonnengegerbten Gesichtern an, die sich ihr mit blank geputzten Cowboystiefeln nähern und mit tief in die Stirn gezogenem Cowboyhut einen Kaffee bestellen.
Während Elli ihnen flink den Wunsch erfüllt, erzählt sie mit vor Aufregung glühenden Wangen, dass wir sogar von Germany gekommen seien, um die Wölfe zu sehen. »Isn’t that nice?«
Der Blick der beiden Männer wird eiskalt, als sie mich von oben bis unten mustern. Ich muss mich an der Kaffeetasse wärmen, so fröstelt es mich plötzlich.
»Ein guter Wolf ist ein toter Wolf«, zischt einer der Männer – offensichtlich Rancher. Wölfe würden alle seine Rinder fressen, und er wolle nichts mit ihnen zu tun haben, fügt er noch hinzu. »Und mit den Deutschen genauso wenig«, bemerkt der andere Mann und spielt damit auf die neuesten Nachrichten an, die gerade im Flughafenfernsehen über Deutschlands Widerstand gegen den amerikanischen Einmarsch im Irak berichten.
Wir beiden Ellis wagen es nicht, gegen die geballte Hasstirade anzugehen und ziehen es vor, uns mit bedauerndem Schulterzucken voneinander zu verabschieden.
In diesem kurzen Moment habe ich einen kleinen Einblick in das Gefühlsleben der Rancher bekommen und bewundere die, die sich mit ihnen auseinandersetzen müssen, sei es damals bei den Anhörungen zur geplanten Wiederansiedlung oder bei der Begutachtung getöteter Rinder zur Feststellung, ob ein Wolf der Täter war und den Ranchern Entschädigung zustand.
Der Hass der Rancher und Jäger auf die Wölfe ist eines der großen und vermutlich auch unlösbaren Probleme in Montana, Wyoming und Idaho.
Aber nicht nur die Wolfsgegner sind ein Problem, sondern auch die Wolfsfreunde, die wie wir in immer größerer Zahl nach Yellowstone kommen, um die Wölfe zu sehen. Zwar sieht es auf den ersten Blick nicht so aus, als könne man die beiden vergleichen. Schließlich unterstützen und fördern wir Wolfsbeobachter mit unseren Geldern ja den Park und die umliegenden Gemeinden. Und so zeigt sich erst auf den zweiten Blick – und nur bei näherem Hinsehen –, dass auch wir möglicherweise mit dazu beitragen, das Leben der Wölfe zu gefährden.
Ein nie endender Krieg: Rancher gegen Wölfe
Als ich 1992 wieder einmal den Sommer in Yellowstone verbrachte und in dem kleinen Ort Silver Gate am Nordosteingang des Parks lebte, kam ich ins Gespräch mit einem Rancher. Ich wollte wissen, was er über die Pläne der Regierung dachte, die Wölfe nach Yellowstone zurückzubringen. Wütend fuhr er mich an:
»Ich hasse Wölfe. Und ich hasse die Regierung, die mir erzählen will, was ich auf meinem Land machen darf und was nicht.« Er fuhr fort: »Ich knalle jeden Wolf ab, den ich sehe, und glaub’ mir, ich hab’ schon eine Menge abgeknallt. Erschießen, vergraben und schweigen, das ist die Devise.«
Nach diesem Gespräch zog ich es vor, mich nicht als Wolfsliebhaber zu outen.
Zehn Jahre, nachdem die kanadischen Wölfe in Yellowstone angesiedelt wurden, erschreckt ihr nächtliches Heulen immer noch die Menschen der Umgebung, die Angst um ihre Tiere haben. Die Wiederansiedlung führte zu einer erhitzten Debatte zwischen Wolfsliebhabern und Ranchern, die bis heute noch nicht abgekühlt ist. Wenn man sich also im Ranchland rund um Yellowstone aufhält, fährt man besser nicht mit einem Pro-Wolf-Aufkleber auf dem Auto vor. Gary Ferguson beschreibt es in seinem Buch »Wo der Adler wohnt. Mein Leben in der Wildnis des Yellowstone Parks« so: »Bis zum heutigen Tag ist die Wahrscheinlichkeit, in der Bullsitter Lounge in Cody grün und blau geprügelt zu werden mit einem ‚Ich liebe Wölfe‘-T-Shirt höher als mit einem ‚Bin Laden‘-T-Shirt.«
Wölfe und Rancher, das ist die Geschichte einer uralten Feindschaft. Sie begann, als die weißen Siedler ihre Rinder und Schafe in den Westen brachten und den Wolf als Nahrungskonkurrenten erlebten. Die Regierung sah es als ihre Aufgabe an, die Siedler vor der Bestie zu schützen und den Wolf zu eliminieren. Dann, 1995, setzte sie den Ranchern die verhassten Raubtiere wieder vor die Nase. Die U.S. Fisch- und Wildbehörde wählte Yellowstone als Ort der Wiederansiedlung, weil sie glaubte, dass es dort weniger Konflikte mit Nutztieren geben würde als anderswo. Man schätzte, dass Wölfe jährlich etwa 19 Rinder und 68 Schafe töten würden.
In den ersten sechs Jahren von 1995 bis 2001 töteten Wölfe insgesamt 41 Rinder, 256 Schafe, ein Fohlen, einen Esel und 23 Hunde und liegen damit weit unter dieser Schätzung.
Nach der Statistik des Montana Department of Livestock vom Januar 2002 weiden durchschnittlich 354.000 Rinder im Großraum Yellowstone. Rancher verlieren jährlich etwas über achttausend Tiere aus den verschiedensten Gründen, meist jedoch durch natürliche Ursachen wie Wetter und Krankheiten. Von diesen Verlusten sind Wölfe für den Tod von einem von 1.400 Rindern verantwortlich.
Etwa 117.000 Schafe leben durchschnittlich in der Nähe von Yellowstone. Rancher verlieren davon 12.993 Tiere; bei 355 Schafsverlusten pro Jahr sind Wölfe nur für ein totes Tier verantwortlich.
Die Nutztierverluste durch Wölfe sind also äußerst gering. Dennoch sind selbst geringe Verluste für manche Rancher schon zu viel. Viele von ihnen müssen wegen der schlechten Wirtschaftslage ihre Farmen verkaufen. Tom Davis, der die Rock Creek Ranch von seinem Vater übernommen hat, beklagt sich: »Vor zwei Jahren noch verkaufte ich eine gute Zuchtkuh für 4.000 Dollar. Heute bekomme ich nur noch 400 Dollar dafür.« Auf die Wölfe ist er nicht gut zu sprechen. »Junge Kälber sind ein Imbisshappen für die Wölfe. Sie fressen sie komplett auf.« Er wartet auf die Zeit, wenn der rechtliche Schutz der Beutegreifer aufgehoben wird und er sie abschießen darf.
Auch im Ninemile Valley, dem Ranchgebiet nordwestlich von Yellowstone, stehen die Wölfe auf der Abschussliste. Dort haben sie vier Lamas getötet. Im Garten einer kleinen Ranch in der Nähe von Livingston griff ein Wolf zwei Cockerspaniel an. Er versuchte, das Genick eines der Hunde zu brechen und verletzte ihn schwer.
»Wir brauchen keine Wölfe in der Zivilisation«, schimpfte der wütende Hundebesitzer einem Reporter gegenüber.
Aber es gibt auch milde Stimmen aus den Reihen der Viehzüchter. So wie Margaret Hinson, eine Rancherin der dritten Generation in Idaho. Sie wurde hart getroffen: Ihre Farm verlor 105 Schafe durch Wölfe.
»Ich war überhaupt nicht dafür, die Wölfe hierher zu bringen«, sagt sie. »Aber sie sind nun einmal hier, und wir werden lernen müssen, mit ihnen zu leben.«
Können Rinder und Wölfe koexistieren?
Dass dies möglich ist, beweisen zum Beispiel das Sunlight-Basin-Rudel und das Absaroka-Rudel, die östlich von Yellowstone im Rindergebiet leben. Mike Jimenez, der die Wölfe von Wyoming außerhalb der Nationalparks managed, hat beobachtet, wie das Rudel mitten zwischen den Rindern schlief und fand Rinderspuren in der Nähe der Wolfshöhle. Bisher wurden nur zwei Kälber vom Absaroka-Rudel getötet.
Wenn Wölfe also Rinder töten, warum töten sie dann nicht viel mehr von ihnen? Nach Auffassung der Rancher haben Wölfe bei Rindern nur eines im Sinn: sich den Bauch vollzuschlagen. Aber Wölfe sehen Kühe nicht als Beute. Zum einen haben sie in der Wildnis nie den Geschmack von Rindfleisch kennengelernt. Zum anderen fallen Rinder nicht unter das Beuteschema, weil sie sich nicht wie Beute verhalten. Wenn ein großes Tier wie zum Beispiel ein Hirsch stehen bleibt, sobald sich ein Wolf nähert, dann sind die Chancen für einen Angriff sehr gering. Wenn die Wölfe nicht bereits Erfahrung darin haben, dieses Tier zu töten, dann neigen sie dazu, es zu ignorieren, besonders wenn es auf ihre Anwesenheit nicht reagiert.
Rinder verhalten sich nicht wie Beute. Kühe reagieren nicht auf Wölfe: Sie bleiben stehen. Wölfe interessieren sich normalerweise nur für Tiere, die vor ihnen davonrennen. So versuchen sie, Hirsche zum Rennen zu bringen, um die Tiere auszusuchen, die angreifbar oder verletzlich aussehen.
Jimenez konnte beobachten, wie Wölfe auf eine Kuh zuliefen. Die Kuh tat nichts, außer sie nur anzustarren. »Der typisch starre Kuhblick.« Die Wölfe zogen weiter. »Außerdem«, so vermutet Jimenez, »riechen Rinder auch merkwürdig. Sie sind voller Antibiotika und anderer Chemikalien«. Hinzu kommt, dass die Wölfe nicht wissen, wo sie ein Rind packen sollen, weil Rinder so fett sind. Im Gegensatz zu Hirschen sind ihre Beine und ihr Hals zu dick. Bei den wenigen Fällen, wo eine ausgewachsene Kuh getötet wurde, bissen die Wölfe an Bauch und Beinen in die Haut und die Muskeln. Sie rissen so lange daran, bis die Kuh hinfiel. Diese Methode ist ineffizient und blutig – genau das, was die wolfshassenden Rancher in ihrer Meinung bestätigt.
Rinder stehen also nicht an oberster Stelle auf der Speisekarte der Wölfe und die Verluste der Rancher durch die Beutegreifer sind minimal.
Sehr viel größere Verluste entstehen den Ranchern jährlich durch andere Beutegreifer und durch natürliche Todesursachen. Um dennoch geschädigte Rancher zu unterstützen, hat die amerikanische Naturschutzorganisation Defenders of Wildlife schon 1987 ein Programm geschaffen, das Entschädigungen für getötete Nutztiere zahlt. Damit will die Organisation die »wirtschaftliche Verantwortung für die Wiederansiedlung vom einzelnen Rancher auf die Millionen Tierfreunde verlagern, die Wölfe haben wollen«. Dies soll auch im Interesse der Rancher sein, denn wenn sie allein die Kosten für die Rückkehr der Wölfe tragen müssen, verstärkt dies ihren Hass auf den Wolf.
Wenngleich das Entschädigungsprogramm mit besten Absichten geschaffen wurde, so ist es für viele Rancher zu schwierig, zu realisieren und in Anspruch zu nehmen. Um eine Kompensation zu erhalten, müssen Mitarbeiter von Defenders bestätigen, dass das Tier durch einen Wolf getötet worden ist. Oft jedoch findet ein Rancher ein totes Tier erst, wenn fast nichts mehr von ihm übrig ist. Kojoten und Wölfe fressen die Beweisstücke und es lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen, ob ein Wolf das Kalb gerissen oder nur davon gefressen hat. Steve Pilcher, Vizepräsident der Montana Stockgrowers Association, dem größten Viehzuchtverband des Staates, schätzt, dass es für jedes entschädigte Nutztier vier bis sechs getötete Tiere gibt, die nicht entschädigt werden können, weil es keine Beweise gibt.
Jedoch zahlt Defenders nach eigenen Angaben auch, wenn nicht eindeutig festgestellt werden kann, ob das Tier durch einen Wolf getötet worden ist. Die Entschädigungssumme beträgt dann aber nur den halben Marktwert.
Gleichwohl ist durch die Einführung der Entschädigungszahlungen die Toleranz der Rancher um einiges gestiegen. Zwei von drei Ranchern, mit denen ich gesprochen habe, erzählten mir, dass es ihnen nichts ausmacht, wenn Wölfe in der Nähe sind, solange sie nicht den wirtschaftlichen Schaden tragen müssen. Ein Rancher sagte: »Ich mag die Wölfe. Ich will sie nur nicht mit einem 10 000 Dollar Zuchtpferd füttern.«
Aber Defenders will nicht nur zahlen, sondern die Rancher auch dazu bringen, selbst etwas zum Schutz ihrer Tiere zu tun. Die Organisation unterstützt verstärkt Projekte, die gemeinsam mit Nutztierhaltern entworfen werden, um Tötungen durch Bären oder Wölfe gar nicht erst aufkommen zu lassen. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Kosten für ein sicheres Nachtgatter für Schafe oder einen elektrischen Zaun mit den Ranchern geteilt werden. Defenders hilft auch, wenn Wölfe auf einer Weide, die normalerweise von Rindern genutzt wird, ihre Wurfhöhle haben. Es wird dann ein Teil der Kosten gezahlt, die benötigt werden, um alternative Weiden zu finden. Manchmal werden auch Grasungsgenehmigungen aufgekauft, um so Konflikte zu vermeiden.
»Wir zahlen nicht für alles und jeden«, sagt Suzanne Laverty, die das Wolfsprogramm von Defenders in den nördlichen Rockys leitet. »Aber wir versuchen so viel wie möglich.«
So entwickelt die Organisation immer neue Friedensstrategien für den Krieg der Rancher gegen die Wölfe. Sie trainiert Herdenschutzhunde und stellt sie den Rinderzüchtern kostenlos zur Verfügung. Auch schult sie die Rancher im Gebrauch von Gummikugeln, um die Wölfe zu verjagen. Sie zahlt sogar Extravorräte Heu, damit keine Kühe in der Nähe von Wolfshöhlen auf die Weide geschickt werden.
»Viele Ideen bekommen wir auch von den Ranchern. Das Vertrauen untereinander wächst«, sagt Laverty.
Die »Wolf-Schutzengel« sind eine neue Idee der Naturschutzorganisation. Mehrere Dutzend Freiwillige zelten im Frühjahr und Sommer in Wolfsgebieten in Idaho auf den Weiden oder ziehen mit den Schafs- und Rinderherden mit und versuchen, die Wölfe mit Scheinwerfern oder lautem Gesang von den Tieren fernzuhalten.
Aber Kompensation und vorbeugende Maßnahmen allein sind nicht ausreichend, um die Nutztiere – und damit auch die Wölfe – zu schützen. Es müssen mehrere Wege gleichzeitig gegangen werden.
Einen neuen Weg geht Becky Weed aus Bozeman, Montana. Becky lebt mit ihrem Mann auf der Thirteen Mile Ranch am Fuße der Bridger Mountains. Die Weeds haben 235 Schafe. Früher hatten sie mehr Tiere, einen Großteil verloren sie durch eine mehrjährige Dürreperiode. Ihr großes Ziel ist es, die Herde auf 400 bis 500 Tiere zu vergrößern. Die Weeds haben Beutegreifer auf dem Land: Kojoten, Pumas und auch einige Wölfe. Bis heute hatten sie, im Gegensatz zu ihren Nachbarn, noch keine Verluste. Das Geheimnis der Weeds? Lamas als Herdenschutztiere!
»Seit wir die Lamas haben, trauen sich keine Beutegreifer mehr auf unser Land«, sagt Becky. »Lediglich im Herbst, wenn die Pumas für zwei Monate in die Täler kommen, müssen wir aufpassen.«
In dieser Zeit fährt sie mit ihrem Mann und ein paar Freiwilligen nachts auf die Schafweide und schläft im Auto. »Wenn die Schafe unruhig werden, wissen wir, dass der Puma kommt. Dann machen wir ordentlich Lärm und der Berglöwe verzieht sich«, ist ihr Geheimrezept.
Früher hatten die Weeds Herdenschutzhunde, einen Maremma und einen Owtscharka. Während sie mit dem Owtscharka zufrieden waren, schien der Maremma zu der fauleren Spezies zu gehören und wollte nicht arbeiten. Becky beklagt sich, dass es schwierig sei, gute Arbeitshunde zu finden. Auch mit einem Esel habe sie es einmal probiert. Der habe zwar die Herde gut verteidigt, sprang aber gelegentlich über den Zaun, um einen Ausflug zu machen. Außerdem seien Esel sehr schreckhaft. Wenn die Schafe unruhig wurden, wurde auch der Esel nervös und trat nach seinen Schützlingen.
Seit sie es mit Lamas probiert hat, ist Becky begeistert. Nun bewachen die Lamas Cyrus und Sam die Herde. Die großen Tiere sind von imposanter Gestalt und können einen Wolf leicht beeindrucken. »Auch die Haltung ist leicht«, betont Becky. »Sie sind genügsam und benötigen kein extra Futter. Allerdings müssen sie von einem guten Züchter stammen und schon sehr jung auf Schafe sozialisiert sein.«
Nur wenige ihrer Kollegen von den umliegenden Ranchen, die Schäden durch Wölfe hatten, haben bisher eine Kompensation von Defenders bekommen. Kaum jemand der kleinen Rancher beantragt sie.
»Entschädigung wird nur gezahlt, wenn der Halter nachweisen kann, dass sein Tier durch Wölfe getötet wurde. Und das ist sehr schwierig und ein großer bürokratischer Aufwand«, klagt Becky. Also hat sie den Schutz ihrer Herde in die eigenen Hände genommen – und macht sich damit die Montana Sheepgrowers Association zum Gegner, die Dachorganisation, die sie eigentlich unterstützen sollte.
»Die wollen Schafzucht auf traditionelle Art betreiben, weil dies ihre Väter und Großväter schon so taten«, bedauern die Weeds.
Weil viele Rancher auch heute immer noch nicht bereit sind, sich umzustellen und zu lernen, mit Beutegreifern zu leben, wird es weiter Konflikte geben und Situationen, die sich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen nicht ändern. Manche Gebiete sind so attraktiv für große Beutegreifer, dass man sie nicht davon fernhalten kann. Leider verteilen die Wölfe die Verluste nicht gleichmäßig auf alle Rancher, sodass jeder einen Teil davon abbekommt. Haben sie einmal eine Kuh oder ein Schaf als leichte Beute getötet, kommen sie immer wieder an diesen Ort zurück, bringen auch andere Rudelmitglieder mit und lehren ihre Jungen diese Form des Nahrungserwerbes.
Geschieht dies, dann gibt es keine einfache Lösung. Vielmehr muss das Problem individuell angegangen werden. In den ersten Jahren nach der Wiederansiedlung hat die Regierung solche »Problemwölfe« betäubt, ausgeflogen und in einem anderen Gebiet wieder ausgesetzt. Später, als es zu viele wurden, erhielten Rancher die Genehmigung, Wölfe zu erschießen, wenn sie sie beim Akt des Tötens eines Nutztieres erwischten.
So wurden viele Wolfsfamilien vollständig ausgelöscht, darunter auch – unter dem Aufschrei der weltweiten Wolfsgemeinde – das komplette Whitehawk-Rudel einschließlich seiner durch Film und Fernsehen bekannten weißen und dazu noch trächtigen Leitwölfin.
Seit diese Wölfe im Frühjahr 2001 in das Gebiet der Sawtooth National Recreation Area gekommen waren, einem riesigen Wildnisgebiet umgeben von Ranchland, hatten sie mindestens sieben Kälber, 17 Schafe und einen Wachhund getötet, sowie ein prämiertes Zuchtschaf, das – laut emotionaler Berichte der Klatschpresse – das Lieblingstier der Tochter des Ranchers war. Um das Rudel davon abzuhalten, weitere Nutztiere zu töten, erschossen die Regierungsbeamten nacheinander erst einen Wolf, dann zwei weitere, dann nochmals drei.
Aber der Rest der Wölfe hielt sich immer noch in der Nähe der Rinder auf, die auf einer eingezäunten Weide bei der Ranch standen, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Die Beamten der U.S. Fisch- und Wildbehörde arbeiteten zusammen mit den Wolf-Schutzengeln, dem Rancher und dem Indianerstamm der Nez Perce, der die Leitung über das Wolfsprogramm in Idaho hat. Entlang der Weide wurden RAG-Boxen aufgestellt, kleine Radiosender, die einen Höllenlärm verursachen (Geräusche von Gewehrsalven, brechendes Glas, Autohupen, Hubschrauber, galoppierende Pferde und schreiende Männern), sobald ein Wolf mit einem Radiohalsband in ihren Sendebereich kommt. Da fast alle Wölfe des Whitehawk-Rudels Halsbänder hatten, sollte es für sie unmöglich sein, sich unbemerkt auf die Weide zu schleichen, ohne den Lärm zu aktivieren. Darüber hinaus feuerten die Beamten Dutzende von Warnschüssen und Feuerwerkskörpern ab, direkt in die Felsen, wo sich die Wölfe normalerweise aufhielten. Die Freiwilligen zelteten nachts bei den Rindern und machten ebenfalls jede Menge Lärm. Dennoch kamen die Wölfe weiterhin aus den Hügeln auf die Weide, ergriffen sich das Zuchtschaf der Rancher-Tochter und rissen es nur 100 Meter vom Haus entfernt in Stücke. Damit hatten sie ihr Todesurteil unterschrieben. Am nächsten Tag erschossen Regierungsbeamte die restlichen fünf Wölfe des Whitehawk-Rudels aus dem Hubschrauber.
Die Weeds wollen keine Wölfe auf ihrem Land töten. Und sie machen sogar ein kleines Geschäft mit dieser Gesinnung. Seit einigen Jahren verkaufen sie »Predator Friendly Wool«, also Wolle von Schafen, die auf Land grasen, auf dem keine Wölfe getötet werden. Seit Neuestem gibt es auch »Predator Friendly Meat«. Beide Artikel – Wolle und Fleisch – erhalten ein besonderes Gütezeichen, das dem Verbraucher bestätigt, dass das Fleisch ein organisches Produkt ist und die Wolle nur mit natürlichen Stoffen gefärbt wird.
Mehr und mehr Schaf- und Rinderzüchter machen es den Weeds nach und verkaufen ihre Produkte an natur- und tierschutzbewusste Verbraucher, die so mittelbar den Wölfen helfen können.
Auch wenn viele Rancher neue Methoden ausprobieren, um gemeinsam mit Wölfen auf ihrem Land zu leben, auch wenn Tierschutzorganisationen Entschädigung zahlen – das eigentliche Problem mit Wölfen geht im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten weit über das Thema Geld hinaus. Es ist eine Frage von Macht und Kontrolle. Und solange es immer noch die »Redneck-Rancher« gibt, die ihr eigener, alleiniger Gott in Amerikas Wildem Westen sind, so lange werden die Wölfe nicht in Sicherheit und die Rancher erst zufrieden sein, wenn alle Beutegreifer tot sind.
Eine uralte Feindschaft: Jäger und Wölfe
Aber nicht nur bei den Ranchern werden Wölfe mit unverdientem Hass überschüttet. Auch bei den Jägern und Outfittern, die zahlende Kunden mit auf die Jagd nehmen, sind sie Staatsfeind Nummer Eins, weil sie fressen, was sie nun einmal fressen: Wildtiere. Und so müssen die großen Kaniden nicht nur ihr Territorium mit Autos, Wanderern, Schneemobilfahrern und Jägern teilen, sie müssen auch noch ihre Beute teilen.
Da Hirsche ihre Hauptnahrungsquelle sind, liegen Wölfe im Wettstreit mit den Jägern. Zwar sorgen die Beutegreifer durch ihre selektive Jagd dafür, dass die Hirschherden stärker, gesünder und dadurch auch größer werden, und unterstützen damit ironischerweise indirekt ihren größten zweibeinigen Feind. Aber diese Lösung scheint nicht bis in die Köpfe der Jäger vorzudringen.
»Wölfe sind blutrünstige Killer, sie vernichten unsere Hirschherden«, entrüstet sich Ron Gillette, ein Outfitter und Motelbesitzer. Er gibt viertelseitige Anzeigen in Zeitschriften auf, in denen er verlangt, dass alle Wölfe getötet werden. Sie seien »grausame, gefährliche Landpiranhas und Wildtierterroristen«. Und Tim Sundles aus Carmen, Idaho, gibt im Internet auf seiner Website sogar praktische Tipps zum Vergiften von Wölfen.
Das Argument, dass Wölfe alle großen Beutetiere komplett vernichten, hängt wie ein Damoklesschwert über Canis lupus. Es ist richtig, dass die Hirschzahlen in Montana in den letzten Jahren zurückgegangen sind. Grund hierfür ist jedoch nicht der Wolf, sondern überwiegend die jahrelang anhaltende Dürre. Wenn es nicht genügend Wasser oder Schnee gibt, wachsen Gras und Büsche nicht mehr, die die Hirsche zum Überleben brauchen. Dann verhungern die Tiere.
Außerdem töten die Jäger selbst jährlich mehr Hirsche in jedem einzelnen der Staaten Idaho, Montana und Wyoming als alle Wolfsrudel in den drei Staaten zusammen.
Nach einer Studie von Doug Smith töten die Wölfe in den Sommermonaten in Yellowstone weniger Hirsche, während im Winter, wenn die Beute am schwächsten ist, der Höhepunkt ihrer Jagdzeit ist. Bei perfekten Wetter- und Umweltbedingungen könnte jeder Wolf durchschnittlich 2,2 Hirsche pro Monat erlegen. Bei 563 Wölfen (Stand 2001) wären die Beutegreifer dann für insgesamt 15.000 tote Hirsche in allen drei Staaten zusammen verantwortlich. Vergleicht man dies mit den rund 61.000 Hirschen, die die Jäger im selben Gebiet und zur gleichen Zeit töten, dann erübrigt sich ein Kommentar zum Thema »Ausrotten ganzer Herden«.
Die Jagd ist ein großer wirtschaftlicher Faktor im Mittleren Westen. Montana steht am unteren Ende der Einkommensskala in Amerika. Der Staat ist daher, ebenso wie die örtliche Wirtschaft und die Menschen, auf die Dollars der Jäger angewiesen.
Die Hirschherde nördlich von Yellowstone ist vermutlich die größte Wanderhirschherde der Welt. In Montana gibt es zwei Jagdzeiten, eine im Herbst und eine im Januar und Februar, wo an insgesamt 24 Tagen gejagt werden darf.
Ein Hirsch, der von einem Jäger getötet wird, muss bei einer Kontrollstation durch Beamte der Fisch- und Wildbehörde überprüft werden. Dabei werden die wichtigsten Daten des Tieres, wie Geschlecht, Alter, eventuelle Trächtigkeit und Ähnliches notiert. So lassen sich konkrete Angaben über die von Jägern getöteten Hirsche vergleichen mit der Beute, die die Wölfe machen. Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass die Wölfe eher schwache, kranke oder alte Tiere töten und den meisten Erfolg bei Kälbern im Alter von acht bis neun Monaten sowie bei Tieren über zehn Jahren haben (das durchschnittliche Alter einer von Wölfen getöteten Hirschkuh ist 14 Jahre). Jäger dagegen bevorzugen die größten und schönsten Hirsche, entweder als Nahrung oder als Trophäe.
Im Gebiet, das im Norden an Yellowstone grenzt, schossen Jäger in den Jahren 1996 bis 2001 1.590 Hirsche, während die Wölfe im gleichen Gebiet 77 Hirsche töteten.
Der Hirsch, den die Jäger nicht zwingend zum Überleben brauchen, ist für die Wölfe lebensnotwendig. Aber die Jagd gefährdet auch das Leben der Wölfe auf fatale Weise. Zahlreiche Tiere wurden seit der Wiederansiedlung illegal und absichtlich gejagt und getötet. Wölfe dagegen jagen keine Menschen; sie haben Angst vor ihnen – zu Recht. Nur in ganz wenigen Fällen haben sie sich so an Menschen gewöhnt, dass sie ein Problem werden. Den tollwütigen, menschenfressenden Wolf, der geifernd des Nachts vor den Fenstern lauert, um unschuldige, kleine Kinder aus dem Bett zu reißen, gibt es nur im Märchen. Dagegen werden allein in Amerika jedes Jahr vier Millionen Menschen von Hunden gebissen, und alle zwei Wochen stirbt ein Mensch an den Folgen eines Hundeangriffs.
Eine Diskussion mit Jägern und Outfittern über die Wölfe führt ausnahmslos zu Kommentaren über die »verdammten Ostküsten-Klugscheißer«.
»Die New Yorker ersticken im Auspuffgestank und träumen von einer Serengeti hier draußen«, brummt Jim Howard, ein Outfitter aus Jackson, Wyoming. »Erst nehmen sie uns die Hirsche, dann das Land. Aber wir lassen uns nicht vertreiben!« Hierbei muss man verstehen, dass die heftigsten Diskussionen weniger mit Wölfen als mit der Regierung zu tun haben, die sie angesiedelt hat. Die Menschen im Mittleren Westen haben von jeher eine gehörige Portion Misstrauen gegenüber allem, was die Regierung ihnen auferlegt oder verspricht. Nicht umsonst stammen die meisten militärisch organisierten Bürgerbewegungen nach dem Motto »Freiheit vom Staat« aus den drei Staaten Montana, Wyoming und Idaho.
Rancher, Jäger und Outfitter haben schon lange das Gefühl, dass sich die Welt gegen sie verschworen hat. Outfitter beklagen sich, dass ihre Klienten immer älter werden und die jüngeren Leute kein Interesse mehr am Jagdsport haben. »Das Durchschnittsalter unserer Jäger ist 54, und da kommt nichts Neues nach«, jammert Jim. Für ihn ist der Wolf ein Symbol für alles, was mit der Welt schief läuft.
Einige Outfitter sehen Licht am Horizont. Statt mit dem Gewehr bringen sie ihre Kunden nun mit Fotoapparat und Spektiv auf die Pirsch. Meredith Taylor hat seit 20 Jahren ein Outfitter-Geschäft in Wyoming. Ihre Kunden kommen aus der ganzen Welt. »Sie wollen die Wölfe in der Wildnis sehen – zu jeder Jahreszeit«, lächelt sie. »Und wenn sie sie dann noch bei der Jagd beobachten können, dann ist der absolute Höhepunkt ihres Trips.«
Aber nicht jeder lächelt. Randy Richard jagte mit zwei Hunden Pumas in den Wäldern von Montana, als Wölfe seine Jagd unterbrachen. Nach Aussage von Richard hatten die Hunde den Puma gerade auf den Baum getrieben, als ein Rudel Wölfe auftauchte, den einen Hund tötete und den anderen schwer verletzte. »Sie zerrissen ihn und fraßen ihn auf. Das Einzige, was noch übrig blieb, war der vordere Teil seiner Schultern, seine Vorderbeine, sein Nacken und sein Kopf«, faucht er.
Bei solch emotionalen und nicht immer den Tatsachen entsprechenden Beschreibungen (Wölfe töten zwar Hunde, fressen sie aber nicht auf) muss man sich nicht wundern, wenn die Jäger es kaum erwarten können, bis sie endlich wieder auf Wölfe schießen dürfen. Wie lange wird es wohl dauern, bis wieder eine Prämie auf den Kopf des Wolfes ausgesetzt wird und Jäger wieder einmal guten Gewissens Jagd auf ihn machen können?