Epilog: Der Preis der Freiheit

Als ich Anfang der neunziger Jahre – lange vor der Wiederansiedlung – meinen ersten Wolf in Yellowstone sah, war ich fasziniert. Obwohl es hier offiziell keine Wölfe gab, hatte es ein vorwitziger Isegrim geschafft, vermutlich aus dem nördlichen Montana oder dem südlichen Kanada seinen Weg mehrere Hundert Kilometer vorbei an Städten, über Autobahnen und durch Ranchland bis in den »Wolfshimmel« von Yellowstone zu finden. Diesen Wolf, der wenig später bei der Internationalen Wolfskonferenz in Edmonton 1992 im Film zu sehen war, habe ich danach nie wieder gesehen. Dennoch wusste ich, dass die Wölfe nach Yellowstone kommen würden und vielleicht sogar bereits gekommen waren. Einige Jahre früher schon hatte ich im Glacier-Nationalpark im nördlichen Montana ein Wolfsrudel beobachtet. Es war also nur eine Frage der Zeit, wann die Beutegreifer ihren Weg nach Süden finden.

Daher stand ich zunächst der Wiederansiedlung skeptisch gegenüber. Ich war und bin immer noch der festen Überzeugung, dass eine von Menschen organisierte »Rückkehr« von Wölfen nicht nötig ist, wenn man den Tieren ausreichend Zeit, Ruhe und den notwendigen gesetzlichen Schutz gibt.

Meine Meinung änderte sich, seit ich nach 1995 jedes Jahr mehrere Monate lang die Wölfe beobachte. Wer einmal ein Wolfsrudel mit 37 Tieren auf der Jagd gesehen hat, wird diesen Anblick nie mehr vergessen. Yellowstone bietet die einzigartige Gelegenheit, Wölfe in ihrem natürlichen Verhalten zu beobachten.

Aus den ersten 14 Wölfen 1995 waren Mitte 2003 über 200 Wölfe geworden. Der Park, der einst – wie es Dave Mech einmal sagte – nach der Anwesenheit von Wölfen bettelte, quoll in den ersten Jahren über von Wölfen. Oft wusste ich gar nicht mehr, in welche Richtung ich mich drehen sollte – überall waren die Grauröcke zu sehen. Vor mir, hinter mir, an jedem Berghang konnte ich sie beobachten.

Aber das rasante Wachstum der Wolfspopulation in Yellowstone hatte auch seine Nachteile. Es wurde eng im Park. Jedes gute Revier mit ausreichender Beute war besetzt. Was folgte waren territoriale Streitigkeiten und Kämpfe unter den Wölfen. Die Reproduktionsrate sank und die Welpensterblichkeit stieg an; es ist bekannt, dass eine Population, die zu groß wird, automatisch ihre Geburtenrate reduziert. Die Wölfe wanderten aus dem Park ab, in Gebiete, in denen sie nicht mehr geschützt waren. Manche Wolfshasser warteten schon an den Parkgrenzen auf sie, um sie zu töten. Die Parkwölfe vertrauten den Menschen. Sie waren keine Gefahr für sie.
Darüber hinaus haben die meisten Wölfe Radiohalsbänder. Es ist für Jäger kein Problem, die Frequenz der Halsbänder herauszubekommen und gezielt auf Wolfsjagd zu gehen. Die Halsbänder, die einst zu ihrem Schutz gedacht waren, bedeuten nun ihren Tod.

Ich frage mich, ob man sich in der Euphorie der Wiederansiedlungspläne überhaupt weitere Gedanken über die Zeit nach dem erfolgreichen Abschluss des Programms gemacht hat? Die Wiederansiedlung war – neben dem berechtigten Plan, dem Ökosystem von Yellowstone den so dringend benötigten Beutegreifer zurückzugeben – auch eine politische Entscheidung, ein Präzedenzfall, ein Vorzeigeobjekt. 31 Wölfe wurden ihrer vertrauten Umgebung entrissen und in ein Gebiet gebracht, das ihnen reichlich Beute und viel Platz bot und ohne Jagddruck wie ein Paradies vorgekommen sein muss. Sie jagten, fraßen und vermehrten sich. Dass dies so und in solchen Zahlen geschah, hatte niemand in seinen kühnsten Träumen zu hoffen gewagt. Nun wurde der Platz zu eng, und die Wölfe taten das, was sie normalerweise tun: Sie wanderten ab und suchten sich ein neues Revier – in einem Gebiet, in dem sie nicht mehr geschützt waren, wo es weniger natürliche Beutetiere, dafür aber mehr Nutztiere gab und wo die Menschen, die sie als ungefährlich erachteten, auf sie schossen und sie töteten.

Wenn in den Staaten Montana, Wyoming und Idaho weiterhin so viele Wölfe gejagt werden, wie seit der Streichung von der Artenschutzliste, wird es nicht mehr lange dauern und es wird (wieder einmal) keine Wölfe mehr außerhalb von Yellowstone geben. Dann beginnt erneut der mühsame Prozess, vorangegangene Fehler wieder gutzumachen und die Wölfe auf die Artenschutzliste zu setzen.

Die Geschichte wird sich wiederholen – bis wir lernen, die Tiere anders zu behandeln.

Die Wiederansiedlung der Wölfe in Yellowstone war ein einmaliges Experiment. Dass es so erfolgreich war, verdanken wir vielen sehr fähigen, fürsorglichen und weitblickenden Fachleuten. Dennoch besteht bei aller Begeisterung die Gefahr, dass wir auch die Wölfe selbst als »Experiment«, als »Forschungsobjekt« betrachten. Schon jetzt tragen die meisten Beutegreifer ein Radiohalsband. Ursprünglich sollten die Tiere nur in den Anfangsjahren ein Halsband erhalten. Auch heute noch wird jedes Tier, das besendert wird, wissenschaftlich »bearbeitet«, das heißt vermessen, gewogen, bekommt Blut abgenommen und so weiter und so weiter.

Seit sie ihren Fuß in den Park gesetzt haben, wurden die Wölfe von Menschen manipuliert. Sie bekamen Radiohalsbänder, ihre Welpen, die durch die Lage ihrer Höhle in Gefahr waren, wurden verlegt und Wölfe, die eine Gefahr für Nutztiere waren, ausgeflogen oder getötet. In jedem einzelnen, individuellen Fall mögen diese Maßnahmen wissenschaftlich gerechtfertigt gewesen sein. Im Laufe der Zeit jedoch scheint sich ein Denken eingeschlichen zu haben, nach dem es selbstverständlich ist, die Wölfe auf jede Art und Weise zu kontrollieren.

Je größer die Wolfspopulation in Yellowstone wird, um so mehr stellt sich die Frage nach der Ethik dieses Handelns. Brauchen wir noch mehr Wölfe mit Radiohalsbändern? Einige Wölfe wehren sich. Bei zumindest drei Wolfsrudeln weiß man, dass sie sich gegenseitig die Halsbänder abgekaut haben. Als Reaktion auf diese freie Willenserklärung haben die Wissenschaftler diesen »notorischen Störenfrieden« jetzt Halsbänder mit Stahleinlagen angelegt.

Wie weit wollen wir noch gehen? Wie viel Achtung und Würde wollen wir den Wölfen (und allen anderen Tieren, die wissenschaftlich erforscht werden) zugestehen? Ist die Information, die wir erhalten, die Beeinträchtigung des Lebens eines wilden Tieres wert? Und wenn ja, müssen wir uns weiter fragen, wie viele Tiere und welche Informationen wir brauchen und ob sie am Ende den Tieren auch nutzen?

Ohne Zweifel haben wir durch die Radiohalsbänder viele wichtige Informationen erhalten. Wir haben gelernt, wie wilde Wölfe in einem Ökosystem funktionieren. Ohne sie könnten wir Wolfsbeobachter nicht die Wölfe finden und sie bequem von der Straße aus beobachten. Gleichzeitig aber machen es die Radiohalsbänder auch leichter, Wölfe zu töten.

Und so kann man sich am Ende bei aller Technik manchmal nicht des Gefühls erwehren, sich in einem riesigen Safaripark oder Zoo zu befinden.

Das Wiederansiedlungsprogramm ist erfolgreich abgeschlossen. Dank menschlicher Hilfe und Manipulation sind die Wölfe nach Yellowstone zurückgekehrt. Aber um zu entscheiden, ob ihre Rückkehr wirklich ein Erfolg ist, müssen wir uns fragen, welche Kriterien wir dem Wort »Erfolg« beimessen, und welchen Preis die Wölfe dafür zahlen.

 

Als ich 1990 den ersten Wolf in Yellowstone sah, hatte ich eine Vision: Ich sah, wie die Wölfe langsam aber sicher von Norden nach Süden ziehen. Immer wieder würden es einzelne Wölfe schaffen. Ein Wolf würde nach Yellowstone kommen und auf eine andere einsame Wölfin treffen. Sie würden Nachkommen zeugen, und der gesamte Prozess, der bei der Wiederansiedlung in wenigen Jahren geschah, würde ebenso vor sich gehen, nur sehr viel langsamer. Das Ganze wäre nicht in zehn Jahren beendet, sondern vielleicht erst in zwanzig, fünfzig oder hundert Jahren. Was soll's? Die Zeitrechnung der Natur ist langsamer als die unsere. In dieser Zeit und unter vollem gesetzlichem Schutz der Wölfe hätten sogar die Rancher und Skeptiker die Möglichkeit gefunden, sich an die Anwesenheit der Beutegreifer zu gewöhnen – auch ohne dass man sie ihnen direkt vor die Nase gesetzt hätte. Vermutlich hätte es auch weniger Probleme mit Nutztier-Angriffen gegeben, und weniger Wölfe als bisher hätten ihr Leben lassen müssen.

Auf der anderen Seite hätte es dann auch sehr viel länger gedauert, bis wir (Forscher, Biologen, Wolfsbeobachter) all die neuen Erkenntnisse erfahren hätten, die uns die Wölfe innerhalb kürzester Zeit über ihre Sozialverhalten und ihre Jagdtaktiken gelehrt haben.

Wie immer ich es auch drehe, es scheint keine ideale Lösung zu geben. Bleibt also nur zu hoffen, dass die Wölfe auch ohne Artenschutz klug und anpassungsfähig genug sein werden, um den Kugeln der Jäger zu entkommen und langfristig auch außerhalb von Yellowstone zu überleben.

Viel Glück, Wölfe!