Wie haben die Wölfe das Ökosystem verändert?

 

Februar 1999

Die Druids sind auf der Jagd. Schon längere Zeit haben sie keine Beute mehr gemacht. Ich beobachte sie seit mehreren Tagen im Lamar Valley. Die Spannung ist mit jedem Tag größer geworden, etwas liegt in der Luft. An diesem sonnigen Wintermorgen halten sie sich wieder im Tal auf. Eine ganze Weile bewache ich ihren Schlaf. Dann wachen sie auf und ich muss über ihr wölfisches Ritual des Mundwinkelleckens, Schwanzwedelns und die Unterwerfungsgesten schmunzeln, die die sozialen Bande festigen. Plötzlich kommt Aufregung bei den acht Wölfen auf. Sie versammeln sich um die Leitwölfe Nummer 21 und Nummer 42. Nach einem intensiven Heulkonzert ziehen sie los, aufgereiht wie an einer Perlenschnur. Es ist deutlich zu sehen: Die Druids sind hungrig – und sie haben ein Ziel.

Dies spürt auch die Gruppe der Hirschkühe, die zuvor noch friedlich gegrast hat. Jetzt stehen sie zusammengedrängt, die Köpfe mit den Lauschern auf die Wölfe gerichtet. Die Anspannung ist greifbar.

Die Wölfe ziehen zunächst scheinbar unbeteiligt an den Hirschen vorbei, teilen sich dann aber urplötzlich auf und beginnen den Sturm auf die Wapitis. Eine kleine Gruppe trennen sie schnell ab und verfolgen sie. Ihre Taktik ist von unserem Standort aus gut überschaubar. Drei Wölfe hetzen die Hirsche, die anderen umkreisen sie von links und rechts und nehmen sie so in die Zange. Zwei Hirschkühen gelingt es, auszubrechen. Während fünf Druids die andere Gruppe weiter und aus meinem Blickfeld hinaus hetzen, folgen zwei schwarze Jungwölfe den beiden Hirschkühen und konzentrieren sich schließlich auf das langsamere Tier. Die Hirschkuh hat sich in den kleinen Lamar River geflüchtet und behält heftig atmend die Angreifer im Blick. Die zwei Wölfe umkreisen sie und versuchen zunächst, sie an den Beinen zu packen. Aber die Beute ist noch lange nicht bereit aufzugeben. Sie tritt nach den Angreifern, die sich blitzschnell zurückziehen. Der nächste Versuch folgt von vorn. Jetzt schlägt das Tier mit seinen Hufen kräftig auf das Wasser, das nach allen Seiten spritzt. Sofort springen die Wölfe zurück. Immer wieder tritt die Hirschkuh ins Wasser, sodass die beiden Jungwölfe in kürzester Zeit pitschnass sind. Das wird ihnen nun doch zu viel. Sie schütteln sich, dass die Wassertropfen nur so fliegen, und laufen im wahrsten Sinne des Wortes wie »begossene Pudel« zu ihrem Rudel zurück. Die Hirschkuh ist noch einmal davongekommen. Noch lange steht sie mit zitternden Flanken im sicheren Fluss.

Gerade habe ich eine der vielen Jagdtaktiken der Wölfe beobachtet und konnte dabei eine Überlebensstrategie der Hirsche verfolgen.

Die Hirsche haben aus ihrer Vertreibung aus dem Paradies gelernt und sich angepasst. Früher, bevor die Wölfe nach Yellowstone kamen, sah ich sie oft in riesigen Gruppen friedlich grasen oder ruhen. Außer den Grizzlys und gelegentlich ein paar Kojoten hatten sie niemanden zu fürchten. Ähnlich erging es auch den Elchen und den Bisons.

Aber seit die Wölfe zurück sind, haben ihre Beutetiere nach anfänglichen harten Lehrjahren ihre Unschuld verloren. Sie sind wachsam geworden, schauen lieber einmal zu viel als zu wenig über ihre Schultern. Sie haben sich angepasst und eigene Taktiken entwickelt, um zu überleben. Aber nicht nur die Beutetiere, sondern das komplette Ökosystem von Yellowstone hat sich durch die Rückkehr von Isegrim verändert.

 

Immer noch streiten sich Wissenschaftler darüber, welche Spezies den meisten Einfluss auf ein Ökosystem hat – die an der Spitze oder die am Ende einer Nahrungskette. Um die Natur in ihrer Gesamtheit zu begreifen, muss man sich ihre kleinsten Kreaturen anschauen. Der Einfluss von Kleinstlebewesen auf das Ökosystem wird auch heute noch viel zu wenig beachtet. Und während die Spezialisten weiter darüber diskutieren, ob Hirsche oder Bisons durch ihr Grasungsverhalten die Landschaft von Yellowstone dauerhaft verändern, fallen in manchen Jahren Massen von Heuschrecken in den Park ein, die doppelt so viel fressen wie Hirsche und Bisons zusammen. Niemand von den Medien hält dies für erwähnenswert.

Gleichwohl hat sich in der Wissenschaft die Auffassung durchgesetzt, dass die Natur eher von oben nach unten regiert wird als umgekehrt. Dass große Beutegreifer bedeutende Auswirkungen auf die Struktur und die Funktion von natürlichen Systemen haben und das gesamte Ökosystem beeinträchtigen, wird durch die Rückkehr der Wölfe bestätigt. Seit sie ihre alte Heimat wiederbesiedelt haben, ist das Spektrum der Beutegreifer mit Grizzlys, Schwarzbären, Berglöwen, Kojoten und Wölfen nach 70 Jahren wieder komplett. Schon jetzt – zehn Jahre nach der Wiederansiedlung – kann man die Veränderungen im Ökosystem sehen; die ganzen Folgen werden wohl erst in einigen Jahrzehnten absehbar sein.

In Yellowstone haben die Wölfe fast den ganzen Park (9000 Quadratkilometer) besetzt, sofern es für sie geeignetes Habitat gibt. Und auch über die Parkgrenzen hinaus, im Greater Yellowstone Ecosystem (GYE: 72 800 km²), haben sich Rudel niedergelassen. Die Wolfsrudel haben ganzjährige Territorien gegründet, unabhängig von den saisonalen Wanderungen ihrer Beutetiere.

Ihre Hauptbeutetiere sind große Huftiere. Zu den anderen Beutegreifern, die regelmäßig diese Tiere fressen, gehören Berglöwen und Schwarz- und Grizzlybären, deren Jagdmethoden sich jedoch von denen der Wölfe unterscheiden: Bären, die normalerweise Einzelgänger sind, schleichen sich an ihre Beute (Elche, Hirsche und Rehe, meist Kälber oder verletzte Tiere) heran, Pumas (ebenfalls Einzelgänger) greifen aus einem Versteck heraus an.

Auch Kojoten töten und fressen gelegentlich junge, alte und kranke Huftiere, ihre Hauptnahrung besteht jedoch aus kleineren Beutetieren.

Die Wölfe dagegen sind perfekt für ihre Beutegreiferrolle geschaffen. Kein anderer Fleischfresser kann diese Rolle einnehmen. Dadurch sind sie ein bedeutender Teil des Ökosystems.

Im Durchschnitt frisst ein Wolf im Winter etwa zwei bis drei Kilo Fleisch pro Tag. (Das bedeutet nicht, dass er jeden Tag so viel Fleisch braucht, sondern ist ein statistischer Mittelwert.) Jeder Wolf kann innerhalb kürzester Zeit leicht das Doppelte fressen oder aber auch bis zu vier Wochen ohne Nahrung auskommen. Der große Magen der Wölfe scheint für lange Fastenzeiten und anschließende Fressgelage wie geschaffen zu sein.

Die Häufigkeit der Tötung eines Beutetieres durch ein Wolfsrudel variiert enorm und hängt von vielen Faktoren ab einschließlich Rudelgröße, Vielfalt und Verletzlichkeit der Beute sowie Schneebedingungen und wie lange an einem Kadaver gefressen werden kann. Da die Größe der Beute variiert, vom kleinen Säugetier bis zum Bison, hängt die Tötungsrate für jede Tierart davon ab, wie viel Nahrung diese zur Verfügung stellt.

Die bevorzugte Nahrung der Yellowstone-Wölfe ist zu 88 Prozent Hirschfleisch. Im Durchschnitt tötet jedes Wolfsrudel alle drei Tage einen Wapiti. Das ist ein Durchschnittswert und hängt sowohl von der Rudelgröße ab als auch vom Alter der Beutetiere.

An zweiter Stelle des Lieblingsfutters der Wölfe stehen Maultierhirsche, die sich meist nur im Sommer im Park aufhalten. Danach kommen weit abgeschlagen Elche, Bisons, Gabelantilopen und schließlich noch Biber, Erdhörnchen und andere kleine Nager.

Aber die Wölfe töten nicht nur ihre Beutetiere, sondern auch ihre Nahrungskonkurrenten, insbesondere Kojoten.

Die Nahrungsaufnahme ist besonders wichtig für den Aufbau der nötigen Fettreserven für den Winter. Dies hat mehr Einfluss auf den Erfolg der Reproduktion als jeder andere Faktor. Es gibt dafür kein besseres Beispiel als die Yellowstone-Wölfe. Der bekannte Wolfsforscher Dave Mech nennt die Wölfe von Yellowstone »die fettesten Wölfe, die ich je gesehen habe«. Beim Einfangen und Besendern der Tiere habe er kaum die Hüftknochen des Wolfes fühlen können. Nach einer sehr reichhaltigen Mahlzeit hatte ein Wolf das Rekordgewicht von 70 Kilogramm, zehn mehr als der schwerste Wolf in Mechs Heimat Minnesota.

Die Reproduktionsrate der Wölfe in Yellowstone ist spektakulär – eine der höchsten Raten, die je notiert wurden –, insbesondere da in den Yellowstone-Rudeln häufig mehrere Weibchen Junge bekommen.

Bei ihrer Wiederansiedlung 1995 waren die Wölfe in der besonderen Lage, dass sie (zunächst) unbegrenztes Territorium mit ausreichend Beutetieren zur Verfügung hatten. Dies sowie der absolute Schutz, den sie im Park genießen konnten, machte ihre Situation einzigartig.

Schauen wir nun, welchen Einfluss die Rückkehr der Beutegreifer auf die einzelnen Beutetierarten und darüber hinaus auf das gesamte Ökosystem hat.

 

Wölfe und Hirsche

In Yellowstone kommt der nordamerikanische Hirsch (Cervus elaphus) von allen Säugetieren am meisten vor. Die ersten europäischen Siedler benutzten das Wort »Elk«, was in Nordeuropa »Elch« heißt, für das Tier. Das sorgt immer noch für Verwirrung bei europäischen Besuchern und gelegentlich auch bei Übersetzern amerikanischer Texte. Die Shawnee-Indianer nannten es »Wapiti«, was »weißer Hirsch« oder »Weißschwanzhirsch« bedeutet, ein anderer Name für den Hirsch. Der nordamerikanische Hirsch gehört zur selben Art wie der Rothirsch in Europa.

Ein Hirschbulle wiegt etwa 320 Kilogramm und hat eine Schulterhöhe von 1,50 Meter; Hirschkühe wiegen 230 Kilogramm und sind nur wenig kleiner; Kälber wiegen bei der Geburt etwa 14 Kilogramm. Die Hirschbullen gehören wegen ihrer imposanten Geweihe wohl zu den am meisten fotografierten Tieren im Park. Ihr Geweih beginnt im Frühjahr zu wachsen und wird im folgenden März oder April abgeworfen. Die Wapitis ernähren sich von Gras, Büschen und von den Rinden der Espen. Die Paarungszeit (Brunft) ist von September bis Oktober. Die Kälber werden von Mai bis Ende Juni geboren.

Yellowstone bietet den Forschern und Besuchern die einzigartige Gelegenheit, die scheuen Wölfe bei Interaktionen mit anderen Wildtieren zu beobachten.

Wenig bekannt war zuvor, wie Wölfe ihre Beute bei der Jagd töten. Beobachtungen aus der Luft – wie Dave Mech es in Minnesota praktiziert – gaben nur wenig Aufschluss. In Yellowstones Lamar Valley jedoch haben die Zuschauer einen Logenplatz. Und so konnte in den letzten Jahren ausgiebig beobachtet werden, wie Wölfe Hirsche jagen:

Bei einem Angriff reagieren die Hirsche normalerweise mit Flucht. Bleiben sie in einer eng geschlossenen Gruppe, verlieren die Wölfe innerhalb von 20 bis 30 Sekunden das Interesse. Wenn sich die Herde jedoch trennt, verfolgen die Beutegreifer fast immer die kleinere Gruppe. Jagt ein größeres Wolfsrudel, teilt es sich meist auf und jagt die verschiedenen Hirschgruppen unabhängig voneinander. Der Erfolg ist nahe, wenn von einer Hirschgruppe am Ende nur noch ein Tier übrig bleibt.

Wenn die Wölfe Hirschkälber angreifen, die nur wenige Tage oder Wochen alt sind, dann gibt es selten eine Verfolgungsjagd, stattdessen eher ein Vorschießen, Greifen des Kalbs und Wegziehen von der Mutter. Oft wird bei dieser Taktik das Kalb nur verletzt, was dazu führt, dass der Wolf um die Hirschkuh herum »arbeiten« muss, um schließlich doch noch zu seiner Beute zu kommen, wobei die Mutter natürlich ihr Kalb massiv verteidigt.

In 65 Prozent der Fälle tötet ein Wolf einen erwachsenen Hirsch, indem er ihm in die Kehle beißt. Dabei rennt er neben dem Hirsch her und verbeißt sich unterhalb des Halses; bei neu geborenen Kälbern dagegen greift er sich das Tier von oben am Hals. Ist mehr als ein Wolf an der Jagd beteiligt, findet eine Arbeitsteilung statt. Ein Wolf verbeißt sich in den Hals oder die Schnauze, ein anderer greift an den Flanken oder Beinen an und so weiter.

Eine der größten Kontroversen bei der Wiederansiedlung der Wölfe war die Frage, ob die Beutegreifer die Populationen von Hirschen und anderen Huftieren dezimieren würden. Die Jäger und Outfitter waren der Auffassung, dass die Wölfe sämtliche Hirsche von Montana und Wyoming fressen und damit alles jagdbare Wild ausrotten würden. Aber es hat sich gezeigt, dass die Yellowstone-Wölfe nur wenig Einfluss auf die Hirschpopulation haben. Bei den Populationszahlen der Hirsche spielen insbesondere Dürre, harte Winter, Jagd außerhalb des Parks und auch andere Tiere eine Rolle.

Die Herde im nördlichen Yellowstone-Nationalpark zählte in den letzten 20 Jahren durchschnittlich etwa 13.000 Tiere (mit einer Fluktuation zwischen 9.000 und 19.000 Tieren). Im Winter 2003 wurden etwa 9.000 Hirsche gezählt, 2005 weniger als 5.000. Der wichtigste Faktor beim Rückgang der Hirschzahlen ist jedoch nicht der Wolf, sondern die Härte des Winters.

Eine Studie von Doug Smith und Dave Mech untersucht den Einfluss des Winters auf das Gleichgewicht zwischen Wolf und Hirsch. Sie bezieht sich hauptsächlich auf zwei sehr unterschiedliche Winter in Yellowstone. In den Wintern 1996 bis 1997 und 1997 bis 1998 folgten die Wissenschaftler jeweils im März den Druid-Peak-, Rose-Creek- und Leopold-Rudeln und erfassten, wie viele Jagdausflüge erfolgreich waren, wie viele Hirsche sie töteten und wie viel von jedem Kadaver gefressen wurde.

1996/97 war einer der härtesten Winter, die es in Yellowstone je gegeben hat. Im Dezember und Januar schneite es sehr viel, und danach fiel Regen, der bei Tiefsttemperaturen gefror und es für die Huftiere fast unmöglich machte, an Nahrung zu kommen. Rekordwanderungen der Hirsche wurden gemeldet und viele Tiere verschwanden ganz einfach. Jetzt hatten die Wölfe eine höhere Erfolgsrate. Sie töteten mehr Hirsche und fraßen weniger von den Kadavern als im folgenden Jahr. Die drei beobachteten Wolfsrudel töteten bei 65 Versuchen 16 Hirsche und fraßen dabei 23 Prozent der Kadaver in den ersten beiden Tagen.

Dagegen war der nächste Winter, 1997/98, ein sehr milder Winter, in dem sich die Hirschpopulation langsam wieder erholte. Nun töteten die Wölfe nur noch fünf Hirsche bei 37 Versuchen, fraßen dafür aber 89 Prozent der Kadaver in den ersten beiden Tagen.

Hatte man zunächst angenommen, dass die Hirsche, die zwei Jahre zuvor noch keine Wölfe kannten, den Beutegreifern mühelos zum Opfer fallen würden, so musste man nun feststellen, dass die Wölfe für die Wapitis in einem milden Winter trotz der Naivität der Hirsche keine Bedrohung waren.

Die Ergebnisse in Yellowstone stimmen auch mit anderen Untersuchungen im Denali- und Glacier-Nationalpark überein. Wenn es einen milden Winter gibt, dann ist die Huftierpopulation sehr viel vitaler, beweglicher und widersteht oft besser den Angriffen der Wölfe.

Harte Winter dagegen sind ein Nachteil für die Hirsche. Sie benötigen ihre Fettreserven als Hauptquelle für ihren Energieverbrauch.

Die Menge und Tiefe des Schnees spielt ebenfalls eine Rolle. Nicht nur macht es der Schnee den Wapitis schwer, Nahrung zu finden, es ist für sie auch schwieriger, zu flüchten. Wölfe laufen mit ihren dicken Pfoten auf dem Schnee, während die Hirsche durchbrechen.

In milden Wintern fressen die Wölfe mehr von ihrer Beute, da sie schwerer zu fangen ist. Sie haben also nicht die Möglichkeit, schnell einen anderen Hirsch zu töten.

Die Untersuchung endete mit dem Ergebnis, dass der »dominante Einfluss« des Winters auf die Beziehung Wolf-Hirsch nicht ignoriert werden sollte: »Die Auswirkungen von Wölfen auf Hirschzahlen hängen von der Stärke des Winters ab. Daher sollte jedes Populationsmodell und jede Veränderung der Jagdregulierungen oder andere Management-Reaktionen diese wichtige Beziehung mit berücksichtigen.«

Weiterhin ist zu beachten, dass auch andere große Beutegreifer sich von der Lieblingsnahrung der Wölfe ernähren. So tötet ein Puma im Jahr im Durchschnitt etwa alle neun Tage einen Wapiti. In einem durchschnittlichen Winter erlegt ein Rudel von zehn Wölfen jeden dritten Tag einen Hirsch, am Ende des Winters, wenn die Beute schwächer wird, jeden zweiten Tag.

Hirschkälber spielen auch eine wichtige Rolle in der Nahrung von Kojoten und Bären. Vor der Wiederansiedlung der Wölfe töteten Kojoten etwa 1.200 Hirsche jährlich im Park (das sind etwa so viel Hirsche wie Grizzlybären und Pumas zusammen töteten).

Deutlich verändert hat sich seit der Rückkehr der Wölfe das Grasungsverhalten der Hirsche. Vor 1995 waren sie noch unbedarft und zogen sorglos fressend durch das Lamar Valley. Dies änderte sich in den nächsten Jahren. Heute sind die Wapitis sehr viel scheuer geworden und stets auf der Hut. Im Sommer ziehen sie in höher gelegene Gebiete und teilen sich in kleinere Gruppen auf, das reduziert das Risiko, von Wölfen angegriffen zu werden. Bevorzugt suchen die Hirsche jetzt auch die ehemaligen Waldbrandgebiete auf. Dort gibt es ausreichend frisches Gras und nur wenige Wölfe. Wenn sich das Wetter ändert und Schnee kommt, werden sie wieder verletzlicher. Im Winter leben Wapitis und Wölfe eng zusammen im nördlichen Yellowstone. Dann besteht die beste Verteidigung der Hirsche darin, sich in möglichst großen Gruppen zusammenzuschließen.

Erik Bergman von der Montana State University hat eine Studie durchgeführt, um festzustellen, wo sich Wölfe lieber aufhalten: dort, wo es mehr Hirsche gibt, oder dort, wo sie leichter angreifbar sind. Dabei hat er festgestellt, dass fast 45 Prozent der Tötungen in sogenannten »Umwelt-Fallen« geschehen. Flüchtet ein Beutetier beispielsweise mit seiner üblichen Taktik in einen Fluss, um dem Verfolger zu entkommen und ist das Wasser zu flach, hat es sich verkalkuliert.

Sind Wölfe in der Nähe, ziehen Hirsche oft in höher gelegene Gebiete, wo es für die Beutegreifer schwieriger wird, sie zu jagen. Gelegentlich rennen die Wapitis auch zu einer Straße, die die Wölfe wegen der Menschen meiden. Diese Taktik jedoch kann sich auch wieder zu einer Umwelt-Falle für die Hirsche entwickeln, denn die Wölfe haben durchaus gelernt, diese Situation zu nutzen. So habe ich mehrmals beobachten können, wie die Wölfe auf der Jagd die Hirsche bewusst in Richtung Straße getrieben haben, auf der sehr viele Beobachter mit ihren Autos standen. Die Hirsche sahen keine Möglichkeit, durch die menschliche Barriere zu brechen und waren so regelrecht »eingekesselt«, was die Wölfe zu ihrem Vorteil nutzten. Dann kann es geschehen, dass Wölfe vor den Augen von Touristen und Fotografen einen Wapiti erlegen.

Ein nicht zu unterschätzender Faktor beim Rückgang oder Anstieg der Hirschpopulation im Gebiet von Yellowstone sind die Jäger, die in den angrenzenden Gebieten bei der alljährlichen Herbstjagd 2.000 bis 3.000 Tiere töten.

Unter Berücksichtigung all dieser Tatsachen kann nach den bisher vorliegenden Studien davon ausgegangen werden, dass die Hirschpopulation in den nächsten Jahrzehnten in Yellowstone zwischen 5.000 und 16.000 Tieren fluktuieren kann – abhängig vom weiteren Wachstum und Schutz der Wölfe.

 

Wölfe und Bisons

Bisons sind die größten Landsäugetiere in Nordamerika. Sie erhielten ihren Namen zunächst von den frühen Forschern, die der Meinung waren, dass sie wie afrikanische Büffel oder Wasserbüffel in Asien aussahen. Und so blieb der Name »Büffel« als Teil der Western-Folklore erhalten. Der wissenschaftliche Name war »Bison bison« und wurde später reklassifiziert in »Bos bison«.

Ende des 18. Jahrhunderts lebten 30 bis 60 Millionen Bisons in Nordamerika. Heute beträgt die Population (wieder) etwa 80.000 Tiere; 15.000 davon leben in Schutzgebieten, hierzu gehören auch die wilden Herden in Yellowstone.

Erwachsene Bisons haben eine Schulterhöhe von 1,50 bis 1,80 Meter und wiegen 450 bis 900 Kilo. In Gefangenschaft werden sie noch größer; es gibt Berichte von bis zu 1.300 Kilo schweren Bisons. Bisonkühe wiegen im Allgemeinen bis zu 450 Kilogramm. Vom Kopf bis zum Schwanz kann ein Bulle bis zu drei Meter messen.

In einer Bisonherde leben Kühe, Kälber und einige jüngere Bullen. Erwachsene Bullen verbringen die meiste Zeit des Jahres gemeinsam mit anderen Bullen, mit Ausnahme der Paarungszeit von Ende Juli bis Ende August. In dieser Zeit kämpfen die Bullen um die Weibchen, indem sie ihre riesigen Köpfe aufeinander krachen lassen und versuchen, den anderen wegzuschieben. Auch wenn es gefährlich aussieht, gibt es kaum Verletzungen. Der Preis für den Sieger ist ein großer Harem. Dominante Bullen haben meist auch die größten Harems.

Nach einer neunmonatigen Tragezeit werden im Mai die orangefarbenen Kälbchen geboren. Sie bleiben die nächsten drei Jahre bei ihrer Mutter.

Trotz ihres behäbigen Aussehens sind Bisons äußerst schnell und fähig, bis zu 45 Stundenkilometer zu rennen. Dies unterschätzen in jedem Sommer einige Touristen, die zu dicht an die Tiere herangehen und dann verletzt werden.

Yellowstone ist der einzige Ort in Nordamerika, wo seit prähistorischen Zeiten eine wilde Bisonherde existiert. Diese Tiere stammen von wenigen überlebenden wilden Bisons sowie von Bisons aus privaten Herden ab. Sie wurden um 1920 auf der Buffalo Ranch im Herzen von Yellowstone zusammengelegt.

Heute (2012) zählt die Bisonherde etwa 4.500 Tiere. Geschützt sind sie nur innerhalb der Parkgrenzen. Außerhalb des Parks werden sie verfolgt, zurückgetrieben oder von Beamten der Landwirtschaftsbehörde erschossen, da befürchtet wird, dass die mächtigen dunklen Vierbeiner die gefährliche Rinderkrankheit Brucellose übertragen.

Wölfe haben wenig Einfluss auf die Bisonpopulation, weil die Grasfresser sehr schwer zu töten sind und aufgrund ihrer Größe und des Gewichtes ein zu hohes Verletzungsrisiko für die Wölfe darstellen. Die meisten Bisons stellen sich ihrem Angreifer und haben dadurch eine gute Chance zu überleben. Die einzige Zeit, in der Wölfe einen Bison töten können, ist Ende des Winters. Während es durchschnittlich drei Wölfe braucht, um einen Hirsch zu töten, müssen es beim Bison mindestens 10 bis 14 Beutegreifer sein. Einige große Wolfsrudel haben sich auf das Töten von Bisons spezialisiert. Zu ihnen gehören die Druids, das Nez-Perce-Rudel und die Mollies.

Das Rudel der Mollies hat sein Revier im abgelegenen und rauen Pelican Valley. Weil die Hirsche Ende Dezember aus diesem Tal herauswandern, bleiben den Wölfen im Frühjahr nur Bisons als Nahrung. Die Beutegreifer haben eine besondere Jagdtaktik entwickelt. Zunächst folgen sie den abwandernden Hirschen in deren Wintergebiet, wo sie etwa einen Monat bleiben. Dann kehren sie zurück ins Pelican Valley. Dorthin haben sich die vom Winter geschwächten Bisons zurückgezogen. Die Bisons stehen an den Hängen und warten darauf, dass der Schnee schmilzt, damit sie ihn mit ihren mächtigen Köpfen zur Seite schieben können, um an das Gras zu kommen. So können sie Energie sparen. Die Wölfe testen in dieser Zeit wiederholt die Büffel auf Zeichen von Schwäche. Die potenzielle Beute hat eine gute Chance, zu überleben, wenn sie stehen bleibt und sich verteidigt. Ich habe gesehen, dass die Wölfe einen Bison etwa vier Mal auf Schwäche testeten, bevor sie aufgaben. Ist er erst einmal getötet, dann ist es für die Wölfe wahrlich »das große Fressen«. Ich habe an einem Bisonkadaver von etwa einer Tonne Gewicht schon bis zu 20 Wölfe fressen sehen.

Jeder Kadaver wird jedoch innerhalb kürzester Zeit (das bedeutet unverzüglich bis spätestens nach einem halben Tag) von einem Grizzlybären in Beschlag genommen. Das Pelican Valley ist bekannt für seine hohe Konzentration an Grizzlys, die – dank des gedeckten Tisches – sehr früh aus dem Winterschlaf erwachen. Wenn der Grizzly kommt, machen die Wölfe Platz, wenngleich sie manchmal auch gemeinsam an einem Kadaver fressen.

Mollies Rudel tötet im Pelican Valley alle fünf bis sieben Tage einen Bison. Doug Smith wanderte im letzten März auf Langlaufski in das Tal und beobachtete, wie hart es für das Rudel ist, die Beute zu erlegen. Es gelang ihm, den Zwischenfall auf Video aufzunehmen. Bevor der Bison von acht Wölfen schließlich erlegt wurde, tötete er eine 55 Kilo schwere, zehn Monate alte Wölfin und nahm zwei weitere Wölfe auf die Hörner und schmiss sie in hohem Bogen durch die Luft. Die Leitwölfin trug bei der Aktion ebenfalls eine Verletzung davon und hinkte schwer.

Eine aufregende Jagd auf Bisons schildert James Halfpenny in seinem Buch »Yellowstone Wolves. In the Wild«:

»Im Mai 1999 wurde eine Herde mit 150 Bisons beobachtet, wie sie in tiefem Schnee von Wölfen gejagt wurde. Einen ganzen Tag lang dauerte die wilde Jagd. Mal jagten die Wölfe die Bisons, mal die Bisons die Wölfe. Auf schneefreien Plätzen waren die Beutetiere im Vorteil. Dann warteten die Wölfe geduldig, bis die Bisons das Gras auf diesen Flecken gefressen hatten und weiterziehen mussten. Galoppierend versuchten die Bisons dann, den nächsten Grasflecken zu erreichen. Dies war der Moment, in dem die Wölfe angriffen und sich in Tiere verbissen, die entweder in den tieferen Schnee einbrachen oder zurückblieben. Ein kräftiger Bison, in den sich einmal zehn Wölfe verbissen hatten, zog alle Grauröcke bis zum nächsten schneefreien Platz. Dort – und nur dort, auf den Grasflächen – griffen einige stämmige Bisons ihrerseits die Wölfe an und befreiten ihren in Bedrängnis geratenen Gefährten. Am Ende des Tages war schließlich eine drei Jahre alte Bisonkuh so langsam geworden und so verletzt, dass sie es nicht mehr bis zur rettenden Grasstelle schaffte. Zu viele Wölfe hatten sich in sie verbissen. Und so erhielten die Wölfe zu guter Letzt doch noch ihre schwer verdiente Mahlzeit.«

Wenn im Lamar und im Hayden Valley während der Brunftzeit der Bisons, die Bullen bei ihren Kämpfen um die Weibchen sterben, dann ist ihr Fleisch eine wichtige Nahrungsquelle für andere Tiere.

Bisons sind die furchterregendsten Beutetiere der Wölfe. Wenn Isegrim also eine Wahl hat, dann wird er immer Hirsche vorziehen. Halten sich viele Wolfsrudel im Park auf, dann müssen einzelne Gruppen in Gebiete mit anderen Nahrungsquellen abwandern. Im Großen und Ganzen kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Wölfe langfristig keinen Einfluss auf die Bisonpopulation haben werden.

 

Wölfe und Elche

Elche (Alces alces shirasi) sind die größten Mitglieder der Hirschfamilie in Yellowstone. Ein Elchbulle kann bis zu 400 Kilogramm wiegen und über 2,5 Meter Schulterhöhe haben. Elche ernähren sich im Sommer von Wasserlilien und Wasserlinsen. Ihre Hauptnahrungsquelle jedoch sind die Blätter und Zweige der Weiden und oberhalb von 2.700 Metern Nadelhölzer. Die meisten Elche von Yellowstone halten sich im Winter in diesen Hochgebieten auf, wo sich Douglasienbestände befinden. Dort finden sie nicht nur reichlich Nahrung, sie können sich im dichten Wald auch leichter bewegen, weil der Schnee hier nicht so hoch liegt.

Die Paarungszeit der Elche beginnt Ende September, Anfang Oktober. Im Mai und Juni bringt die Elchmutter ein oder zwei Kälber zur Welt, die stets eng bei ihr bleiben. Trotzdem werden immer wieder Elchkälber Beute von Bären oder Wölfen. Ein erwachsener Elch dagegen kann diesen Prädatoren davonrennen oder sie zu Tode trampeln.

Als die Wölfe nach Yellowstone kamen, waren sie eine unbekannte Spezies für die Elche. Wenn sich ein Wolf einem Elch näherte, lief dieser nicht fort. Nach ersten blutigen Zwischenfällen jedoch lernten sie schnell, und es dauerte nur eine Saison, bis sie begriffen hatten, welche Gefahr die Wölfe bedeuteten. Heute ziehen sie schon in andere Gebiete, wenn sie nur Wolfsgeheul hören.

Joel Berger, ein Elchbiologe von der Wildlife Conservation Society in Wyoming, hat Versuche mit Tonbändern mit Wolfsgeheul unternommen, die er in den Elchgebieten abspielte. Vor der Wiederansiedlung der Wölfe unterbrachen die Elche ihre Nahrungsaufnahme beim Abspielen des Geheuls nur für etwa 30 Sekunden, bevor sie wieder gemütlich weiterfraßen. Nach der Rückkehr der Wölfe wurden sie bei jedem Wolfsheulen sofort aufmerksam und ruhelos und zogen meist weiter, fort vom Heulen der Wölfe. Elchmütter, die schon Kälber an Wölfe verloren hatten, waren fünf Mal aufmerksamer als andere Elchmütter.

Ein anderer Versuch kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Dabei warf Berger Schneebälle mit Wolfs- oder Grizzly-Urin in die Nähe von Elchen. Elchmütter, deren Kälber getötet worden waren, zeigten sich beim Geruch des Urins äußerst aufgeregt, andere ignorierten ihn.

Vor der Wiederansiedlung der Wölfe waren viele Naturschützer beunruhigt, dass die Wölfe ganze Herden von Beutetieren ausrotten würden. Sie gingen von der »Blitzkrieg-Theorie« aus, die besagt, dass überall, wo der prähistorische Mensch zum ersten Mal ein Gebiet betreten hat, alle großen Tierarten ausgerottet wurden. Berger ist der Auffassung, dass die vernichteten Tiere einfach nicht klug genug waren, zu lernen, dass Menschen gefährlich sind.

»Unsere Daten stimmen mit der Theorie überein, dass einige Beutearten bestimmte Arten von Predatoren nicht erkennen«, sagt Berger.

Die Elche von Yellowstone jedoch sind inzwischen offenbar klug genug, um zu erkennen, dass Wölfe eine Gefahr für sie sind.

In Yellowstone gibt es etwa 300 Elche (2012). Zwar ist die Population in den letzten Jahren zurückgegangen, jedoch nicht wegen der Wölfe, sondern hauptsächlich wegen des Verlustes von altem Waldbestand in den umliegenden Gebieten, durch die Jagd außerhalb des Parks und wegen des großen Waldbrandes von 1988, der einen beträchtlichen Teil ihres Winterhabitats zerstörte.

 

Wölfe und Bären

In Yellowstone gibt es etwa 500 bis 600 Schwarzbären (Ursus americanus) und 150 Grizzlybären (Ursus arctos horribilis).

Die Schwarzbärenmännchen wiegen zwischen 90 und 140 und die Weibchen 60 bis 80 Kilo und haben eine Schulterhöhe von etwa einem Meter.

Grizzlymännchen wiegen 140 bis 320 und Weibchen 90 bis 180 Kilo; sie haben eine durchschnittliche Schulterhöhe von 1,50 Meter.

Schwarzbären leben überwiegend in Waldgebieten und an Lichtungen. Auch Grizzlys nutzen Waldgebiete, halten sich jedoch mehr auf offenen, freien Wiesen auf.

Die Schwarzbären haben kurze, gebogene Klauen, mit denen sie besser auf Bäume klettern als graben können. Im Gegensatz dazu haben Grizzlys längere und weniger gebogene Klauen und einen kräftigeren Schultermuskel, der es ihnen besser ermöglicht, zu graben als zu klettern, was nicht bedeutet, dass man vor einem angreifenden Grizzly auf dem Baum sicher ist. Durch das Graben erreichen sie Wurzeln und Knollen in der Erde, aber auch Nagetiere und deren Proviantvorräte.

Vom Verhalten her sind Schwarzbären im Allgemeinen wenig aggressiv und verlassen sich auf ihre Fähigkeit, auf Bäume zu klettern, um sich und ihre Jungen vor Beutegreifern zu retten. Grizzlybären dagegen sind aggressiver als Schwarzbären und haben hauptsächlich ihre imposante Größe, um sich und ihren Nachwuchs vor Gefahren zu schützen.

Yellowstone ist eines von nur zwei Gebieten südlich von Kanada, in denen immer noch Grizzlys leben. Sie sind ganzjährig geschützt.

Früher wurden die Bären im Park noch gefüttert. Man veranstaltete regelrechte Schaufütterungen bei den Hotels. Auf alten Bildern kann man sehen, wie Touristen aus dem Auto heraus Bären füttern. Nachdem es jedoch zu immer mehr Verletzungen und Todesfällen kam, begann die Parkverwaltung, ihre Managementpolitik zu ändern. Ab 1970 wurde das Füttern verboten. 1975 kamen die Grizzlys auf die Artenschutzliste. Danach stieg ihre Zahl stark an.

Wölfe, Grizzlys und Schwarzbären haben seit Urzeiten in denselben Lebensräumen nebeneinander existiert. Die meisten Interaktionen zwischen diesen drei Spezies betreffen Nahrungsquellen.

Das Verhalten von Bären und Wölfen während dieser Begegnungen hängt von verschiedenen Faktoren ab wie Geschlecht, Alter, Verfügbarkeit der Beute, Hunger, Aggression, Anzahl der Tiere und vorherige Erfahrungen bei ähnlichen Zwischenfällen.

Von Wölfen erlegte Beute ist heiß begehrt, und obwohl die Wölfe ihnen zahlenmäßig fast immer überlegen sind, sind die Bären meistens die Gewinner und übernehmen die Kontrolle an einem Kadaver. Einmal konnte ich beobachten, wie ein Grizzly neun Wölfe in Schach hielt. Der Bär legte sich schließlich zum Schlafen auf den Hirsch. Die Wölfe gaben auf und töteten einen anderen Hirsch.

Aber nicht nur beim Fressen gibt es Interaktionen. Ich sah, wie eine Bärenmutter mit zwei Jungen von fünf Wölfen gejagt wurde – und ihrerseits die Wölfe wieder jagte. Den Wölfen wurde es irgendwann zu bunt und sie zogen 250 Meter weiter, wo sie sich erneut niederließen. Die Bärin graste friedlich nebenan, während ihre zweijährigen Jungen mit den Wölfen zu »spielen« schienen.

Kritische Interaktionen Bär-Wolf gibt es auch in Höhlennähe. So versuchte ein Grizzly zweimal, sich einer Wolfshöhle zu nähern. Die Wolfsmutter und zwei Jährlinge wechselten sich ab, um den Bären wegzujagen. Nach 15 Minuten entfernte sich der Bär von der Höhle. Die Leitwölfin folgte ihm, während die Jährlinge zur Höhle zurückkehrten. 25 Minuten später kehrte auch die Leitwölfin zurück. Eine Stunde später erschien der Grizzly wieder auf der Bildfläche. Erneut versuchten die Wolfsmutter und ein Jährling, ihn fortzujagen. Die Wölfin umkreiste den Bären, wedelte mit dem Schwanz, scharrte nur zwei Meter vom Bär entfernt auf dem Boden. Beide Wölfe umkreisten den Grizzly und rannten immer wieder auf ihn zu. Nach sieben Minuten waren Bär und Wölfin außer Sicht. Der Grizzly kehrte nicht mehr zurück.

Meist ist es der Leitwolf, der als erster einen Grizzlybären angreift. So sah ich einmal, wie ein Grizzly auf eine Wolfshöhle zumarschierte, in der sich Welpen befanden. Der Leitwolf stand von seinem Schlafplatz auf, rannte auf den Bären zu und trieb ihn von der Höhle fort, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte. 25 Minuten später kamen beide zurück, der Bär dicht gefolgt vom Leitwolf. Beide liefen an der Höhle vorbei.

Nicht nur Wolfswelpen sind gefährdet, sondern umgekehrt werden auch Grizzlyjunge von Wölfen getötet. Im Mai 2002 beobachtete ich mehrere Tage lang eine Grizzlybärin mit zwei Jungen. Eines Tages erschien die Bärin mit nur noch einem Jungen. Wenige Tage darauf versuchten die Wölfe, den kleinen Bären anzugreifen. Dies gelang ihnen nicht, da die Bärenmutter ihn beschützte, indem sie sich über ihn stellte. Immer wenn die Wölfe angriffen, schob sie ihn unter ihren Bauch und schlug mit ihren Pranken nach den Angreifern. Ich vermute, dass die Bärin bereits ein Junges an die Wölfe verloren und nun gelernt hatte, wie sie das zweite Junge besser beschützt.

Es sind aber auch Fälle von gemeinsamer Tötung von Beutetieren beobachtet worden:

Im März 2000 folgte ein Grizzly einem Rudel Wölfe, das vergeblich versucht hatte, eine kleine Bisonherde anzugreifen. Schließlich verletzten sie ein Bisonkälbchen, das aber immer noch von mehreren großen Bisonbullen beschützt wurde.

Plötzlich griffen die Wölfe das Kalb von der einen Seite an und der Bär schlug von der anderen Seite zu. Während sich mehrere Grauröcke in das Kalb verbissen, versuchte der Rest von ihnen, den Grizzly davonzujagen. Dieser täuschte einen Rückzug vor, um gleich darauf wieder an den ihn verfolgenden Wölfen vorbeizurennen und mit seiner Pranke die Hinterbeine des Kalbs festzuhalten, während die anderen Wölfe sich in dessen Nase verbissen. Der Grizzly ging schließlich als Sieger hervor und begann, zu fressen. Die Wölfe lagen nur wenige Meter entfernt und warteten. Ihre Stunde war gekommen, als ein paar kräftige Bisonbullen zurückkamen und den Grizzly vom Kalb fortjagten. Sofort fraßen die Wölfe gierig am Kadaver. Nur zwanzig Minuten später kam der Grizzly zurück und löste die Kaniden wieder ab.

Rotes Fleisch ist eine reichhaltige Quelle von Nährstoffen und Energie. Wo es nicht zur Verfügung steht, sind Grizzlys von Pflanzen, Wurzeln, Beeren und Insekten abhängig. Winterschlaf und Winterruhe sind eine Anpassung der Natur an den Nahrungsmangel im Winter. (Darum halten Bären im Zoo, die regelmäßig gefüttert werden, auch keinen Winterschlaf.)

In Yellowstone, wo Meister Petz auch in der kalten Jahreszeit reichlich Nahrung zur Verfügung steht, melden sich Bären immer öfter und früher aus der Winterruhe zurück. Im Glacier-Nationalpark gab es einen Grizzly, der regelmäßig Wölfen und Berglöwen folgte und ihnen die Kadaver abnahm. Dieser Bär war so gut genährt, dass er sich nie zu Winterruhe zurückzog.

Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Wölfe in Yellowstone nur wenig, wenn überhaupt, Einfluss auf die Grizzly- und Schwarzbärenpopulation haben und umgekehrt. Mit Ausnahme ihres Aufeinandertreffens in der Nähe von Kadavern und Wolfshöhlen laufen die meisten Interaktionen ohne Konfrontationen und ohne Verletzungen ab. Nach den bisherigen Beobachtungen kann man sogar davon ausgehen, dass die Bären von der Anwesenheit der Wölfe profitieren, indem ihnen durch sie mehr Nahrung zur Verfügung steht.

 

Wölfe und Kojoten

Kojoten (Canis latrans), die kleineren Verwandten der Wölfe, sind intelligent und anpassungsfähig. Ebenso wie die Wölfe sind sie seit Jahrhunderten verfolgt worden – und werden es immer noch – weil sie Nutztiere töten und weil sie für viele Menschen »Ungeziefer« sind. Aber im Gegensatz zu den Wölfen konnten sie nie ausgerottet werden. Im Gegenteil: Durch ihre enorme Anpassungsfähigkeit und ihre Klugheit haben sie es geschafft, überall in Nordamerika zu leben, von den Slums in Los Angeles bis zu den Wüsten Arizonas. Je mehr man versucht hat, sie zu vernichten, um so stärker haben sie sich vermehrt.

Die Kojoten von Yellowstone gehören zu den größten Kojoten der Vereinigten Staaten. Nur an der Ostküste gibt es ähnlich große Kaniden. Die Rüden wiegen 14 bis 28 Kilo, die Fähen etwas weniger. Kojoten werden etwa sechs Jahre alt, in Yellowstone gab es aber auch eine Kojotin, die 13 war, bevor sie von einem Puma gefressen wurde.

Kojoten leben wie Wölfe in einem Sozialverband mit einem Leitpaar und den Nachkommen aus den ersten zwei Jahren. Ihre Rudelgröße in Yellowstone beträgt zwischen sechs und zehn Tieren. Ebenso wie die Wölfe produzieren auch die Kojoten gelegentlich mehrere Würfe in einem Rudel. Bob Crabtree, Kojotenforscher in Yellowstone, beobachtete in einem Jahr, wie ein elf Jahre altes Leitweibchen sieben Welpen hatte und ihre zweijährige Tochter zur selben Zeit fünf Welpen. Der komplette Nachwuchs wurden vom Rudel gemeinsam aufgezogen.

Kojoten ernähren sich von Mäusen, Erdhörnchen und kleineren Nagern, aber auch von Hirschkälbern oder Aas.

Biologen haben Kojoten bei der Jagd beobachtet. In fast allen Fällen leitete das Leittier die Jagd an, immer griffen sie die Beute von hinten oder von der Flanke her an. Gelegentlich ergriffen sie das Tier auch am Hals, um es herunterzuziehen. Erfolgreiche Angriffe dauerten von 14 Minuten bis zu 21 Stunden! Selbst erfolglose Angriffe dauerten zwischen zwei Minuten und acht Stunden, bevor die Kojoten aufgaben. Die Jagd wurde beeinflusst von der Tiefe des Schnees und dem Terrain, in das die Beutetiere flohen. Wenn sie in einen Fluss rannten, gaben die Kaniden fast immer auf.

Auch Berglöwen oder Grizzlys sind schon von Kojoten von einem Kadaver verjagt worden.

Wegen ihrer Größe werden die Kojoten in Yellowstone von Touristen oft mit Wölfen verwechselt. Erst wenn sie die massiveren 40 bis 60 Kilogramm schweren Verwandten gesehen haben, können sie den Unterschied erkennen.

Die Kojoten von Yellowstone sind sozialer als die in anderen Gebieten Amerikas. Die meisten von ihnen leben und jagen in Gruppen von sechs bis sieben Tieren. Ebenso wie die Wölfe grenzen sie ihr Territorium durch Heulen und Geruchsmarkierungen ab.

Bis 1995 waren Kojoten die Top-Beutegreifer des Parks. Sie lebten, wo es ihnen gefiel. Ihre Population wuchs, und außer Bären und Pumas hatten sie keine Feinde. Sie bewohnten ihre traditionellen Territorien, die sie teilweise schon seit 1940 innehatten, seitdem der Naturforscher Adolph Murie sie erforschte. Es gab wenig, vor dem sie sich fürchteten. Ein schlechter Winter, der Einfluss auf ihre Nahrungsquellen hatte, war das Schlimmste, was ihnen widerfahren konnte. Sie ernährten sich von Wühl- und Feldmäusen, Erdhörnchen und anderen kleinen Säugetieren und nahmen gelegentlich noch ein Hirschkalb mit oder fraßen von einem Kadaver. Alles in allem verlief ihr Leben stabil und ohne Aufregung.

Dies änderte sich schlagartig, als man ihnen 1995 die ersten Wölfe vor die schmale Schnauze setzte. Schon als die Wölfe noch in den Gehegen waren, nahm die Vokalisierung der Kojoten in der Nähe zu. Im ersten Winter nach ihrer Rückkehr hatten die Wölfe bereits 13 ihrer kleineren Verwandten getötet. Zwischen 1996 und 1998 ging die Kojotenpopulation um 50 Prozent zurück – teilweise sogar um 90 Prozent in Gebieten, die vollständig von Wölfen besetzt waren. Im Lamar Valley ging in dieser Zeit die Zahl der Kojoten von 80 auf 36 Tiere zurück und die durchschnittliche Gruppengröße verringerte sich von sechs auf 3,8 Tiere.

Bei 84 Prozent aller Interaktionen der beiden Spezies siegen die Wölfe. Gleichwohl bieten von Wölfen getötete Tiere auch reichlich Nahrung für die Kojoten. Ein Wolf kann bis zu neun Kilo Fleisch auf einmal fressen. Die durchschnittliche Größe eines Wolfsrudels in Yellowstone beträgt zwölf Tiere. Das bedeutet, dass eine Menge Fleisch übrig bleibt, manchmal bis zu 140 Kilo. Wenn die Wölfe satt sind, ziehen sie weiter, ohne den Kadaver zu bewachen. Kurze Zeit später treffen Kojoten, Raben und Adler ein, um ihren Teil des Fleisches zu beanspruchen. Für diesen enormen Futtervorrat muss ein Kojote eine Menge Mäuse töten. Die kleinen Kaniden kauen ihre Nahrung nicht, sondern schlingen sie in ganzen Stücken hinunter. Wenn sie zu einem Kadaver kommen, schlingen sie so viel wie möglich in sich hinein und machen sich dann gleich wieder davon. Denn obwohl ein solcher Hirschkadaver genügend Futtervorrat bietet, ist diese neue Nahrungsquelle ein doppelschneidiges Schwert. Oft gibt es Konfrontationen, und fast immer ist der Kojote der Verlierer. Wenn ein Kojote seinen Kopf im Kadaver hat, kann es geschehen, dass sich Wölfe heranschleichen und ihn töten.

Nach der Wiederansiedlung der Wölfe waren die Kojoten begeistert von den vielen Kadavern, die plötzlich überall herumlagen. Sie hatten entweder noch nicht den Grund für das neue Schlaraffenland entdeckt, oder sie waren so gierig nach der Menge Frischfleisch, dass sie nicht vorsichtig genug waren.

Aber zehn Jahre nach der Wiederansiedlung und dem Tod zahlreicher Artgenossen sind die Kojoten sehr viel wachsamer geworden. Wenn sie jetzt an einem Kadaver sind, schauen sie zuerst über ihre Schulter, bevor sie ein Stück Fleisch herausreißen. Manchmal steht einer abseits und hält Wache, während die anderen sich die Bäuche vollschlagen. Dann wechseln sie sich ab. Oft genug warten die Kojoten auch in Sichtnähe der Wölfe, während diese noch am Kadaver fressen.

Die Wölfe haben nicht nur eine große Anzahl Kojoten getötet, sie haben auch viele aus ihren Revieren vertrieben.

Aber der »Trickster« – wie der Kojote von den Indianern genannt wird – wäre kein Überlebenskünstler, wenn er nicht gelernt hätte, sich auch dieser neuen Situation anzupassen. So haben die Tiere erkannt, dass in der Größe ihres Rudels eine gewisse Sicherheit liegt. Vor der Wiederansiedlung der Wölfe waren die Kojoten meist alleine oder gelegentlich in Gruppen von zwei bis drei Tieren unterwegs. Heute treten sie geschlossener auf und sind oft als Großfamilie unterwegs. Ich habe schon bis zu neun Kojoten an einem Kadaver beobachtet. Viele Kojotenrudel halten sich auch in den Grenzgebieten von Wolfsterritorien auf. Dort haben sie eine bessere Überlebenschance und sind gleichzeitig doch in der Nähe des Futters.

Wenn mehr Kojoten als Wölfe da sind, kann sich der Spieß umdrehen. Kojoten haben schon Einzelwölfe und Wolfswelpen angegriffen und fortgejagt. Wenn eine Gruppe von drei oder mehr Kojoten auf einen einzelnen Wolf an einem Kadaver trifft, können sie durchaus den Wolf davonjagen. Wenn eine Kojoten- und eine Wolfsgruppe gleicher Größe (sechs bis acht Tiere) aufeinandertreffen, fixieren sie sich und überprüfen ihre Chancen. Manchmal geraten sie in einen Kampf oder jagen sich gegenseitig fort.

Ab und an gibt es auch amüsante Zwischenfälle. So berichtet Brian Connolly, Autor des Buches »Wolftagebuch«, in einer E-Mail vom Juni 2003, wie ein Wolf sich der Verfolgung durch Kojoten nur mit einem Trick entziehen konnte:

Connolly hatte beobachtet, wie die junge Druid-Wölfin »Half Black« von zwei Kojoten verfolgt und gebissen worden war. Sie »rettete« sich zu einem Grizzly, der die Kojoten mit heftigen Prankenhieben vertrieb. Dann lief die Wölfin am Rande eines Wäldchens entlang, immer den Bär im Gefolge, dem wiederum die Kojoten nachliefen. Wenn der Bär zu langsam wurde, wartete die Wölfin auf ihn. So blieb sie stets in Sicherheit vor den Kojoten. Zum Abschluss umkreiste sie nochmals den Grizzly, bevor sie davonlief.

In den ersten fünf Jahren seit der Wiederansiedlung wurden sechs Kojotenwelpen von Wölfen ausgegraben und getötet. Die Kojoten haben darauf reagiert, indem sie ihre Höhlen unter große Felsblöcke oder weit entfernt von den Wolfsgebieten gegraben haben. Dies bedeutet aber auch, dass sie sich von guten Beuteplätzen entfernen mussten, was es wiederum schwieriger machte, Futter für ihre Welpen zu besorgen. Die Natur half wie immer ausgleichend, indem einige der überlebenden Kojotenrudel zwar weniger Familienmitglieder hatten, dafür aber mehr und schwerere Welpen mit einer höheren Überlebensrate.

Inzwischen gibt es auch etliche Kojotenhöhlen in der Nähe der Straße. Die klugen Vierbeiner haben gelernt, dass Wölfe die Straße meiden. Beispielsweise laufen sie, wenn sie von Wölfen verfolgt werden, direkt in Richtung Straße. Wenn sie es bis dahin schaffen, bleiben die Wölfe zurück. Dann allerdings besteht die Gefahr, dass sie von einem anderen »Raubtier« getötet werden – dem Auto.

Die Dezimierung der Kojoten hat weitreichende ökologische Folgen. Es gibt wieder mehr kleinere Säugetiere und Nagetiere, die bisher Kojotenbeute waren. Dadurch gibt es auch wieder mehr Beute für Greifvögel wie Adler, Habichte und Uhus.

Seit die Wölfe in Yellowstone zurück sind, ist die Kojotenpopulation klüger und vorsichtiger geworden. Sie werden mit Sicherheit überleben. (Wegen der extrem schwankenden Population gibt es keine offiziellen Kojotenzahlen für Yellowstone, jedoch hat sich ihre Population 2012 weitestgehend erholt.)

 

Wölfe und Pumas

Der Puma (Puma concolor), auch Berglöwe und im Amerikanischen »Cougar« genannt, ist das größte Mitglied der Katzenfamilie in Nordamerika. Pumas leben im gesamten Yellowstone-Park; da sie jedoch extrem scheu sind, gibt es nur sehr wenige Sichtungen.

Erwachsene Tiere wiegen 65 bis 75 Kilo, Weibchen etwa 45 Kilo. Ihr bevorzugter Lebensraum ist felsiges Gebiet, und ihre Hauptbeutetiere sind Hirsche, Maultierhirsche, Stachelschweine und andere kleine Säugetiere. Die meisten der 14 bis 23 Berglöwen (2012) leben im nördlichen Teil des Parks, also im Wolfsgebiet.

Der stets allein jagende Puma schleicht sich an seine Beute heran und tötet sie mit einem Biss in den Nacken oder Hals. Er frisst, bis er satt ist, und versteckt das Fleisch für später. In Yellowstone übernehmen manchmal Bären die Beute von Pumas. Auch Kojoten versuchen, sich einen Happen zu sichern, laufen jedoch Gefahr, getötet zu werden. Wölfe vertreiben Pumas in nur etwa fünf Prozent aller Fälle vom Kadaver.

Die Berglöwenpopulation ist im letzten Jahrzehnt leicht angestiegen, ebenso die Interaktionen zwischen Wölfen und Pumas. Yellowstones Puma-Forscherin Toni Ruth hat mehr Wolfsspuren als bisher im Pumagebiet gesehen. Ruth, eine Wissenschaftlerin der Wildlife Conservation Society, hat einige dramatische Zwischenfälle zwischen Wölfen und Berglöwen im nördlichen Yellowstone notiert. Im Winter 1999 töteten Wölfe vier junge Pumakätzchen, die ihrer Mutter durch den tiefen Schnee folgten. Die Kleinen waren leichte Beute. Vier Kätzchen ist eine Menge Nachwuchs für einen Puma (durchschnittlich haben sie einen Wurf von zwei bis drei Jungen). Da die Kleinen alle Untergewicht hatten, war es zu schwer für sie, im tiefen Schnee zu flüchten.

Im Winter 2003 tötete ein Wolfsrudel eine erwachsene Berglöwin. Die beiden Kleinen, die sie mit sich führte, verhungerten drei Wochen später.

Toni Ruth untersucht, ob die Pumas in Zukunft mehr Energie aufwenden müssen, um Beute zu machen, da sich die Wölfe immer mehr deren Kadaver aneignen.

Einige Veränderungen im Verhalten der Pumas seit der Rückkehr der Wölfe können jedoch schon jetzt festgestellt werden. So ziehen sich die Berglöwen in Felsengebiete zurück, wenn Wölfe in der Nähe sind. Außerdem bleiben sie länger in der Nähe eines Kadavers, legen sich hin und halten die Aasfresser fern. Möglich ist auch, dass die Pumas sich in Zukunft mehr auf andere Beutetiere konzentrieren werden wie Dickhornschafe und Antilopen, wenn sie mit den Wölfen konkurrieren müssen.

Welchen Einfluss also letztendlich die Wölfe auf die Pumapopulation haben, bleibt abzuwarten.

 

Wölfe und andere Tiere

 

Dickhornschafe

Dickhornschafe (Ovis canadensis) gab es einst zu Millionen in den westlichen Vereinigten Staaten. Um 1900 jedoch wurden sie – wegen der Jagd auf ihre prachtvollen Hörner – auf ein paar Hundert Stück reduziert.

Erwachsene Böcke wiegen bis zu 135 Kilo einschließlich der Hörner, die 18 Kilo wiegen können. Die Weibchen wiegen bis zu 90 Kilo. Der Lebensraum der Tiere ist in felsigen Hochlagen, und sie ernähren sich überwiegend von Gräsern und Sträuchern. Die Paarungszeit beginnt im November. Im Mai oder Juni bringen die Mutterschafe ein oder zwei Lämmer zur Welt.

In Yellowstone gibt es etwa 250 bis 275 Dickhornschafe (2012). 1982 wurde ihre Population durch »Pink Eye«, eine überwiegend tödliche, infektiöse Bindehautentzündung, um 70 Prozent reduziert. Die Experten gehen davon aus, dass, wenn es zu dieser Zeit schon Wölfe im Park gegeben hätte, diese in erster Linie die kranken Schafe getötet und die Ausbreitung der Infektion in der Herde verhindert hätten. Durch diese Krankheit, die Jagd außerhalb des Nationalparks, aber auch durch Habitatverlust hat sich die Dickhornpopulation noch immer nicht vollständig auf die alten Zahlen vor der Epidemie erholt.

Natürliche Feinde der Dickhornschafe sind Adler und Berglöwen. Am 12. November 2001 griff ein Berglöwe einen starken Dickhorn-Bock auf einer Klippe an. Beide fielen etwa 100 Meter in die Tiefe und starben.

Dickhornschafe bevorzugen als Lebensraum felsige Gebiete und steile Hänge. Wölfe haben bisher nur wenige von ihnen getötet und keinen Einfluss auf deren Population.

 

Antilopen

Die nordamerikanische Gabelantilope (Antilocapra americana) ist keine echte Antilope, wie sie in Afrika und Südostasien vorkommt. Sie ist das letzte überlebende Mitglied einer Gruppe von Tieren, die sich in Nordamerika während der letzten 20 Millionen Jahre entwickelt haben. Die Gabelantilope hat echte Hörner, ähnlich wie Bisons und Dickhornschafe. Die Böcke wiegen 45 bis 55, die Weibchen 40 bis 50 Kilo. Die Jungen werden Ende Mai bis Juni geboren.

In Yellowstone gibt es 300 Gabelböcke (2012), die fast ausschließlich im Grasland leben. Im Winter halten sie sich in der Nähe des Nordosteingangs bei Gardiner auf, im Sommer ziehen sie ins Lamar Valley.

Seit 1991 hat sich ihre Population halbiert; über die möglichen Ursachen gibt es bisher nur Spekulationen, eine Studie läuft. Die Gründe hierfür könnten Beutegreifer, Inzucht und Verlust des Winterhabitats sein. Sinkt die Zahl unter 200 Tiere, ist die Population vom Aussterben bedroht.

Antilopen sind sehr schnell (bis zu 90 Stundenkilometer), dennoch gelingt es gelegentlich Wölfen, ein Tier zu töten, jedoch nur in so geringer Zahl, dass dies keine Auswirkungen auf den Bestand der Tiere hat.

Vor zehn Jahren gab es einen Bericht von Dr. Doug Scott, der besagte, dass Kojoten 95 Prozent der Jungtiere töten. Inzwischen hat man festgestellt, dass die Antilopen, die in der Nähe von Wolfshöhlen leben, am wenigsten Jungtiere verlieren.

 

Biber

Seit 1989 untersuchen Biologen die Uferlandschaften in Yellowstone, um die Verbreitung von Bibern (Castor canadensis) zu studieren. Dabei wurde festgestellt, dass die großen Nager hier zwar weit verbreitet sind, jedoch immer nur in kleineren, isolierten Gebieten.

Im nördlichen Teil des Yellowstone-Parks gab es vor der Wiederansiedlung der Wölfe keine Biberkolonien. Mit den Wölfen kamen die Biber zurück. Heute gibt es insgesamt 750 Tiere in 116 Kolonien (2012).

Die nachtaktiven Tiere haben in den unzugänglichen Gebieten des Parks die große Vernichtungsaktion im 19. Jahrhundert überlebt, als Fallensteller hinter ihren Fellen her waren. Biber sind berühmte Dammbauer, ihre Bauwerke findet man überall im Park. Wenn sie in der Nähe von Flüssen leben, bauen sie auch gelegentlich Höhlen statt Biberburgen ans Ufer.

Wölfe fressen Biber, jedoch finden die Biologen kaum Kadaver und nur sehr selten Überreste im Kot der Wölfe. Biber stehen auch in enger Verbindung zur Rückkehr der Weiden, wie später noch ausgeführt wird.

 

Raben

In Yellowstone gibt es 322 Vogelarten. Die bekanntesten davon sind der Weißkopfseeadler, der Wanderfalke und der Trompeterschwan, der mit seinen zwei Metern Flügelspannweite zu den seltensten Wasservögeln der Erde gehört; (etwa 60 von ihnen leben ganzjährig im Park).

Von der Rückkehr der Wölfe profitieren neben Adlern (Weißkopfseeadlern und Steinadlern) und Elstern ganz besonders die Raben (Corvus corax).

Dan Stahler, der seit 2003 das Wolfsprojekt in Yellowstone leitet, hat für den bekannten Rabenexperten Bernd Heinrich Daten über die Beziehung Wolf - Rabe gesammelt. In seinem Buch »Die Weisheit der Raben« berichtet Heinrich über diese Studie. Danach waren bei allen Aktivitäten der Wölfe stets Raben dabei. Die durchschnittliche Zahl von Raben an einem Kadaver betrug 29 Vögel, die Rekordzahl war 135. Raben folgen den Wölfen und entdecken eine potenzielle Beute sofort oder sogar noch, bevor das Tier getötet ist.

Wenn Raben ein totes Tier finden, das noch nicht aufgebrochen und für sie zu schwer zu öffnen ist, locken ihre lauten Rufe die Wölfe herbei, die dann den Job für sie erledigen. Das Fleisch fressen sie nicht nur, sondern bewahren es auch für eine spätere Mahlzeit in Bäumen auf.

Heinrich beobachtete, wie an einem Kadaver neben den Raben auch Elstern und Adler fraßen, ohne dass einer dem anderen das Futter abjagte, währenddessen nebenan die Wölfe in tiefem Verdauungsschlaf lagen.

Dan Stahler schildert eine besonders spannende Begegnung: »Ich beobachtete einen riesigen Grizzly, der mehr als vier Stunden auf einem frisch gerissenen Hirsch lag. Neun Wölfe und 12 bis 16 Raben versuchten hungrig, an den Kadaver heranzukommen. Innerhalb der vier Stunden hielt der Bär zweimal ein Nickerchen auf dem Kadaver, und die Wölfe lagen keine 30 Meter entfernt. Dem Bär gelang es recht gut, sie alle von seinem Futter fortzujagen, er ärgerte sich jedoch mächtig über die Raben, die sich ständig Fleisch holten, obwohl er nach ihnen schlug.«

Ich selbst konnte des Öfteren beobachten, wie Wölfe und Raben miteinander gespielt haben. Besonders die Wolfswelpen scheinen die schwarzen Vögel gerne als Spielersatz zu sehen, wenn ihnen langweilig wird.

An einem Kadaver beobachtete ich die Zusammenarbeit zweier Raben. Sie gingen offensichtlich einem Wolf auf die Nerven, als sie immer wieder versuchten, sich etwas von seinem Fleisch abzupicken. Schließlich hatte sich der Wolf hingelegt, vor sich zwischen den Pfoten einen Brocken Fleisch. Ein Rabe hüpfte von hinten an ihn heran und zog ihn mehrmals mit dem Schnabel am Schwanz. Der Wolf drehte sich blitzschnell um und wollte nach dem Raben schnappen – natürlich vergeblich. In der Zwischenzeit hatte der andere Rabe vorn den Fleischbrocken gestohlen.

Schneemobilfahrer in Yellowstone sollten sich übrigens vor den Rabenvögeln in Acht nehmen. Die klugen Tiere haben längst herausgefunden, wie man den Klettverschluss der Packtaschen öffnet und so an Futter kommt. Der Parkservice warnt im Winter daher davor, sein Schneemobil unbeaufsichtigt stehen zu lassen.

Auch andere Vogelarten ernähren sich von einem von Wölfen getöteten Tier, beispielsweise der Berghüttensänger (Mountain Bluebird), in dessen strahlend blauem Gefieder sich der Himmel zu spiegeln scheint. Doug Smith berichtete einmal von etwa 30 dieser Vögel, die auf den Rippen eines verrottenden Kadavers saßen und die Fliegenlarven herauspickten.

 

Wölfe und Bäume

Dass Wölfe einen Einfluss auf die Tiere des Yellowstone-Nationalparks haben, ist unumstritten. Wissenschaftlich noch kontrovers ist ihr Einfluss auf die Landschaft und die Bäume, besonders im nördlichen Teil des Parks.

Noch vor wenigen Jahren fand man kaum Bäume entlang der Ufer der kleinen Flüsse und Bäche im Lamar Valley. Heute wachsen dort hohe, dichte Espen und Weiden. Dies, und die Rückkehr der Biber ist nach Auffassung der Biologen den Wölfen zu verdanken.

Der Zustand der Weiden und Pappeln im nördlichen Yellowstone ist seit Jahrzehnten ein umstrittenes Thema. Die Bäume sind wichtig für Vögel und Amphibien ebenso wie für die Verhinderung von Erosion. Hirsche, Elche und Rehe fressen davon.

Fotos von 1890 zeigen noch Flussufer mit hohen Weiden und Pappeln. Ihr Verschwinden hat zu einer intensiven Debatte geführt, die sich auf die Hirschzahlen konzentrierte. Bis 1968 tötete der Park Service noch unzählige Hirsche. Er erschoss sie aus Hubschraubern, jagte sie in Fallen und nutzte sogar eine Zeitlang die Buffalo Ranch als Schlachthaus. Als man schließlich – oh Wunder – feststellte, dass sich Hirschpopulationen selber regulieren können, wurde das Schlachten eingestellt.

Um herauszufinden, welchen Einfluss Hirsche auf eine Landschaft haben, begann man kleinere Gebiete einzuzäunen, sodass sie dort nicht grasen konnten. Heute sind innerhalb dieser eingezäunten Flächen die Bäume viel höher und dichter als außerhalb. So sahen auch die Ufer der Flüsse und Bäche im Park früher aus.

Ob und welche Rolle die Wölfe bei der Veränderung der Landschaft spielen, ist unklar.

Die ersten Wölfe kamen 1995 und 1996 in den Park, zu einer Zeit, als die nördliche Hirschherde mit 20.000 Tieren auf ihrem Höhepunkt war. Schon im Jahr darauf begannen die Weiden wieder zu wachsen. Aber es gab in den Jahren 1996 und 1997 auch Rekordfluten gefolgt von einer Serie milder Winter und trockener Sommer sowie einer Vielfalt von Schneebedingungen mit unterschiedlichem Nahrungsangebot für die Hirsche. Hinzu kommt, dass die Zahl der Elche, die ebenfalls viele Weidenbäume fressen, seit dem großen Feuer von 1988 dramatisch zurückgegangen ist. Es gibt also eine Vielzahl von Faktoren, die zur Rückkehr der Bäume führen könnte.

Ein nicht unbedeutender Faktor dabei sind aber auch die Wölfe. Die jungen Bäume in Ufernähe sind ein beliebtes Futter für Hirsche. So wurden in den letzten 20 Jahren die meisten der Bäume entlang der Flüsse nicht höher als einen Meter. Seit die Wölfe zurück sind, halten sich die Hirsche seltener in Ufernähe auf, sondern eher im offenen Tal, wo sie ihre Feinde besser im Blick haben. Und so haben in den letzten drei bis vier Jahren die Bäume erstmalig wieder eine Höhe von vier Metern erreicht. Als die Bäume wieder wuchsen, kamen auch die Biber, deren Lieblingsnahrung Pappeln und Weiden sind. Wenn sich Biber durch einen Weidenbaum fressen, treibt der Baum unter der Erde weiter aus und es entstehen neue Weiden. Mehr Bäume an Flussufern bedeutet auch mehr Vögel, kühleres Wasser und die Rückkehr von Forellen.

Es wird noch viele Jahre und Jahrzehnte dauern, bis man die ganze Komplexität erfassen kann, in der die einzelnen Faktoren des Ökosystems zueinanderpassen. Der Wolf ist mit Sicherheit ein wichtiger, unverzichtbarer Teil davon.

 

Zusammenfassung

Auf viele Tiere hat die Rückkehr der Wölfe nach Yellowstone einen großen Einfluss, insbesondere auf Grizzlys, Kojoten, Raben, Elstern und Adler. Diese wiederum beeinflussen andere Pflanzen und andere Tiere. Ein von Wölfen getöteter Hirsch ernährt zahlreiche andere Tierarten, von Vögeln über Larven und Käfer, bis der Rest des Kadavers wieder in die Erde übergeht und damit erneut ein Teil des Ökosystems wird.

Ohne Wölfe gibt es eine Nahrungskette, bei der der Hirsch überwiegt. Mit Wölfen werden die Nährstoffe schneller verarbeitet, weil die Beutetiere nicht mehr so lange leben. Statt einer riesigen Ladung Fleisch im Frühling gibt es jetzt das ganze Jahr über ständig etwas zu fressen, und das bereichert das komplette Ökosystem.

In Yellowstone gibt es 450 Käferarten, die von Kadavern leben; mehr als 50 davon sind direkt von dem Fleisch abhängig, das die Wölfe für sie besorgen.

Aber nicht alle Käfer ernähren sich von Fleisch, viele fressen auch andere Käfer. Eine ganze Raubtier-Beute-Gemeinde lebt in Miniatur auf jedem Kadaver.

Der Evolutionsbiologe Stephen Jay Gould von der Harvard-Universität hat einmal gesagt, dass die Geschichte der Natur hauptsächlich die Geschichte der Anpassung von Spezies ist, die nicht gefressen werden wollen. Jeder, der die Wölfe in Yellowstone beobachtet, kann nicht umhin, die unglaubliche Komplexität zu bemerken, die durch Prädation geschaffen wird. In einem Ökosystem ist jeder Teil mit dem anderen untrennbar verbunden und führt zu weiteren Verbindungen:

Mehr Wölfe = weniger Hirsche, mehr Bäume am Fluss, mehr Biber, mehr Vögel.

Mehr Wölfe = mehr tote Hirsche, mehr Grizzlys, mehr Beeren und Wurzeln, veränderte Vegetation, mehr Käfer, mehr Vögel.

Mehr Wölfe = weniger Kojoten, mehr Nagetiere für Beutegreifer und Greifvögel, und so weiter.

Es bleibt abzuwarten, wie sich das Ökosystem in den nächsten Jahrzehnten weiter anpasst oder verändert. Hier irgendwelche Voraussagen zu treffen ist unmöglich, da es zu viele unbekannte Faktoren gibt. Vieles kann sich ändern und sämtliche Spekulationen über den Haufen werfen. Harte Winter, trockene Sommer, Waldbrände, Krankheiten bei den Wölfen und ihren Beutetieren, all dies kann die Situation langfristig ändern. Weiterhin ist entscheidend, in welchem Rahmen sich die Wolfspopulation entwickelt. Ist der Höhepunkt überschritten, werden weniger Welpen geboren, die auch weniger wiegen. In der Folge kann es vermehrt zu Rudelstreitigkeiten und Rivalitäten kommen, weil das Territorium knapp wird. Einzelne Wolfsrudel werden in Gebiete ausweichen, die – mangels entsprechender Beutetiere – eigentlich nicht für sie geeignet sind, oder sie ziehen in Gebiete außerhalb des Parks, wo sie nicht mehr geschützt sind.

Die Veränderungen, die innerhalb von zehn Jahren nach der Wiederansiedlung der Wölfe im Yellowstone-Nationalpark im Ökosystem geschehen sind, haben die Erwartungen der Wissenschaftler bei Weitem übertroffen. Dave Mech hatte recht, als er 1986 sagte: »Yellowstone ist ein Ort, der im wahrsten Sinne des Wortes darum bettelt, Wölfe zu haben. Es wimmelt nur so von Beute. Einst gab es hier Wölfe. Und alle die Tiere, die hier früher lebten, sollten wieder zurückkehren.« Nach so unglaublich kurzer Zeit ist es deutlicher als je zuvor, dass Yellowstone der perfekte Ort für Wölfe ist. Die Wildnis von Yellowstone kann ohne sie nicht wirklich wild sein.