5

Unter Strom

Vom Beifahrersitz aus starrte Sam durch das engmaschige Metallgitter nach hinten. Das Wesen strich sich mit seinen gefesselten Händen über das borstige Fell und brütete vor sich hin. Es hatte einen mächtigen Brustkorb, lange Arme und kurze krumme Beine, so dass der Körper entfernt an den eines Menschenaffen erinnerte. Aber die Krallen an den äußerst beweglichen Fingern waren länger als bei jedem Affen, und Augen wie diese hatte Sam noch nie gesehen – sie waren riesig, gelb, blickten neugierig und … arglistig. Die eckige Schnauze und die Warzenschwein-Hauer, die dem Wesen aus dem Maul ragten, verliehen ihm ein furchterregendes Aussehen, aber es hatte lange spitze Ohren, die nach oben standen wie bei einer ägyptischen Katze. Sie drehten sich vor und zurück, als würden sie aufmerksam lauschen, und ließen das Wesen ein bisschen weniger brutal wirken.

Sam und PJ fuhren auf den Parkplatz der Polizeistation.

»Okay, wir sind da«, sagte PJ. »Was ist der nächste Schritt in deinem schlauen Plan?«

Sam zog ein langes, spitz zulaufendes Instrument unter dem Sitz hervor.

»Was ist das?«, fragte PJ.

»Ein Taser«, antwortete Sam. »Dein Dad hat mir erzählt, dass er damit Verbrecher außer Gefecht setzt und sie bis zu einer Minute bewegungsunfähig macht.«

»Du willst ein wildes Tier mit einem Gerät, das zum Einsatz gegen Menschen entwickelt wurde, betäuben und in weniger als einer Minute ins Gebäude schleppen? Das ist dein Plan?«

»Hast du einen besseren?«

PJ zögerte einen Moment, dann riss er Sam den Elektroschocker aus der Hand und schob ihn durch ein Loch im Metallgitter.

BZZZZZT!

Das Wesen zuckte zusammen und erschlaffte. »Los!«, rief PJ.

Die Jungen sprangen aus dem Wagen, hievten das Tier von der Rückbank und ächzten und fluchten, während sie es mühsam über den Gehweg schleiften. Der Kopf des Wesens bummerte die Stufen hinauf, während Sam umständlich die Tür aufstieß. Bum-bum-bum-bum.

Drinnen schoben, zogen und rollten sie das Wesen so schnell es ging über den Boden. Sam zerrte ein letztes Mal an dem Geschöpf, PJ schob es an, und dann plumpste es in die Zelle. PJ knallte die Gittertür zu, gerade als das Wesen blinzelnd erwachte.

Es erhob sich langsam und beschnupperte die Zelle, während es die Augen vor der künstlichen Beleuchtung abschirmte. Die krallenbewehrten Hände öffneten und schlossen sich ärgerlich. Jetzt sahen die Jungen, dass ein dickes Lederwams die empfindlichen Körperpartien bedeckte, wie eine Rüstung aus dem finsteren Mittelalter.

»Was ist das für ein Tier?«, fragte Sam, während er verwundert auf das Wesen und seine Kleidung starrte. Es kauerte mit gesenktem Kopf auf der Holzbank, aber Sam konnte trotzdem seine grimmige Miene erkennen. Unter den buschigen Brauen schossen die Augen hin und her, als würde es seine Umgebung abschätzen.

»Ein missgebildeter Bär?«, schlug PJ vor. Das Wesen blickte hoch und runzelte die Stirn. Es sah den Schaumgummi-Baseballschläger und klaubte ihn auf, wog ihn in der Hand.

»Nein«, sagte Sam, »eher so was wie ein mutierter Affe – mir scheint fast, als könnte es denken.« Suchend blickte er durch den Raum und entdeckte den Flummi, der aus der Zelle gerollt war. Er warf ihn wieder hinein.

»Meinst du?«, sagte PJ. Er bedeutete dem Wesen, ihm den Flummi zurückzuwerfen. Zu ihrer beider Überraschung bückte es sich, hob den Flummi auf und rollte ihn zu den Gitterstäben, so dass er direkt vor PJs Füßen lag. »Hey, ich glaube, es hat mich verstanden«, sagte PJ. Er trat vor und bückte sich, um den Flummi aufzuheben.

»Arrgh!«, brüllte das Wesen, sprang zu PJ heran und zog ihm durch die Gitterstäbe den Baseballschläger über den Kopf.

Boing!

»Aua!«, schrie PJ, während das Wesen weiter auf ihn eindrosch und sein Gesicht und die Ohren traf. Es hörte gar nicht mehr auf, bis Sam PJ schließlich zurückriss. Sie prallten gegen den Schreibtisch und schlugen der Länge nach hin. PJ stieß Sam wütend von sich herunter und starrte zu dem Tier in der Zelle. »Du undankbarer verlauster Affe … Warum hast du das getan?«

»Du rufst jetzt deinen Vater an, nicht wahr?«, sagte Sam.

»Oh, tolle Idee«, keuchte PJ und rappelte sich auf. »Was für ein Verbrecher bist du eigentlich? Man bittet doch nicht denjenigen um Hilfe, der einem den größtmöglichen Ärger bereiten wird.«

»Nun, es ist ja nicht so, als ob du nur bei den Tierfängern anzurufen bräuchtest und sie den Affen abholen würden …«

Sekunden später saß PJ mit aufgeschlagenem Telefonbuch am Schreibtisch seines Vaters und wählte eine Nummer. »Hallo, bin ich dort bei den Tierfängern …?«

PJ lauschte einige Augenblicke, dann nannte er die Adresse der Polizeistation und legte auf.

»Dem Anrufbeantworter zufolge kommen sie innerhalb von sechzig Minuten vorbei, wenn man nach Geschäftsschluss eine Nachricht hinterlässt«, sagte PJ. »Mit ein bisschen Glück ist mein Vater erst in siebzig Minuten zurück.«

In dem Moment schwang die Tür auf.

Garstige Gnome
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