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Der General lässt bitten
Drei von Eww-yuks größten Wachen stürmten in Slurps Schlafhöhle. Slurp lag noch zusammengerollt unter dem Felsvorsprung. Es sah aus, als wäre er mit dem Gestein verschmolzen, er war fast unsichtbar, aber die Wachen wussten, dass er dort lag.
»Argh«, sagte einer der Gnome, »komm mit, Hauptmann. Der General will dich sehen.«
Alarmiert schlug Slurp die gelben Augen auf. Sie schimmerten im Halbdunkel wie Goldmünzen.
»Nimm dein Zeug mit«, sagte der Gnom. »Alles.«
Slurp entrollte sich und trat aus dem Kabuff, strich seine Rüstung glatt und zog unauffällig den Umhang über den Rucksack, den er, für die Wachen nicht sichtbar, hinter seinem Rücken hielt. Er hatte eine ganze Weile geschlafen, hatte die Erholungspause dringend gebraucht. Nun stand er da und überragte stolz den größten von Eww-yuks Lakaien.
Eine andere Wache durchsuchte rasch die winzige Höhle und fand nichts. Die beiden anderen warteten nervös, ihre behaarten Finger schwebten über ihren Waffen, aber sie wagten nicht, den Hauptmann zu berühren. Slurp musterte sie abschätzig und nickte zufrieden. »Er hat also gleich drei von euch hergeschickt, ja?«
Die Wachen traten mit Slurp in Eww-yuks Halle; einer der Gnome ging vor dem Hauptmann her, die beiden anderen marschierten hinter ihm. Eww-yuk saß auf seinem Stuhl. Nahebei standen sieben weitere groß gewachsene Gnome. Einer von ihnen hielt PJ an der Schulter gepackt.
»Argh!«, schimpfte Slurp und funkelte PJ an. »Wer ist das?«
Eww-yuk lachte. »Ar-ar-ar-argh. Sag du es mir, Hauptmann.«
»Ein Mensch, und zwar ein ziemlich magerer«, entgegnete Slurp.
»Er behauptet, dich zu kennen«, sagte Eww-yuk.
»Was?« Slurp ließ die drei Wachen stehen, ging zu PJ und schnüffelte an ihm. Dabei beugte er sich vor und flüsterte ihm aufgeregt ins Ohr, so dass ihm Sabber aus dem Maul flog. »Du Narr. Du wirst uns beide umbringen.«
»Das kannst du mir auch sagen, ohne mich anzuspucken«, flüsterte PJ zurück.
Slurp wandte sich an Eww-yuk. »Nein, den Geruch kenne ich nicht.«
»Mensch«, sagte der General, »ist dies der elende Mistkerl von einem Gnom, von dem du mir erzählt hast?«
PJ beugte sich vor und betrachtete Slurps Kopfseite. Er deutete auf die kahle Stelle über Slurps Ohr. »Ja.« Er nickte. »Dort habe ich ihm das Fell versengt.«
Eww-yuk wandte sich an Slurp. »Was ist deiner Meinung nach dein größtes Problem, Slurp?«
»Dass ich ein Perfektionist bin?«, antwortete der Hauptmann.
»Nein! Dass du dumm bist!«, herrschte Eww-yuk ihn an. »Hast du etwa geglaubt, du könntest mich hintergehen? Bildest du dir ein, du könntest Dinge vor mir verbergen? Vor mir? Argggh!«
»Argh!«, brüllte Slurp zurück.
Eww-yuk antwortete mit Gnom-Gegrunze, auf das Slurp mit gleichermaßen heftigem Geknurre reagierte.
»Arrgh! Argh! Ar-ar-arrrgh!«
»Arrgh, aaaargh.«
»Argh! Ar-ar-ghhh, argh.«
»Arrgh, arghhh!«
PJ hörte den beiden zu und fand ihre einsilbige Sprache höchst befremdlich, aber noch befremdlicher war, dass er einiges davon zu verstehen begann.
Schließlich knurrte Slurp etwas, das Eww-yuk fuchsteufelswild machte.
»ARRRGH!« Eww-yuk hieb mit seiner haarigen Faust so heftig auf den Stuhl, auf dem er saß, dass Steinsplitter aus der Armlehne brachen. »Durchsucht ihn!«
Die drei Wachen stürzten sich auf Slurp. Der erste Gnom packte den Hauptmann am Handgelenk, aber Slurp wirbelte herum, verdrehte ihm den Arm und schleuderte ihn gegen die Wand, wo der Gnom als verrenktes Bündel zu Boden glitt. Der nächsten Wache verpasste Slurp einen Boxhieb ins Gesicht und zertrümmerte einen der Hauer.
Alle erstarrten, verblüfft von Slurps Kraft und Schnelligkeit. Der dritte Gnom, der ihm nun ganz allein gegenüberstand, runzelte die Stirn und begriff, dass er keine Chance hatte.
»Lauf nicht weg«, riet Slurp ihm leise. »Sonst bringt Eww-yuk dich um. Wenn du mich angreifst, schlage ich dich nur besinnungslos.«
Der kleinere Gnom nickte dankbar und ging auf ihn los. Slurp wich dem Hieb aus und schlug den Angreifer mit der Faust … besinnungslos.
»Das reicht«, rief ein etwas besorgt aussehender Eww-yuk und gab den anderen sieben Gnome das Zeichen einzuschreiten. Alle sieben zögerten, zeigten aufeinander und knurrten sich an, keiner wollte Slurp als Erster angreifen.
»Nehmt eure Keulen!«, brüllte Eww-yuk.
Die sieben zogen ihre Waffen, dicke Keulen aus leichtem hartem Stein. Slurp griff nach seinem Schwert, überlegte es sich aber anders und warf sich gegen die sieben Wachen wie eine große pelzige Bowlingkugel.
Keulen wurden gehoben und schnellten herab, Gnome flogen durch die Luft, Krallen und Zähne rissen und bissen. PJ beobachtete, wie drei der Wachen besinnungslos umkippten, bevor der Hauptmann sich der waffenstarrenden Überzahl beugen musste.
Als sie ihn schließlich am Boden festhielten, riss einer der Gnome den Rucksack mit den Feuerwerkskörpern an sich. »Nein!«, rief Slurp in Bauchlage. Er war mit Beulen und Kratzern übersät, aber der Kämpfer in ihm gab sich noch längst nicht geschlagen.
»Bring mir die Tasche«, sagte PJ. »Ich, ähm, zeige euch, wie die Dinger funktionieren.«
Der Gnom begann, mit dem Rucksack auf PJ zuzugehen.
»Nein!«, knurrte Slurp. »Der Mensch darf sie nicht in die Finger kriegen!«
»Häh?«, Eww-yuk grinste entspannt, da Slurp nun von vier Gnomen festgehalten wurde.
»Wenn wir sie ihm geben, wird er uns damit das Fell vom Leib brennen!«, brüllte Slurp.
Der Gnom blieb stehen, blickte auf das versengte Fell an Slurps Kopf und warf den Rucksack fort. Eww-yuk verzog das Gesicht, war nicht gewillt, ihn selbst aufzuheben.
»Sieh doch, was er mit mir gemacht hat!«, sagte Slurp und wandte Eww-yuk die kahle Stelle an seinem Kopf zu. »Der Krach und das blendende Licht … grauenvoll. Der Mensch hat das Ding nicht mal berührt, als es mir an den Kopf prallte wie eine Steinlawine.«
PJ trat zentimeterweise auf den Rucksack zu. »Das ist nur verrücktes Gerede. Er soll still sein!«
Brains fing an, Eww-yuk ins Ohr zu brabbeln wie ein summendes Insekt. Schließlich brüllte der General: »Wachen, bringt mir die Tasche!«
»Nein!«, rief PJ. »Du weißt nicht, wie man sie –«
»Ruhe!« Eww-yuk deutete mit dem Dolch auf eine der Wachen und dann auf den Rucksack. Der Gnom hatte mehr Angst vor dem General als vor dem Inhalt des Rucksacks und schob sich zögerlich an PJ vorbei, um ihn mit seiner haarigen Pranke aufzuheben. »Glaubst du etwa, ich bin genauso dumm wie Slurp?«, fuhr Eww-yuk fort.
PJ funkelte Slurp an. »Ich glaube, das ist unmöglich.«
Eww-yuk bekam den Rucksack überreicht und wühlte darin herum, während Brains um den Steinstuhl herumwieselte, um ebenfalls einen Blick auf den Inhalt zu erhaschen. Der General zog eine Sonic Atomic Sky Blaster heraus, eine armlange Flaschenrakete.
»Die Dinger sind zu gefährlich«, beharrte Slurp. »Unsere Gattung ist nicht bereit für so machtvolle Waffen.«
»Unsinn«, schnaubte Eww-yuk. »Ich kann diese Waffen beherrschen – schließlich bin ich größer als sie.« Er deutete auf PJ und Slurp. »Legt den Mensch und den Verräter in Ketten, während ich eine Weile über alles nachdenke. Steckt sie in die gleiche Zelle – sie scheinen sich zu mögen.«
Die Wachen fesselten Slurp und zogen ihn auf die Füße, dann stellten sie PJ neben ihn.
»Brains!«, blaffte Eww-yuk. »Bring diese Dinger in dein Labor, und finde heraus, wie sie funktionieren.« Der General übergab den Rucksack seinem Chef-Denker, der sogleich aufgeregt mit den Feuerwerkskörpern davoneilte.
»Du hast keine Befugnis für das, was du hier tust«, knurrte Slurp und trat so dicht zu Eww-yuk heran, wie die Wachen es zuließen. »Ich bin Hauptmann, und du bist nicht der Große Gnom.«
»Noch nicht.« Eww-yuk beugte sich vor und flüsterte Slurp leise zu: »Aber wenn der Große Gnom demnächst das Zeitliche segnet, lasse ich dich verschwinden … Schnipp! Genau wie meine stinkigen Brüder.«
»Hey, General!«, meldete sich PJ zu Wort. »Was ist mit unserer Abmachung?«
»Du Trottel«, sagte Slurp. »Man kann uns nicht vertrauen – wir Gnome sind allesamt Lügner.«
»Was soll das?«, brüllte PJ Eww-yuk an, während die Wachen ihn und Slurp fortzuschleppen begannen. »Ein Anführer, der in der Öffentlichkeit lügt? Wo gibt’s denn so was?«
»Bei euch Menschen zum Beispiel«, sagte der General ruhig. »Was glaubst du, wer uns beigebracht hat zu lügen?«