ZUR GENEALOGIE DES UNSINNS

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Nach allem, was man mir gesagt und mich gelehrt hat, ist der Mensch mit Vernunft begabt. Ein ganzes langes Leben hindurch habe ich eifrig nach einer Bestätigung dieser These Ausschau gehalten – leider ohne den geringsten Erfolg. Im Gegenteil, ich musste beobachten, wie die Menschheit mehr und mehr dem Wahnsinn verfiel. Ich habe gesehen, wie sich große Nationen – einst Bannerträger der Kultur – von Leuten in die Irre führen ließen, hinter deren bombastischem Geschrei sich der reinste Unsinn verbarg, und ich habe erlebt, dass Grausamkeit, Verfolgung und Aberglaube mit Riesenschritten einem Punkt zusteuerten, wo niemand mehr ein Lob der Vernunft wagen darf, ohne sogleich als lächerlicher alter Tropf, als bedauerliches Überbleibsel einer längst überlebten Zeit abgestempelt zu werden. In der Erkenntnis, dass bloße Verzweiflung nie zu etwas nütze gewesen ist, beschloss ich, mich dieser zwecklosen und schädlichen Gemütsverfassung durch ein aufmerksameres und genaueres Studium der Vergangenheit zu entziehen. Ich machte dabei wie einst Erasmus die Entdeckung, dass die Torheit ebenso alt ist wie die Menschheit selbst und dass die Menschen trotzdem nicht ausgestorben sind. Und da sich der Wahnwitz der eigenen Zeit leichter ertragen lässt, wenn man ihn vor dem Hintergrund vergangener Dummheiten betrachtet, will ich im folgenden versuchen, den Unfug unserer Tage an den Tollheiten früherer Jahrhunderte zu messen. Vielleicht gewinnen wir auf diese Weise den nötigen Abstand und damit die Erkenntnis, dass unsere Zeit letzten Endes auch nicht viel schlimmer ist als frühere Epochen, die von unseren Vorfahren überstanden wurden, ohne dass es zur letzten und äußersten Katastrophe kam.

Soviel ich weiß, war es Aristoteles, der den Menschen zum ersten Mal als ein vernunftbegabtes Wesen bezeichnete, und zwar mit der wohl nicht sehr überzeugenden Begründung, dass manche Leute rechnen könnten. Der griechische Philosoph unterscheidet drei verschiedene Seelen: eine allen Organismen innewohnende Pflanzenseele, die lediglich für die Ernährung und das Wachstum zu sorgen hat, eine das Tier und den ihm übergeordneten Menschen zur Fortbewegung befähigende Tierseele und eine mit dem souveränen göttlichen Geist identische, auch Intellekt genannte Denkseele, an der die Menschen entsprechend dem Grade ihrer Weisheit teilhaben. Durch den Intellekt, das heißt durch das Denkvermögen, wird der Mensch in den Rang eines animal rationale erhoben. Nach Aristoteles äußert sich das Denken auf mannigfache Weise, nirgends aber so deutlich und so überzeugend wie in der Beherrschung der Rechenkunst – eine Auffassung, die auf die Besonderheit des griechischen Zahlensystems zurückgeht. Die Mängel dieses Systems machten schon das kleine Einmaleins zu einer schwierigen Angelegenheit, ganz abgesehen von verwickelteren Rechenaufgaben, die nur sehr gewitzte Leute mit Anstrengung zu bewältigen vermochten. Heute lösen Rechenmaschinen diese Aufgaben, und obwohl sie schneller und zuverlässiger arbeiten als die gescheitesten Menschen, würde es doch niemandem einfallen, sie für unsterblich zu erklären oder ihre Leistungen auf göttliche Inspiration zurückzuführen. Mit der Verminderung der Rechenschwierigkeiten sank auch der Respekt vor der Rechenkunst um einige Grade, und wenn die Philosophen uns auch immer noch versichern, was für feine Kerle wir sind, unserer arithmetischen Heldentaten wegen rühmt uns keiner mehr.

Da wir also nicht mehr auf die Rechenkünstler deuten können, wenn wir beweisen wollen, dass der Mensch ein mit Vernunft begabtes Wesen und seine Seele wenigstens zum Teil unsterblich sei, müssen wir uns nach einem Ersatz umtun. Aber wo sollen wir ihn suchen? Bei den Staatsmännern, die uns und die Welt so glorreich in unsere gegenwärtige Lage hineinmanövriert haben? Oder vielleicht in den Reihen der Literaten? Oder bei den Philosophen? Ich gebe zu, dass alle drei Gruppen berechtigten Anspruch auf unsere Wahl hätten, schlage aber doch vor, dass wir uns zuallererst bei denen umsehen, die gemeinhin als die weisesten und zugleich würdigsten Menschen anerkannt werden: bei den Geistlichen. Wenn sie nicht vernünftig sind – welche Hoffnung bleibt dann für uns so viel geringere Sterbliche? Und es hat leider Zeiten gegeben – ich muss es aussprechen, wenn auch mit allem schuldigen Respekt – es hat Zeiten gegeben, in denen man an der Weisheit des Klerus zweifeln musste, und sonderbarerweise waren es gerade die Zeiten seiner größten Macht und seines höchsten Einflusses.

Das von unseren Neuscholastikern vielgerühmte Zeitalter des Glaubens umfasste die Epochen, in denen der Geistlichkeit alles nach Wunsch ging. Das tägliche Leben jener Zeit war voll von den Wundertaten der Heiligen und den Zauberstücken des Teufels und der Schwarzkünstler. Tausende von Frauen und Mädchen starben als Hexen den Flammentod auf dem Scheiterhaufen, und die verworfene Menschheit wurde mit Hungersnöten und Pestilenz, mit Erdbeben, Überschwemmungen und Feuersbrünsten für ihre Sünden bestraft. Und doch war sie damals noch sündhafter als heute, so unwahrscheinlich das klingen mag.

Im streng wissenschaftlichen Sinne war die Welt so gut wie unerforscht. Einige wenige Gelehrte konnten sich wohl dunkel erinnern, dass man im alten Griechenland Beweise für die Kugelform der Erde erbracht hatte, aber die meisten Menschen lachten wie über einen guten Witz, wenn man ihnen von Antipoden erzählte. Die Annahme, dass auf der entgegengesetzten Erdhälfte ebenfalls Menschenwesen existierten, wäre ja Ketzerei gewesen. Man war allgemein der Überzeugung, dass der meisten Menschen die Verdammnis harre – heute vertreten die Katholiken einen etwas milderen Standpunkt – und überall, an jeder Ecke, sah man Gefahren lauern, besonders in der Umgebung der Mönche, die nicht einmal in Frieden ihre Mahlzeiten einnehmen konnten. Auf alle Speisen, die sie zum Munde führten, ließen sich Dämonen nieder, die darauf brannten, sich der Körper unvorsichtiger Esser zu bemächtigen, die nicht vor jedem Bissen das Kreuz schlugen. Altmodische Leute sagen noch heute »Gott segne Sie!«, wenn jemand niest; aber sie haben vergessen, warum sie es tun. Man glaubte früher, dass während des Niesens die Seele den Leib verlasse, wobei es leicht geschehen konnte, dass auf der Lauer liegende Dämonen in den entseelten Leib des Menschen eindrangen, bevor die Seele auf ihren angestammten Platz zurückzukehren vermochte. Durch die Segensformel aber wurden die Geister des Unheils verscheucht.

Während der letzten vierhundert Jahre, in denen der Mensch mit Hilfe der sich stetig weiterentwickelnden Wissenschaft die Natur und ihre Kräfte erkennen und beherrschen lernte, hat die Geistlichkeit einen immer aussichtsloseren Kampf gegen die Wissenschaft geführt, sowohl auf dem Gebiet der Astronomie und Geologie, wie auf dem der Anatomie und Physiologie, der Biologie, Psychologie und Soziologie. Ihr Rückzug vollzog sich in Etappen. Nachdem sie von den Astronomen besiegt worden war, tat sie ihr Bestes, um die Geologie am Aufstieg zu hindern. Dann bekämpfte sie Darwin und seine biologischen Theorien, wie sie heute die wissenschaftlichen Theorien der Psychologie und der Pädagogik bekämpft. In jeder neuen Phase bemüht sie sich, den Schleier des Vergessens über ihren früheren Obskurantismus zu breiten, um zu verhüten, dass die Öffentlichkeit ihre gegenwärtige Fortschritts-und Kulturfeindlichkeit richtig erkennt. Man möge mir gestatten, einige eklatante Beispiele von Unvernunft anzuführen, die sich der Klerus seit dem Emporkommen der Wissenschaft geleistet hat, um dann zu untersuchen, wie es mit der übrigen Menschheit steht.

Als Benjamin Franldin den Blitzableiter erfand, empörte sich die Geistlichkeit Englands und Amerikas mit der begeisterten Unterstützung König Georgs III. über diesen gottlosen Versuch, dem Willen des Allmächtigen entgegenzuarbeiten. Denn wie alle rechtschaffenen Menschen wissen müssen und auch wissen, ist der Blitz eine gottgesandte Strafe für den Unglauben oder eine andere schwere Sünde – fromme und tugendsame Menschen werden nie vom Blitz erschlagen! Wenn Gott also irgendeine sündige Seele züchtigen wollte, durfte Benjamin Franklin den göttlichen Willen nicht durchkreuzen, ja man musste annehmen, er wolle dem Verbrecher Vorschub leisten. Aber Gott zeigte sich der Gelegenheit gewachsen, wenn man dem Bischof Price glauben darf, welcher damals zu den führenden kirchlichen Persönlichkeiten der Stadt Boston zählte. Da der Blitz durch die »von dem übergescheiten Dr. Franklin erfundenen Eisenspitzen« unwirksam gemacht worden war, wurde Massachusetts mit Erdbeben geschlagen. In einer Predigt äußerte Dr. Price: »In Boston gibt es die meisten Blitzableiter, und wie wir gesehen haben, wurde Boston am schwersten von der Erdbebenkatastrophe heimgesucht. Oh – es gibt kein Entrinnen vor der allmächtigen Hand Gottes!« Allem Anschein nach aber hat die Vorsehung dann doch die Hoffnung aufgegeben, Boston von seiner Verworfenheit heilen zu können, denn obwohl der Blitzableiter dort allmählich zur Selbstverständlichkeit wurde, blieben Erdbeben in Massachusetts eine Seltenheit. Trotzdem kann man dem von Dr. Price vertretenen Standpunkt auch heute noch begegnen. Einer der einflussreichsten Männer der Neuzeit, Mahatma Gandhi, hat sich anlässlich einer Erdbebenkatastrophe in Indien zumindest sehr ähnlich geäußert; auch er hielt seinen Landsleuten mahnend ihre Sünden vor, die seiner Überzeugung nach das furchtbare Unglück herausgefordert hatten.

Selbst in meinem heimatlichen Inselreich sind solche Vorstellung noch lebendig. Während des ersten Weltkrieges bemühte sich die englische Regierung um eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion. Als im Jahre 1916 an verschiedenen Fronten einige Rückschläge eintraten, erhielten die Zeitungen Zuschriften eines schottischen Geistlichen, der die militärischen Rückschläge dem Umstand zuschrieb, dass mit Zustimmung der Regierung am heiligen Sonntag Kartoffeln gepflanzt worden waren. Allerdings blieb England das äußerste Unheil erspart, weil sein Verstoß gegen die Bibel sich auf diesen einen Punkt beschränkte, wohingegen die Deutschen alle zehn Gebote übertraten.

Wenn man den Aussagen frommer Leute Glauben schenken darf, lässt Gott bei seinen Barmherzigkeitsbezeigungen ganz merkwürdige Gesichtspunkte walten. So trug sich beispielsweise folgendes zu: der Dichter des berühmten Chorals »Rock of Ages«, Augustus Toplady, zog eines Tages von einem Vikariat in ein anderes um. Eine Woche nach dem Umzug brannte die von ihm verlassene Pfarrei nieder, wobei dem neuen Vikar großer Schaden entstand. Toplady sagte daraufhin seinem Herrgott Dank für die wunderbare Errettung; was sein geschädigter Amtsbruder getan hat, ist nicht bekannt. Oder ein anderer Fall: in seinem Buch » The Bible in Spain« berichtet George Borrow gerührt, wie er ohne jede Unbill über eine von Banditen unsicher gemachte Passhöhe gelangte. Die nächste Touristengesellschaft hingegen wurde überfallen und ausgeraubt; einige der Reisenden verloren sogar ihr Leben. Als Borrow davon erfuhr, machte er es wie der Vikar Toplady; er dankte Gott aus vollem Herzen für seine weise Führung.

Obwohl unsere Lehrbücher schon seit langem auf den Erkenntnissen des Kopernikus fußen, sind Religion und Moral von diesen neuen astronomischen Theorien unberührt geblieben; nicht einmal den Glauben an die Astrologie vermochten sie zu zerstören. Nach wie vor sind die Menschen überzeugt, dass der göttliche Weltenplan mit besonderer Rücksicht auf den Menschen entworfen wurde und dass eine gerechte Vorsehung für die Belohnung der Guten und für die Bestrafung der Bösen sorgt.

Ich bin zuweilen recht entsetzt über die Gotteslästerungen aus dem Munde von »frommen« Menschen. Wenn man zum Beispiel die Nonnen fragt, warum sie sich sogar in der Badewanne nicht völlig auskleiden, obwohl sie doch dort ganz unbeobachtet seien, antworten sie mit sanftem Vorwurf »Sie vergessen den lieben Gott!« Sie scheinen sich also Gott als eine Art Voyeur vorzustellen, der kraft seiner Allmacht durch die Badezimmerwände späht, dessen vorwitzige Absichten sich aber mit einem Badekostüm durchkreuzen lassen.

Überhaupt hat der Begriff »Sünde« für mich etwas ungemein Verwirrendes – wahrscheinlich, weil ich von Natur sündhaft bin. Was ist Sünde? Wenn man mir antwortete: »Das Verursachen unnötiger Leiden«, so wäre ich damit einverstanden. Tatsächlich aber wird häufig gerade das Gegenteil, also die Verhütung unnötiger Leiden, als »Sünde« ausgelegt.

Vor einigen Jahren wurde im englischen Oberhaus ein Gesetzesentwurf zur Legalisierung der Euthanasie bei besonders schmerzhaften und nachgewiesenermaßen unheilbaren Krankheiten eingebracht. Der Antrag bezeichnete die Zustimmung des Patienten und ärztliche Gutachten von verschiedenen Seiten als unerlässliche Voraussetzung eines solchen Gesetzes. Dass man in diesem Falle die Entscheidung dem Patienten überlassen müsse, erschien mir in meiner Einfalt ganz selbstverständlich. Der damalige Erzbischof von Canterbury, Englands amtlicher Sündenexperte, legte jedoch das Irrige einer solchen Auffassung dar. Die Einwilligung des Patienten mache die Euthanasie zum Selbstmord, erklärte er, und Selbstmord sei Sünde. Die versammelten Lordschaften hörten auf die Stimme des Fachmannes und lehnten den Gesetzesentwurf ab. Und so müssen die Krebskranken dem Erzbischof und seinem Gott zuliebe weiterhin Monate der qualvollsten Agonie durchstehen, es sei denn, ihre Ärzte oder Schwestern haben sich so viel menschliches Mitempfinden bewahrt, dass sie auch eine Mordanklage auf sich nehmen. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass ein Gott Freude empfindet, wenn er seine hilflosen Geschöpfe unnütz leiden sieht. Und wenn es eine Gottheit von so grenzenloser Grausamkeit gäbe, würde ich sie ganz gewiss nicht für anbetungswürdig halten. Aber das beweist eben nur, wie tief ich in moralischer Hinsicht gesunken bin.

Ebenso unklar erscheint mir, was nun Sünde ist und was nicht. Als der englische Tierschutzverein den Papst um seine Unterstützung bat, lehnte er dies ab mit der Begründung, dass der Mensch den niederen Tieren gegenüber keine Verpflichtungen habe und dass die Misshandlung von Tieren nicht als Sünde anzusprechen sei. Denn Tiere haben keine Seele. Andererseits gilt es als Sünde, wenn ein Mann die Schwester seiner verstorbenen Frau heiraten möchte, auch wenn beide Teile die Heirat ersehnen. Nicht etwa weil Schwager und Schwägerin in einer ehelichen Verbindung unglücklich werden könnten, sondern weil gewisse Bibelstellen es verbieten.

Das Dogma von der Wiederauferstehung hat die sonderbarsten Konsequenzen. Vor nicht allzu langer Zeit errechnete ein Schriftsteller auf höchst originelle Weise das genaue Datum des Weltendes. Er ging von dem Gedanken aus, dass die für den menschlichen Körper unerlässlichen Aufbaustoffe in genügender Menge vorhanden sein müssen, solle am Jüngsten Tage jedermann mit dem Nötigen ausgestattet sein. Nach sorgfältiger Bestandsaufnahme der verfügbaren Rohstoffmengen gelang es ihm, den Tag festzustellen, an dem alles Vorhandene aufgebraucht sein würde. Am gleichen Tage müsste es nach seiner Auffassung mit der Welt zu Ende sein, da andernfalls eine leibliche Auferstehung unmöglich wäre. Unglücklicherweise ist mir das Datum entfallen, aber ich glaube, es liegt nicht mehr allzu fern.

Thomas von Aquino, der offizielle Philosoph der katholischen Kirche, erörterte des langen und breiten ein sehr ernstes, von den modernen Theologen schmählich vernachlässigtes Problem. Er stellte sich einen Kannibalen vor, der nie etwas anderes zu sich genommen hat als Menschenfleisch und dessen Eltern die gleiche Geschmacksrichtung hatten. Jedes Partikelchen seines Körpers müsste von Rechts wegen einem anderen gehören. Man kann nun nicht gut annehmen, dass alle von Kannibalen gefressenen Menschen auch in Ewigkeit zu kurz kommen sollen. Was aber wird dann aus dem Kannibalen selbst? Wie soll man ihn nach allen Regeln der Kunst in der Hölle rösten, wenn sein ganzer Körper unter die rechtmäßigen Besitzer aufgeteilt werden muss? Ich gebe dem Heiligen recht, wenn er diese Frage als ein recht schwieriges Problem bezeichnet.

Orthodoxe Christen erheben in diesem Zusammenhang einen recht merkwürdigen Einwand gegen die Feuerbestattung, der darauf schließen lässt, dass sie nur eine recht geringe Meinung von der Allmacht Gottes haben. Sie behaupten, es sei für Gott schwieriger, eine verbrannte als eine in der Erde von den Würmern zerfressene Leiche wieder zum Leben zu erwecken. Zweifellos wäre es recht mühselig, die Partikel aus der Luft zu sammeln und den chemischen Verbrennungsprozess umzukehren, doch wäre es bestimmt eine Blasphemie, anzunehmen, dass dies für Gott eine unlösbare Aufgabe sei.

Ich muss daraus folgern, dass die Ablehnung der Feuerbestattung offene Ketzerei darstellt, nehme jedoch an, dass meine Feststellung orthodoxe Christen kaum beeindrucken wird.

Die Kirche hat ihre Zustimmung zu Leichenöffnungen im Interesse der medizinischen Wissenschaft nur sehr zögernd und mit großem inneren Widerstreben gegeben. Als ein Pionier in der Frage der Sektion kann Vesalius bezeichnet werden, der Hofarzt Kaiser Karls V. Seines großen Könnens wegen gewährte ihm der Kaiser jeden erdenklichen Schutz. Nach dem Tode Karls jedoch geriet Vesalius bald in Ungelegenheiten. Man legte ihm zur Last, einen Menschen seziert zu haben, der unter dem Messer noch Lebenszeichen von sich gegeben habe, und klagte ihn des Mordes an. Nur der Vermittlung König Philipps II. hatte Vesalius es zu verdanken, dass er mit dem Leben davonkam. Das Inquisitionsgericht übte Nachsicht und verurteilte ihn lediglich zu einer Pilgerfahrt ins Heilige Land. Auf der Heimreise strandete sein Schiff, und er starb an Entkräftung. Noch Jahrhunderte nach diesem Vorfall durften die Medizinstudenten der Päpstlichen Universität in Rom nur an geschlechtslosen Gliederpuppen arbeiten.

Der Glaube an die Heiligkeit des Leichnams ist weit verbreitet. Bei den Ägyptern steigerte er sich zu dem Wunsch, die Leichen vor der Verwesung zu bewahren, und so entstand der Brauch des Einbalsamierens, der heute noch in China verbreitet ist. Ein von den Chinesen als Dozent für westliche Medizin verpflichteter französischer Chirurg berichtet, dass seine Bitte, ihm Leichen zu Sektionszwecken zur Verfügung zu stellen, mit größtem Entsetzen aufgenommen wurde. Tote könne er nicht haben, bedeutete man ihm, dafür aber lebende Verbrecher in beliebiger Zahl. Dass er sich mit dieser Lösung nicht einverstanden erklären wollte, war seinen chinesischen Brotgebern völlig unbegreiflich.

Es gibt zwar viele Arten der Sünde, darunter allein sieben Todsünden, das für den Satan ergiebigste Feld aber ist und bleibt der Sexus. Die orthodoxen katholischen Ansichten über diesen Gegenstand kann man beim Apostel Paulus, beim heiligen Augustinus und bei Thomas von Aquino nachlesen. Alle drei erklären das Zölibat für das einzig Richtige, haben jedoch nichts gegen eine Heirat einzuwenden, wenn jemand zur Enthaltsamkeit zu schwach ist. Der durch den Wunsch nach Kindern veranlasste Geschlechtsverkehr innerhalb der Ehe gilt als erlaubt. Hingegen ist jede außereheliche geschlechtliche Beziehung sündhaft, und auch der eheliche Geschlechtsverkehr wird zur Sünde, sobald die Eheleute die Empfängnis zu verhüten trachten. Ebenso gilt die Unterbrechung der Schwangerschaft als Sünde, selbst dann, wenn nach ärztlicher Ansicht keine andere Möglichkeit besteht, das Leben der Mutter zu erhalten. Denn Ärzte sind nicht unfehlbar, und sofern er will, kann Gott ein Menschenleben jederzeit durch ein Wunder retten – eine Auffassung, die beispielsweise in der Gesetzgebung des amerikanischen Staates Connecticut ihren Niederschlag gefunden hat. Geschlechtskrankheiten sind nach Ansicht der katholischen Kirche Gottes Strafe für fleischliche Sünden. Zwar kann diese Strafe auf dem Wege über einen schuldigen Gatten auch eine völlig unschuldige Frau und ihre noch unschuldigeren Kinder treffen, aber das Walten der Vorsehung ist nun einmal geheimnisvoll, und ein Zweifel an Gottes Gerechtigkeit wäre Blasphemie. Man darf auch nicht fragen, weshalb es die göttlich verordneten Geschlechtsleiden erst seit der Zeit des Kolumbus gibt. Da venerische Krankheiten gottgewollte Strafen für sündige Leidenschaften sind, gelten alle Maßnahmen zu ihrer Verhütung – ausgenommen ein tugendhafter Lebenswandel! – als Sünde. Auf dem Papier ist das Band der Ehe unlöslich, in Wirklichkeit aber sind viele nur dem Schein nach verheiratet. Und während sich für einflussreiche Katholiken häufig ein Grund zur Annullierung ihrer Ehe findet, gibt es für die Armen und Niedrigen keinen Ausweg, höchstens wenn Impotenz vorliegt. Wer sich scheiden lässt und ein zweites Mal heiratet, macht sich in Gottes Augen des Ehebruchs schuldig.

In Gottes Augen? Eine verwirrende Formulierung. Was sieht Gott? Alles, sollte man meinen. Offenbar aber ist diese Ansicht irrig. Das Scheidungsparadies Reno zum Beispiel sieht Gott nicht, denn niemand kann in Gottes Augen geschieden werden. Und wie ist es mit den Standesämtern? Nach meinen Feststellungen gehen die ehrenwertesten Leute bei nur standesamtlich getrauten Ehepaaren ohne Hemmungen ein und aus, wohingegen sie um keinen Preis der Welt ein Haus betreten würden, in dem die freie Liebe ihr Unwesen treibt. Standesämter scheint Gott also wahrzunehmen.

Einige sehr bedeutende Männer fanden selbst die Haltung der katholischen Kirche in sexuellen Fragen noch bedauerlich lax. Tolstoi und Mahatma Gandhi haben uns im Greisenalter versichert, dass jedweder Geschlechtsverkehr verwerflich sei, auch in der Ehe und wenn er vom Wunsch nach Kindern bestimmt ist. Genau so dachten die Manichäer, die sich nur deshalb nicht um ihren Fortbestand zu sorgen schienen, weil sie sich vertrauensvoll auf die Sündhaftigkeit der menschlichen Natur verließen. Natürlich ist die Ansicht der Manichäer ketzerisch. Nicht weniger ketzerisch aber wäre die Behauptung, dass die Ehe genau so lobenswert sei wie das Zölibat. Tolstoi hielt den Tabakgenuss für fast ebenso verworfen wie die Sinnenlust. In einem seiner Romane raucht ein mit Mordgedanken umgehender Mann zunächst einmal eine Zigarette, um sich in die nötige mörderische Raserei hineinzusteigern. Dabei ist nirgendwo in der Bibel das Rauchen verboten worden. Der englische Romancier Samuel Butler meint allerdings, dass der Apostel Paulus das üble Tabakkraut bestimmt verdammt haben würde, wenn er es gekannt hätte.

Befremdlich finde ich die Haltung von Kirche und Öffentlichkeit dem sogenannten »petting«[1] gegenüber. Wofern es die »Grenze« nicht überschreitet, hat niemand etwas dagegen einzuwenden. Über den genauen Verlauf dieser Grenze aber sind sich selbst die Kasuisten nicht ganz einig; jedenfalls war bisher nicht zu erfahren, an welchem Punkt die Sünde einsetzt. Ein sehr orthodoxer katholischer Priester hat sich einmal dahin geäußert, dass ein Beichtvater, wenn er sich nichts Böses dabei denke, einer Nonne ruhigen Gewissens die Brüste streicheln dürfe. Ich bin allerdings nicht sicher, ob man ihm heute an maßgebender Stelle recht geben würde.

Unsere moderne Moral ist ein Gemisch aus rein vernunftbedingten Regeln für ein friedliches Zusammenleben der Menschen in einer festen Gemeinschaft und aus traditionellen Verboten, die ursprünglich von irgendeinem alten Aberglauben herrühren und schließlich durch die heiligen Bücher der verschiedenen Religionen – die Bibel der Christen, den Koran der Mohammedaner, die heiligen Schriften der Hindus und der Buddhisten – zu Moralgesetzen erhoben wurden. Bis zu einem gewissen Grade stimmen diese Regeln und Verbote überein. So stützt sich beispielsweise das Verbot von Mord und Diebstahl sowohl auf die menschliche Vernunft wie auf das Wort Gottes. Hingegen wird der Schweine-oder Rindfleischgenuss nur von bestimmten Religionen verurteilt. Unbegreiflich, dass sich moderne Menschen ihre Moral noch immer von uralten und äußerst primitiven Nomaden-oder Bauernstämmen vorschreiben lassen, obwohl ihnen unmöglich verborgen geblieben sein kann, dass die Aufklärungsarbeit der Wissenschaft inzwischen sowohl unser Denken wie die sozialen Verhältnisse entscheidend gewandelt hat. Umso unbegreiflicher und deprimierender, als viele dieser kritiklos hingenommenen Gebote und Verbote sehr oft völlig unnötiges Leid und Elend verursachen. Gäbe es mehr Güte in der Welt, hätte schon längst jemand auf die eine oder andere Weise zu verstehen gegeben, dass diese heiklen Gebote genau so wenig ernst genommen zu werden brauchen, wie dasjenige: »Verkaufe alles, was du hast, und gib's den Armen.«

Der Begriff Sünde ist voll logischer Widersprüche. Auf der einen Seite lehrt man uns, dass die Sünde im Ungehorsam gegen Gottes Gebote bestehe, auf der anderen Seite spricht man von Gottes Allmacht. Ist Gott wirklich allmächtig, so kann nichts gegen seinen Willen geschehen. Wenn also der Sünder Göttes Gebot missachtet, muss Gott selbst es so gewollt haben – eine Auffassung, zu der sich beispielsweise der heilige Augustinus in kühner Folgerichtigkeit bekennt; seiner Meinung nach fällt der Mensch in Sünde, weil Gott ihn mit Blindheit geschlagen hat. Die meisten modernen Theologen aber empfinden es als unfair, dass der Mensch für Sünden in die Hölle wandern soll, die man ihm letzten Endes gar nicht zur Last legen kann. Denker wie Spinoza folgen aus der für sie selbstverständlichen göttlichen Allmacht, dass es überhaupt keine Sünde geben kann. Eine schreckenerregende Behauptung! Wie? protestierten Spinozas Zeitgenossen empört, Neros Mord an seiner Mutter wäre also keine Sünde? Und dass Adam vom verbotenen Apfel gegessen hat, soll auch nicht Sünde gewesen sein? Demnach gäbe es also überhaupt keinen Unterschied zwischen guten und bösen Taten? Spinoza wand sich unter dem Ansturm dieser Fragen, aber eine befriedigende Antwort hat er nicht gefunden. Denn wenn alles auf Erden mit Gottes Willen geschieht, muss auch der Muttermord des Kaisers Nero Gottes Wille gewesen sein. Und da Gott gut ist, bleibt nur zu folgern, dass dieser Mord ebenfalls etwas Gutes war. Dieser Schlussfolgerung kann man nicht entrinnen.

Wer ernsthaft glaubt, dass Sünde Ungehorsam gegen Gott ist, muss wohl oder übel die These von Gottes Allmacht fallen lassen, wenn er mit der Logik auf gutem Fuß bleiben will. Gewisse liberale Theologen haben sich denn auch von dieser These gelöst, wobei sie allerdings auf neue Schwierigkeiten stießen. Wie soll man wissen, was wirklich Gottes Wille ist? Wenn die Kräfte des Bösen irgendwie an der Macht teilhaben, können sie uns mit Leichtigkeit als Gottes Wort vorspiegeln, was in Wahrheit ihr eigener teuflischer Wunsch und Wille ist. Diese Auffassung vertraten zum Beispiel die Gnostiker, die das Alte Testament als Ausgeburt eines bösen Geistes ansahen.

Sobald wir auf die eigene Vernunft verzichten und uns mit irgendeiner Autorität zufrieden geben, finden wir aus den Schwierigkeiten überhaupt nicht mehr heraus. Auf wen oder auf was sollen wir uns verlassen? Auf das Alte Testament? Auf das Neue Testament? Auf den Koran? Jeder Mensch ist in eine bestimmte Gemeinschaft hineingeboren, und gewöhnlich wählt er sich zur Richtschnur, was diese Gemeinschaft für heilig hält, nie aber die betreffende heilige Schrift als Einheit, sondern immer nur ihm zusagende Abschnitte daraus; der Rest wird ohne weiteres ignoriert. Es hat eine Zeit gegeben, in der keine Bibelstelle so häufig zitiert und so gründlich befolgt wurde wie das Wort: »Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen.« Heutzutage wird diese Stelle nach Möglichkeit mit Stillschweigen übergangen oder allenfalls mit einer Entschuldigung erwähnt. Auch der Heiligen Schrift entnehmen wir also nur, was sich mit unseren vorgefassten Meinungen deckt.

Die meisten religiösen Überzeugungen entspringen einer individuellen oder sich auf eine bestimmte Abkunft stützende Selbstüberheblichkeit. Selbst der Begriff der Sünde entsteht aus einem solchen übersteigerten Selbstgefühl. Der oben erwähnte George Borrow erzählt, wie er eines Tages einen Prediger aus Wales kennenlernte, der so schwermütig war, dass sein Mitgefühl wach wurde. Auf vorsichtiges Befragen gestand ihm der Prediger bekümmert, dass er sich als Siebenjähriger gegen den Heiligen Geist versündigt habe. »Mein lieber Freund«, rief Borrow erleichtert, »das darf Sie nicht beunruhigen! Ich kenne Dutzende von Leuten mit dem gleichen Kummer. Bilden Sie sich ja nicht ein, durch dieses Missgeschick von der übrigen Menschheit abgeschnitten zu sein! Wenn Sie sich nur etwas umtun, werden Sie feststellen, dass viele Menschen unter diesem Alpdruck leiden.« Von Stund an war der Prediger geheilt. An der Rolle eines Sünders unter vielen lag ihm nichts; gerade das scheinbar Besondere, Einmalige seines Falles hatte er genossen.

Nicht alle Sünder sind so ausgesprochen egozentrisch. Aber die Theologen scheinen an dem Gedanken Gefallen zu finden, dass dem Menschen nicht nur Gottes ganz besondere Liebe, sondern auch sein furchtbarster Hass gilt. Wir brauchen uns nur zu erinnern, was Milton über Gottes Weisungen nach dem Sündenfall berichtet:

 

Zuerst erhielt die Sonne den Befehl,
So sich mit ihren Strahlen zu bewegen,
Dass sie der Erde Kält' und Hitze lieh,
Die kaum ertragbar, dass vom Norden sie
den Winter und vom Süd' den Sommer rufe.

 

Die Folgen mögen reichlich unangenehm gewesen sein. Dennoch muss sich Adam meiner Meinung nach recht geschmeichelt gefühlt haben, dass Gott, nur um ihn zur Räson zu bringen, ein so großartiges astronomisches Schauspiel in Szene gesetzt hatte. Die Theologie hält den Menschen für das wichtigste und bedeutendste Element des Universums, und da alle Theologen Menschen sind, ist diese Auffassung nirgendwo auf nennenswerten Widerstand gestoßen.

Als dann die Evolutionstheorie zur Mode wurde, nahm die Verherrlichung des Menschen neue Formen an. Man erklärte uns, die Evolution hätte nur dies eine große Ziel gehabt; durch all die Millionen Jahre, in denen es nur Urschleim und Fossilien gab, und ebenso später in den Zeitaltern der Dinosaurier und Riesenfarne, der wilden Bienen und Blumen habe Gott nur immer diesen grandiosen Höhepunkt seines Schöpfungswerkes vor Augen gehabt. Und als die Zeit gekommen war, schuf Gott den Menschen – einschließlich solcher Exemplare wie Nero und Caligula, Hitler und Mussolini, deren überirdische Herrlichkeit den langwierigen und mühevollen Vorbereitungsprozess allerdings vollauf rechtfertigt. Ich für mein Teil könnte eher an die ewige Verdammnis glauben, als an diese lächerlichste und lahmste aller Theorien vom Krönungswerk des Schöpfers, das wir als das Resultat seines letzten und höchsten Bemühens ansehen sollen. Weshalb übrigens »Bemühen«? Hat ein allmächtiger Gott es nötig, sich anzustrengen? Konnte er das glorreiche Endprodukt seiner Schöpfung nicht auch ohne einen so langwierigen und langweiligen Prolog zustande bringen?

Abgesehen davon, dass es fraglich scheint, ob der Mensch tatsächlich etwas so Herrliches ist, wie die Evolutionstheologen uns glauben machen wollen, sollte die zeitliche Begrenztheit des Lebens auf unserem Planeten zu denken geben. Über den Weltuntergang sind die verschiedensten Theorien im Umlauf. Nach der einen wird die Erde allmählich erkalten und vereisen, nach einer anderen verflüchtigt sich mit der Zeit die den Erdball umgebende schützende Lufthülle, eine dritte sagt Wassermangel voraus, und Sir James Jeans glaubt an eine Explosion der Sonne und prophezeit, dass alle Planeten sich in Gas verwandeln werden. Was von alledem geschehen und was zuerst geschehen wird, weiß niemand. Sicher ist nur, dass die Menschheit eines Tages aussterben wird. Natürlich hat diese Aussicht für die orthodoxen Theologen nichts sonderlich Erschreckendes, denn ihr Glaube an die Unsterblichkeit gibt ihnen ja die Gewissheit, dass der Mensch nach der Katastrophe auf Erden im Himmel beziehungsweise in der Hölle weiterexistieren wird. Weshalb macht man dann aber so viel Aufhebens von irdischen Vorgängen?

Eigendünkel ist nicht die einzige Ursache falscher Überzeugungen. Aus der Liebe zum Übernatürlichen und Wunderbaren entsteht zumindest ebensoviel Unheil.

Ich kannte einst einen wissenschaftlich interessierten Zauberkünstler, der seine Tricks immer nur einem kleinen Zuschauerkreis vorführte. Nach der Vorstellung nahm er sich jedes Mal die Teilnehmer einzeln vor und ließ jeden seine Beobachtungen niederschreiben. Das Resultat war in fast allen Fällen um vieles erstaunlicher als die eigentliche Leistung des Taschenspielers, die sich in der schriftlichen Darstellung der Zuschauer meist in ein Wunder verwandelte, das er auch bei größter Meisterschaft niemals hätte zustande bringen können. Trotzdem waren alle Beteiligten überzeugt, dass ihre Aufzeichnungen genau dem entsprachen, was sie mit eigenen Augen gesehen hatten. Noch schlimmer wird die Verfälschung der Wahrheit, wenn es sich um Gerüchte handelt. A erzählt B, dass er am Abend zuvor den bekannten Anti-Alkoholiker X in leicht angeheitertem Zustand getroffen habe. B erzählt C, A habe den guten X vor Trunkenheit torkeln sehen. C erzählt D, X sei in bewusstlosem Zustand im Rinnstein aufgelesen worden. Und D erzählt E, es sei offenes Geheimnis, dass X sich Abend für Abend sinnlos betrinke. Hier spricht allerdings noch ein anderes Motiv mit, nämlich die Bosheit. Wir alle denken von unseren Nachbarn lieber schlecht als gut und glauben darum auch das Schlimmste, ohne viel nach Beweisen zu fragen. Aber auch ohne das Stimulans der Bosheit ist der Mensch jederzeit bereit, dem Erstaunlichen, dem Ausgefallenen oder Wunderbaren blindlings Glauben zu schenken, sofern es nicht zufällig mit irgendeinem seiner Vorurteile kollidiert.

Bis zum achtzehnten Jahrhundert ist die Geschichte voll von wundersamen Begebenheiten, die von modernen Historikern ignoriert werden, nicht weil sie relativ ungenügend belegt sind, sondern weil der moderne Geschmack der Gebildeten dem wissenschaftlich Wahrscheinlichen den Vorzug gibt. Shakespeare schildert, was sich am Abend vor Cäsars Ermordung zutrug:

 

Ein Sklave, den Ihr wohl von Ansehn kennt,
Hob seine linke Hand empor; sie flammte
Wie zwanzig Fackeln auf einmal, und doch,
Die Glut nicht fühlend, blieb sie unversengt.
Auch kam
— seitdem steckt' ich mein Schwert nicht ein —
Beim Kapitol ein Löwe mir entgegen.
Er funkelte mich an, ging mürrisch weiter
Und tat mir nichts. Auf einen Haufen hatten
Wohl hundert bleiche Weiber sich gedrängt,
Entstellt von Furcht;
Die schwuren, dass sie Männer
Mit feurigen Leibern wandern auf und ab
Die Straße sahn.

 

Shakespeare hat diese Wunder nicht erfunden; sie sind den Berichten angesehener Historiker entnommen, auf die sich unsere ganze Kenntnis von Cäsar und von den Vorgängen um Cäsar stützt. Wenn ein großer Mann stirbt oder ein gewaltiger Krieg ausbricht, geschehen immer irgendwelche Wunderdinge. Selbst die neueste Zeit macht darin keine Ausnahme, wie die »Engel von Mons« beweisen, die 1914 den englischen Truppen Mut zusprachen. Man hat für solche Begebenheiten fast niemals Belege aus erster Hand, und moderne Historiker lehnen sie rundweg ab – wenn es sich nicht gerade um einen Vorfall von religiöser Bedeutung handelt.

Jede starke Gemütsbewegung trägt den Keim zu einer Legende in sich. Beschränkt sich die Gemütswallung auf einen Einzelnen, so gilt der Betreffende bei seinen Mitmenschen als mehr oder minder verrückt, wenn er seine selbsterfundenen Geschichten als Tatsachen zum besten gibt. Wird jedoch ein Kollektiv von diesem Gefühl erfasst – beispielsweise in Kriegen -, so denkt niemand daran, die sich ganz natürlich bildenden Legenden richtigzustellen. Im September 1914 glaubten nahezu alle Engländer, dass russische Truppen auf ihrem Wege zur Westfront englisches Gebiet passiert hätten. Kein einziger hatte die Russen mit eigenen Augen gesehen, aber jeder kannte irgend jemanden, der behauptete, sie gesehen zu haben.

Die Neigung zur Legendenbildung verbindet sich häufig mit Grausamkeit. So werden den Juden seit dem Mittelalter immer wieder Ritualmorde angedichtet, obwohl sich niemals auch nur der Schatten eines Beweises für eine solche Beschuldigung finden ließ, und kein Mensch mit gesundem Verstand jemals wirklich daran geglaubt hat. Und doch gibt es immer wieder Menschen, die solchen Erzählungen Glauben schenken. Ich habe zarentreue Russen getroffen, die von den Bluttaten der Juden felsenfest überzeugt waren – ganz zu schweigen von den Nationalsozialisten, für die es über diese Sache nicht den geringsten Zweifel gab. Solche Legenden bieten einen ausgezeichneten Vorwand für Grausamkeiten, und dass sie ohne weiteres geglaubt werden, beweist, dass der Mensch im Unterbewusstsein nach einem Opfer verlangt, das er verfolgen und peinigen kann.

Bis zum Ausgang des achtzehnten Jahrhunderts hielt man die Geisteskranken ganz allgemein für Besessene. Man war der Meinung, dass jedes Schmerzempfinden des gestörten Patienten sich auf den in seinem Körper hausenden Dämon übertrage, und folgerte daraus, dass man den Kranken, um ihn zu heilen, so lange peinigen müsse, bis der böse Geist sich entschließe, ihn zu verlassen.

Man prügelte also die Irren auf roheste Weise – auch einen König wie Georg III. von England, als er dem Wahnsinn verfiel. Merkwürdig und peinlich ist, dass all die vielen völlig sinnlosen Heilmethoden, an die man in der an Torheiten reichen Geschichte der Medizin geglaubt hat, ausnahmslos mit erhöhten Leiden für die Patienten verbunden waren. Als endlich Betäubungsmittel erfunden wurden, lehnten sich fromme Leute entschieden gegen ihre Anwendung auf, in der Überzeugung, dass Schmerzen gottgewollt seien und aus diesem Grunde nicht beseitigt werden dürften. Irgend jemand aber machte darauf aufmerksam, dass Adam in tiefen Schlaf versank, bevor ihm Gott die bewusste Rippe herausoperierte, womit als bewiesen gelten konnte, dass Männer einen Anspruch auf Betäubungsmittel haben; Frauen hingegen hatten weiter zu leiden – um des göttlichen Fluches willen, den Eva auf sich geladen hatte. In der westlichen Welt hat das Frauenstimmrecht mit dieser Ansicht aufgeräumt, wohingegen die japanischen Frauen ihre Kinder noch heute ohne jedes Betäubungsmittel zur Welt bringen müssen. Da die Japaner nicht an unsere Schöpfungsgeschichte glauben, muss irgendein anderer Grund für diesen Sadismus vorliegen.

Für die seit jeher beliebten Faseleien über »Rasse« und »Blut«, die von den Nationalsozialisten zum offiziellen Glaubensbekenntnis erhoben wurden, gibt es keine sachliche Rechtfertigung irgendwelcher Art. Sie werden als Wahrheiten hingenommen, weil sie dem Selbstgefühl schmeicheln und dem Hang zur Grausamkeit entgegenkommen. In der einen oder anderen Form hat es diese Trugschlüsse schon immer gegeben; sie sind so alt wie die Zivilisation. Sie mögen ihre äußeren Formen ändern, ihr Inhalt bleibt immer der gleiche.

Schon bei Herodot lesen wir von der Macht des Blutes; er erzählt, wie der Knabe Cyrus in völliger Unkenntnis seiner königlichen Abkunft von Hirten großgezogen wurde. Doch im Alter von zwölf Jahren zeigte er im Spiel mit gleichaltrigen Bauernjungen eine so königliche Haltung, dass die Wahrheit über seine hohe Geburt ans Licht kam – eine Variante der uralten Legende, der man in der Mythologie aller indoeuropäischen Völker begegnet. Selbst recht moderne Menschen hört man sagen, dass das Blut »sich verrät«. Vergeblich versuchen die Physiologen mit Hilfe wissenschaftlicher Beweise klarzumachen, dass es zwischen dem Blut eines Negers und dem eines Weißen keinen Unterschied gibt. Das Amerikanische Rote Kreuz bestimmte beim Eintritt der Vereinigten Staaten in den letzten Weltkrieg aus Rücksicht auf das allgemeine Vorurteil, dass für Bluttransfusionen kein Blut von Negern verwandt werden dürfe. Nach heftigen Protesten gegen diesen Beschluss gestattete das Rote Kreuz schließlich die Verwendung von Negerblut, aber nur für schwarze Patienten. Ähnlich war es in Deutschland, wo ein »arischer« Soldat auf keinen Fall mit jüdischem Blut »infiziert« werden durfte, wenn eine Bluttransfusion nötig war.

Der Rassengedanke äußert sich je nach der Staatsform in jedem Lande verschieden. Wo immer die Monarchie feste Wurzeln geschlagen hat, werden die Angehörigen des königlichen Geschlechts für wertvoller gehalten als ihre Untertanen. Noch bis in die jüngste Zeit hinein hat man allen Ernstes geglaubt, dass der Mann von Geburt intelligenter sei als die Frau. Selbst ein so aufgeklärter Geist wie Spinoza teilte diese Auffassung und ließ sich von ihr bewegen, gegen das Frauenstimmrecht Einspruch zu erheben.

Bei weißen Völkern gelten die farbigen Rassen – insbesondere die schwarze – noch heute als minderwertig, wogegen für die Japaner die gelbe Rasse die wertvollste ist. Auf Haiti werden Christusstatuen in Schwarz und Teufelsstatuen in Weiß gehalten. Aristoteles und Plato waren von der Überlegenheit der Griechen über die Barbaren so felsenfest überzeugt, dass sie die Sklaverei für durchaus gerechtfertigt hielten, sofern nur der Herr ein Grieche und der Sklave Barbar war. Die amerikanischen Einwanderungsgesetze ziehen Angehörige der nordischen Rasse den Slawen, Romanen oder anderen weißen Völkern vor. Der Nationalsozialismus dagegen war der Ansicht, dass es einwandfrei nordische Menschen fast nur noch in Deutschland gebe. Die Norweger hatten mit Ausnahme von Quisling und Genossen ihre Rasse durch Vermischung mit Finnen, Lappen oder ähnlich minderwertigen Elementen selbstverständlich längst verdorben. So wird die Politik zum Maßstab für den rassischen Wert und Unwert eines Menschen oder eines Volkes. Dass alle biologisch »reinen nordischen« Typen Hitler liebten, stand für die Nationalsozialisten außer Zweifel; wer es nicht tat, lieferte den Beweis, dass in seinen Adern unreines Blut floss.

Natürlich ist das alles blühender Unsinn, und jeder, der sich mit Rassenfragen näher befasst hat, weiß, dass es Unsinn ist. In amerikanischen Schulen werden Kinder der denkbar verschiedensten Abstammung nach dem gleichen, pädagogischen System unterrichtet und erzogen, und Intelligenzprüfungen haben einwandfrei ergeben, dass von Wertunterschieden im Sinne der von den Rassentheoretikern aufgestellten Behauptungen keine Rede sein kann. In jeder Völker-oder Rassengruppe gibt es intelligente und dumme Kinder. Zwar werden sich in den Vereinigten Staaten die geistigen Fähigkeiten farbiger Kinder wahrscheinlich nicht so vorteilhaft entwickeln wie die der weißen Kinder, weil selbst im heutigen Amerika noch ein gewisses Vorurteil gegen die farbige Rasse besteht; sobald man aber die natürliche Begabung von den Einflüssen der Umgebung scheidet und sie gesondert betrachtet, kommt man zu dem Schluss, dass es rassische Intelligenzunterschiede einfach nicht gibt. Der Begriff der Rassenüberlegenheit ist ein Mythos, entstanden aus der anmaßenden Selbstüberschätzung einiger weniger Machthaber. Vielleicht gibt es eines Tages überzeugendere Unterlagen; vielleicht sind die Pädagogen eines Tages in der Lage zu beweisen, dass Juden im Durchschnitt intelligenter seien als Angehörige anderer Völker. Bis jetzt aber existieren solche Beweise noch nicht, und alles Gerede von überlegenen Rassen ist Unsinn.

Auf die verschiedenen Bevölkerungsgruppen Europas angewandt, wird jede Rassentheorie vollends zur Groteske. Es gibt in Europa keine einzige »reine« Rasse. In den Adern der Russen fließt zum Teil tatarisches Blut, die Deutschen haben einen starken slawischen Einschlag, die Bevölkerung Frankreichs setzt sich aus Kelten, Germanen und Angehörigen der mediterranen Rasse zusammen. Desgleichen die Bevölkerung Italiens, deren Zusammensetzung noch erweitert wird durch die von den Römern eingeführten Sklaven. Das rassisch »unreinste« Volk sind vielleicht die Engländer. Und es liegt nicht der geringste Beweis vor, dass die Zugehörigkeit zu einer »reinen« Rasse irgendwelche Vorzüge mit sich bringt. Die reinsten heute noch existierenden Rassen bilden die Pygmäen, die Hottentotten und die australischen Ureinwohner (die vermutlich noch reineren Tasmanier sind ausgestorben), deren Kultur man als einigermaßen zurückgeblieben bezeichnen kann. Andererseits sind die Bewohner des alten Hellas aus der Verschmelzung zugewanderter nördlicher Barbaren mit Einheimischen hervorgegangen; die zivilisiertesten Griechen – Athener und lonier – waren die rassisch »unreinsten« Elemente. Wie man sieht, beruhen die angeblichen Vorzüge der Rassenreinheit auf purer Einbildung.

Der Aberglauben vom Blut nimmt häufig Formen an, welche mit der eigentlichen Rassenidee nichts mehr zu tun haben. Allem Anschein nach ist der Mord ursprünglich deswegen verurteilt worden, weil nach religiöser Auffassung das Blut des Opfers den Ritus schändete.

Gott sprach zu Kain: »Die Stimme des Bluts deines Bruders schreit zu mir von der Erde.« Nach Ansicht einiger Anthropologen sollte das Kainszeichen den Mörder lediglich vor dem rächenden Blut des Ermordeten verbergen – ähnlich wie man sich ursprünglich durch die Trauerkleidung nur den drohenden Übergriffen des Toten entziehen wollte. In vielen alten Lebensgemeinschaften wurde zwischen Mord und Totschlag kein Unterschied gemacht; in beiden Fällen verlangte der Ritus die religiöse Reinigung. Der Aberglaube, dass Blut etwas Unreines und Verunreinigendes sei, geistert noch heute in dem für den ersten Kirchgang der Wöchnerinnen geltenden Brauch und in gewissen mit der Menstruation zusammenhängenden Tabus. Die Vorstellung, dass ein Kind »Blut von seines Vaters Blut« 'sei, ist ebenfalls Aberglaube; in Wirklichkeit geht nur das Blut der Mutter in das Kind ein. Wenn das Blut wirklich so wichtig ist, wie man uns glauben machen will; kann einzig das Mutterrecht den authentischen Nachweis der Abstammung garantieren.

In Russland, wo die Bevölkerung seit der Revolution unter dem Einfluss der marxistischen Theorien nach ihrer wirtschaftlichen Herkunft klassifiziert wird, hatten die sowjetischen Machthaber ähnliche Schwierigkeiten zu überwinden wie seinerzeit die deutschen Rassentheoretiker mit den »nordischen« Skandinaviern. Zwei verschiedene Glaubenssätze mussten auf einen Nenner gebracht werden. Der eine hieß: Die Proletarier sind gut, alle übrigen Menschen sind schlecht; der andere lautete: Die Kommunisten sind gut, alle anderen Menschen sind schlecht. Nur durch Sinnänderung der Ausdrücke konnte zwischen beiden Theorien eine Verbindung hergestellt werden. Aus dem »Proletarier« wurde ein loyaler Sowjetuntertan (so wurde Lenin, obwohl er adliger Abstammung war, zum Proletariat gerechnet), und der »Kulak« – ursprünglich der russische Großbauer – war hinfort identisch mit jedem Bauern, der gegen das Kollektivsystem opponierte. Zu solchen Absurditäten kommt es, sobald irgendwo der Wahn umgeht, dass eine bestimmte Menschengruppe von Natur besser sei als eine andere. Wünscht man in Amerika einen verdienstvollen Farbigen ganz besonders zu ehren, so sagt man – allerdings erst wenn er tot ist: »Der Verstorbene war ein wahrhaft ‚weißer' Mensch!« Bei einer mutigen Frau spricht man von einem »männlichen Einschlag«. Macbeth sagt, wenn er den hohen Mut seines Weibes preist:

 

»Gebär mir Söhne nur!
Aus deinem unbezwungenen Stoffe können
Nur Männer sprossen.«

 

Alle diese Redensarten erklären sich aus dem zähen Festhalten an törichten Verallgemeinerungen.

Sogar auf wirtschaftlichem Gebiet herrscht der Aberglaube. Weshalb schätzen die Menschen Gold und Edelsteine? Bestimmt nicht nur ihres Seltenheitswertes wegen. Es gibt eine Anzahl Elemente, die sogenannten Edelerden, die viel seltener sind als Gold, und für die mit Ausnahme einiger besonders interessierter Wissenschaftler trotzdem niemand einen roten Heller ausgeben würde. Es gibt eine Theorie – und sie hat viel für sich —, derzufolge Gold und Edelsteine ursprünglich nach den ihnen zugeschriebenen Zauberkräften bewertet wurden. Die Fehler der modernen Regierungen lassen erkennen, dass dieser Irrglaube unter den sogenannten »Männern des praktischen Lebens« noch heute verbreitet ist.

Nach dem ersten Weltkriege wurde ein Abkommen getroffen, dass Deutschland gewaltige Summen an England und Frankreich, und die europäischen Siegermächte ihrerseits Riesensummen an die Vereinigten Staaten zu zahlen hatten. Alle Vertragspartner wollten in bar bezahlt werden. Offenbar übersahen die »Realisten«, dass es so viel Geld auf Erden gar nicht gibt. Und sie übersahen ferner, dass Geld nutzlos ist, wenn es nicht für den Einkauf von Waren verwandt wird. Da sie es nicht für diesen Zweck benutzten, hatte kein Mensch davon Nutzen. Die Vorstellung von einer an das Gold gehefteten geheimnisvollen Kraft ließ es als der Mühe wert erscheinen, das gelbe Metall erst in Transvaal auszugraben und dann in Amerika wieder einzugraben, d. h. in unterirdischen Banktresoren zu verstecken. Natürlich hatten sich eines Tages die Barmittel der Schuldnerländer erschöpft, und da sie nicht in Waren bezahlen durften, machten sie bankrott. Die anschließende Weltwirtschaftskrise war also eine unmittelbare Folge der noch immer lebendigen Vorstellung, dass dem Golde eine magische Kraft innewohne. Heute scheint dieser Aberglaube überwunden zu sein, aber man kann gewiss sein, dass ein anderer an seine Stelle treten wird.

Die Politik wird weitgehend beherrscht von sentenziösen, jeder Wahrheit baren Plattitüden. Eine der populärsten und, so wie sie heute angewandt wird, unzutreffendsten Thesen ist die von der Unveränderlichkeit der sogenannten »menschlichen Natur«. Niemand kann die Gültigkeit oder Ungültigkeit dieser Theorie beweisen, ohne zuvor den Begriff »menschliche Natur« definiert zu haben. Wenn aber jemand diese Weisheit mit wichtiger und unheilkündender Miene von sich gibt, will er damit nur sagen, dass sich seiner Meinung nach alle Menschen allerorten in Ewigkeit so benehmen werden wie seine Mitbürger in seinem Heimatstädtchen.

Schon ein klein wenig Anthropologie genügt, um mit diesem Irrtum aufzuräumen. In Tibet müssen die Frauen sich mehrere Männer nehmen, weil einer allein sie angesichts der dort herrschenden Armut nicht ernähren könnte. Trotzdem ist das tibetanische Familienleben nicht weniger glücklich und harmonisch als in anderen Ländern. Bei vielen unzivilisierten Stämmen besteht die Sitte, einem Gast als Zeichen der Höflichkeit die eigene Frau auszuleihen. Die australischen Ureinwohner unterziehen sich bei Eintritt der Mannbarkeit einer äußerst schmerzhaften Operation, die ihre sexuelle Potenz für den Rest ihres Lebens erheblich herabmindert. Der Kindermord, welcher der menschlichen Natur doch widersprechen sollte, war vor dem Aufkommen des Christentums gang und gäbe; Plato empfiehlt ihn als nützliches Mittel zur Verhütung der Überbevölkerung.

Es gibt Eingeborenenstämme, denen der Begriff des persönlichen Eigentums völlig fremd ist, und selbst in hochzivilisierten Staaten setzen wirtschaftliche Zweckmäßigkeitserwägungen sich häufig über die »menschliche Natur« hinweg. Wenn in Moskau, wo großer Wohnraummangel herrscht, eine unverheiratete Frau ein Kind erwartet, erheben gelegentlich mehrere Männer Anspruch auf die Vaterschaft, weil der behördlich anerkannte Vater berechtigt ist, das Zimmer der Frau zu teilen, und ein halbes Zimmer immer noch besser ist als gar keines.

Die »menschliche Natur« ist vielmehr äußerst variabel, sie ist ein Ergebnis der jeweiligen Erziehung. Obwohl, wie jeder weiß, die Befriedigung des Hungers und des Geschlechtstriebes zu den elementarsten menschlichen Bedürfnissen gehört, hatten z. B. die alten ägyptischen Eremiten den Sexualtrieb völlig in sich abgetötet und die Nahrungsaufnahme auf das Allernotwendigste beschränkt. Durch entsprechende Diät und Übung wird der Mensch je nach Lust und Laune seiner Erzieher ungebärdig oder gefügig, herrisch oder sklavisch. Es gibt keinen Unsinn, den man der Masse nicht durch geschickte Propaganda mundgerecht machen könnte. Plato wollte seine »Republik« auf einen Mythos gegründet wissen, den er selbst als absurd bezeichnete, und war doch ganz mit Recht davon überzeugt, dass ihn die Griechen am Ende schlucken würden. Hobbes vertrat den Standpunkt, dass ein Volk seine Regierung unter allen Umständen verehren und respektieren müsse, ganz gleich, ob sie etwas tauge oder nicht. Als man ihm entgegenhielt, dass die Allgemeinheit sich wohl kaum für einen so unvernünftigen Gedanken erwärmen würde, verwies er darauf, dass es schließlich auch gelungen sei, der christlichen Lehre und sogar dem Dogma von der Transsubstantiation in weiten Kreisen Glauben zu verschaffen. Hätte Hobbes die von den nationalsozialistischen »Idealen« überzeugte Hitler-Jugend noch erlebt, hätte er seine Auffassung noch deutlicher bestätigt gefunden.

Mit dem Entstehen größerer Staatsgebilde gewannen die Regierungen immer stärkeren Einfluss auf die Überzeugungen der Menschen. So wurden viele Römer durch das Beispiel ihrer Kaiser bestimmt, zum Christentum überzutreten, während in den von den Arabern eroberten Teilen des Römischen Reiches die Bevölkerung ihren christlichen Glauben mit dem Islam vertauschte. Die Aufteilung Westeuropas in protestantische und katholische Gebiete entsprach der religiösen Haltung der verschiedenen Herrscherhäuser des sechzehnten Jahrhunderts. Nie zuvor indessen ist der Einfluss der Regierungen stärker gewesen als gerade in unseren Tagen. Ein Glaube mag noch so unbegründet sein – sobald er die Handlungen der Masse zu bestimmen beginnt, erwächst ihm eine eminente Bedeutung. In diesem Sinne hatten auch die dem japanischen, dem russischen und dem deutschen Volk vor dem letzten Kriege von ihren Regierungen eingehämmerten Überzeugungen beträchtliche Auswirkungen. Da jede dieser Überzeugungen etwas anderes besagte, konnten sie unmöglich alle richtig, wohl aber samt und sonders falsch sein. Unglücklicherweise riefen sie einen glühenden Vernichtungswillen hervor, der sich zuweilen bis zur völligen Aufgabe des Selbsterhaltungstriebes steigerte. Nach den jüngeren Erfahrungen kann niemand bestreiten, dass es bei ausreichender militärischer Stärke ein Kinderspiel ist, ein ganzes Volk in einen Haufen fanatischer Irrsinniger zu verwandeln. Ebenso einfach wäre es natürlich, geistig gesunde und vernünftige Menschen heranzubilden. Aber viele Regierungen wollen das gar nicht, weil vernünftig denkende Menschen ihre in der Regierung sitzenden Politiker nicht einfach kritiklos bewundern würden.

Wie verderblich die Theorie von der Unveränderlichkeit der menschlichen Natur ist, wird an der aus ihr abgeleiteten dogmatischen Behauptung deutlich, dass es immer Kriege geben werde, weil der Mensch auf Grund seiner ganzen Beschaffenheit danach verlange. Selbstverständlich wird jeder unter normalen Bedingungen aufgewachsene und erzogene Mensch bei einer Provokation das Bedürfnis empfinden, zurückzuschlagen. Diesem elementaren Trieb wird er aber nur dann folgen, wenn er eine Erfolgschance für sich sieht. Ohne Zweifel fühlt man sich auch provoziert, wenn man von einem Polizisten angehalten wird, und doch wird man keine Prügelei mit ihm vom Zaun brechen, weil man genau weiß, dass der Polizist die überlegene Macht des Staates hinter sich hat. Ich habe auch noch nicht bemerken können, dass Männer, die aus irgendeinem Grunde nie an einem Kriege teilgenommen haben, sich deshalb benachteiligt fühlen oder gar Minderwertigkeitskomplexe bekommen. Die Schweden beispielsweise, die seit 1814 keinen Krieg mehr erlebt haben, sind die glücklichsten und harmonischsten Menschen, die man sich vorstellen kann. Der einzige Schatten auf ihrem Glück ist die Befürchtung, sie könnten in einen künftigen Krieg hineingezogen werden. Wenn die politische Struktur unserer Gesellschaft einen Krieg zu einem von vornherein aussichtslosen Geschäft stempeln würde, könnte ihn kein noch so starker menschlicher Urtrieb erzwingen, und kein normaler Mensch würde sein Ausbleiben beklagen. Mit den gleichen Argumenten, mit denen man jetzt die Unvermeidlichkeit des Krieges zu beweisen sucht, hat man seinerzeit den Brauch des Duellierens verteidigt; und wer von uns fühlte sich heute in der Entwicklung seiner Persönlichkeit gehemmt, weil er seine Kräfte nicht mehr im Zweikampf messen darf?

Ich persönlich bin der Überzeugung, dass es keinen Unsinn gibt, den eine Regierung ihren Untertanen nicht einreden könnte. Man stelle mir eine angemessene Armee zur Verfügung und gebe mir die Möglichkeit, sie so zu bezahlen und zu ernähren, dass ihr Los sich von dem des Durchschnittsbürgers angenehm unterscheidet und ich mache mich anheischig, die Mehrheit der Bevölkerung innerhalb von dreißig Jahren davon zu überzeugen, dass zwei und zwei drei ist, dass Wasser gefriert, wenn man es erhitzt, und kocht, wenn es sich abkühlt, und dergleichen Unsinn mehr. Selbstverständlich würden die Leute trotz dieser neuen Erkenntnisse den Teekessel nicht in den Eisschrank stellen, wenn sie kochendes Wasser brauchen. Dass Wasser durch Kälte zum Kochen gebracht wird, würde eine Sonntagswahrheit bleiben, etwas Heiliges und Mystisches, das nur in ehrfurchtsvollem Ton erwähnt werden dürfte, im praktischen Leben aber keine Anwendung fände. Wer sich einfallen ließe, die mystische Doktrin mit dreisten Worten zu verleumden, würde sich damit außerhalb des Gesetzes stellen und hätte als Ketzer den »Kältetod« auf dem Scheiterhaufen zu erwarten. Alle, die dem neuen Staatsglauben nicht begeistert zustimmten, müssten aus dem Lehramt oder anderen wichtigen Staatsstellungen entfernt werden. Nur den höchsten Würdenträgern dürfte gestattet sein, in leicht angetrunkenem Zustand einander zuzuflüstern, welch haarsträubender Unfug das Ganze sei; sie würden dann lachen und weitertrinken. Leider ist, was ich hier skizziere, nicht einmal Karikatur; denn es deckt sich nahezu völlig mit dem, was unter einigen modernen Regierungssystemen tatsächlich geschieht.

Die Entdeckung, dass man mit wissenschaftlichen Mitteln den Menschen umformen und seine Handlungen bestimmen kann und dass die Regierenden es in der Hand haben, die Massen in jede beliebige Richtung zu dirigieren, ist eine der Ursachen unseres Unglücks. Zwischen einer Gemeinschaft geistig freier Bürger und einem nach modernen Propagandamethoden zusammengeschweißten Kollektiv besteht der gleiche Unterschied wie zwischen einem Haufen Rohmaterial und einem Schlachtschiff. Unglücklicherweise ist man dahinter gekommen, dass sich die allgemeine Schulpflicht – ursprünglich nur dazu bestimmt, allen Menschen das Erlernen des Lesens und Schreibens zu ermöglichen – auch für andere Zwecke eignet, dass sie, wenn man den entsprechenden Unsinn verzapfen lässt, geistigen Konformismus und kollektive Begeisterung bewirken kann. Wenn wenigstens alle Regierungen den gleichen Unsinn lehren ließen! Das Unheil wäre dann nicht ganz so schlimm. Leider aber predigt jede Regierung ihren eigenen Weg zur Glückseligkeit, und eben diesen Unterschieden entspringen die großen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der verschiedenen Glaubensbekenntnisse. Wenn die Menschheit je in Frieden leben soll, müssen die Regierungen entweder auf sämtliche Dogmen überhaupt verzichten, oder sich zumindest darauf einigen, ein einziges Dogma festzulegen, das für alle Völker verbindlich ist. Die erste Möglichkeit wird wohl in Ewigkeit ein utopisches Ideal bleiben. Wie aber wäre es, wenn alle Staatsoberhäupter einmütig verkündeten, die Politiker aller Länder seien Musterexemplare an Charakterfestigkeit und Weisheit? Vielleicht werden die den nächsten Krieg überlebenden Politiker ein Gemeinschaftsprogramm dieser Art für ratsam halten.

Leider aber ist nicht nur der völlige geistige Konformismus gefährlich, auch übertriebene Originalität birgt ihre Tücken. Es gibt gewisse »fortschrittliche Denker«, die sich einbilden, jedem recht geben zu müssen, dessen Ansichten von den landläufigen Überzeugungen abweichen. Das scheint mir verfehlt, denn es wäre sonst wirklich allzu einfach, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Leider gibt es unendlich viele Möglichkeiten, sich zu irren und die meisten Narren greifen eher ausgefallene Irrtümer auf als ausgefallene Wahrheiten.

Ein Elektrotechniker, mit dem ich einmal zufällig zusammentraf, überfiel mich nach kurzer Begrüßung mit den Worten: »Es gibt zwei Methoden der Heilung durch den Glauben: die von Christus geübte und die von der Mehrzahl der Mitglieder der Christian Science angewandte. Ich heile nach der Methode Christi.« Wenig später wurde der Mann wegen betrügerischer Buchführung ins Gefängnis gesteckt; im Bereich der Justiz ist mit dem Glauben nicht viel anzufangen. Ich kannte auch einen angesehenen Irrenarzt, der zur Philosophie hinüberwechselte und eine neue Logik lehrte, die er nach seinem eigenen freimütigen Bekenntnis von seinen Patienten übernommen hatte. Wie man nach seinem Tode feststellte, hatte er testamentarisch die Gründung einer Professur für seine originellen wirtschaftlichen Methoden verfügt; leider aber hatte er vergessen, die für den neuen Lehrstuhl erforderlichen Geldmittel zu hinterlassen. Arithmetik und Irrenlogik scheinen sich also nicht gut miteinander zu vertragen. Solcher Kuriositäten gibt es viele. Einmal kam ein Mann mit der Bitte zu mir, ich möge ihm doch einige meiner Bücher empfehlen, er interessiere sich so sehr für Philosophie. Ich tat ihm den Willen. Am nächsten Tag erschien er wieder und erklärte mir, er habe nur einen einzigen Satz von dem Gelesenen verstehen können, und der sei falsch. Als ich mich erkundigte, welchen Satz er meine, antwortete er: »Sie sagen, dass Julius Cäsar tot ist, und das stimmt nicht.« Auf meine erstaunte Frage, weshalb er an dieser Feststellung zweifle, erwiderte er: »Weil ich Julius Cäsar bin.« – Ich glaube, schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass exzentrisches Denken nicht immer und unter allen Umständen gleichbedeutend ist mit richtigem Denken.

Die Wissenschaft, die dem Volksglauben gegenüber von jeher einen schweren Stand hatte, muss augenblicklich einen besonders harten Kampf auf dem Gebiet der Psychologie und der Kriminologie durchstehen. Personen, die über die menschliche Natur genau Bescheid zu wissen meinen, sind gewöhnlich rat-und hilflos, wenn sie über ein aus normaler Veranlagung begangenes Verbrechen zu richten haben.

Manche Knaben wollen trotz aller Bemühungen ihrer nächsten Umgebung nicht lernen, »stubenrein« zu werden, wie man bei Tieren sagen würde. Personen, die gern betonen, dass sie keinen Unfug dulden, sind bei solchen Gelegenheiten sofort mit Strafen bei der Hand: der Junge wird geschlagen, und wenn sich das Vergehen wiederholt, bekommt er ärgere Schläge. Dabei wissen alle Mediziner, die sich mit diesen Fällen näher befasst haben, dass sich das Übel durch Strafen nur verschlimmert. Bisweilen hat es körperliche Ursachen, meist aber ist mit der Seele des betreffenden Kindes etwas nicht in Ordnung. Im letzteren Falle kann das Leiden nur geheilt werden, wenn der bisweilen sehr tief sitzende und vermutlich unbewusste seelische Kummer behoben wird. Aber für die meisten Menschen ist es eine Freude und ein Genuss, jemand zu haben, den sie bestrafen können, wenn er sie irritiert, und darum wird die ärztliche Auffassung einfach als »eingebildeter Unsinn« abgetan. Auch der Fall der Exhibitionisten gehört hierher. Immer wieder schickt man diese Unglücklichen ins Gefängnis, und sobald sie in Freiheit sind, werden sie rückfällig. Ein auf diese Anomalie spezialisierter Arzt äußerte einmal im Gespräch mit mir, dass man Exhibitionisten sehr einfach heilen könnte, wenn man sie in Hosen kleidete, die man hinten schließt. Aber dieses Mittel wird natürlich gar nicht versucht, weil es die menschlichen Rachegelüste nicht befriedigt.

Im allgemeinen kann man wohl sagen, dass sich solche Vergehen, die ihrem seelischen Ursprung nach als »gesund« gelten können, unter Umständen durch Strafen verhindern lassen, niemals jedoch Verbrechen, die einer anormalen Veranlagung entspringen. Zum Teil haben sich die modernen Gerichte diese Auffassung schon zu Eigen gemacht. Das Gesetz unterscheidet zwischen dem Diebstahl, dessen Motiv ein sozusagen »vernünftiges« Selbstinteresse ist, und der in den Bereich des Anormalen gehörenden Kleptomanie. Ebenso wird der von einem Wahnsinnigen verübte Mord anders beurteilt als die Bluttat eines geistig Gesunden. Sexuelle Verirrungen dagegen erregen einen solchen Abscheu, dass man bis heute nicht gewagt hat, sie an die für derartige Fälle allein zuständige ärztliche Instanz zu verweisen. Nun ist sittliche Entrüstung im Großen und Ganzen ein nützlicher gesellschaftlicher Faktor, richtet sie sich jedoch gegen die Opfer von Krankheiten, deren höchstens der Psychiater Herr werden kann, wird sie schädlich und verwerflich.

Dasselbe gilt auch für die Weltpolitik. Der erste Weltkrieg hat natürlich heftige Ressentiments gegen die Deutschen ausgelöst, die nach ihrer Niederlage entsprechend hart bestraft wurden. Im zweiten Weltkrieg aber kam man zu der Einsicht, dass der Versailler Vertrag lächerlich milde gewesen sei, da er ja, wie man sehe, den Deutschen keine Lehre erteilt habe. Diesmal werde man rigoroser vorzugehen wissen, wurde eifrigst versichert. Meines Erachtens aber hätten wir die Wiederholung der deutschen Aggression vielleicht eher verhüten können, wenn wir die kleineren Nationalsozialisten nicht als strafwürdige Verbrecher, sondern als geistig Kranke angesehen hätten. Natürlich müssen Wahnsinnige in Schach gehalten werden; aber man überwacht und isoliert sie aus Gründen der Vorsicht und nicht etwa, um sie zu bestrafen. Und soweit es die Vorsicht zulässt, bemüht man sich nach Kräften, ihnen ihr Los so angenehm wie möglich zu machen. Jeder weiß, dass ein zu Gewalttaten neigender Geisteskranker durch schlechte Behandlung noch gewalttätiger wird. Selbstverständlich hat es viele Verbrecher unter den Nationalsozialisten gegeben, aber ein großer Teil muss mehr oder minder geisteskrank gewesen sein. Wenn es gelingen soll, Deutschland zu einem friedlichen Glied der westeuropäischen Völkergemeinschaft zu machen, muss das Gerede von der besonderen Schuld des deutschen Volkes ein Ende haben. Wer bestraft wird, lernt seine Richter in den seltensten Fällen lieben. Und solange die Deutschen die übrige Menschheit hassen, bleibt der Frieden eine fragwürdige Angelegenheit.

Wenn man von den abergläubischen Vorstellungen der Wilden oder auch der alten Babylonier und Ägypter liest, fragt man sich verwundert, wie es möglich ist, dass Menschen jemals etwas so Absurdes glauben konnten. Aber die unter den Ungebildeten der modernen zivilisierten Staaten herrschenden Ansichten und Überzeugungen sind oft nicht minder grotesk.

So hat man mir z. B. ernsthaft versichert, dass alle im März geborenen Menschen von Pech verfolgt seien und die im Mai zur Welt gekommenen ganz besonders zu Hühneraugen neigten. Ich kenne den Ursprung und die Geschichte dieses speziellen Aberglaubens nicht, nehme aber an, dass er auf die Weisheiten der babylonischen oder ägyptischen Priester zurückgeht. Ein Glaube nimmt stets in den höheren Gesellschaftsschichten seinen Anfang und sinkt dann, wie der Schlamm in den Flüssen, nach und nach immer tiefer. Es können drei-bis viertausend Jahre vergehen, ehe er auf dem Grund angelangt ist. Im heutigen Amerika muss man immer darauf gefasst sein, ein farbiges Dienstmädchen mit der allergrößten Selbstverständlichkeit Plato zitieren zu hören, natürlich nicht gerade eine der Stellen, die von den Gelehrten angeführt zu werden pflegen, sondern irgendeinen dem großen Griechen unterlaufenen Unsinn, wie beispielsweise die Bemerkung, dass Männer, die nicht nach Weisheit streben, zur Strafe als Frauen wieder auf die Welt kommen.

Nichts ist vielleicht so weit verbreitet wie der Glaube an bestimmte Pech-und Glückstage. In früheren Zeiten pflegten sich selbst Generale auf den Schlachtfeldern danach zu richten. Und noch heute ist das Vorurteil gegen den Freitag und gegen die Zahl 13 höchst lebendig. Seeleute ziehen es vor, an einem Freitag nicht in See zu stechen, und die meisten Hotels haben keine Zimmernummer 13 und kein 13. Stockwerk. Auch dieser Aberglaube wurde einst von sogenannten Weisen in die Welt gesetzt. Heute betrachten ihn die gleichen Kreise als harmlose Torheit, und vermutlich werden viele Ansichten und Überzeugungen unserer heutigen Gelehrten in zweitausend Jahren als ebenso töricht gelten. Der Mensch ist und bleibt nun einmal ein leichtgläubiges Wesen. Irgendetwas muss er immer glauben, und wenn sich ihm nichts Besseres bietet, dann nimmt er auch mit dem Unwahrscheinlichen vorlieb.

Der Glaube an die »Natur« und das »Natürliche« ist eine Quelle vieler Irrtümer. Ganz besonders wirkt er sich in der Medizin aus, der er auch heute noch zu schaffen macht. Gewiss vermag der menschliche Körper mancher Krankheiten auch ohne äußere Hilfe Herr zu werden. Kleinere Schnittwunden heilen ohne jedes Dazutun, Erkältungen vergehen, wie sie gekommen sind, und sogar ernsthafte Krankheiten klingen bisweilen ohne ärztliche Hilfe ab. Trotzdem sollte man der Natur auch in harmloseren Fällen medizinische Unterstützung angedeihen lassen. Nicht desinfizierte Schnittwunden führen leicht zu Blutvergiftungen, aus Erkältungen können Lungenentzündungen entstehen, und bei ernsten Erkrankungen gibt es überhaupt keine Entschuldigung für den Verzicht auf ärztlichen Beistand, es sei denn, der Patient befinde sich an einem Ort, wo ihm ein Arzt unerreichbar ist. Vieles von dem, was uns heute selbstverständlich ist, war früher »unnatürlich«, so das Bekleiden des Körpers und das Waschen. Wo nicht wenigstens ein gewisses Maß von Reinlichkeit herrscht, haben Seuchen wie der Typhus, der heute bei westlichen Nationen nur in Ausnahmefällen vorkommt, leichtes Spiel. Bis zum heutigen Tage wird das Impfen von manchen Menschen als etwas »Unnatürliches« angesehen. Wer so denkt, ist inkonsequent, denn in gewissen Fällen, zum Beispiel bei Knochenbrüchen, glaubt kein Mensch an die Möglichkeit einer »natürlichen« Heilung. Dass wir gekochtes Fleisch essen und unsere Häuser und Wohnungen heizen, ist im Grunde »unnatürlich«. Der chinesische Philosoph Lao-Tse, der um 600 vor Christus gelebt haben soll, betrachtete alle Straßen, Brücken und Schiffe als »widernatürlich«. Er verließ China aus Protest gegen diese technischen Erfindungen und beschloss sein Leben unter den Barbaren des Westens. Noch- jeder zivilisatorische Fortschritt galt als »unnatürlich«, solange er neu und ungewohnt war.

Auch die Empfängsnisverhütung wird vor allem deswegen abgelehnt, weil sie nach Ansicht vieler Menschen »widernatürlich« ist. (Aus unerfindlichen Gründen verstößt das Zölibat nicht gegen die Natur ich kann mir nur denken, weil es nicht neu ist.) Malthus sah nur drei Möglichkeiten zur Verhütung der Übervölkerung: moralische Enthaltsamkeit, Laster und Elend. Wie er selbst zugab, schied die Enthaltsamkeit als allgemein wirksames Mittel von vornherein aus. Das »Laster« – sprich: die Empfängnisverhütung musste ihn als Geistlichen mit Abscheu erfüllen. Blieb als einziger Weg das Elend. Aus der sicheren Geborgenheit des eigenen behaglichen Pastorats blickte er gelassen auf die notleidende Menschheit und bewies den Idealisten, die das Elend mit irgendwelchen Reformen zu lindern hofften, wie aussichtslos ihr Unterfangen sei.

Heute sind die Theologen weniger ehrlich. Sie behaupten, dass Gott niemals hungern lassen werde, auch wenn der Mäuler noch so viele wären. Dabei übersehen sie die Tatsache, dass er immer wieder Hungersnöte zugelassen hat, denen Millionen Menschenleben zum Opfer fielen. Falls sie aber wirklich glauben sollten, was sie sagen, so müssten sie der Auffassung sein, dass Gott seine Haltung künftig ändern und sich von jetzt an eine ununterbrochene Speisung der Fünftausend begeben werde. Vielleicht werden sie auch entgegnen, dass das Leben hienieden keine Rolle spiele, dass nur das Leben im Jenseits von Bedeutung sei. Wie aber lässt sich das mit ihrer theologischen Ansicht vereinbaren, dass die Mehrzahl der Kinder, denen allein ihr Widerstand gegen die Empfängnisverhütung zum Leben verhilft, ohnehin nach dem Tode in die Hölle wandern muss? Soll man annehmen, dass sie es für gut und richtig halten, wenn viele Millionen in Ewigkeit Höllenqualen erleiden müssen, und dass sie nur aus diesem Grunde eine Besserung der irdischen Lebensverhältnisse ablehnen? Ich muss ehrlich bekennen, dass mir im Vergleich zu ihnen der kühle Malthus geradezu barmherzig erscheint.

Als Gegenstand unserer leidenschaftlichsten Liebe und leidenschaftlichsten Abneigung erweckt die Frau vielfältige und zwiespältige Gefühle, die ihren Niederschlag in der Sprichwörter-»Weisheit« gefunden haben.

Fast jeder erlaubt sich zum Thema Frau sinnlose Verallgemeinerungen. Wenn verheiratete Männer zu verallgemeinern anfangen, weiß man, dass sie nach ihrer Ehehälfte urteilen. Sprechen Frauen über die Frau, so schwebt ihnen stets die eigene Person vor. Es müsste amüsant sein, eine Geschichte der männlichen Ansichten über die Frau zu schreiben.

Zur Zeit des Altertums, da die Vormachtstellung des Mannes außer Frage stand und noch niemand etwas von christlicher Ethik wusste, waren die Frauen harmlose, aber ziemlich dumme Geschöpfe. Der Mann, der sie ernst nahm, durfte sich nicht wundern, mit leiser Verachtung behandelt zu werden. Noch weiter ging Plato, der gegen das Drama hauptsächlich einwandte, dass sich der Bühnenautor beim Schöpfen von Frauenrollen in die weibliche Psyche hineinversetzen müsse und sich auf diese Weise quasi mit der Frau identifiziere.

Mit dem Christentum änderte sich die Rolle der Frau: sie wurde nun die große Verführerin. Gleichzeitig aber sprach man ihr die Eignung zur Heiligen zu. Im viktorianischen Zeitalter glaubte man mehr an die Heilige als an die Versucherin, weil ein viktorianischer Mann seine Empfänglichkeit für weibliche Verführungskünste unmöglich zugeben konnte. Da die Männerwelt die Frau unter allen Umständen dem politischen Leben fernhalten wollte, machte sie sich das Argument der überlegenen weiblichen Tugend zunutze und behauptete scheinheilig, dass die rücksichtslosen Praktiken der Politik mit hehrer Tugend unvereinbar seien.

Auch die ersten Frauenrechtlerinnen operierten mit der sittlichen Überlegenheit der Frau, verständlicherweise in entgegengesetzter Richtung: sie erklärten kategorisch, dass die Frau unbedingt in die Politik eingreifen müsse, weil das ganze politische Leben durch sie ein anderes, edleres Gesicht bekommen würde. Da sich diese Auffassung inzwischen als illusorisch herausgestellt hat, hört man jetzt weniger von der moralischen Größe der Frau. Andererseits gibt es noch heute Männer, die zäh an der albernen Theorie von der Verführerin festhalten.

Die Frauen selbst sehen sich größtenteils als das mit Vernunft begabte Geschlecht, dem es obliegt, das durch die Torheiten der unüberlegten Männer angerichtete Unheil wiedergutzumachen. Ich für mein Teil misstraue allen Verallgemeinerungen über Frauen, gleichgültig ob sie aus männlichem oder weiblichem Munde kommen, ob sie schmeichelhaft oder herabsetzend, veraltet oder modern sind; denn meines Erachtens entspringen sie samt und sonders einem Mangel an Erfahrung.

Wie grundunvernünftig beide Geschlechter sich zur Frau stellen, wird in Romanen, namentlich in schlechten Romanen, ganz besonders deutlich. In einem minderwertigen Roman aus der Feder eines Mannes ist die Heldin eine Frau, in die der Autor bis über beide Ohren verliebt ist, ein mit allen Reizen des Körpers und der Seele ausgestattetes, aber etwas hilfloses und darum des männlichen Schutzes besonders bedürftiges Wesen. Bisweilen ist sie aber auch der Gegenstand verzweifelten Hasses – siehe Shakespeares Kleopatra – und das verworfenste Geschöpf, das sich denken lässt. Wenn der männliche Autor das Bild seiner Heldin entwirft, gibt er nicht Beobachtungen aus dem Leben wieder, sondern er vergegenständlicht, was er persönlich fühlt und empfindet. Bei seinen übrigen weiblichen Gestalten ist er schon objektiver, und manchmal hat man sogar den Eindruck von wirklichkeitsnahen Charakteren. Aber sobald er sich in eine seiner Figuren verliebt, nimmt ihm der aus seiner Leidenschaft aufsteigende Nebel die klare Sicht. Auch bei weiblichen Schriftstellern begegnet man zwei Sorten Frauen. Die eine – bezaubernd und voller Güte, Gegenstand verwerflicher Lust und reiner Liebe, zart besaitet, hochherzig und stets falsch beurteilt – entspricht der Vorstellung, die die Autorin von sich selbst hat. Die andere ist der von allen übrigen Frauen repräsentierte Typ, der als kleinlich, hämisch, grausam und hinterhältig geschildert wird. Offenbar ist es für beide Teile – Mann und Frau – nicht so einfach, sich ohne Vorurteil über das weibliche Geschlecht zu äußern.

Verallgemeinerungen über nationale Charaktereigenschaften sind genau so häufig und so ungerechtfertigt wie Verallgemeinerungen über die Frau.

Bis 1870 galten die Deutschen als eine Nation bebrillter Professoren, die in ihrer eigenen inneren Welt lebten und für äußere Dinge kaum einen Blick hatten. Seit der Reichsgründung hat man diese Ansicht erheblich revidieren müssen. Die meisten Angehörigen anderer Nationen sind noch heute der Meinung, dass die Franzosen ununterbrochen in Liebesaffären verstrickt seien. Wenn sie dann Gelegenheit haben, sich an Ort und Stelle umzusehen, sind sie erstaunt und womöglich enttäuscht über die Intensität des französischen Familienlebens.

Vor der russischen Revolution besaßen alle Russen in den Augen der übrigen Welt eine mystische slawische Seele, die sie zwar für ein normales vernünftiges Leben untauglich machte, ihnen dafür aber die Tiefen einer Weisheit erschloss, die praktischer veranlagte Nationen niemals erhoffen durften. Eines Tages aber war alles ganz anders. Plötzlich hatte das russische Volk nichts mehr mit Mystik, Seele und Weisheit, sondern nur noch mit den handgreiflichsten irdischen Zielen zu schaffen.

Die Welt beurteilt den Charakter einer Nation entweder nach ihren prominenten Repräsentanten – also nach einigen wenigen Einzelpersonen – oder nach der in dieser Nation gerade an der Macht befindlichen Gesellschaftsklasse. Wenn sich also im politischen Status einer Nation etwas ändert, wird sie im selben Moment von den übrigen Völkern entsprechend anders beurteilt. Womit bewiesen wäre, dass jedwede Verallgemeinerung über diesen Gegenstand unsinnig ist.

Man braucht nicht übermenschlich klug und weise zu sein, um den vielen Irrtümern aus dem Wege zu gehen, die uns auf Schritt und Tritt umlauern. Es gibt einige simple Regeln, mit deren Hilfe man, wenn auch nicht alle, so doch die gröbsten Irrtümer vermeiden kann.

Handelt es sich um eine Frage, die durch Beobachtung geklärt werden kann, so überlasse man die Beobachtung keinem anderen – man beobachte selbst! Aristoteles hätte sich und der Nachwelt den Irrtum, dass der Mann mehr Zähne besitze als die Frau, ersparen können, wenn er Madame Aristoteles nur ein einziges Mal in den Mund geschaut und sich persönlich von der Unrichtigkeit seiner Behauptung überzeugt hätte. Er hat es nicht getan, weil er auch so Bescheid zu wissen meinte. Wir alle neigen dazu, etwas genau wissen zu wollen, von dem wir in Wirklichkeit keine blasse Ahnung haben. Die Schriftsteller der Antike und des Mittelalters behaupteten, genauestens über Salamander und Einhörner im Bilde zu sein, und obwohl keiner von ihnen jemals ein Einhorn oder einen Salamander zu Gesicht bekommen hatte, fühlten sie nicht die geringste Verpflichtung, ihre dogmatischen Feststellungen durch eigene Anschauung zu erhärten.

Viele Dinge lassen sich allerdings nicht ganz so einfach überprüfen. Dennoch kann man selbst die leidenschaftlichsten Überzeugungen auf Vorurteile hin untersuchen. Ärgert man sich beispielsweise über eine der eigenen Auffassung entgegengesetzte Meinung, so kann man sicher sein, dass die Gründe für den eigenen Standpunkt nicht die besten sind. Wollte mir jemand weismachen, dass zwei und zwei gleich fünf sei oder dass Island am Äquator liege, so würde ich eher Mitleid als Zorn für ihn empfinden, es sei denn, ich verstünde so herzlich wenig von Arithmetik bzw. von Geographie, dass meine eigene Überzeugung durch eine solche Behauptung ins Wanken geraten könnte. Die wildesten Kontroversen werden gerade um solche Fragen geführt, die keine der streitenden Parteien hieb-und stichfest beantworten kann. Wenn die Theologie ihre Ansichten nicht länger durchzusetzen vermag, schreitet sie zu Verfolgungen – ein Mittel, auf das die Mathematik nicht angewiesen ist; denn in der Mathematik herrscht Wissen, während die Theologie sich nur auf Meinungen stützen kann. Sobald man also Ärger verspürt, wenn eine der eigenen entgegengesetzten Ansicht laut wird, empfiehlt es sich, auf der Hut zu sein. Bei näherer Untersuchung des Falles wird man sehr wahrscheinlich feststellen müssen, dass die persönliche Überzeugung weit über das Beweisbare hinausgeht.

Ein gutes Mittel, sich gewisser dogmatischer Vorurteile zu entledigen, ist der Versuch, sich in die Auffassungen anderer Gesellschaftsschichten hineinzudenken. Als junger Mensch habe ich viele Reisen unternommen; ich besuchte Frankreich, Deutschland und die Vereinigten Staaten und stellte befriedigt fest, dass meine insularen Vorurteile sich durch dieses Wanderleben allmählich abzuschleifen begannen. Wer keine Reisemöglichkeiten hat, sollte die Zeitung einer Partei lesen, der er ablehnend gegenübersteht, und sich unter Menschen begeben, die in allem anderer Meinung sind. Kommen einem dann die Leute, die in dieser Zeitung schreiben, oder die neuen Bekannten wahnsinnig, pervers oder verworfen vor, so bedenke man, dass die anderen vermutlich von uns selbst den gleichen Eindruck haben. Beide Teile können mit dieser Ansicht recht haben, auf keinen Fall aber können sich beide täuschen. Diese Überlegung sollte zu einer gewissen Vorsicht mahnen.

Aber nicht immer schlägt Glas Vertrautwerden mit fremden Gewohnheiten zum Segen aus. Als im siebzehnten Jahrhundert die Mandschus China eroberten, mussten alle Chinesinnen – so erforderte es die Sitte – winzig kleine Füße haben und die Mandschus sich ihr Haar zu Zöpfen flechten. Statt dass nun beide ihren lächerlichen Brauch aufgegeben hätten, übernahm jeder Teil auch noch die absurde Sitte des anderen. Also trugen fortan auch die Chinesen Zöpfe, und sie hielten an dieser Gewohnheit fest, bis durch die Revolution im Jahre 1911 die Mandschuherrschaft abgeschüttelt wurde.

Wer genügend psychologische Phantasie besitzt, male sich eine Diskussion mit einem Partner aus, der irgendein anderes Vorurteil unterhält. Eine solche imaginäre Auseinandersetzung hat der realen Kontroverse gegenüber einen großen Vorteil: den der Unabhängigkeit von Zeit und Raum. Mahatma Gandhi z. B. betrachtete Eisenbahnen, Dampfer und Maschinen als ein Unglück für sein Volk und hätte am liebsten die gesamte industrielle Entwicklung Indiens rückgängig gemacht. Heute dürfte es nur noch ganz wenig Menschen geben, welche die Auffassung des indischen Reformators teilen, da in den westlichen Ländern die Errungenschaften der Technik allgemein als selbstverständlich hingenommen werden. Will man indessen über jeden Zweifel hinaus gewiss sein, dass man die in dieser Hinsicht vorherrschende Meinung zu Recht teilt, wäre es vielleicht ganz klug, sich zu fragen, was Gandhi unter Umständen gegen die eigenen Argumente vorgebracht haben würde.

Ich persönlich bin durch solche imaginäre Zwiegespräche des öfteren von meinem ursprünglichen Standpunkt abgekommen. Auf jeden Fall sind meine Behauptungen wesentlich zurückhaltender und bescheidener geworden, seit ich erkannt habe, dass es ein Gebot der Klugheit ist, auch dem Gegner Vernunft zuzubilligen.

Ganz besondere Vorsicht erscheint geboten, wenn die Meinung der anderen deiner Eigenliebe schmeichelt. In neun von zehn Fällen sind Männer wie Frauen von der Überlegenheit des eigenen Geschlechts in tiefster Seele überzeugt. Beide Teile haben imponierende Unterlagen für ihre Behauptung vorzuweisen. Als Mann kann man jederzeit darauf verweisen, dass die meisten Genies der Dichtkunst und der Wissenschaft männlichen Geschlechts sind. Ist man eine Frau, so kann man mit dem Gegenargument aufwarten, dass die meisten verbrecherischen Elemente aus der Männerwelt stammen. Dieses Problem ist grundsätzlich unlösbar und nur unsere Eitelkeit hindert uns an dieser Erkenntnis. Genau so ist es mit der Beurteilung anderer Völker. Jeder von uns hält die eigene Nation für besser, schöner und größer als alle übrigen. Da wir uns jedoch der Einsicht nicht verschließen können, dass jedes Land seine charakteristischen Vorzüge und Fehler hat, verschieben wir ganz einfach die Wertmaßstäbe, und zwar so lange, bis wir feststellen können, dass unsere eigenen nationalen Qualitäten die einzig wichtigen und wünschenswerten sind und unsere Schwächen demgegenüber überhaupt nicht ins Gewicht fallen. Jeder Vernünftige wird zugeben müssen, dass auch diese Frage niemals auf schlüssige Art zu klären ist. Man wird deswegen so schwer mit der menschlichen Überschätzung der Gattung Mensch fertig, weil man diesen Punkt nicht mit einem anderen, nichtmenschlichen Geist diskutieren kann.

Meines Erachtens wäre das über die ganze Welt verbreitete Laster der Selbstüberheblichkeit nur dann erfolgreich zu bekämpfen, wenn jeder von uns sich immer wieder vor Augen hielte, dass die menschliche Existenz nur eine kurze Episode im Leben eines winzigen Planeten in einem kleinen Winkel des Universums darstellt und dass es in anderen Regionen des Kosmos Lebewesen geben kann, die uns Menschen vielleicht im gleichen Verhältnis überlegen sind wie wir den Quallen.

Aber nicht immer entspringt Dogmatismus der Selbstüberschätzung. Auch Furcht macht fanatisch; sie ist sogar eine der Hauptursachen für alle Arten von Fanatismus. Bisweilen verfährt sie direkt; so wenn sie schwache Gemüter mit Gespenstergeschichten in Schrecken setzt oder wenn sie in Kriegszeiten Katastrophengerüchte ausstreut. Sehr oft aber operiert sie indirekt, indem sie dem Menschen irgendetwas Tröstliches verheißt etwa ein Lebenselixier oder die ewige Seligkeit für ihn selbst und ewige Höllenpein für seine Feinde. Die Furcht kennt viele Spielarten: Furcht vor dem Tode, vor der Dunkelheit oder vor dem Unbekannten, Herdenangst und jenes vage, an nichts Bestimmtes gebundene Furchtgefühl, das Menschen zu befallen pflegt, die sich ihre Ängste nicht eingestehen wollen. Wer seine Befürchtungen vor sich selbst verheimlicht und sich nicht entschieden gegen ihre mythenbildende Kraft schützt, wird über viele hochwertige Dinge, namentlich über Dinge der Religion, immer nur falsch und ungerecht urteilen können. Furcht zeugt Aberglauben, und auch die meisten Grausamkeiten sind Produkte der Furcht. In der Überwindung der eigenen Furcht besteht mithin der erste Schritt zur Weisheit. Das gilt sowohl für den Wahrheitssucher wie für den um eine möglichst anständige Lebensführung bemühten Idealisten.

Wir haben zwei Möglichkeiten, der Furcht zu entgehen: entweder müssen wir uns einreden, dass wir gegen jedes Unglück gefeit sind, oder wir müssen den Mut haben, mutig zu sein. Das letztere ist sehr schwierig und an irgendeinem Punkt hört der Mut bei jedem Menschen auf. Deshalb hat man dem ersten Weg von jeher den Vorzug gegeben. Schon die Zaubereien der Primitiven bezweckten nichts anderes als Sicherung der eigenen Person und der eigenen Habe. Verwünschungen, Talismane, Zaubersprüche, Beschwörungen, dies alles diente zur Abwehr eventuellen Unheils. Der Glaube an die Gefahren bannende Kraft dieser Mittel erhielt sich durch sämtliche Jahrhunderte der babylonischen Zivilisation in fast unveränderter Gestalt. Von Babylon aus griff er dann auf das Reich Alexanders des Großen über, und noch später wurde er im Verlauf der Verschmelzung von römischen und hellenischen Kulturelementen von den Römern übernommen, die ihn ihrerseits dem Christentum und dem Islam überlieferten. Heute ist der Glaube an Zauberformeln durch die Wissenschaft etwas gemildert. Aber noch immer sind viele Menschen von der glückbringenden Kraft der Maskottchen überzeugt – fester und tiefer, als sie vor sich selbst und vor anderen wahrhaben wollen – und nach wie vor gilt die von der Kirche inzwischen ausrangierte Hexerei bei den katholischen Massen als eine der vielen Möglichkeiten zur Sünde.

Die an sich grobe Methode, Gefahren und Schrecken durch Zauberei abzuwenden, hatte außerdem noch den Nachteil der geringen Wirksamkeit, denn leider bestand immer die Möglichkeit, dass die bösen Zauberer über die guten triumphieren. Im fünfzehnten, sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert brachte die Furcht vor Hexen und Zauberern Hunderttausende von Frauen und Männern auf den Scheiterhaufen. Allmählich aber kamen andere, insbesondere auf das zukünftige Leben bezogene Glaubensformen auf, die der Furcht auf bessere Weise Herr zu werden trachteten. Nach Plato hat Sokrates am Tage seines Todes die Überzeugung geäußert, dass er nach seinem Heimgang in Gesellschaft der Götter und der abgeschiedenen Helden leben werde, umgeben von gerechten Geistern, die gegen seine endlosen Argumentationen nichts einzuwenden haben würden. Plato selbst vertritt in seinem »Staat« den Standpunkt, dass der Staat beim Volke heitere und erfreuliche Ansichten über das Jenseits erzwingen müsse – nicht etwa aus Wahrheitsgründen, sondern um die Todesbereitschaft der Soldaten auf den Schlachtfeldern zu stärken. Von den traditionellen Mythen über den Hades wollte er nichts wissen, weil sie die Abgeschiedenen als unglücklich darstellen und ein trauriges Bild von ihrem Leben entwerfen.

Die orthodoxe Christenheit hat im Zeitalter des Glaubens sehr bestimmte Regeln für die Erlangung des Seelenheils aufgestellt. Als erstes muss der auf Erlösung Hoffende getauft werden. Alsdann darf er sich keine theologischen Irrtümer irgendwelcher Art zuschulden kommen lassen, und schließlich muss er beim Nahen des Todes alle seine Sünden bereuen und vor dem Sterben Absolution empfangen. Die strenge Befolgung dieser Vorschriften bewahrt den Christenmenschen zwar nicht vor dem Fegefeuer, aber sie garantiert ihm, dass er zum Schluss doch noch in den Himmel kommt. Eine Kenntnis der Theologie ist für den Himmelsaspiranten nicht unbedingt vonnöten. Nach der maßgeblichen Erklärung eines großen Kardinals ist den Forderungen der Orthodoxie vollauf Genüge getan, wenn der Sterbende auf seinem letzten Lager murmelt: »Ich glaube alles, was die Kirche glaubt, und die Kirche glaubt alles, was ich glaube.« Diese sehr genauen Anweisungen hätten es den Katholiken eigentlich leicht machen müssen, den direkten Weg zum Himmel zu finden. Dennoch lastete die Furcht vor der Hölle nach wie vor auf ihnen, und zwar so schwer, dass die Kirche sich in jüngerer Zeit zu einer erheblichen Milderung der Dogmen über die Auswahl der Verdammten veranlasst sah. Die von vielen modernen Christen vertretene Doktrin, dass alle Menschen in den Himmel kommen, musste eigentlich die Todesfurcht beheben. Aber sie ist etwas so Instinktives, dass sie sich nicht so ohne weiteres bezwingen lässt. E W. H. Myers, den der Spiritismus zum Glauben an ein Fortleben im Jenseits bekehrt hatte, fragte einmal eine Frau, die vor nicht langer Zeit ihre Tochter verloren hatte, was ihrer Ansicht nach aus der Seele des Mädchens geworden sei. Die Mutter antwortete: »Nun, ich hoffe zu Gott, dass sie die Freuden der ewigen Seligkeit genießt; aber ich wollte, Sie sprächen lieber nicht von so unerfreulichen Dingen.« Trotz aller Bemühungen der Theologie bleibt der Himmel den meisten Menschen eben doch etwas »Unerfreuliches«.

Selbst so überfeinerte Religionstheorien wie die Mark Aurels oder Spinozas beschäftigten sich eingehend mit der Furcht und ihrer Überwindung. Für die Stoiker stellte sich das Problem sehr einfach dar, nach ihrer Meinung besaß der Mensch nur ein einziges wirklich wertvolles Gut: die Tugend, deren ihn kein Feind berauben konnte – und sie folgerten daraus, dass man keinen Feind zu fürchten brauche. Leider aber wollte niemand glauben, dass es nichts Wünschenswerteres und Erstrebenswerteres auf Erden gebe als die Tugend. Nicht einmal Mark Aurel vermochte sich zu dieser Auffassung durchzuringen, obwohl er als Kaiser alles tat, um seine Untertanen zur Tugend zu erziehen und sie vor Barbaren, Hungersnöten und Pestilenz zu schützen. Spinozas Lehre ist der Mark Aurels sehr ähnlich. Auch für ihn ist Gleichgültigkeit gegen weltlichen Besitz und weltliche Freuden das einzig wertvolle Gut des Menschen. Wie Mark Aurel redete er sich und anderen ein, dass körperliches Leiden und ähnliche Dinge im Grunde nicht von Übel seien. Fraglos eine edle und erhabene Methode, der Furcht zu entrinnen, doch geht sie von einer falschen Voraussetzung aus. Und wenn die Menschen sich vorbehaltlos danach richten wollten, würden sie nicht nur gegen ihre eigenen Leiden und Schmerzen, sondern in erster Linie gegen die ihres Nächsten unempfindlich werden.

Unter dem Einfluss intensiver Furcht wird nahezu jeder abergläubisch. Die Seeleute, die den Propheten Jonas über Bord geworfen hatten, waren fest davon überzeugt, dass der Sturm, in dem ihr Boot zu zerschellen drohte, durch den rächenden Geist des Ertrunkenen entfesselt sei. In ähnlicher Gemütsverfassung fielen die Japaner bei der großen Erdbebenkatastrophe von Tokio über Koreaner und Liberale her und metzelten sie blindwütig nieder. Die Karthager schrieben ihre Niederlagen in den Punischen Kriegen der sträflichen Nachlässigkeit zu, mit der sie seit langem die Anbetung des großen Götzen Moloch betrieben hatten. Moloch verlangte nach Kindesopfern, und zwar bevorzugte er Kinder von Aristokraten. Die karthagischen Adelsfamilien aber hatten sich angewöhnt, statt ihrer eigenen Nachkommenschaft die weniger wertvollen Kinder der Plebejer zu opfern. Nun schlug ihnen das Gewissen, und als ihr Unglück seinen Höhepunkt erreicht, lieferten sie auch die aristokratischsten Kleinen pflichtschuldigst ans Messer. Sonderbarerweise trugen die Römer trotz dieser höchst demokratischen Reform bei ihren Gegnern schließlich den Sieg davon.

Kollektive Furcht fördert den Herdentrieb und führt zu rücksichtsloser Grausamkeit gegen alle, die nicht zur Herde gehören. So brachte die Furcht vor fremden Truppen die Schreckensherrschaft der Französischen Revolution hervor, und selbst das Sowjetregime wäre vermutlich toleranter gewesen, wenn es sich in den ersten Jahren nicht so vielen Feinden gegenübergesehen hätte. Furcht gebiert Grausamkeit und begünstigt deshalb jeden Aberglauben, der Grausamkeit zu rechtfertigen scheint. Unter dem Alpdruck intensiver Furcht kann jeder Einzelne, jedes Kollektiv, jede Nation der Unvernunft oder Unmenschlichkeit zum Opfer fallen. Aus diesem Grunde ist der Feige im Allgemeinen grausamer und für jede Art Aberglauben anfälliger als der Mutige. Unter »Mut« verstehe ich in diesem Zusammenhang nicht nur Furchtlosigkeit dem Tode gegenüber, sondern Unerschrockenheit in jeder Beziehung und in allen Lebenslagen. Viele Menschen, die jederzeit tapfer sterben würden, bringen nicht den Mut auf, offen auszusprechen oder auch nur bei sich selbst zu denken, dass die Sache, für die man sie in den Tod schicken will, schlecht sei und dies Opfer eines Menschenlebens nicht rechtfertigt. Für die meisten Menschen ist üble Nachrede schlimmer als der Tod. Dies ist einer der Gründe, weshalb in Zeiten allgemeiner Erregung so selten jemand von der vorherrschenden Meinung abzuweichen wagt. Kein Karthager würde je ein Wort gegen den Moloch geäußert haben, weil dazu mehr Mut gehört hätte als zum Tode in der Schlacht.

Aber ich glaube, wir sind etwas zu feierlich geworden. Nicht immer ist der Aberglaube schlankweg abzulehnen. Ganz im Gegenteil, er trägt nicht selten zur Erheiterung unseres Lebens bei.

So erhielt ich einmal einen Brief, in dem mir der ägyptische Gott Osiris unter anderem seine Telefonnummer mitteilte und um meinen Anruf bat – er wohnte damals in einem Vorort von Boston. Obwohl ich darauf verzichtet habe, mich seinen Jüngern anzuschließen, bereitete mir seine Epistel großes Vergnügen. Ich erhalte auch manchmal Briefe, in denen die Absender sich als den kommenden Messias bezeichnen und mich beschwören, dieses wichtige Faktum unter allen Umständen in meinen Vorträgen zu erwähnen.

Zur Zeit der Prohibition existierte in Amerika eine Sekte, die der Ansicht war, dass bei der Feier des heiligen Abendmahls statt des Weines Whisky getrunken werden müsse. Dieser Glaubenssatz berechtigte die Sekte, einen angemessenen Schnapsvorrat zu unterhalten und verschaffte ihr nicht wenige Anhänger.

Für eine bestimmte englische Sekte sind die Briten die verlorengegangenen zehn Stämme des Alten Testaments, während sie nach Auffassung einer anderen Glaubensgemeinschaft nur als die Stämme Ephraim und Manasse zu gelten haben. Jedes Mal, wenn ich mit einem Mitglied einer der beiden Sekten zusammentreffe, bekenne ich mich freimütig zu der Auffassung der anderen, woraus sich schon so manche angenehme Diskussion ergeben hat.

Sehr sympathisch finde ich auch die Leute, die sich mit dem Studium der Cheopspyramide abgeben, in der nie erlahmenden Hoffnung, eines Tages ihre Hieroglyphen entziffern und die in ihnen enthaltene mystische Botschaft enträtseln zu können. Viele großartige Bücher wurden über diesen Gegenstand geschrieben, und einige von ihnen sind mir von ihren Autoren eigenhändig überreicht worden. Ich fand es allerdings immer ein wenig seltsam, dass die geschichtlichen Prophezeiungen der Cheopspyramide bis zum Veröffentlichungsdatum des jeweiligen Erläuterungswerkes haargenau stimmen, indessen an Zuverlässigkeit verlieren, sobald sie über diesen Zeitpunkt hinausgehen. Gewöhnlich rechnet der Autor mit dem baldigen Ausbruch kriegerischer Verwicklungen in Ägypten und im Anschluss daran mit dem Erscheinen des Antichristen. Da dieser aber inzwischen schon so häufig aufgetreten ist, sieht sich der Leser solchen Voraussagen gegenüber zur Skepsis genötigt.

Meine ganz besondere Bewunderung und Verehrung gilt einer Prophetin, die um 1820 im Norden des Staates New York am Rande eines Sees lebte. Eines Tages verkündete sie ihren zahlreichen Anhängern, dass sie wie Christus auf dem Wasser wandeln könne und dass sie beabsichtige, diese wunderbare Fähigkeit an dem und dem Tage, vormittags um elf Uhr, unter Beweis zu stellen. Pünktlich zur angegebenen Zeit hatten sich Tausende von Gläubigen am Ufer des Sees eingefunden, um dem Wunder beizuwohnen. Und die Prophetin sprach zu ihnen: »Glaubt ihr alle, ohne zu zweifeln, dass ich über das Wasser gehen kann?« Wie aus einem Munde antworteten die Tausende: »Ja!« – »Dann brauche ich es euch nicht vorzuführen«, erklärte die Prophetin feierlich, und alle gingen höchst erbaut nach Hause.

Es würde wohl recht uninteressant und eintönig in der Welt zugehen, wenn ein so nüchternes Gebilde wie die Wissenschaft an die Stelle dieser bunten, schwärmerischen Vorstellungen treten würde. Vielleicht sollten wir uns freuen, dass es Menschen wie die alles profane Wissen ablehnenden Wiedertäufer geben konnte, die das Erlernen des Abc für Sünde hielten, oder den südamerikanischen Jesuiten, der sich absolut nicht zu erklären vermochte, wie das Faultier in der kurzen Zeit seit der Sintflut den weiten Weg vom Berge Ararat bis nach Peru hatte zurücklegen können – eine Leistung, die bei der schon sprichwörtlich langsamen Fortbewegung dieses Geschöpfes ans Wunderbare grenzte.

Den wahrhaft weisen Mann freut alles, was in Hülle und Fülle vorhanden ist, nichts aber wurde ihm je reichlicher geliefert auf dieser Welt als der Unsinn.

 

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petting = jede Art der bewusst auf eine erotische Erregung abzielenden Berührung mit Ausnahme der geschlechtlichen Vereinigung (Dr. Kinsey).