Malie stand bis zur Taille im Fluss und tauchte immer wieder unter, um die Seife aus ihren Haaren zu spülen. Sie waren unterwegs nach Norden. Sie war nervös. Sie waren fünf Monate durch Deutschland getingelt, bis hinab in die Lüneburger Heide. Sie hatte die Herden der Heidschnucken mit ihren Korkenzieherh örnern und ihrer grauen, zottigen Wolle gesehen, dazu die spitzen rosa Zungen, die das Heidekraut abrissen, und die wunderbar schöne Heide mit ihrem Röslein rot, Röslein auf der Heiden. Sie hatte so viel Deutsch gehört, dass sie nachts auf Deutsch träumte. Europa hungerte, aber alles wurde zu einem diffusen, unwirklichen Hintergrund, da sie ständig unterwegs waren. Es bedeutete Glück und Freiheit, einen Ort verlassen und hoffen zu können, dass die nächste Menge von Gesichtern im nächsten Dorf und im nächsten Marktflecken gesünder und satter aussehen würde. Aber das erlebten sie nie. Aber wenn die Menschen auch Hunger litten, etwas zu trinken und etwas zu lachen konnten sie sich doch leisten, sagte Vati, vor allem, wenn sie hungerten. Und wer mitten in der Armut seine Scherze machte, würde immer gute Tage haben.
Und jetzt ging es nach Norden. Weit nach Norden. Fast ... nach Hause. Die Freilichtbühne im Bakken wollte Elverhøj aufführen. Vati hatte Statistenrollen als Bauern und Ritter besorgt, über einen Mann, den er als Scharlatan bezeichnete, der in Theaterkreisen aber offenbar großen Einfluss hatte. Das Stück sollte acht Wochen lang laufen. Ælle, jetzt ein Bengel von vierzehn, hatte gejubelt. Acht Wochen an einem Ort ...
Auch Ruben redete dauernd von Stabilität, was Malie Sorgen machte und Vati ärgerte.
»Ich will studieren. Ich will lernen«, sagte Ruben oft, einfach so, mitten in einem netten Gespräch.
»Lernen? Was lernst du denn nicht?«, fragte Vati. »Nenn mir ein Buch, das du lesen willst, und ich werde es dir sofort besorgen. Den Rest lernst du unterwegs. Worüber hast du dich denn zu beklagen? Jetzt antworte schon, du.«
»Ich will studieren, Vati! Zusammen mit anderen Studenten. Ich bin jetzt zwanzig. Ich will diskutieren und ...«
»Du bist zu alt, um auf eine Schule zu gehen. Du kannst kein Latein, du hast keine Ahnung, was Mathematik ist. Und außerdem GIBT es dich nicht. Und warum willst du freiwillig in eine Schule gehen und auf einen Bambusstock warten, der in Salzlake gezogen hat? Du hast nur einen kleinen Anfall von Weltschmerz. Das legt sich wieder.«
Fits war derjenige unter den drei Brüdern, der immer mit dem Reiserhythmus harmonierte, so wie Malie und Vati. Ihm reichte es, wenn es ihm im Augenblick gut ging. Und ihm vertraute sie ihre Sorgen um Ruben an. Die ganz neuen Sorgen, die zu seinem Gerede über das Studieren hinzukamen.
»Du siehst das doch auch, oder? Dass er so schnell müde wird?«
»Er schläft viel mehr als früher«, sagte Fits. »Das kann nicht richtig sein.«
»Und als er am Stadtrand von Lübeck ohnmächtig geworden ist?«
Eine alte Frau war stehen geblieben und hatte gesagt: »Der Kerl ist ja besoffen! Aber dann kann dich sein Vater ja zwischen deinen Beinen bedienen ...«
Malie hatte ihr vor die Füße gespuckt und Ruben wieder auf die Beine gezogen.
»Als wir ihm Brot und Honig in den Mund gesteckt hatten, war er wieder der Alte«, sagte Fits. »Das war schon komisch.«
Sie ließ sich das Wasser durch die Haare und über den Rücken laufen. Fast zu Hause. Zu nahe. Aber Vati Sule war wie besessen von der Vorstellung, dass sie bald Elverhøj sehen würde. Die Lieder hören, die Handlung mit den vertauschten Mädchen erleben, die beide den falschen Mann liebten, und König Christian IV, der die Brücke nach Stevns Herred nicht überqueren konnte, ohne sich den Zorn des Elfenkönigs zuzuziehen, weil ein König nun mal genug war.
Plötzlich stand Ruben hinter ihr im Wasser, wie ein großer gieriger Hecht, und küsste sie hinter den Ohren, wickelte sich ihre Haare um den Hals. Die Weiden verbargen sie vor der Umwelt, ein Stück entfernt hörten sie Mikkel und Stark-Hans, die prustend versuchten, die Fliegen zu vertreiben.
»Ich habe auch ihnen ein Bad versprochen«, flüsterte er.
»Wem?«
»Den Pferden.«
»Pass auf, dass ich die Seife nicht verliere, es ist die gute parfümierte.«
»Das kann ich riechen.«
Sie liebten sich im Wasser stehend. Er hielt die ganze Zeit von hinten ihre Taille umfasst. Das Wasser löste Schweiß und Glätte auf und machte ihre Körper leicht. Sie hatte das Gefühl, hungrig und nass mitten in einer klatschenden Woge aus Haut und Haut zu schweben, wo es schon nach wenigen Sekunden keine Rolle mehr spielte, ob jemand sie hören konnte. Sie richtete ihre zusammengekniffenen Augen auf die Wasseroberfläche und hielt sich an seinen Händen fest und geriet ganz am Ende mit dem Kopf unter Wasser, verschluckte auch ein wenig davon. Es schmeckte süß und weiß, wie Regen. Er zog sie zu sich hoch und strich ihr die Haare aus der Stirn, flüsterte ihr ins Ohr, wie sehr er sie liebte, wie schön ihr Rücken in der Sonne sei, und sie spürte, wie die Kälte des Wassers ihren Schoß füllte, als er sich zurückzog, um dem Fluss das zu geben, was er jetzt zu geben hatte. Als sie das Ufer erreicht hatten, legte er sich in die Waschbütte, die sie dort abgestellt hatte. Auch ihr war ein wenig schwindlig, doch sie war durchaus nicht müde. Nur ruhig und zufrieden. Mit Ruben zusammen zu sein, war zu einem körperlichen Zustand geworden, den sie als selbstverständlich hinnahm, so als verzehre sie jeden Tag frisches Brot. Aber sie ließ nie mehr zu, dass er sich in sie ergoss, ließ sich niemals so weit mitreißen. Nie mehr wollte sie rücklings auf alten Zeitungen liegen, mit einer abgestandenen Flasche Schnaps in der Hand.
»Willst du schlafen? Dann spüle ich inzwischen die Kleider durch.«
Er schlief tief und fest. Sie bedeckte ihn mit einem trockenen Handtuch, ehe sie in den Fluss hinauswatete und die Hemden der Jungen und Vati Sules einzigen guten Vatermörder ausspülte.
Danach ließ er sich fast nicht wecken. Sie musste ihn immer wieder schütteln und seine Haare zausen. »Jetzt zu den Pferden« , sagte er, als er endlich die Augen öffnete.
Die Tiere ließen auf alle Weise merken, dass das besser war als Hafer und frische Äpfel und eine glatte Landstraße, die bergab ging. Sie schüttelten Mähne und Schwanz und galoppierten im Stehen, ja, Mikkel legte sich im Wasser sogar hin und musste einen langen Hals machen, um atmen zu können. Ruben und Fits bürsteten sie, auch am After, wo sich sonst die Fliegen gütlich taten, und Malie fuhr ihnen mit dem breiten Kamm durch Schwanz und Mähne. Vati und Ælle saßen am Ufer und feuerten sie an. Ælle hatte alle Decken aus dem Wagen geholt und drinnen gefegt, jetzt musste alles sauber sein. Sie fuhren schließlich zum Bakken und zum Hochzeitsfest von Elverhøj.
An diesem Abend versuchte sie, mit Vati über Ruben zu sprechen. Aber sie war noch nicht weit gekommen, da sagte er: »Unfug und Humbug, Donnerschock, sage ich, der Junge ist nur müde. Das kommt vom Wachsen.«
»Aber Vati, er ist ausgewachsen. Er ist zwanzig Jahre alt. Ich glaube, er ist krank.«
»Ich will kein Wort mehr hören. Alles ist gut. Morgen fahren wir weiter nach Norden.«
Denn so war er. Es gab kein Problem, dem man nicht davonfahren konnte, wenn man die Pferde nur genügend antrieb. Alles musste gut enden. Es durfte keine düsteren Wolken geben. Denn solche Dinge führten leicht zur Revolution.
Und in der folgenden Zeit schien es Ruben wirklich besser zu gehen. Sie traten in Süd-Jütland nur in wenigen Orten auf. Vati wollte die Gegend, die ihn an seine frühere Armut erinnerte, rasch hinter sich lassen. Erst als sie Fünen erreicht hatten und auf eine Überfahrt über den Großen Belt warteten, kam er wieder zur Ruhe, und inzwischen hatte auch Ruben sich erholt; er hatte hinten im Wagen die ganze Zeit geschlafen. Malie hatte auch immer etwas Süßes für ihn bereit, wenn er erwachte. Obst oder Honig oder ein Stück Zuckerkringel, das sie in einem Tuch versteckt hatte.
Das ging so bis zu dem Abend, an dem er nicht zu wecken war. Sie befanden sich in der Nähe von Ringsted. Im Wagen war es zwar sehr warm, es war bereits Mai, und die Sonne hatte den ganzen Tag gebrannt. Aber die Wagentüren standen offen, und Ælle hatte ganz hinten gesessen und an einer Schnur eine Schelle durch die Karrenspuren gezogen, ohne dabei einen Hitzschlag zu erleiden. Malie hatte wie immer auf dem Bock gesessen und gemerkt, wie die Gerüche von Seeland immer stärker wurden. Die grünen Kornfelder erstreckten sich auf beiden Seiten der Straße, und in der Luft sangen muntere Bachstelzen und Brachvögel und der eine oder andere Zug Gänse in lärmendem und zitterndem Anflug. Die Störche strebten nach Norden, mit roten Hängebeinen unter dem Bauch. In vier Tagen würden sie und die anderen den Bakken erreicht haben, bereit, das Stück zu proben. Ob ihr dort Bekannte begegnen würden? Würde Alfred Jebsen auftauchen und sie halb tot schlagen? Sie hatte sich eine Haube gekauft und wollte ihre Haare verstecken. Aber würde er die anderen denn nicht erkennen? Trotzdem – was hätte Schankwirt Jebsen schon in einer Aufführung von Elverh øj verloren? Sollte er kommen, um sie zu suchen? Vati hatte, ohne dass sie etwas gesagt hätte, begriffen, dass sie sich Sorgen machte. Er hatte also vor fast zwei Jahren doch nicht die Lüge geglaubt, dass ihre Eltern ihr alles erlaubt hätten.
»Er wird einfach nicht wach!«, rief Ælle.
»Er ist kalt und zugleich in Schweiß gebadet!«, rief Fits ihnen zu.
Vati hielt die Pferde an. Er und Malie sprangen vom Bock und rannten nach hinten. Später konnte Malie sich nur erinnern, dass sie verzweifelt geweint hatte, während Vati Mikkel abgeschirrt hatte, um rittlings auf ihn zu springen und nach Ringsted zu reiten, wo es einen Arzt gab. Sie streichelte immer wieder Rubens Gesicht. Fits versuchte, ihm einen Löffel Honig in den Mund zu schieben, aber Ruben schluckte nicht. Sie hatten Angst, er könne ersticken, und gaben auf. Nach einer endlosen Zeit kam Vati zurück, gefolgt von einem berittenen Arzt. Es war ein älterer Mann mit offenem Kragen, grauem Hängeschnurrbart und besorgten, nässenden Augen. Und dieser Arzt sprach als Erster das Wort Koma aus. Ruben lag im Koma, aller Wahrscheinlichkeit nach sei er zuckerkrank, sagte der Arzt, als Fits ihm erklärt hatte, wie schrecklich müde Ruben in letzter Zeit gewesen sei. Er müsse in die Krankenstube. Aus Amerika sei ein neues Mittel namens Insulin gekommen, ob sie Geld hätten? Vati nickte.
»Ich nehme ihn auf mein Pferd«, sagte der Arzt. »Es geht um sein Leben. Ich werde das Mittel bis heute Abend besorgen, ich schicke meinen Sohn nach Kopenhagen, um es zu holen.«
Vati und die Jungen halfen, Ruben in Decken und Riemen zu wickeln. Malie saß schluchzend im Wagen. Sie war selber einer Ohnmacht nah. Vati spannte Mikkel wieder an. Sie folgten dem Arzt in hohem Tempo. Der Wagen schepperte wie eine leere Dose. Die Räder bebten und kreischten. Fits, Ælle und Malie wurden hin und her geworfen und mussten sich an den Bretterkanten im Wagen anklammern. Die Bücher hagelten ihnen um die Ohren, nur Rosa Luxemburgs Blick war unverändert. Streng. Gleichgültig, was die Alltagsprobleme des einzelnen Menschen in der Masse anging. Malie riss das Bild von der Wand, zerfetzte es in winzige Stücke und warf sie aus der Hintertür. Weder Fits noch Ælle sagten etwas, sie schauten nur den Papierschnipseln hinterher.
Er lag schon im Bett, als sie ankamen. Eine weiße Decke hüllte ihn bis zum Kinn ein. Er bewegte sich nicht. Das Kinn warf einen kleinen Schatten auf die Decke. Seine dunklen Haare lagen lebendig und ungebärdig auf dem Kissen, wie ein Protest. Malie streichelte sie immer wieder und wusste nicht, wie viel Zeit verging. Es gab für sie nur Tränen und den Drang, laut zu schluchzen oder zu heulen, dazu Menschen, die an ihr zogen und sie zum Ausruhen drängten. Sie drückte die Hände weg, schlug danach, wenn sie keine Ruhe gaben.
Dann kam der Abend. Irgendwo im Haus hatte eine Uhr soeben neunmal geschlagen, als sie laute Stimmen hörte. Die Medizin aus Kopenhagen war eingetroffen. Sie kniete neben dem Bett und presste ihr Gesicht in die Kissen. Sie wurde fortgezerrt. Sie schrie. Sie hörte, dass etwas mit Ruben geschah, danach seinen lauter werdenden, röchelnden Atem.
»Nein«, sagte er.
»RUBEN!«
Aber sie hielten sie fest. Niemand durfte ihn berühren, er war wieder eingeschlafen.
»Normaler Schlaf«, sagte der Arzt. »Er braucht jetzt Ruhe.«
Sie träumte von tiefem Wasser und tausend Aalen, die sich um ihren Leib wickelten. Goldaal und Silberaal, und ein Haken, der ihre Haut von den Knochen riss. Sie bekam keine Luft. Ihre Gesichtshaut war fortgefetzt worden und bedeckte den Mund, drohte, sie zu ersticken. Sie wurde davon geweckt, dass Fits ihre Stirn streichelte.
»Es geht jetzt gut«, flüsterte er. »Er schläft. Morgen ist er wieder gesund. Und wir fahren zum Bakken.«
Am nächsten Tag regnete es. Ein grauer zielloser Regen, der gerade herunterfiel, mit dichtem Nebel, der sich über die Felder wälzte und sich in den Bäumen verfing. Malie öffnete die Tür hinten im Wagen, sah den Nebel und dachte: Der Erlkönig ist hier. Er ist gekommen, um Ruben zu holen.
Sie hämmerte an die Tür der Krankenstube, bis die Frau des Arztes mit lose hängenden Haaren aufmachte. Sie drängte sich an ihr vorbei. Der Arzt stand bereits an Rubens Bett, sein weißes Hemd hing über seine Hose, und seine Hosenträger schleiften über den Boden. Er drehte sich um und erwiderte für eine Sekunde ihren Blick, dann fiel sie vor dem Bett auf die Knie.
Rubens Gesicht war wieder weiß und leblos, und aus seinem Mund strömte ein strenger, süßlicher Geruch.
»Es tut mir Leid«, sagte der Arzt. »Sind Sie seine Schwester? Das Insulin war nicht sauber. Es ist zu spät. Er hat schon Beulen an den Beinen und liegt wieder im Koma.«
Sie saßen alle bei ihm, als er später am Nachmittag starb. Ælle steckte den Daumen in den Mund und wiegte sich auf seinem Stuhl hin und her. Vati Sules Gesicht war starr und ausdruckslos. Das hier konnte er auch durch Flucht mit den Pferden nicht abschütteln. Fits saß an der Wand, er hatte die Augen mit der Hand bedeckt, und seine Schultern bebten.
Malie war jetzt still und weinte nicht mehr. Sie würde nie mehr weinen. Sie hatte die Hände im Schoß liegen und starrte das Gesicht auf dem Kissen an. Dieses schöne Gesicht, das sie zum ersten Mal gesehen hatte, als sie aus dem Buchenwald gekommen war, vom Stallburschen Morten, mit zerzausten Haaren und verrutschtem Mieder. Und seither hatte es für sie keinen anderen gegeben. Sie hatte das Kind getötet, das sie unter ihrem Herzen getragen hatte. Rubens Kind, das hätte sie niemals tun dürfen, es wäre sicher ein Junge geworden. Ruben hätte es nie erfahren. Sie würde nie mehr die gelben Blitze in seinen Augen sehen, wenn er über unsere Liebe sprach, nie mehr würde sie das Gewicht seines Armes auf ihrem Arm und ihrem Schoß spüren, wenn sie mitten in der Nacht von irgendeinem Geräusch geweckt würde. Nie mehr würde sie sein unheimliches Revolutionsgerede hören. Er hatte sie seinen Schwan genannt. Aber das war sie jetzt nicht mehr. Sie war ein hilfloses Entlein, mehr nicht.
Er starb lautlos. Sie bemerkten es nicht. Der Arzt sagte es ihnen. Vati stieß einen einzigen trockenen Schluchzer aus, als Ælle ihm um den Hals fiel. Malie schloss die Augen, das Kind war tot.
Sie stand in der dunklen Mainacht zwischen den Pferden und atmete still und konzentriert aus und ein, als Vati Sule neben sie trat.
»Du musst schlafen«, sagte er. »Du musst jetzt schlafen. Malie ...«
»Nein. Ich kann nicht schlafen.«
Er legte die Arme um sie. Sie stand stocksteif in seiner Umarmung.
»Ich kann nicht«, wiederholte sie.
»Weißt du was«, flüsterte er. »In einer Weile, wenn du dich besser fühlst, kannst du gern unter meine Decken umziehen ...«
Sie sagte, sie wolle vor dem Schlafengehen noch einmal zum Fluss. Die Worte kamen von selber, ganz ruhig. Sie klapperte mit den Zähnen, hoffte aber, dass er das nicht hörte. Er ließ sie los, und sie konnte gehen.
»Es war nicht so gemeint«, rief er hinter ihr her. »Ich dachte nur...«
»Ich bin bald wieder da«, erwiderte sie und schluckte Magens äure hinunter. Ihr eines Knie brannte vor Schmerz, als sei sie über einen Boden gekrochen und habe sich an einem dicken Holzsplitter verletzt.
Unterwegs sagte sie immer wieder den Erlkönig auf. Der Nebel umwogte sie ... mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort – Erlkönigs Töchter am düstern Ort? Der König konnte sie haben oder sie rauben und zu seiner Tochter machen, sie verschlingen lassen, sie von dem Gedanken an Vatis Decken erlösen. Als die Vögel anfingen zu singen und in den ersten Sonnenstrahlen ihr Gefieder zu putzen, hörte sie hinter sich den Wagen. Sie versteckte sich an einem Bachufer im Schilf. Ælles verweintes Gesicht schaute aus dem Wagen, aber das ging sie nichts an, und auch der Gedanke an Fits betraf sie nicht. Sie sollten sich um sich selber kümmern. Sie hatte sich um sie alle gekümmert, und was hatte ihr das gebracht? Einen schweren Stein im Bauch, einen Brand im Kopf, der sie nach Wein verlangen ließ. Ihre Handflächen waren eiskalt, ihnen schien Haut zu fehlen, über die sie streichen konnten. Vati saß mit hängendem Kopf auf dem Bock. Sie sah ihm nicht ins Gesicht. Er wurde zu einem trügerischen Flimmern im Augenwinkel.
Sie blieb im Schilf sitzen, bis sie lange vorüber waren, und dachte an einen Jagdhund, der plötzlich über ihr stand und keuchte, und der sie danach verschmähte, weil er einen viel schöneren Vogel gefunden hatte.