12

 

 

 

Auch Thomas de Quincey besaß eines jener ominösen Flugblätter, die vor dem Drury Lane verteilt worden waren. Charles Lamb hatte es ihm zur Erinnerung an diesen Abend geschenkt. Inzwischen waren de Quincey und Lamb gut befreundet und zechten häufig miteinander. Charles war ihm behilflich gewesen, eine Stelle als angehender Kontorist in der Zentrale der Südsee-Kompanie in der Threadneedle Street zu finden. De Quincey, der in Manchester auf eine weiterführende Schule gegangen war, hatte eine ordentliche Handschrift und konnte auch überraschend gut rechnen. Beide trafen sich manchen Abend nach der Arbeit im Billiter Inn, wo ihm Charles fünf Tage nach der Premiere von Vortigern auch dieses Flugblatt zeigte.

«Man bezichtigt unseren Freund dreister Fälschung», sagte er nicht ohne eine gewisse Befriedigung.

«Wirklich?»

«Aber Ireland ist nie und nimmer imstande, ein so umfangreiches Stück zu verfassen. So gefällig kann er nicht schreiben. Das ist teilweise ausgezeichnete Poesie. Du bist ja selbst dabei gewesen.» Er berührte de Quinceys Arm. «Ich vertrete folgende Theorie: Dieses Stück stammt von einem Zeitgenossen Shakespeares, vielleicht von einem zweitrangigen Dichter. Ireland ist von dem Namen Shakespeare so verhext, dass er ihn jedem seiner Fundstücke anheftet.»

«Ich halte mehr von ihm als du.»

«Dieses Stück soll aus der Feder von Shakespeare sein?»

«Im Gegenteil, es stammt von Ireland.»

«Unmöglich. Wie könnte er die Welt so an der Nase herumführen?»

«Wenigstens London. Charles, er ist viel schlauer, als du denkst. Wenn ich ihn reden höre, wird mir immer bewusst, wie präzise sein Gehirn funktioniert. Er ist ungemein scharfsinnig.»

«Aber doch nicht gleich so, dass er ein Stück im Stil des sechzehnten Jahrhunderts schreibt – also reinste Poesie. Oder?»

«Chatterton hat das auch fertiggebracht. Und er war damals sogar noch jünger. Unmöglich ist es nicht.»

«Aber unwahrscheinlich. Höchst unwahrscheinlich.»

«Schreiben kann er. Du hast seine Essays gelesen. Vielleicht ist Mr Ireland tiefsinniger, als du glaubst.»

«Deine Theorie muss ich unbedingt Mary erzählen.»

«Bloß nicht», rief de Quincey sehr bestimmt. «Das darfst du Mary unter keinen Umständen erzählen.»

«Ich weiß, was du jetzt sagen willst.»

«Hör mir trotzdem zu. Sie ist momentan viel zu – viel zu fragil.» De Quincey suchte nach dem richtigen Ausdruck. «Sie könnte zusammenbrechen.»

«Du meinst, es bräche ihr das Herz? Unsinn.»

«Wirklich, Charles, manchmal siehst du den Wald vor lauter Bäumen nicht.»

«Was nicht da ist, kann ich auch nicht sehen.»

«Aber Mary ist da. Kannst du nicht erkennen, dass sie sich nach ihm verzehrt? Ihre Krankheit? Ihre Nervosität? William Ireland hat sie vollkommen durcheinandergebracht. Und er hat nicht die geringste Absicht, etwas dagegen zu tun.»

Charles ließ sich nicht anmerken, ob ihn de Quinceys Schilderung überrascht hatte. In den letzten Wochen neigte Mary zu noch heftigeren Temperamentsausbrüchen, und auch ihre innere Unruhe trat immer deutlicher zutage. Charles hatte beides auf die fortschreitende Senilität ihres Vaters geschoben. Dass sie sich als Irelands Beschützerin fühlte und ihm sogar eine gewisse Zuneigung entgegenbrachte, wusste er. Aber dass sie insgeheim in ihn verliebt war? «Demnach wäre sie eine liebeskranke Ophelia», sagte er.

«Charles, warum musst du alles so dramatisch sehen? Mary ist keine Figur aus einem Theaterstück. Sie leidet.» De Quincey schwieg einen Moment. «Ireland spielt mit Gefühlen wie mit Wörtern.»

«Und darum darf ich ihr deine Theorie nicht erklären.»

«Das wäre sicher besser.»

 

 

De Quincey ging vom Billiter Inn in seine Unterkunft in der Berners Street. Noch immer hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben, auf den belebten Straßen dieses Viertels Anne wiederzufinden, und sich deshalb in der Nähe des verlassenen Hauses, wo er zuerst gewohnt hatte, ein Zimmer genommen. Einmal bildete er sich ein, sie an der Ecke der Newman Street sitzen zu sehen, aber als er hinlief, war der Platz leer. Er malte sich schreckliche Bilder aus: Anne, die an Kummer und Einsamkeit zerbrach; Anne, die in die Themse ging; Anne, missbraucht und geschlagen. Oh! Eine Feuermuse, um Licht in Londons Dunkelheit zu werfen! Gerade als ihm dieses abgewandelte Zitat einfiel, sah er, wie William den Schreibwarenladen am unteren Ende der Berners Street betrat. Trotz der späten Stunde hatte Ireland die Tür geöffnet, ohne vorher anzuklopfen. Als de Quincey rasch an der Ladenfront vorbeilief, warf er verstohlen einen Blick durchs Schaufenster. Der ältere Mann hinter dem Ladentisch händigte Ireland soeben ein Päckchen aus. Mehr konnte er in der kurzen Zeit nicht erkennen.

Er ging weiter und betrat das Haus, in dem er wohnte. Trotz seiner Warnung an Charles blieb de Quincey Ireland freundschaftlich verbunden, ja, auf gewisse Weise bewunderte er ihn sogar. Er hielt ihn für einen guten Schauspieler, dessen Bühne die Welt war, bekannte aber gleichzeitig frank und frei, dass er ihn nicht wirklich verstand.

Er wollte gerade in sein Zimmer gehen, da klopfte es an der Haustür. Auf der Treppe stand Ireland mit dem in braunes Packpapier gewickelten Päckchen. «Ich habe dich vorbeigehen sehen», sagte er. «Du hast mich nicht bemerkt.»

«Wo warst du denn?»

«Bei Askew. Er gibt mir den Züricher Katalog. Ein liebenswürdiger alter Kauz.»

«Kommen Sie herein, Herr Dramatiker! Ich hätte da ein Fläschchen, das Ihre Bekanntschaft machen möchte.» De Quinceys Zimmer lag im Erdgeschoss und ging direkt auf die Berners Street hinaus.

«Tom, ich bin kein Dramatiker. Ich bin nur der Mittelsmann.»

«Das weiß ich doch. Du bist das, was die Mathematiker als Mittelwert bezeichnen, ohne den es weder einen oberen noch einen unteren Wert gibt.»

«Und das Stück ist dabei der obere Wert?»

«Solange Shakespeare nicht der untere ist. Gib acht, da ist ein Riss im Teppich!»

De Quinceys Zimmer war ziemlich karg. Er hatte zwar ein Bett, und auf dem Teppich stapelten sich die Bücher, aber sonst gab es kaum Möbel. Unaufhörlich drang durch das Fenster der dumpfe Lärm der Stadt herein.

«Ich habe mich schon oft gefragt, wo du wohnst», meinte Ireland.

«Mir gefällt’s hier.» De Quincey klang ganz fröhlich. «Ich empfinde mich als Londoner. Ich mache jetzt die Flasche auf.»

«Ich habe mein ganzes Leben in der Innenstadt gewohnt. Einige Plätze mag ich sogar, aber echte Liebe empfinde ich nicht für diese Stadt.»

«Und warum nicht? Schließlich hat sie dir Erfolg gebracht.»

«Und wird mich vielleicht vernichten.» William trat ans Fenster und sah draußen dem Straßenkehrer zu, der die ganze Straße fegte. «Heute Abend wird das Stück zum letzten Mal gespielt.»

«Vortigern?»

«Sechs Vorstellungen. Ich dachte, es würde noch länger – »

«Aber doch nicht im Ernst?»

Ireland drehte sich um. «Was meinst du damit?»

Einen Augenblick wusste de Quincey keine Antwort. Schließlich sagte er: «Shakespeare ist gewöhnungsbedürftig. Er ist nichts für ein modernes Publikum.»

«Trotzdem hatten wir eifrige Verfechter. Diese Zeilen habe ich aus der Evening Gazette ausgeschnitten.» Er zog ein Blatt aus seiner Tasche und las laut vor:

 

«Entrissen ward dem Orkus dieses Stück,

das Shakespeares Namen trägt. O Glück!

Allein sein Nam’, der Wunder köstlich uns gebracht,

verdient, dass man dies Werk gerecht betracht’.»

 

De Quincey lachte. «Ein jämmerlich schlechtes Gedicht.»

«Da hast du recht. Das hätte selbst ich besser schreiben können.» Ireland ließ sein Gegenüber nicht aus den Augen. «Trotzdem vertritt es einen gerechten Standpunkt.»

«Selbstverständlich.»

Ireland schien beruhigt zu sein. «Tom, ich werde dir etwas erzählen, was sonst nur wenige wissen. Ich kann mich doch auf dein Stillschweigen verlassen.» De Quincey nickte kaum merklich. «Unter dem großen Manuskriptvorrat, den mir mein Gönner geschenkt hat, habe ich noch ein Heinrich-Drama gefunden.»

«Wie bitte?»

«Heinrich der Zweite. Das ist doch eine Sensation, oder?» De Quincey ging zu einer Kiste aus Nussbaum, die neben seinem Bett stand, und holte eine Flasche Maconochie-Portwein heraus. Auf der anderen Seite befand sich eine Waschkommode samt Wasserkrug. Aus dem unteren Schrankteil holte er zwei Gläser. Dabei fiel ihm zum ersten Mal auf, dass an der einen Seite des Waschbeckens das Email abgeplatzt war und sich verfärbt hatte.

«Hast du das Stück schon jemandem gezeigt?»

«Mein Vater hat es gesehen. Er hat die Blätter an Mr Malone weitergeleitet, der sie bereits als Werk des Barden identifiziert hat.»

«Hat sonst noch jemand dieses Manuskript gelesen?»

«Sonst niemand. Bisher jedenfalls. Wir warten noch auf den richtigen Zeitpunkt. Sobald man den wahren Wert von Vortigern erkannt hat. Wollen wir anstoßen?»

De Quincey schenkte den Portwein ein, dann erhoben sie ihre Gläser.

«Auf Heinrich!», rief Ireland.

«Auf Heinrich. Möge der Beste gewinnen.»

«Was soll das heißen?»

«Ist nur so ein Ausdruck. Hat nichts zu bedeuten.»

«Mein Vater wollte das Stück unbedingt gedruckt sehen, aber ich habe ihm geraten abzuwarten. Wenn es so schnell nach Vortigern erscheinen würde – »

«Möchte man vielleicht nicht mehr an einen Zufall glauben?»

«Ganz genau. Im Penkies gibt es eine Stelle, worin ein Freudenmeer auf ihn stürzt.»

«‹Die Ufer meines Lebens überschwelle.› Meinst du das? ‹Und mich in Lust ertränkt.›»

«Du kennst das Stück. Trotzdem behaupten einige Leute, Perikles sei nicht von Shakespeare.»

«Einige behaupten immer alles Mögliche.»

«Das ist genau mein Dilemma.» Rasch trank Ireland seinen Portwein aus. «Darf ich?» Er setzte sich auf die Bettkante. «Inzwischen ist der Besucherandrang so groß», sagte er, nachdem ihm de Quincey nachgeschenkt hatte, «dass mein Vater Eintrittskarten drucken ließ. Unser kleines Museum ist zum Wallfahrtsort geworden, genau wie er prophezeit hat. Habe ich dir schon erzählt, dass eines Morgens der Prinz von Wales aufgetaucht ist?»

«Nein!»

«Von Kopf bis Fuß in blassblaue Seide gehüllt. Der alte Schandfleck höchstpersönlich. Zuvor stürzte tatsächlich so ein wirrköpfiger Höfling herein und meinte, wir sollten uns fertig machen. Was hätten wir denn tun sollen? Uns in Schale werfen? Dann kam Seine Hoheit hereingewatschelt, Prinz Fettwanst. Mein Vater hat sich so tief verbeugt, dass man ihm in den – » Ireland prustete los. «Mehr will ich nicht sagen.»

«Aber was hat der Prinz gemacht?»

«Er ließ sich die Manuskripte bringen, setzte sich in einen Sessel, den der Höfling für ihn herbeigeschafft hatte, und «versenkte sich» eine Minute darin, wie er es ausdrückte. Es können auch zwei gewesen sein. Der ganze Laden stank nach seinem Kölnischwasser.»

«Und was hat er dazu gesagt?»

«Ich zitiere wörtlich.» Ireland imitierte den Prinzen von Wales bis ins kleinste Detail, seine Stimme, seine Gestik. Leider wusste das de Quincey nicht. «‹Diese Dokumente erinnern lebhaft an Stücke aus dieser Periode. Allerdings ließe sich nach dieser flüchtigen Begutachtung jedwede kategorische Entscheidung schlichtweg nicht rechtfertigen.› Und daraufhin erwidert mein Herr Vater: ‹Selbstverständlich, Euer Gnaden. Undenkbar.›»

«Und dann?»

«‹Ich bin überzeugt›, sagte Prinz Fettwanst, ‹ich bin überzeugt, dass die englische Nation mit Freuden den zu erwartenden Gewinn aus diesen Stücken genießen wird.›»

«Was soll das denn heißen?»

«Weiß der Himmel. Mein Vater hat mir später erklärt, dass Mitglieder des Königshauses nie eine Meinung äußern dürfen. Ich vertrat eine andere Ansicht und verwies dazu auf die Kriege in der Neuen Welt.»

«Ist er denn lange geblieben?»

«Von wegen. Er stand sofort auf und wollte gehen. Mein Vater schwirrte aufgeregt um ihn herum. Euer Gnaden – ungeahntes Privileg – unser innigster Wunsch. Und so weiter. Kaum war er weg, küsste mein Vater den Sessel und schwor heilige Eide, darauf dürfe sich nie wieder eine Menschenseele setzen.»

«Aber du warst nicht so beeindruckt.»

«Beeindruckt? Von diesem Scharlatan? Da verbeuge ich mich doch lieber vor dem Straßenkehrer dort draußen. Der hat mehr natürliche Würde.»

«Außerdem hat er eine Arbeit.»

«Ganz genau.» William stellte sein Glas hin und nahm das Päckchen, das er von Askew mitgebracht hatte. «Ich muss wieder zurück. Ich traue den Straßen zwischen hier und Holborn nicht.»

 

 

Sein Vater erwartete ihn schon hinter dem Ladentisch. William wusste sofort, dass ihm nicht wohl in seiner Haut war.

«Man hat eine Untersuchungskommission gebildet», sagte Samuel.

«Wie bitte?»

«Eine Untersuchungskommission. Für deine Manuskripte.»

«Ich hatte gedacht, es wären unsere Manuskripte. Was denn für eine Kommission?»

«Mr Stevens und Mr Ritson, zwei Feinde von Mr Malone, haben andere dazu überredet, mit ihnen gemeinsam das von dir gefundene Material umfassend zu untersuchen. Mr Malone hat mir einen Brief geschickt, worin er kurz schildert, was diese Leute im Schilde führen. Sie wollen unbedingt seinen guten Ruf ruinieren.»

«Seinen guten Ruf? Und wie steht es mit meinem? Und deinem?» Samuel Ireland zuckte zusammen. «Das ist empörend. Und schockierend. Damit posaunen sie praktisch in die ganze Welt hinaus, dass sie uns falsches Spiel unterstellen.» Plötzlich lachte William schallend los. «Als wäre das möglich.»

«Hier gibt es nichts zu lachen.»

«Aber etwas anderes kann man doch gar nicht tun, Vater. Wie soll ich denn sonst darauf reagieren?»

«Das wirst du doch wohl erkennen, oder? Du musst deine Gönnerin herbeischaffen.»

«Warum sollte ich auf diese feinen Herren auch nur einen Funken Rücksicht nehmen? Sie bedeuten mir nichts.»

«Sie bedeuten alles für dich. Sie werden deine Richter und deine Geschworenen in Personalunion sein. Du musst sie an die Quelle dieser Dokumente führen.»

«Unmöglich, das geht nicht.»

«William, es tut mir ja leid, dass ich dich bedränge, aber dabei muss man auch weitere Kreise berücksichtigen. Das bist du der englischen Öffentlichkeit schuldig. Diese Blätter sind sozusagen ihr Erbgut.»

«Ich habe es dir doch schon gesagt. Meine Gönnerin will weder namentlich noch in Person bekannt werden. Sie hat mir diese Blätter mit der Auflage zu striktester Geheimhaltung überlassen. Woher weiß ich denn, ob sie in Anwesenheit dieser Herren plötzlich nichts mehr von mir und meinem Tun wissen will? Denk doch auch einmal an diese Möglichkeit, Vater.»

«Du musst sie überreden – »

«Für Überredungskünste hat sie taube Ohren.»

«William, überlege doch nur, welche Konsequenzen das für mich hat.»

«Vater, du hast ganz genau gewusst, unter welchen Bedingungen ich dir diese Dokumente ausgehändigt habe.»

«Du bist sehr grausam zu deinem Erzeuger.»

«Nein, nur sehr ehrlich.» William stieg die Treppe hinauf und begab sich zu Bett.

Am nächsten Morgen wurde ein Brief für W. H. Ireland, Esquire abgegeben. Er kam von Mr Ritson, der höflich anfragen ließ, ob Mr Ireland bereit sei, Fragen zu beantworten, auf die gewisse gelehrte Herren bei der Untersuchung von Manuskripten gestoßen seien, die in jüngster Zeit aufgetaucht und Mr William Shakespeare zugeschrieben worden waren. Außerdem hoffe man, auch Mr Edmond Malone und Mr Samuel Ireland –

«Es ist widerwärtig, hier meinen Namen ins Spiel zu bringen», warf Samuel Ireland ein.

– im Zuge besagter Nachforschungen befragen zu können. Dabei gehe es nicht im Mindesten um Argwohn, Kritik oder Vorwürfe. Man hoffe, Mr William Ireland werde die Einladung so aufnehmen, wie sie beabsichtigt sei, das heißt im Sinne einer offenen und uneingeschränkten Disputation.

«Ich finde ihre Syntax schrecklich», rief William, nachdem er seinem Vater diesen Brief laut vorgelesen hatte. «Sie erwürgen regelrecht ihre eigenen Wörter.»

«Diesen Eindruck erweckt ein schlechtes Gewissen meistens. Wie bei Lady Macbeth.»

«Sie hat aus Ehrgeiz gesündigt und nicht aus Neid. Diese Leute sind wirklich nur töricht. Ihnen geht es gar nicht darum, irgendetwas zu billigen oder abzulehnen. Sie wollen nur zerstören.»

«Was wirst du antworten?»

«Was schlägst du vor, Vater?»

«Vorschlagen? Ich habe keine Vorschläge. Meinen Rat habe ich dir schon gestern Abend gegeben. Mehr habe ich nicht zu sagen.»

«Ich werde sie ignorieren. Über solchen Leuten stehe ich.»

Dieser Entschluss geriet am nächsten Tag ins Wanken. Der brachte unter der Überschrift «Shakespeare und Ireland» einen kurzen Artikel in der Pall Mall Review, der darauf anspielte, dass sich «die Sünden des Vaters» auf den «unglückseligen Sohn» vererben, und untermauerte dies mit der Parabel von Abraham und Isaak. Der Beitrag schloss mit dem Satz: «Wird diese Kommission dazu führen, dass der junge Ireland für seinen ehrgeizigen Vater auf dem Altar geopfert wird?»

«Das ist unerträglich!» Empört schleuderte Samuel Ireland die Zeitung weg. «Warum häuft man diese Schande auf mein Haupt?»

«Ich habe keine Ahnung, Vater.»

«Das ist unfair und nicht gerecht. Ich bin deiner Gönnerin nie begegnet. Ich habe nie das Haus gesehen, wo diese Manuskripte lagern.»

Rosa Ponting war die Treppe heruntergekommen und hatte still zugehört. «Sammy, was werfen sie dir denn vor?»

«Stell dir vor, Rosa, man bezichtigt mich, ich hätte diese Shakespeare-Manuskripte gefälscht.»

«Aber nein, Vater, sicher nicht. Sie verdächtigen dich nur, du hättest sie dir zunutze gemacht – »

«Da bin ich anderer Meinung, William. Hier werde ich eindeutig als Fälscher und Krimineller abgestempelt.»

«Um Himmels willen!» Rosa sah bereits Gefängnis und Galgen vor sich. «Sammy ein Verbrecher!»

«Dazu wird es nicht kommen, Rosa.» Offensichtlich wollte William unbedingt Ruhe bewahren.

«Nicht, wenn du, William Ireland, deine verdammte Pflicht und Schuldigkeit erfüllst! Du musst ihnen alles sagen», sagte Rosa.

«Warum muss ich eigentlich auf die Anklagebank?» William wandte sich an seinen Vater. «Ich habe dich nicht gebeten, Mr Malone die Blätter zu zeigen. Oder Mr Sheridan. Ich wäre zufrieden gewesen, wenn man sie nach und nach in die Welt hinausgeschickt hätte. Aber du wolltest ja unbedingt einen Wirbelsturm entfachen, indem du das Interesse der Öffentlichkeit angeheizt hast.»

«So kannst du nicht mit deinem Vater reden.» Rosa klang sehr streng. «Er ist bereits am Boden zerstört.»

«Ich sage nur die Wahrheit. Vater, aus reiner Neugier möchte ich dir noch eine Frage stellen: Nehmen wir einmal an, Sir, es wären keine echten Shakespeare-Manuskripte?»

«Unmöglich.» Samuel Ireland schüttelte den Kopf. «Das würde ich nicht einmal glauben, wenn der angebliche Fälscher jetzt vor mir stände und dies persönlich eingestehen würde.»

«Bist du davon ehrlich und ernsthaft überzeugt?»

«Diese Dokumente sind zu umfassend. Alles an ihnen deutet auf die damalige Zeit hin.»

«Na schön, ich habe ja nur den Advocatus Diaboli gespielt. Und damit steht meine Entscheidung fest. Im Bewusstsein unserer Unschuld werde ich Mr Ritson schreiben und ihm mitteilen, dass ich seiner Bitte mit Vergnügen Folge leisten werde.»

«Und was wird aus deinem armen Vater?», wollte Rosa von ihm wissen. «Er verdient doch wenigstens etwas Rücksichtnahme, oder?»

«Wenn ich vor diese Herren trete, werde ich ihn von allen Vorwürfen entlasten.»

«Vorwürfe?»

«Von jeder Verantwortung.»

 

 

«Mary, schau dir das an.» Charles faltete die Zeitung zusammen und reichte seiner Schwester eine Notiz quer über den Frühstückstisch, die kurz den neuesten Stand der Dinge im Fall Ireland zusammenfasste. William sollte demnächst vor der Kommission erscheinen.

Sie überflog den Artikel. «Das nenne ich Inquisition.» Klirrend fiel ihre Tasse in den Teller. Ihr Vater zuckte zusammen. «Darf jetzt schon jede selbsternannte Autorität William verhören und verleumden?» Ihre heftige Reaktion überraschte Charles. In den letzten Wochen schien sie jedes Interesse an Ireland verloren zu haben. Sie war ganz gelassen und ruhig geworden. «Wer kann bezweifeln, dass es sich um Originaltexte handelt? Charles, würdest du ihm schreiben und unsere Unterstützung zusichern?»

«Ich bin nicht überzeugt, ob er – »

«Gut, gut, dann werde ich es tun. Wenn du nicht so viel Anstand besitzt, um einem Freund zu zeigen, dass du loyal zu ihm stehst, dann werde eben ich das an deiner Stelle tun.» Sie stand vom Tisch auf. «Ich werde ihm jetzt schreiben. Auf der Stelle.»

Mr Lamb sah zu ihr hinüber. «Heute keine Marmelade. Morgen Marmelade.»

«Mr Lamb, erregen Sie sich nicht.» Mrs Lamb musterte ihre Tochter leicht abfällig. «Mary, setz dich wieder hin. Ich bin sicher, Charles wird Mr Ireland gerne schreiben.»

«Du kannst nicht für Charles sprechen.»

«Tizzy! Bring noch heißes Wasser.»

«Mama, hast du mich gehört?»

«Ich höre dich immer, Mary, auch wenn es mir manchmal anders lieber wäre.»

«Selbstverständlich werde ich ihm schreiben.» Das scharfe Auftreten seiner Schwester beunruhigte Charles. «Ich werde ihm unsere Sorge mitteilen.»

Als Tizzy die Kanne hereinbrachte, setzte sich Mary. «Außerdem musst du ihm versichern, dass wir voll und ganz von der Authentizität der Manuskripte überzeugt sind.»

«Muss ich das?»

«Das ist äußerst wichtig.»

Mrs Lamb warf ihrem Sohn rasch einen Blick zu. «Es kann nichts schaden, Charles. Außerdem wird es deine Schwester freuen.» Mary begann, mit ihrem Schultertuch das Buttermesser zu polieren. «Mary, bist du sicher, dass das, was du gerade tust, höflich ist?»

«Mama, ich lese gerade Boethius, Der Trost der Philosophie.»

«Was hat denn das damit zu tun?»

«Höflichkeit ist nur ein Spiel. Wir müssen in der ewigen Welt leben.»

«Das werden wir, so Gott will, aber noch verweilen wir nicht dort.»

In der Annahme, der Sturm habe sich gelegt, griff Charles erneut zur Zeitung und stieß auf einen Bericht über einen Mord, der kürzlich im White Hart Inn verübt worden war. Das Opfer war eine ältere Waschfrau, deren Leiche man kopfüber in einem Bierfass gefunden hatte. Der Mörder war noch nicht gefasst.

Charles begann, den Bericht laut vorzulesen, aber Mary unterbrach ihn und sagte: «Diese Gewalttaten sind mir unerträglich. In London begegnen mir auf Schritt und Tritt Barbarei und Grausamkeit.»

«Mary, Städte sind nun mal Stätten des Todes.» Manchmal verspürte er ein diebisches Vergnügen, seine Schwester mit leicht perversen Themen zu necken. «Erst kürzlich habe ich gelesen, dass man die ersten Städte über Friedhöfen erbaut hat.»

«Also sind wir die wandelnden Toten. Hast du das gehört, Papa?»

Mr Lamb trötete wie eine Trompete und lachte los.