4. KAPITEL
Frustriert rollte sich Caleb weg. “Verdammt!” Er würde Vicki nicht lieben, wenn sie den Akt einfach nur duldsam ertrug. Vor der Trennung hatte sie sich wenigstens an ihn geklammert, als wollte sie ihn nie mehr loslassen. Dadurch hatte er sich immer einreden können, dass sie ihn begehrte. Aber so … nein, so nicht. Etwas in ihm zerbrach. Nach all den Jahren war er an seine Grenze gelangt.
Er hörte, wie Vicki sich bewegte, und glaubte, ein unterdrücktes Schluchzen zu hören, während sie unter die Bettdecke schlüpfte. Caleb hatte das Gefühl, dass ein Messer in seinen Eingeweiden steckte. Er fuhr sich mit den Händen durch das Haar, legte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Er wusste nicht, ob er mit so viel Enttäuschung fertigwerden würde. Nach ein paar Minuten blickte er zu Vicki. Sie lag auf der Seite und hatte ihm den Rücken zugewandt.
Caleb dachte daran, wie oft sie ihm schon im Bett den Rücken zugewandt hatte, und wurde plötzlich wütend. “Warum hast du mich geheiratet, wenn du meine Berührungen nicht ertragen kannst?”
Vicki versteifte sich und erschrocken drehte sie sich zu ihm um. “Ich liebe es, wenn du mich berührst.”
Er lachte verbittert auf. “Ja, genau. Deshalb kannst du es immer nicht erwarten, dass ich fertig bin, wenn wir uns lieben, damit du dich wieder wegdrehen und so tun kannst, als wäre nichts gewesen.”
Unfähig, ihr zu sagen, was sie mit ihrem Verhalten bei ihm anrichtete, hatte er seine ganze Kraft auf die Arbeit konzentriert. In fünf Jahren hatte er mit seiner Anwaltskanzlei mehr erreicht, als viele andere in ihrem ganzen Leben. Doch niemand wusste, wie es in seinem Inneren aussah, und dass sein phänomenaler Erfolg auf Selbstverrat beruhte, weil er ständig seine leidenschaftlichen Gefühle unterdrückte.
Vicki rüttelte Caleb an der Schulter und zwang ihn, sie anzusehen. Ihr Blick wirkte gequält. “Nein, das ist nicht wahr. Ich habe nie … ich genieße es, wenn du mich liebst.”
Sie hatte mit dem Thema angefangen, richtig, aber wenn sie nicht bereit war, sich die Tiefe ihrer Probleme einzugestehen, sah er keinen Ausweg. Caleb setzte sich auf. “Ich werde eine kleine Fahrt machen.” Seine Stimme war rau, er war längst nicht mehr erregt. Rasch griff er nach seinem Hemd, schlüpfte in die Ärmel und verließ das Zimmer.
“Caleb, warte!”
Er fühlte sich abgelehnt, und da er nicht wollte, dass sie ihn in diesem Zustand sah, tat er so, als hätte er nichts gehört und ging einfach weiter.
Ungefähr um zwei Uhr morgens gab Vicky den Versuch auf, einzuschlafen. Caleb war schon lange wieder zurück, doch sie hatten nicht zusammen gegessen und den Abend gemeinsam verbracht, für den sie sich mit so viel Hoffnung hübsch gemacht hatte. Wie so oft in der Vergangenheit, war auch dieser Abend misslungen, außer dass diesmal nicht Calebs Arbeit daran schuld war, sondern ihre eigene Feigheit.
Sie lag auf dem Rücken und starrte mit tränenfeuchten Augen zur dunklen Zimmerdecke. Was war nur aus ihrem Leben geworden? Es hatte keinen Sinn, so zu tun, als wäre Caleb für ihre zerstörten Träume und das Scheitern ihrer Ehe verantwortlich. Sie, Vicki, war mindestens ebenso schuld daran, wenn nicht sogar mehr. Wenn sie Caleb nur von Anfang an erzählt hätte, was sie fühlte! Dann wäre er niemals auf die Idee gekommen, dass sie ihn nicht begehrte.
Wie hatte er das nur ausgehalten?
“Er ist stark”, flüsterte sie. Stark und gewohnt, für alles im Leben zu kämpfen. Doch er war nicht in der Lage gewesen, sie von ihren Hemmungen zu befreien, die das Ergebnis von Großmutter Adas erbarmungsloser Erziehung waren.
Warum hatte Caleb ihr nie gesagt, was sie ihm antat? Und warum hatte sie ihn nie gefragt, was er sich im Bett wünschte? Weil sie gewohnt war, dass er die Führung übernahm, hatte sie ihm immer nur erlaubt, sie zu befriedigen. Aber wann hatte sie versucht, ihm Vergnügen zu bereiten?
Nie.
Sie spürte einen Stich im Innern. Ihre Unerfahrenheit war keine Entschuldigung, denn sie hatte schon bald gemerkt, dass Caleb sich etwas von ihr wünschte, von dem sie nicht wusste, wie sie es ihm geben sollte. Statt ihn zu fragen, hatte sie den Kopf in den Sand gesteckt und so getan, als sei alles okay. Sie hatte die Taktik benutzt, die ihr geholfen hatte zu überleben, nachdem ihre Mutter sie Adas Obhut überlassen hatte. Doch nur zu überleben, das genügte ihr nicht länger. Sie wollte glücklich sein.
Sie schob die Decke beiseite, stand auf und ging barfuß, nur mit einem dünnen Pyjama bekleidet, den Flur entlang zur Küche. Der Mond schimmerte durch die Fenster und verbreitete eine romantische Atmosphäre, als wollte er Vicki verspotten. Sie nahm die Milch aus dem Kühlschrank und goss sich ein Glas ein. Dann stellte sie die Milch zurück und legte anschließend die kühlen Finger auf die Augenlider.
Die Dielen knarrten am anderen Ende des Flurs, und im nächsten Moment kam Caleb, nur mit schwarzen Boxershorts bekleidet, in die Küche. “Was machst du denn noch hier?” Seine Stimme klang rau, sein Haar war zerzaust.
“Ich konnte nicht schlafen.” Als Erklärung hob sie ihr Glas. “Möchtest du auch etwas trinken?” Caleb stand nur wenige Meter von ihr entfernt und trotzdem war er meilenweit weg. Vicki wusste nicht, ob sie den Mut hatte, den Abstand zu überbrücken und zu ihm zu gehen.
Er machte eine ablehnende Geste.
Vicki trank ihr Glas leer und stellte es in die Spüle. “Habe ich dich aufgeweckt?” Wollte sie jetzt tatsächlich so tun, als hätte er sie nicht nackt und allein im Bett zurückgelassen? Wollte sie weiterhin ein Leben in ihrer eigenen Fantasiewelt führen? Oder würde sie sich endlich dazu überwinden, zu sagen, was gesagt werden musste?
“Nein, du hast mich nicht geweckt.”
Caleb war unglaublich schön, doch sie hatte Angst, ihn zu berühren. Sie schluckte und ging über die kühlen Bodenfliesen, bis sie nur noch eine Armlänge von ihm entfernt war. “Bestimmt hast du morgen einen anstrengenden Tag. Du solltest versuchen zu schlafen.” Warum konnte sie bloß nicht sagen, was sie so verzweifelt gern sagen wollte?
Sie bemühte sich, die Wahrheit herauszubringen, kämpfte gegen die jahrelange Erziehung an, durch die ihr eingetrichtert worden war, Leidenschaft und Begierde wären gefährlich und schlecht. Sie spürte, wie sich Worte in ihr bildeten, aber wie sehr sie sich auch bemühte, die Angst schnürte ihr die Kehle zu und sie brachte keinen Ton heraus.
Ein enttäuschter Ausdruck erschien auf Calebs Gesicht, doch Vicki war sich nicht sicher, ob sie in dem halbdunklen Raum richtig sah. Caleb trat einen Schritt beiseite, um sie durchzulassen, dann folgte er ihr. Nachdem sie die Tür zum Schlafzimmer geschlossen und sich dagegen gelehnt hatte, hörte sie, wie er wenige Sekunden später das Gästezimmer betrat.
Tränen brannten ihr in den Augen, doch sie weinte nicht. Was war nur mit ihr los? War sie so feige, dass sie nicht einmal die notwendigen Schritte unternehmen konnte, um ihre Ehe zu retten? Wollte sie in dem unbefriedigenden Zustand verharren und ihren Mann weiter glauben lassen, sie würde seine Berührungen nicht ertragen?
Sie war unglaublich wütend auf sich selbst. Am liebsten hätte sie geschrien. Sie zwang sich, sich an die beiden Monate zu erinnern, die sie allein in diesem Haus verbracht hatte. An jedem einzelnen Tag war sie in dieses Schlafzimmer gekommen, hatte sich in dieses Bett gelegt und sich nach Caleb gesehnt. Sie hatte auf seiner Seite des Bettes geschlafen, hatte seine alten Hemden getragen und die ganze Nacht davon geträumt, wie sie sich liebten.
Wollte sie erneut so ein Leben führen? Zweifellos würde ihr Mann nicht zurück in ihr Bett kommen, bevor sie ihn nicht davon überzeugt hatte, dass sie ihn wirklich begehrte. Sie hatte ihn zu sehr verletzt.
Der Gedanke daran, wie schlecht Caleb sich fühlen mochte, veranlasste sie, sich aufzurichten. Sie strich sich die Haare hinter die Ohren, straffte die Schultern und öffnete die Tür.
Calebs Tür war offen, und Vicki wusste, warum. Selbst in seinem Ärger wollte er hören, ob sie ihn brauchte. Das ist ein gutes Zeichen, sagte sie sich, als sie das Zimmer betrat. Er lag auf der Seite und wandte ihr den Rücken zu, doch sie wusste, dass er sie kommen hörte, auch wenn er sich nicht bewegte. Zum ersten Mal, seit sie verheiratet waren, drehte Caleb ihr den Rücken zu.
Leise setzte sie sich auf den Bettrand. Dann schlüpfte sie unter die Decke und kuschelte sich an seinen Rücken.
“Was willst du hier, Vicki?”
Noch nie hatte sie ihn so unwirsch sprechen hören. Ihr Selbstvertrauen schrumpfte, aber da sie nun schon mal so weit gekommen war, konnte sie auch weitermachen. “Du bist weggegangen, ohne mir die Möglichkeit einer Erklärung zu geben.”
“Was gibt es da zu erklären?”
So viel, dachte sie, dass ich gar nicht die Worte finde. “Ich wusste nicht …”, flüsterte sie. “Ich wusste nicht, dass du dachtest, ich würde dich nicht begehren. Ich schwöre, ich hatte keine Ahnung.” Sie hatte immer befürchtet, etwas falsch zu machen, und hatte sich deshalb ständig zurückgehalten, um ihm nicht zu nahe zu treten. Dabei war ihr gar nicht klar geworden, was sie damit anrichtete.
Caleb nahm sie nicht in die Arme, wie er das früher so oft gemacht hatte. Sie sehnte sich danach, von ihm gehalten zu werden, denn es war sehr schwer für sie, plötzlich die Gefühle zu äußern, die sie ihr ganzes Leben lang versucht hatte zu verstecken.
“Jetzt weißt du es.”
Sie musste den nächsten Schritt machen.
Das Problem war nur, Vicki wusste nicht, wie sie diesen nächsten Schritt machen sollte, wie sie die zerstörte Brücke zwischen ihnen wieder reparieren sollte. Sie hatte sich ihm nie anvertraut und nie die Gelegenheit ergriffen, mit ihm über ihren Stolz, ihre Empfindungen und ihre tiefe Unsicherheit zu sprechen.
“Du musst mir helfen”, sagte sie leise. Falls sie ihren Ehemann verlor, dann sollte das nicht daran liegen, weil sie nichts riskieren wollte. “Ich kann das nicht ohne dich tun.”
Endlich drehte er sich um. Doch er nahm sie nicht in die Arme, sondern stützte sich mit einem Ellbogen ab. “Zwischen uns hat es genug Lügen gegeben. Jetzt sag mir einfach die Wahrheit. Warum?”
Warum hast du mich geheiratet, wenn du meine Berührungen nicht ertragen kannst? Die Worte, die er vorhin im Ärger gesprochen hatte, standen noch immer zwischen ihnen.
“Ich liebe es, wenn du mich berührst”, wiederholte sie. Als er sich erneut abwenden wollte, hielt sie ihn an der Schulter fest. “Nicht, Caleb.”
Caleb zögerte. Er merkte, dass sie mit den Tränen kämpfte. Egal, wie sehr es ihn verletzte, neben ihr zu liegen und sie zu begehren, während sie nichts für ihn empfand, so würde er es doch tun, wenn er sie damit vom Weinen abhalten konnte. Gegen ihre Tränen war er machtlos, da er genau wusste, was sie sie kosteten.
Als sie frisch verheiratet waren, hatte sie ihm gegenüber einmal gestanden, dass sie als Kind nicht geweint hatte, weil ihre Tränen das Einzige gewesen waren, über das sie selbst Kontrolle hatte. Egal was sie gesagt oder getan hatte, ihre Großmutter hatte es nie geschafft, ihren Willen zu brechen.
“Ich bin hier”, sagte er. “Weine nicht, Liebling.”
“Ich weine nicht.” Ihre Stimme klang rau. “Ich muss das jetzt nur sagen. Ich habe das schon so lange versucht.”
“Was denn?” Er gab einem Impuls nach und nahm sie nun doch in die Arme. Bereitwillig schmiegte sie sich an ihn. Diese vertraute Geste löste bittersüße Erinnerungen in ihm aus. Wie oft war er nachts spät nach Hause gekommen und wenn er schließlich ins Bett geschlüpft war, war Vicki schläfrig näher gerückt, damit er sie in die Arme nehmen konnte.
“So wie ich im Bett bin … das liegt nicht an dir.”
Was sollte denn das bedeuten?
Sie holte tief Atem. “Großmutter …”
Der abrupte Themenwechsel irritierte ihn. “Was ist mit ihr?”
Caleb mochte Ada Wentworth nicht besondert, obwohl sie ihn mit Vicki bekannt gemacht und bereitwillig ihren Segen zu ihrer Verbindung gegeben hatte. Er wusste, Ada hatte nur darüber hinweggesehen, dass er nicht aus der oberen Gesellschaftsklasse stammte, weil er vermögend war und über Beziehungen verfügte. Aber das war ihm egal gewesen. Trotz des Altersunterschiedes von zehn Jahren hatte er sich Hals über Kopf in Vicki verliebt.
Sie legte die Hand auf den Arm, den er um ihre Taille geschlungen hatte. “Sie sagte, mein Vater habe meine Mutter verlassen, weil sie eine Schlampe sei. Eine Hure, die ihre Beine für jeden breit macht.”
Caleb unterdrückte einen Fluch. “Wie alt warst du da?” Er wusste, dass sie vier Jahre alt gewesen war, als man sie kurz nach der Scheidung ihrer Eltern zu Ada geschickt hatte.
“Ich kann mich nicht an das erste Mal erinnern. Aber während ich aufwuchs, hörte ich sie ständig sagen: ‘Wie die Mutter, so die Tochter.’ Ich vermute, ich war noch sehr klein, als sie damit anfing. Solange ich zurückdenken kann, wusste ich, was sie von meiner Mutter hielt und was sie von mir halten würde, sollte ich mich jemals danebenbenehmen.”
Es erstaunte Caleb, was für Wunden in Vickis Innerem verborgen waren.
“Sie sagte auch”, fuhr Vicki fort, bevor er noch etwas erwidern konnte, “wenn ich nicht eine mustergültige Ehefrau wäre, würdest du mich ebenfalls verlassen. Sie erklärte mir, Männer wollten keine Huren zur Frau. Wenn ich dich halten wollte, würde ich mich besser immer wie eine Dame benehmen und niemals wie eine Schlampe.”
“Vicki …”
“Als ich zehn war, heiratete mein Vater Claire. Sie ist so vollkommen, dass ich manchmal glaube, sie ist gar kein richtiger Mensch und hat Eiswasser in den Adern. Ich habe niemals gesehen, dass sie eine starke Gefühlsregung zeigte. Großmutter hat mir oft gesagt, ich solle mir ein Beispiel an Claire nehmen. ‘Sieh dir Claire an und dann Danica, deine Mutter’, hat sie gesagt. ‘Männer schlafen mit Schlampen, aber sie heiraten Frauen aus gutem Haus.’ Ich habe ihr geglaubt.”
Caleb verspürte Lust, Ada bei nächster Gelegenheit zu erwürgen. “Ich habe dich geheiratet”, entgegnete er, weil er ihren Schmerz mindern wollte. “Ich habe nie gewollt, dass du jemand anderes bist.”
“Das ist es ja gerade, Caleb”, sagte Vicki traurig. “Du warst so stolz, die Frau zu heiraten, in die meine Großmutter mich verwandelt hat. Dir hat mein Benehmen und meine Art zu reden gefallen. Ich wollte, dass du mich liebst, deshalb habe ich versucht, diese Frau zu spielen, obwohl ich das in Wirklichkeit gar nicht bin.”
Sie schluckte. “Und die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, dass ich dir nicht geben kann, was du dir wünschst. Aber ich habe nicht verstanden, was ich falsch gemacht habe. Ich habe mich mehr und mehr angestrengt, aber du hast dich trotzdem immer weiter von mir entfernt. Dann wurde mir eines Tages klar, wenn ich mich noch stärker bemühen würde, jemand anderes zu sein, würde es mich als Person bald wirklich nicht mehr geben.”
Er legte beide Hände auf ihre Schultern und drehte Vicki auf den Rücken. Sie wich seinem Blick aus. Doch er drehte behutsam ihr Gesicht so, dass sie ihn ansah. “Für mich brauchst du dich nicht verstellen. Alles, was ich je von dir wollte, war, dass du deine Abwehr fallen lässt und mir vertraust.”
Erstaunt sah sie ihn an. Dann hob sie zögernd die Hand und streichelte seine Wange, auf der sich schon leichte Bartstoppeln bildeten. Normalerweise duschte er und rasierte sich, bevor er zu ihr ging, weil er glaubte, dass das für sie wichtig war.
“Wirklich?” Zweifelnd blickte sie ihn an.
Liebevoll strich er ihr das Haar aus dem Gesicht. “Glaubst du nicht, ich hätte nicht gemerkt, was Ada versucht hat, aus dir zu machen? Was mich an dir angezogen hat, war dein Verstand und deine Weigerung, dich Ada völlig zu unterwerfen. Ich war so stolz, dich zur Frau zu bekommen. Dich, nicht die wohlerzogene elegante Puppe.”
“Und ich war stolz, dich zum Mann zu haben.” Vicki berührte seine Schulter. “Stolz darauf, was du alles mit deiner Energie und Willenskraft erreicht hast. Wusstest du, dass ich bei den anderen Frauen mit deinen Erfolgen geprahlt habe? Manchmal habe ich mich in die hinteren Reihen des Gerichtssaales gesetzt, um dich bei der Arbeit zu beobachten, und dann habe ich mir immer voller Stolz gesagt, dass du mein Mann bist.”
Calebs ganzes Weltbild änderte sich in diesem Moment. “Vicki”, sagte er leise. Noch nie war jemand auf ihn stolz gewesen. Seine Familie kam zu ihm, um ihn um Geld zu bitten. Aber keiner von ihnen hatte ihm je gesagt, wie gut er seine Sache mache. Kein einziges Familienmitglied war je zu einer Gerichtsverhandlung von ihm gekommen, ganz zu schweigen davon, dass er von ihnen jemals anderen gegenüber gelobt worden war.
“Tut mir so leid, wie sich unsere Beziehung entwickelt hat”, sagte Vicki jetzt. “Mir tut alles so leid.”
Er schüttelte den Kopf. “Ich habe genauso viel Schuld daran wie du. Ich habe gedrängt und gedrängt, wie ich das immer mache.” Als Kind war Aggressivität die einzige Möglichkeit für Caleb gewesen, von seinem Vater wahrgenommen zu werden. Häufig war Max wütend geworden über seinen dickköpfigen Sohn. Doch damals war Wut immer noch besser gewesen, als gar nicht beachtet zu werden. Diese Erfahrung hatte Caleb Angst gemacht, und sobald es um Gefühle ging, reagierte er leicht ungeduldig und gereizt gegenüber den Menschen, die ihm etwas bedeuteten. Und das galt vor allem für Vicki.
“Aber ich habe das zugelassen”, erwiderte sie. “Jedes Mal, wenn ich versucht habe, darüber zu sprechen, wurde ich nervös. Wenn du mich dann beruhigt hast und mir sagtest, wir könnten über alles noch später reden, war ich immer einverstanden. Aber ’später’ kam nie.”
So schwer es Caleb fiel, auch er musste jetzt einen Fehler eingestehen. “Liebling, ich wusste, dass du mir etwas sagen willst … aber ich wollte es nicht hören. Ich dachte …”, er ließ den Kopf aufs Kissen fallen. “Ich habe befürchtet, du willst mir sagen, dir würde es im Bett mit mir keinen Spaß machen. Deshalb habe ich jedes Mal versucht, deine Meinung zu ändern.” Das war schon ein bisschen anmaßend von mir, dachte er und begann langsam zu begreifen, welche negativen Verhaltensmuster sich zwischen ihnen eingeschlichen hatten.
Überrascht sah sie ihn an. “Und was passiert jetzt als Nächstes?”
“Ich möchte mit dir verheiratet sein, Vicki.” Jetzt war nicht der Zeitpunkt, um den heißen Brei herumzureden. “Willst du mit mir verheiratet bleiben?”
Die Pause, die entstand, war winzig. “Ja.” Vicki holte tief Atem. “Ja.”
Das war nicht das Geständnis, das er sich wünschte, aber es war besser als Vickis frühere Aussage, sie wären immer noch getrennt. “Dann dürfen wir nicht aufgeben.” Das war für ihn sowieso nie infrage gekommen, und er konnte sich nicht vorstellen, dass es bei Vicki anders war.
“Caleb …” Zögernd legte sie die Hand auf seinen Arm. “Möchtest du …? Wir können es noch einmal versuchen.”
Er merkte deutlich, wie verletzbar sie im Augenblick war, und das erschütterte ihn. Im Augenblick hätte er alles von ihr verlangen können, und sie hätte sich bemüht, seine Wünsche zu erfüllen. Aber er wollte nicht, dass seine Frau sich ihm aus Schuldgefühlen hingab. Er wollte die Distanz zu ihr überbrücken, nicht vergrößern.
“Ich möchte jetzt nur, dass du in meinen Armen schläfst.” Sanft küsste er sie auf die Lippen, obwohl ihm das sehr schwerfiel, denn ein Teil von ihm – der Teil, der seit Jahren zu kurz gekommen war – flüsterte ihm zu, dass er die Gelegenheit ergreifen sollte, die vielleicht nie wieder kam. Die anschmiegsame Frau in seinen Armen würde sich am Morgen wieder in die kühle, elegante Dame verwandeln, die er kaum zu berühren wagte.
Beunruhigt sah sie ihn an. “Caleb, ich kann …”
“Pscht.” Er legte sich auf den Rücken und bettete ihren Kopf auf seine Brust. “Schlaf einfach. Das reicht für heute Nacht.” Seine Frau war es gewohnt, ihre Gefühle gut unter Kontrolle zu halten. Trotzdem war sie heute zu ihm gekommen.
Endlich.