9
Am nächsten Tag fühlte sich Walker gestärkt durch das Gefühl, genau das Richtige getan zu haben. Nachdem er sein Telefongespräch mit dem Gefährten der Heilerin der Leoparden beendet hatte, ging er nach draußen, um das Training der jungen Wölfe zu überwachen. Nach einer halben Stunde gesellte sich Hawke zu ihm. Der Leitwolf hob eine Augenbraue, weil zwei Jungen und ein Mädchen mit finsterem Gesicht und verschränkten Armen am Rand saßen. »Warum machen sie nicht mit?«
»Strafauszeit.« Walker hatte früh herausgefunden, dass Gestaltwandlerkinder es überhaupt nicht mochten, von körperlichen Aktivitäten ausgeschlossen zu werden. »Seit die Evakuierten zurück sind, gibt es ein paar Probleme.« Die Kinder waren durcheinander, weil sie fort gewesen waren, in Sicherheit zwar, aber in Sorge um Familie und Rudelgefährten, die kämpften und verletzt wurden. »Einige glauben, sie hätten hierbleiben und helfen müssen.«
Hawke seufzte tief und fuhr sich mit der Hand durch das silbrig-goldene Haar, das dieselbe Farbe hatte wie sein Fell als Wolf. »Zukünftige Dominante, nehme ich mal an. Es ist hart für sie, sich beschützen zu lassen, wenn ihre Gefährten sich in Gefahr begeben.«
Walker verstand das besser, als die Kinder je begreifen würden. Es war schrecklich für ihn gewesen, die Höhle und damit Lara, Sienna und Judd zu verlassen. Doch es war seine Aufgabe, die Verletzlichen im Rudel schützen. »Willst du mit ihnen reden?«
»Du bist verantwortlich, entscheide du.«
»Überlass es mir.« Walker würde sich jeden einzeln vornehmen.
Hawke nickte, die hellen Haare glänzten im Sonnenlicht. »Du bist nicht der Einzige, der Probleme hat. Am schlimmsten sind die älteren Jugendlichen auf der Schwelle zum Erwachsensein.«
»Hast du ihnen Vernunft gepredigt?«
»Nein.« Ein Lächeln, bei dem der Wolf die Zähne zeigte. »Das habe ich Sienna und den anderen Rekruten überlassen. Nichts ist schlimmer, als von denen zurechtgestutzt zu werden, denen man nacheifern will.«
Walker rief zwei übenden Jungen etwas zu. »Ich glaube nicht, dass es etwas Ernstes ist«, sagte er und deutete mit dem Kinn auf die drei Kinder. »Mit ein wenig Disziplin und durch die Stabilität des Rudels werden sie sich schon beruhigen.«
»Wie läuft es mit Marlee und Toby? Haben sie Probleme?«
Walker hatte das Gefühl, im Augenblick nicht den Mann, sondern den Leitwolf vor sich zu haben, der sich um sein Rudel kümmerte, obwohl es nichts in Hawkes Verhalten gab, an dem er das hätte festmachen können. Vom ersten Augenblick an hatte der Leitwolf trotz des Misstrauens, mit dem er den Erwachsenen ihrer Familie am Anfang begegnet war, ein Auge auf die Lauren-Kinder gehabt. Und das hatte ihm den Respekt Walkers eingebracht.
»Marlee ist jung genug, um Sorgen abschütteln zu können.« Obwohl sie alles tiefer und feiner wahrnahm, als die meisten vermuteten. »Aber für Toby ist es schwierig.« Lara hatte bemerkt, dass sein Neffe manchmal eigenartig niedergedrückt wirkte. »Ich habe mit ihm darüber gesprochen, er wird es hinkriegen.«
»So viele Gefühle schießen hoch«, hatte der Junge gesagt. »Glück und Erleichterung, Sorgen darüber, was die Zukunft bringt. Es ist schwer, sie von mir abzuhalten, aber meine Schutzschilde werden immer besser.«
»Sienna ist glücklich«, sagte Walker und wechselte damit das Thema. Er hatte seine Nichte am Morgen getroffen und festgestellt, dass sie immer stabiler wirkte.
Und sofort sprach er wieder mit dem Mann, nicht mit dem Leitwolf. »Ich bin ihr Gefährte«, knurrte Hawke. »Ich würde sie nie unglücklich machen. Das weißt du hoffentlich.«
Natürlich wusste Walker das, und dennoch … »Du weißt sicher, dass Vernunft hier überhaupt keine Rolle spielt.« Sienna stand unter seinem Schutz, daran änderte ihr neuer Status nichts. Und das würde auch immer so bleiben.
»Schon gut«, murrte Hawke. »Ich bin nicht beleidigt, der Beschützerinstinkt hält sich nicht an vernünftige Überlegungen.«
Nein, wirklich nicht. Das hatte er noch nie getan.
»Es gibt noch mehr wie mich.« Das hatte Walker begriffen, als er zum ersten Mal gesehen hatte, wie ein Elternteil einem Kind die Tränen abwischte. »Im Medialnet findet man viele, deren Silentium nach außen hin perfekt ist, die aber dennoch für ihre Kinder sterben würden.« Und zwar nicht, weil diese Kinder das genetische Erbe trugen, sondern weil es den Eltern ein instinktives Bedürfnis war.
»Das weiß ich.« Der Leitwolf, der die schlimmste Seite der Medialen als Kind erlebt hatte, verschränkte die Arme. Die blassblauen Wolfsaugen sahen in eine Zukunft, die mit jeder Minute näher rückte. »Die Morgenröte naht. Kannst du es spüren?«
»Ja.« Mediale mit gebrochenem Silentium zog es nach San Francisco, ungebrochene Gardisten sprachen von Veränderung, und die korrupten Führer versuchten immer verzweifelter, an der Macht festzuhalten.
Unaufhaltsam veränderte sich die Welt.
Für einige würden die Konsequenzen verheerend sein, für andere bedeuteten sie die ersehnte Freiheit. Manche würden dagegen kämpfen, manche das Neue mit offenen Armen willkommen heißen, aber niemand würde der Veränderung entkommen können. Walker hatte niemals damit gerechnet, dass er so viel Freude darüber empfinden würde, doch jetzt würde er sie mit eisernem Griff festhalten.
In den folgenden Wochen wurde Lara immer zufriedener. Walker lächelte immer öfter, das Band zwischen ihnen wurde vielschichtiger und enger. Ganz vertraut war ihr nun die ruhige Stimme des Gefährten, wenn sie abends miteinander sprachen, nachdem die Kinder zu Bett gebracht waren.
Fast war sie schon überzeugt davon, dass ihre Befürchtungen überflüssig gewesen waren, als es doch passierte.
Zwei Tage vor der Feier für Hawke und Sienna, mitten in einer neuerlichen genauen Diagnose von Alice’ Zustand spürte Lara ein Stottern in dem pulsierenden Band zu Walker.
Dann war es ganz still, geradezu eiskalt.
Völlig außer sich durch die völlige Abwesenheit von Gefühlen rannte sie zu der kleinen Kommunikationseinheit auf dem Schreibtisch und rief ihn auf dem Satellitentelefon an. Nach dem Klingeln meldete sich sofort der Anrufbeantworter, aber Walker hob nicht ab, was Lara keineswegs beruhigte. Er hatte gesagt, er wollte am Nachmittag mit einer Gruppe seiner Kinder wandern, um ein neues Projekt in einer stressfreien Umgebung zu entwickeln.
Niemals würde er Kinder einem Risiko aussetzen, indem er mit ihnen in eine Gegend ging, die noch nicht von den Wolfssoldaten für sicher erklärt worden war, und es hatte auch keinen Alarm gegeben. Dennoch war Walker hinter einer eisernen Kontrolle verschwunden, sodass es sich anfühlte, als wäre die Verbindung zwischen ihnen abgewürgt worden.
Lara konnte nur mit Mühe atmen, musste sich zum ruhigen Nachdenken zwingen und beschloss, dem Band zu folgen, um Walker zu suchen. Es konnte sich als etwas ganz Harmloses herausstellen, doch … »Nein, daran will ich gar nicht denken.« Sie schaffte es gerade noch, Lucy Bescheid zu sagen, und rannte hinaus.
Mitten in der Weißen Zone, dem sicheren Spielareal für die jüngsten Wölfe, brach Walker durch die Bäume, lief auf sie zu, den leblosen Körper eines Kindes auf den Armen. Sofort sprangen ihre Heilerinstinkte an. Ohne groß nachzudenken, rannte sie zu ihm hin, so schnell sie konnte.
»Was ist passiert?« Der Junge hieß Tyler, auf der dunklen Haut schimmerte Schweiß, der »krank« roch.
»Soweit ich es beurteilen kann, ist es eine allergische Reaktion«, sagte Walker. Er atmete schwer vom schnellen Lauf. »Ein Insektenstich, vielleicht auch der Kontakt mit einer Pflanze. Tyler klagte erst über Schwierigkeiten beim Atmen und Benommenheit – kaum dreißig Sekunden später brach er dann zusammen.«
Das Rudel lebte schon so lange in dieser Umgebung, dass die Gefahr einer allergischen Reaktion sehr gering war, doch vielleicht hatte sich der Junge bislang eher in der Nähe der Höhle aufgehalten. »Leg ihn auf den Boden.« Sie konzentrierte sich ganz auf den Jungen, legte die Hände an seinen Hals und öffnete so die Luftröhre, die sich fast völlig geschlossen hatte. Wenn Walker den Jungen nicht sofort zu ihr gebracht, sondern auf Hilfe gewartet hätte, wäre Tyler vermutlich nicht mehr am Leben.
»Die Atemwege sind erst einmal frei.« Sie hatte ihm kurzfristig Erleichterung verschafft und suchte nun nach Hinweisen, was die beinahe tödliche allergische Reaktion hervorgerufen haben könnte. Insektenbisse oder Schlangengifte erforderten eine andere Behandlung als pflanzliche Auslöser.
»Hier.« Am Knöchel über dem Sockenrand. »Da ist ein Stich.«
Lara sorgte weiter dafür, dass der Junge atmen konnte und sein Herz weiterschlug, und bat Walker, ihn zur Krankenstation zu tragen. »Wo ist Judd?« Walker hätte sicher seinen Bruder alarmiert und für eine schnelle Teleportation gesorgt, wenn es möglich gewesen wäre.
»Bis heute Abend um acht am anderen Ende des Landes. Es hätte ihn völlig ausgelaugt, herzukommen, seine Energiereserven sind erschöpft. Er hätte Tyler nicht helfen können.«
»Ich glaube nicht, dass ein TK-Medialer ihn schneller zu mir gebracht hätte als du.« Lara holte den Scanner, und Walker legte Tyler auf die Behandlungsliege.
Er sah Lara an. »Ich muss los, die Jungen sind allein und stehen unter Schock.«
Lara nickte, sie war ganz auf ihren Patienten konzentriert. »Dann geh. Ich sage dir Bescheid, wenn er außer Gefahr ist.«
Walker ging, nicht ohne Tyler noch einmal über die schwarzen Locken zu streichen und die Hand kurz an Laras Wange zu legen. Als die Eltern des Jungen kamen, sorgte Lucy dafür, dass sie Lara nicht störten.
Denn diese verstand zwar die Sorge der Eltern, musste sich jetzt aber ausschließlich um den Jungen kümmern. Der Scanner hatte ihren Verdacht bestätigt, dass Insektengift den allergischen Schock ausgelöst hatte. Eine solch heftige Reaktion hatte sie noch nie erlebt. Normalerweise spürten Gestaltwandler, selbst wenn sie noch Kinder waren, höchstens den Stich und vielleicht eine Stunde ein Jucken an der Stelle, aber damit hatte es sich dann.
Doch bei Tyler drohten sämtliche Körperfunktionen zu versagen.
»Ich hab dich. Wird schon wieder«, murmelte sie und injizierte ein Medikament, das die gefährlichsten Auswirkungen mindern sollte, bevor sie mit ihren Fähigkeiten den Jungen weiter stabilisierte. Sie kümmerte sich dabei nicht nur um die akuten Auswirkungen, sondern sorgte auch dafür, dass Tyler nie wieder so stark auf einen solchen Stich reagieren würde.
Einem M-Medialen oder Menschenarzt hätte sie nicht erklären können, was sie da tat. Sie spürte einfach ein Ungleichgewicht, das die Reaktion ausgelöst hatte, und musste dann nur noch Tylers Körper wieder ins Gleichgewicht bringen.
Es dauerte fast drei Stunden, bis sie es geschafft hatte.
»Ich habe das Risiko einer erneuten heftigen Reaktion beseitigt«, erklärte sie den Eltern und rieb sich den steifen Nacken. »Das müsste ihn auch vor anderen Allergenen schützen, aber ich werde ihn noch hierbehalten, um zur Sicherheit eine Reihe von Tests durchzuführen.«
»So lange, wie du es für richtig hältst.« Sie umarmten Lara und setzten sich dann an das Bett ihres Jungen.
»Hast du mit Walker gesprochen?«, fragte Lara Lucy, als sie unter sich waren. Sobald sie sicher war, dass Tyler durchkommen würde, hatte sie der Krankenschwester Bescheid gesagt.
»Ja«, antwortete Lucy. »Er ist noch bei den anderen Kindern, will sich davon überzeugen, dass es allen gut geht.«
Etwas anderes hatte Lara auch nicht von ihrem Gefährten erwartet. »Und Hawke?«
»Der ist nicht in der Höhle, aber ich habe ihn informiert.« Lucy trat Lara in den Weg, als sie das Büro verlassen wollte. »Du musst dich hinsetzen und ausruhen. Im Aufenthaltsraum befinden sich frischer Kaffee und belegte Brote. Ich sorge schon dafür, dass Tyler und seine Eltern alles haben, was sie brauchen.«
Lara widersprach ihr nicht, sie war sehr erschöpft … doch sie konnte sich nicht entspannen, sosehr sie es auch versuchte. Das Band war auf Walkers Seite immer noch eiskalt. Sie hätte schreien mögen, die Wölfin schlug die Krallen von innen gegen ihre Haut. In Walkers Augen hatte sie gesehen, dass die Sorge ihn fast zerrissen hatte, doch in ihrem Band wirkte er vollkommen unbeeindruckt von der Tragödie, die sich beinahe ereignet hätte.
Lara schluchzte laut.
Oh Gott, sie war so wütend auf ihn.
Walker hatte gerade die letzten Schützlinge zu ihren Eltern gebracht und wollte in der Krankenstation nach Tyler sehen, als er Marlee und Toby in der Weißen Zone entdeckte. Beide waren in ihre Beschäftigungen versunken und bemerkten ihn nicht, wofür er sehr dankbar war. Er lehnte sich an die Höhlenwand, die zur Tarnung mit Farnen bewachsen war, atmete tief ein und unterdrückte das Bedürfnis, die beiden Kinder sofort in die Arme zu schließen. Er hätte Tyler heute verlieren können.
Walker seufzte, wandte sich um und sah eine Frau auf sich zukommen. Bestürzt registrierte er, dass er gar nicht bemerkt hatte, dass sie sich genähert hatte.
»Tyler ist aufgewacht.« Sie lehnte sich neben ihn an die Mauer. »Er kann sich an nichts erinnern, und das halte ich für einen Segen.«
Er nahm ihre Hand, die ganz kalt war. »Wie geht es dir?« Sie sah angestrengt aus, tiefe Falten hatten sich um ihren Mund eingegraben. »Hat Siennas Energie dir nicht geholfen, dich zu regenerieren?«
»Ich habe sie nicht gebraucht, musste mich nur sehr konzentrieren.« Sie ließ seine Hand los und winkte Marlee zu, als diese zu ihnen herüberschaute.
»Und du?«, fragte sie sanft, sobald Marlee sich wieder dem Gespräch mit ihren Freundinnen zugewandt hatte. »Es muss doch beängstigend gewesen sein, als Tyler zusammenbrach und kaum noch Luft bekam.«
Walker war sofort in einen extrem ruhigen Zustand gefallen und hatte sämtliche Gefühle ausgesperrt. Er hatte dafür gesorgt, dass die Luftröhre des Jungen sich nicht vollkommen schloss, hatte die ältesten Jungen angewiesen, auf die anderen aufzupassen, und war zu Lara gerannt. Während der ganzen Zeit hatte unter der äußeren Ruhe ein beschützender Zorn gelauert. Er würde niemals mehr ein Kind verlieren, das unter seinem Schutz stand.
Denn er hatte viel zu viele Gardistenkinder verloren, die körperlich und geistig unter dem gnadenlosen Regiment der Ausbildung zerbrochen waren, trotz allem, was Walker unternommen hatte, um ihr Leiden zu lindern. Er konnte sich an jedes Gesicht und jeden Namen erinnern. Sie verfolgten ihn, und er würde die Schar der Geister nicht um einen einzigen mehr erweitern.
Doch als er jetzt den Mund öffnete, sagte er nur: »Mir geht es gut.« Eine automatische Reaktion, in den Jahrzehnten ausgebildet, die er im Käfig von Silentium verbracht hatte. »Ich würde Tyler gerne sehen.« Er griff nach Laras Hand, denn er brauchte jetzt ihre Berührung.
Doch sie verschränkte die Arme.
Er erstarrte und hörte kaum, was sie sagte, so sehr rauschte das Blut in seinen Ohren. »Tyler freut sich sicher über Besuch.«
»Was ist denn los?« Erst einmal hatte Lara sich ihm entzogen, und das war während ihrer turbulenten Werbung gewesen und hatte ihn damals in tiefe Verzweiflung gestürzt. Heute schoss Wut in ihm hoch. Denn so etwas tat sie nur, wenn sie verletzt war. Doch sie erzählte ihm nicht, was es war. »Lara.«
»Du tust es schon wieder«, flüsterte sie schließlich. Zorn und Schmerz in ihrer Stimme schnitten ihm ins Herz. »Ich weiß genau, dass du wütend bist, und doch spüre ich es nicht.« Sie schlug mit der Faust auf ihre Brust. »Da sehe ich immer nur das ruhige Bild, mit dem du verhinderst, dass ich merke, was in dir los ist.« Eine Träne rollte über ihre Wange. »Warum tust du das?«
Schon ihre ersten Worte hatten ihn so vollkommen gelähmt, dass ihm der verirrte Fußball willkommen war, der sein Bein traf. Er zuckte zusammen, schoss den Ball zurück und ergriff Laras Arm, bevor sie weggehen konnte. »Du wusstest doch, wer ich war, als ich anfing, um dich zu werben.« Wenn sie ihn nicht so annahm, wie er war, würden die Brüche in ihm niemals heilen.
»Und du wusstest, wer ich bin.« Bernsteinfarbene Wolfsaugen im braunen Gesicht. »Ich bin nicht so zart. Ich breche nicht zusammen, wenn du mir deinen Schmerz, deine Wut und deine Sorgen zeigst.«
Es war wie ein Schlag gegen die Brust. »Ich habe dir Sachen erzählt, die niemand sonst weiß.« Er wollte schreien, klang aber ganz ruhig.
»Stimmt.« Tränen glänzten in ihren Augen, sie konnte nur noch flüstern. »Und es bedeutet mir unsagbar viel, dass du deine Geheimnisse mit mir geteilt hast. Mehr als alles auf der Welt.«
Die Worte ließen seine Panik schwinden, doch nur zum Teil. »Aber warum dann?« Warum wandte sie sich ab und riss ihm das Herz aus der Brust?
»Es reicht nicht, nur die Vergangenheit zu kennen, wenn du mich in der Gegenwart ausschließt. In unserer Gegenwart«, sagte sie sanft. »Ich muss an deiner Seite sein, muss dich beschützen, wie du mich beschützt. Ich kann es nicht ertragen, ausgeschlossen zu werden, wenn ich genau spüre, dass dich etwas schmerzt.«
Das Herz schlug ihm bis zum Hals, ihm wurde erst heiß und dann wieder kalt. »Und wenn ich nicht so offen sein kann?« Zu früh hatte er lernen müssen, sich ständig unter Kontrolle zu haben, seine Gefühle zu verstecken, vor allem in angespannten Situationen.
»Nein, Walker.« Sie sagte es laut, und die Locken, die sich aus der Spange gelöst hatten, schimmerten im orangeroten Abendlicht, als sie den Kopf schüttelte. »So einfach darfst du es dir nicht machen, du musst es wenigstens versuchen. Ich weiß besser als jeder andere, was du mit deinem starken Willen erreichen kannst.«