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Walker ging in Gedanken zwei Jahrzehnte zurück zu dem Bild eines kleinen Jungen mit schräggestellten braunen Augen und seidig glänzendem schwarzem Haar, das man kurz geschoren hatte, um es zu bändigen.

Er wirkte zerbrechlich, man sah die Knochen unter der Haut, doch der Junge hatte einen ähnlich starken Willen wie die Laurens und einen Verstand wie Walker. Er war ein Telepath, dessen Stärke man in ihrer Subtilität nicht gleich erkannt hatte. Wie Walker hatte man ihn der falschen Kategorie zugeordnet, er verfügte über weit gefährlichere Kräfte, als offiziell bekannt war.

Adens Augen weiteten sich vor Schreck, als er begriff, dass Walker die Wahrheit erkannt hatte. »Werden Sie mich verraten?« Die Stimme eines Kindes, doch der Blick eines Uralten.

»Nein.« Er würde nie eines seiner Kinder verraten. »Ich werde dir beibringen, deine Fähigkeiten besser zu verbergen, damit dich niemand entdeckt.«

»Warum?« Ganz direkt.

»Weil du weder Schmerz noch Angst haben solltest. Dafür kann ich zwar nicht selbst sorgen, doch ich kann dir eine Waffe geben, damit du dich im Notfall verteidigen kannst.«

»Ja, ich erinnere mich an Aden.« Er erinnerte sich an jedes Kind, das er in der Gardistenschule unterrichtet hatte, an jede Verletzung, jeden gebrochenen Knochen, dessen Zeuge er gewesen war, an jede Beschwerde, die er als frischgebackener Lehrer dem »Fürsorge tragenden« Teil der Lehrerschaft, seinen Vorgesetzten und sogar dem Rat zu Gehör gebracht hatte, ehe ihm klar geworden war, dass niemand ihm zuhörte.

Das alles hätte ihn zerbrechen können, doch er hatte sich dagegen gewehrt, einfach aufzugeben, denn er hatte herausgefunden, dass er seinen Schützlingen geistige Waffen zur Verfügung stellen und sie sogar manchmal beschützen konnte, wenn auch nur für kurze Zeit. Mehr als einen hatte er nach den Schulstunden dabehalten – offiziell als Strafe oder zu Nachhilfestunden –, nur damit das Kind schlafen, sich ausruhen und heilen konnte, soweit es möglich war, in dem sicheren Wissen, dass niemand es aus dem Schlaf reißen und dem unsagbaren Schrecken aussetzen würde, der aus Kindern Killermaschinen machen sollte.

Viele der Jüngsten, deren Gefühle noch nicht durch Silentium erstickt worden waren, waren weinend in seinen Armen zusammengebrochen, weil sie plötzlich ein wenig Freundlichkeit erfuhren. Er spürte immer noch die kleinen Körper, die Tränen auf seinem Hemd, das Bröckeln der Konditionierung hinter dem telepathischen Schutzwall, in dem er sie einschloss, ihnen einen kurzen Moment der Freiheit verschaffte.

Aden hatte nie geweint, war nicht zerbrochen … und hatte nie seine Seele verloren. »Er schüttelte immer den Kopf, wenn ich versuchte, ihn nach der Schule dazubehalten.« Der Junge hatte Verletzungen erlitten, die kein Kind jemals erleiden sollte, sein Arm war sehr oft gebrochen und wieder gerichtet worden. »Ich solle lieber eines der jüngeren Kinder dabehalten, sagte er dann zu mir.«

»Ich bin stärker. Ich werde überleben. Sie brauchen die Ruhe mehr als ich.«

Judd sah seinen Bruder aufmerksam an. Walker sprach nur selten über seine Zeit als Lehrer der Garde, und Judd hatte ihn nie dazu gedrängt. Was er auch heute Abend nicht tat.

»Aden hat sich nicht verändert«, sagte er. »Er führt die Garde, schützt jene, die gebrochen sind, und wacht über die Kinder.«

Walker spürte Stolz auf den Jungen, dessen Lehrer er gewesen war.

»Er hat mich gebeten, dir in seinem Namen zu danken«, fuhr Judd fort. »Ich soll dir sagen, dass deine Lehren ihm geholfen haben, Leben und Verstand vieler Gardisten zu retten.«

Das bedeutete Walker viel. »Ich würde gern mit ihm sprechen, wenn er dadurch nicht in Gefahr gerät.« Er wollte den Mann kennenlernen, zu dem der Junge herangewachsen war.

»Ich sage ihm Bescheid.« Judd zog einen schwarzen Datenkristall aus der Hosentasche und reichte ihn ihm. »Das sind die Namen und Adressen der Kinder, die sich in der Ausbildung befinden. Falls die Pläne der Gardisten scheitern, müssen wir sie rausholen.«

Walker nahm den Kristall entgegen. Aden setzte großes Vertrauen in ihn, und in altem Zorn keimte neue Hoffnung. Schweigend betrachtete Walker die unter dem von Sternen übersäten Himmel liegende Landschaft, bis sein Blick an ein paar Wölfen hängen blieb, die auf einer Lichtung herumtollten. »Lake, Maria, Ebony und Cadence«, sagte er, denn er erkannte sie an der unterschiedlichen Größe und Fellzeichnung.

Lake hob den Kopf und nickte ihnen grüßend zu.

Walker grüßte zurück, und Judd sagte: »Gut, wieder zu Hause zu sein, nicht wahr?«

»Ja.« Zweifellos betrachteten die Mächtigen im Medialnet ihre Familie umso mehr als Bedrohung, seit sich Siennas mächtige Gabe gezeigt hatte. Sie würden versuchen, ihnen zu schaden, doch zum Kampf würde es erst später kommen. Im Augenblick waren Walkers Lieben sicher, und er war der Gefährte einer Frau, durch ein Band an sie gebunden, das so stark und zart wie Lara selbst war.

Er hoffte nur, dass Lara nicht eines Tages bereuen würde, sich an einen Mann gebunden zu haben, der in sich die Schatten von Silentium trug.

Ein Kuss auf den Nacken weckte Lara, kühle Hände strichen rau über die warme Haut. »Du bist zurück.« Sie drehte sich um, in Walkers Arme hinein, legte den Kopf an seine Kehle und sog den geheimnisvollen Duft nach dunklem Wasser ein. »Wie spät ist es?«

»Gerade sechs.« Noch ein Kuss, heiß und feucht. Er legte sich auf sie, schob das schenkellange Seidennachthemd hoch – dunkles Pflaumenblau, fast schwarz. »Das gefällt mir.«

»Weiß ich.« Schläfrig und doch erregt ließ sie sich den Slip ausziehen und wartete, bis Walker wieder zwischen ihren Schenkeln lag. Sie stöhnte und hob ihm das Becken entgegen. »Komm.«

Er hatte nichts dagegen, überzeugte sich nur kurz mit dem Finger, ob sie bereit war, und drang dann langsam in sie ein. Ein Kuss schluckte ihr Stöhnen, rau spürte sie die Brusthaare an den Brustwarzen, als er ihr das Nachthemd auszog.

Seit ihr Gefährte die Zurückhaltung ihr gegenüber aufgegeben hatte, gefiel ihm der Hautkontakt außerordentlich gut, das war ihr schon aufgefallen, und zwar unabhängig davon, ob es nun dabei um Sex ging oder nicht. Bei den meisten Leuten würde es ihm wahrscheinlich nie leichtfallen, Köperprivilegien zuzulassen, doch bei ihr war er so fordernd und gab so viel, dass ihr das Herz wehtat.

Spielerisch fuhr sie mit den Fingerspitzen durch den Haaransatz, verschränkte die Beine auf seinem Rücken und stöhnte leise, weil er sie so wunderbar ausfüllte. Als er den Kopf senkte und mit der Zunge über die Brustwarzen fuhr, drückte sie die Nägel in seinen Rücken. »Mehr.«

Sie hörte keinen Laut, und doch war ihr, als würde er flüstern, dann tat er, worum sie ihn gebeten hatte. Sie bäumte sich auf, krallte sich in sein Haar. Als die Lust übermächtig wurde, zog sie ihn hoch, küsste Hals und Kinn, dann die Stelle unter dem Ohrläppchen, die ihm immer Schauer über den Rücken trieb. Eine heisere Bitte, und aus den langsamen Bewegungen wurden unerbittliche Stöße.

Wellen der Lust durchströmten sie – ein weicher, nicht enden wollender Orgasmus durchflutete ihren Leib. Dann spürte sie seine Anspannung, streichelte ihn unter Küssen, bis er schwer auf sie fiel.

»Was für eine herrliche Art, geweckt zu werden«, sagte sie später leise, als er auf dem Rücken lag und sie halb auf ihm.

Mit den Fingern malte er Kreise auf ihren Rücken. »Schön, dass es dir gefallen hat. Schließlich war ich vor Kurzem noch Jungfrau.«

Sie musste lachen, weil er sie damit neckte, dass sie ihm angeboten hatte, ganz vorsichtig zu sein. »Sie lernen schnell, Mr Lauren.« Gähnend zog sie die Decke hoch. »Wie war die Schicht?«

»Problemlos«, war die Antwort, doch das war nicht alles. »Judd war eine Weile da.«

Sie spürte, dass damit mehr gemeint war, und strich leicht über seine Brust. »Wollte er das Neuste über uns wissen?«

Walker schwieg eine Weile. »Wir haben über einen Jungen geredet, den ich früher gekannt habe. Ein Gardistenschüler namens Aden.«

Und während die letzten Schatten der Nacht langsam verschwanden, erzählte ihr der Gefährte von dem Klassenzimmer, in dem er so viele Jahre unterrichtet hatte, berichtete von Dingen, die er sicher niemandem sonst erzählt hatte, nicht einmal seinem Bruder. Ihre Kehle schnürte sich zu vor ungeweinten Tränen über alles, was er hatte mit ansehen müssen, über den Schmerz der Kinder … und über die Erkenntnis, dass ihr Gefährte sie in einen Teil seines Lebens einlud, den sie bislang nur flüchtig gesehen hatte, sie zur Mitwisserin eines seiner Geheimnisse machte.

An diesem Morgen schaltete das Rudel einen Gang höher – innerhalb der nächsten zwei Tage sollten alle Evakuierten zurückkehren. Lara musste zwar keine Verletzungen heilen, wurde aber ebenso gebraucht wie Walker. Die Woche verging rasend schnell, sie halfen den Jungen, wieder heimisch zu werden, beruhigten sie, und Lara suchte das Zwiegespräch mit den Gefährten, die so schwer verwundet worden waren, dass sie beinahe gestorben wären.

Tai war ihr auf Wolfsart ausgewichen, doch gegen Ende der Woche trieb sie ihn beim Wasserfall in die Enge. Mit einem Schädelbruch, katastrophalen inneren Verletzungen und durch Laser halb verbrannt hatte der junge Wolf so zwischen Leben und Tod geschwebt, dass sie sich kurz in ihrem Büro eingeschlossen und in Tränen ausgebrochen war, weil sie befürchtet hatte, er könnte ihr entgleiten.

Sie setzte sich neben ihn auf den Felsvorsprung über den donnernden Wassermassen, ließ die Beine in der Luft baumeln und atmete tief durch. Der Himmel über den Bergen leuchtete blau, der feine Wassernebel legte sich kühl auf ihre Haut, doch sie achtete nur auf den jungen Mann neben ihr. »Wie geht es dir?«

»Gut.« Reine Verwunderung. »Jetzt mal ehrlich, Lara. Sehe ich so aus, als würde ich ein Gespräch brauchen?«

Nein, wirklich nicht. Lebendige blaugrüne Augen, eine golden gebräunte Haut und breite Schultern – stark und jung sah er aus, wunderbar lebendig. Doch ein dominanter Wolf würde lieber die Zähne zusammenbeißen, als eine Schwäche zuzugeben. Deshalb drängte sie ihn nicht weiter, sondern schlug einen lockeren Ton an. »Die meisten Gestaltwandler müssen sich erst mit ihrer Sterblichkeit auseinandersetzen, wenn sie dafür bereit sind.« In Tais Alter glaubten Männer und Frauen gleichermaßen, sie seien unverwundbar, und so sollte es auch sein. »Du bist früh dazu gezwungen worden.«

Tai starrte auf den Wasserfall hinunter. Sie dachte schon, er würde sich einfach weigern, darüber zu sprechen. Dagegen konnte sie wenig tun, obwohl sie eine höhere Stellung einnahm. Doch bei einem so willensstarken Wolf wie Tai würde ihr das nichts nutzen. Er musste selbst entscheiden, ob er sich ihr anvertrauen wollte.

»Weißt du, was mich am meisten bekümmert hat, als ich den Schlag auf den Kopf bekam?«, fragte er fast zehn Minuten später. »Und als mir klar wurde, dass ich vielleicht nicht lebend rauskomme?«

Mit einem stillen Seufzer schüttelte Lara den Kopf. »Was denn?«

»Dass ich nie wieder einen dummen Streit mit Evie ausfechten könnte.« Er sah sie mit einem schiefen Grinsen an, und aus dem gut aussehenden Jüngling wurde plötzlich ein schöner Mann. »Blöd, was?«

Ihre Sorgen schwanden, denn Tai klang nicht verbittert. »Magst du den Streit oder das, was danach kommt?«

Er lächelte über das ganze Gesicht. »Darüber spricht ein Gentleman nicht.« Das Lächeln verschwand, und sie sah etwas in seinen Augen aufscheinen, das sie daran erinnerte, dass Hawke vor ungefähr zwei Jahren zu ihr gesagt hatte, Tai habe das Zeug zum Offizier. Dann blickte der Wolf wieder auf den schäumenden Wasserfall. »Es gibt so viel, was ich in meinem Leben noch tun möchte, aber Evie steht ganz oben auf jeder Liste, seit dem Tag, als ich gemerkt habe, dass wir keine Welpen mehr sind.«

Evie hing mit der gleichen Hingabe an Tai. »Du hast dir aber viel Zeit gelassen, ehe du etwas unternommen hast«, sagte Lara und dachte an den Mann, der ebenso beständig in seiner Liebe war, vollkommen sicher … doch mit einer Leidenschaft, die immer stärker wurde.

»Ich musste erst genug Mut fassen, um Indigo standhalten zu können«, murrte Tai. »Als ich Evie das erste Mal auch nur angeschaut habe, hat mich ihr eiskalter Blick erwischt, und alles hat sich in mir zusammengezogen.«

Die Offizierin war Evies ältere und sehr beschützende Schwester. Lara lachte und stupste Tai mit der Schulter an. »Lügner. Ich wette, du hast dich schon mit Evie fortgeschlichen, ehe jemand das mit euch überhaupt aufgefallen ist.«

Die Antwort war ein sehr selbstzufriedenes Lächeln.

»Es geht mir wirklich gut, Lara«, sagte Tai. »Ich weiß ja, dass die meisten in meinem Alter noch nicht über den Tod und so was nachdenken, doch in meiner Generation hatten wir keine Wahl. Wir wurden kurz vor oder kurz nach dem Gewaltausbruch geboren.«

Die durch ein hässliches »Experiment« der Medialen hervorgerufenen heftigen Kämpfe im Rudel hätten die SnowDancer-Wölfe beinahe vernichtet. Viele waren gestorben, viele Welpen hatten Vater oder Mutter verloren, waren im schlimmsten Fall zu Vollwaisen geworden. Tais Eltern lebten noch, doch auch er hatte Verluste hinnehmen müssen – sein Onkel, der beste Freund seines Vaters, eine Cousine der Mutter, die Rekrutin gewesen war, und so weiter. Natürlich kannte er den Tod.

»Hat das … dein Leben irgendwie …«

Instinktiv legte der dominante Wolf den Arm um sie, um sie zu trösten, und zog sie an sich. »Du weißt doch, was für Scheiße wir gebaut haben, als wir noch jünger waren.« Sein Grinsen war ansteckend. »Wir waren weder traumatisiert noch starr vor Angst. Wir sind stolz aufgewachsen, denn die Wölfe haben nicht nur überlebt, sondern es auch ihren Feinden heimgezahlt, indem wir so stark geworden sind, dass sie uns fürchten müssen.«

Lara dachte an den jugendlichen Tai, dem die Mütter gerne die Ohren lang gezogen hatten, und ein Knoten in ihrem Magen löste sich. »Hast du mit Evie darüber gesprochen?« Selbst wenn er viel über den Tod nachgedacht hatte, war die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit doch ein harter Schlag, und er brauchte eigentlich jemanden, mit dem er darüber sprechen konnte.

Tai knurrte. »Glaubst du, sie hat mir eine Wahl gelassen? Von wegen unterwürfig, du meine Güte.«

Laras Lippen zuckten, unter dem Knurren lag große Zuneigung, und auch ihre letzten Befürchtungen zerschlugen sich. »Sie ist nur bei dir so.« Evie war eine unterwürfige Wölfin und überließ Tai gern die Führung. Doch sie liebte ihn genauso leidenschaftlich wie er sie.

»Ich weiß, und ich will sie auch gar nicht anders haben.« Er küsste Lara auf den Scheitel. »Kann ich jetzt damit aufhören, mich vor dir zu verstecken?«

Lachend nahm sie sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn liebevoll auf den Mund wie eine Rudelgefährtin, die mit ihm als Baby gespielt und den Jugendlichen verarztet hatte. »Du Schlauberger. Bring mich nach Hause …« Sie unterbrach sich und lächelte dem Mann zu, der unter den Bäumen auftauchte. »Lieber nicht, mach dich am besten schnell aus dem Staub.«

»Ich fühle mich abgeschoben.« Tai winkte Walker zu, stand auf und lief zur Höhle.

»Welch nette Überraschung«, sagte Lara, als ihr Gefährte Tais Platz einnahm, sie seinen Schenkel an ihrem spürte.

Glücklich wollte ihre Wölfin sich an ihn schmiegen, rieb den Pelz von innen an ihrer Haut.

»Ich habe nur fünf Minuten.« Er nahm ihre Hand und küsste sie, eine so unerwartete zärtliche Geste, dass ihr der Atem stockte. »Du hast Tai geküsst«, sagte Walker.

Sie legte den Kopf schräg. »Du bist doch schon einige Jahre im Rudel. Wir sind eben einander sehr zugewandt.«

»Aber nun gehörst du mir.«

Lara wollte schon lachen und ihn mit seiner Eifersucht aufziehen, doch der Ausdruck auf seinem Gesicht ließ sie innehalten. Berührung war etwas sehr Wertvolles für Walker, das ihm nicht leichtfiel. Und ein Kuss auf den Mund … so etwas gab es nur zwischen ihr und ihm. »Ich wusste nicht, dass es dich verletzt«, sagte sie und küsste nun auch seine Hand. »Es tut mir leid.«

Als sie seine Hand freigab, legte er sie auf ihren Schenkel und drückte ihn fest. »Das war keine gute Reaktion«, gab er zu. »Du bist die Heilerin, und das Rudel hat bestimmte Rechte.«

Sie lehnte sich an ihn und umarmte ihn. »Meine Zuneigung kann ich nicht verstecken«, sagte sie und hoffte auf sein Verständnis. »Das wäre gegen meine Natur.«

»Das würde ich auch nie von dir verlangen.« Ein Versprechen. Wind im Haar, Augen in der Farbe von jungen Blättern im Sonnenschein. »Ich weiß, wer du bist, und ich bin stolz darauf, dein Gefährte zu sein.«

Tränen standen in ihren Augen. »Und ich die deine«, sagte sie zittrig.

Er strich mit dem Daumen über ihre Wange. »Aber … keine Küsse auf den Mund erwachsener Männer. Damit kann ich nicht gut umgehen.«

Sie spürte einen Stich ins Herz bei dieser Ehrlichkeit. »Nur auf deinen«, versprach sie, doch es war kein Opfer. Zuneigung war Zuneigung. Sie würde schon einen anderen Weg finden, sie erwachsenen Männern zu zeigen. »Einzig auf deinen.«

Er legte seine Stirn an ihre. »Tut mir leid – ich weiß, dass ich ein schwieriger Partner bin.« Ein Satz, in dem viel Ungesagtes mitschwang.

Spielerisch rieb sie ihre Nase an seiner, die Vergangenheit sollte ihn nicht belasten. »Mehr als ein Gestaltwandler hat schon gegrummelt, weil seine Gefährtin einen anderen Mann berührte – dagegen bist du richtig vernünftig.«

Die hochgezogene Augenbraue verriet ihr, dass ihm die Worte nicht besonders gefielen. Was ein Kuss nur Sekunden später deutlich machte. »Heute Nacht werde ich dir zeigen, wie ›vernünftig‹ ich sein kann«, drohte er, als er sich von ihren Lippen löste, damit sie nach Luft schnappen konnte.

Der glühende Unterton drang in jede Faser ihres Körpers, und als er sie erneut küsste, wurde ihr klar, dass ihr komplizierter und faszinierender Gefährte einen weiteren Schild gesenkt und ihr eine weitere Tür zu seinem Herzen geöffnet hatte.