7
Sobald sie wieder auf der Krankenstation war, sorgte Lara dafür, dass nichts mehr ihre Fruchtbarkeit behinderte. Jede Zelle ihres Körpers summte erwartungsvoll bei der Vorstellung, neues Leben in ihrem Schoß zu nähren, das der Liebe zu ihrem Gefährten entsprungen war. Heilerinnen waren nicht fruchtbarer als der Rest der Gattung, doch sie hoffte von ganzem Herzen, dass es bald so weit sein würde.
Doch selbst wenn es länger dauerte, war das nichts gegen die Tatsache, dass die schreckliche Wunde in Walkers Herzen vielleicht geheilt, aber zumindest nicht mehr hinderlich war. Langsam, Stück für Stück warf ihr faszinierender Gefährte die Reste von Silentium ab und zeigte ihr Teile von sich, die er begraben hatte, um zu überleben.
Er hatte über Ben gelacht, hatte sie lange zum Abschied geküsst. Ein seliges Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht.
»Mein Gott«, stöhnte Ava und ließ sich auf den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs fallen. »Du bist so was von verliebt. Das ist dermaßen süß, dass ich davon Löcher in den Zähnen bekomme.«
Lara warf ihrer besten Freundin ein Kuscheltier an den Kopf, das ein Patient ihr geschenkt hatte. »Ich bin gerade erst seit Kurzem mit meinem Gefährten zusammen. Da darf man doch wohl noch verliebt sein.«
Seufzend fuhr sich Ava mit der Hand durch die dunklen schulterlangen Haare. »Stimmt, du bist noch keine zynische alte Matrone wie ich.«
»Oh, bitte. Hab ich dich nicht erst gestern Nachmittag ziemlich derangiert aus dem Büro kommen sehen, an der Seite eines gewissen Mr Stone, dessen Nacken ein verdächtiger roter Fleck zierte und dessen Hemd falsch geknöpft war?«
Ava lächelte unbeeindruckt. »He, wir haben ein Baby und einen Fünfeinhalbjährigen, der sich gerade in einer ziemlich neugierigen Phase befindet. Wir müssen kreativ sein.«
Da sie selbst Bens Neugierde vor erst einer Stunde zum Opfer gefallen war, lächelte Lara ebenfalls. »Da hast du aber Glück, einen solch kreativen Mann zu haben.«
Spencer »Spence« Stone war der Fotograf des Rudels – nicht nur zuständig für freudige Ereignisse, sondern auch für Fälle von Schmerz und Verlust. Er war auf dem Schlachtfeld gewesen, hatte die bislang einzigen Aufnahmen von Siennas X-Feuer gemacht und sie direkt in die Höhle übermittelt, bis die Flammen auch ihn erreicht hatten. Als ihm klar geworden war, dass sie ihn nicht verbrannten, hatte er die Kamera in die Höhe gehalten und ein Bild von der Feuersäule gemacht, die Hawke und Sienna umschlossen hatte.
»Ja.« Ava seufzte und richtete den Blick träumerisch in die Ferne. »In Bezug auf Kreativität hat der Mann einiges zu bieten.«
Ihre beste Freundin sprach sicherlich nicht von Spence’ Künsten als Fotograf. »Hat er schon jemals Aufnahmen gemacht, wenn ihr … du weißt schon?«
Ava wackelte mit den Augenbrauen, ihre Augen waren ebenso dunkel wie die ihres Sohnes und blickten ebenso schalkhaft drein. »Kein Kommentar. Aber warte nur, bis du ein Neugeborenes und einen Teenager hast. So süß Toby auch sein mag, dann wird er sicher verrücktspielen. Dann werde ich mich darüber lustig machen.«
Bei der Vorstellung, ein Kind von Walker zu haben, flatterte es wie wild in Laras Magen. »Ich bin so was von verliebt.«
»Hab ich ja gesagt«, sagte Ava und las eine SMS auf dem Handy. Begeisterung blitzte in ihren Augen auf. »Tut mir leid, ich muss dich sitzenlassen. Mr Stone ist gerade in die Höhle zurückgekehrt, das Baby ist bei der Tante, Ben in der Schule, und ich bin fertig mit meiner Arbeit. Adios.«
Das Lächeln über den überstürzten Aufbruch von Ava war noch nicht von Laras Gesicht verschwunden, als Riley sie zehn Minuten später abpasste, nachdem sie kurz mit Lucy im Lager gesprochen hatte.
Der erfahrene Offizier hielt ein Datenpad hoch. »Habt ihr euch schon entschieden, wann ihr euren Bund feiern wollt? Wäre schön, wenn das Rudel Bescheid wüsste – viele von ihnen würden sehr gerne zu der Feier herkommen.«
Ihre Wölfin hätte gern den Kopf zurückgeworfen und ein Freudengeheul angestimmt. »Gerade gestern haben wir darüber gesprochen.« Sie zeigte auf ein Datum. »Wie wäre es an dem Tag?«
»Das wäre nur zwei Wochen nach der Feier von Hawke und Sienna«, sagte Riley. »Passt euch das?«
»Aber ja.« Wenn Walker wüsste, dass seine Nichte offiziell ihre neue Stellung innehatte, würde es ihm sicher leichter fallen, sich auf die eigene Feier zu freuen. Und als Heilerin wusste Lara, wie wichtig es für das Rudel war, Hawkes Bund ausgiebig zu feiern. Sie brauchten die Gelegenheit zum Tanz, um das Blut und den Schmerz der Schlacht zu vergessen und sich mit dem Leitwolf zu freuen, der sich schon auf der Schwelle zum Erwachsensein für das Rudel aufgeopfert hatte.
»Irgendwelche Pläne für die Feier?« Riley sah ihr ruhig in die Augen. »Ich habe schon eine lange Liste von Freiwilligen, die ihre Hilfe angeboten haben.«
Ihr wurde ganz warm bei seinen Worten. »In einer Woche hast du einen ersten Entwurf.« In diesen Dingen legte Walker ein typisch männliches Verhalten an den Tag: Er stimmte allem zu, was sie vorschlug. Frustriert hatte sie Tänzer mit eingeölter Haut, Schlagsahne und strategisch platzierten Troddeln ihrem Vorschlag hinzugefügt und dann endlich eine Antwort erhalten. Ein klares »Nein«.
Riley schob das Datenpad in die Hosentasche und nickte. »Klingt gut.« Seine Gesichtszüge wurden weicher. »Ich freue mich so für dich. Walker ist ein guter Mann.«
»Das weiß ich«, sagte sie mit einem Lächeln, das ihre Begeisterung deutlich zum Ausdruck brachte. Riley nahm sie liebevoll in den Arm, und sie schlang die Arme um den Rudelgefährten, den Fels in der Brandung. »Wohin gehst du jetzt?«
»Zur Aufforstung, ich werde beim Graben helfen.«
Lara machte ein finsteres Gesicht. »Na dann, viel Vergnügen. Ich muss mich wieder an die Sklavenarbeit der Patientenakten machen.«
Bis zehn nach fünf hatte sie mit dem Schreibkram zu tun, ausgenommen die Viertelstunde Pause, in der Toby und Marlee vorbeikamen und etwas aßen, bevor sie zu ihren Nachmittagsbeschäftigungen aufbrachen. Obwohl Toby alt genug war, um auf seine Cousine aufzupassen, verbrachte Lara gern diese Zeit mit ihnen.
Die Kinder wollten auch gern bei ihr sein und besuchten sie sogar, wenn sie wussten, dass sie auf der Krankenstation war. Voller Freude dachte Lara an die Abschiedsküsse und beschloss, dass sie genug gearbeitet und mehr als ihre Schuldigkeit getan hatte.
»Geh nach Hause, Lucy«, rief sie und schlug die Akte zu, die sie gerade vor sich hatte.
Eine Minute später kam die junge Frau aus dem Lager und zog sich das Band aus den Haaren, um den Pferdeschwanz neu zu richten. »Die Zeit fliegt nur so dahin, wenn ich Vorräte durchgehe«, sagte sie trocken. »Ein Drittel habe ich geschafft. Soll ich das Fehlende jetzt schon bestellen oder erst, wenn ich alles durchgesehen habe?«
»Am besten gleich. Es ist besser, manches nicht zu haben als von allem zu wenig.«
»Dann werde ich mein Geheimrezept für Brownies rausrücken und jemanden bei der Beschaffung bestechen, die Bestellung möglichst schnell auszuführen.«
»Das habe ich schon versucht.« Um Lucy zu helfen, die sich sicher darüber gefreut hätte. »Keine Chance – die Leute haben alle Hände voll zu tun.« Die Wölfe hatten die Schlacht zwar gewonnen, doch Teile der Ausrüstung waren zerstört, ein Stück Wald musste wiederaufgeforstet werden, in der Stadt gab es Schäden an den Häusern von Rudelgefährten, manche Leitungen waren unterbrochen, Reste von feindlichen Flugzeugen mussten entsorgt werden und so weiter. Die Liste war sehr lang.
»Verdammt. Wir brauchen wirklich jemanden für den Bürokram.« Lucy stemmte die Hände in die Hüften und bog sich nach hinten, um die beanspruchten Muskeln zu strecken.
Lara nickte. »Ich habe schon mit Ava gesprochen.« Ava war in der Personalführung ausgebildet und dafür zuständig, die passenden Leute für vakante Posten im Rudel zu finden. »Sie stellt uns eine Liste zusammen, doch wir sollten warten, bis sich alles ein wenig beruhigt hat, bevor wir Einstellungsgespräche führen.«
»Ich hoffe, dass Ava uns viele heiße Männer aus anderen Regionen schickt.«
Lara lachte. »Sitzt du auf dem Trockenen?«
»Du machst dir keine Vorstellung – alle mögen mich, aber ich will, dass jemand verrückt nach mir ist! Die nette Lucy möchte einen ganzen Kerl, der sich die sexy Lucy krallt.« Kopfschüttelnd verließ sie mit Lara die Krankenstation, ihr Zimmer lag auf der anderen Seite des Flurs. »Heute haben ein paar Soldaten vorbeigeschaut. Sie haben mir geholfen, und wir sind ins Gespräch gekommen.«
Das machte Lucy zu einer so guten Krankenschwester: Sie wusste, dass Heilung nicht nur auf der Krankenstation stattfand, und dass sie Lara über den Zustand des Rudels auf dem Laufenden halten musste.
»Junge Männer«, fügte Lucy hinzu, als Lara sie bat, mit zu ihr zu kommen.
Die Wohnung war leer, die Kinder würden erst später zurückkommen, doch man sah deutlich, dass hier eine Familie lebte. Schulrucksäcke, Arbeitshefte und elektronische Spiele lagen auf dem Wohnzimmertisch herum, Walkers Jacke hing neben der von Lara an der Garderobe. Unter der leichten Witterung der Kinder lag der schwere Duft von dunklem Wasser und schneebedeckten Fichten.
Wölfin und Frau waren glücklich, zu Hause zu sein.
»Setz dich«, sagte Lara zu Lucy. »Ich mach uns einen Kräutertee – Kaffee hatten wir heute schon genug.«
»Hast du noch den Pfefferminztee mit Schokoaroma vom letzten Mal?« Die blonde Frau strahlte, als Lara die Blechdose hochhielt, dann setzte sie sich an den Küchentisch und kam auf das vorherige Thema zurück. »Die Jungs konnten leichter mit mir reden, weil wir zusammen aufgewachsen und Freunde geworden sind.«
»Und weil du gute Arbeit machst.« Lucy besaß eine sanfte Herzlichkeit, die Alt und Jung beruhigte. »Wie geht es ihnen?«
»Ganz allgemein gut, aber sie bewegt, worüber wir schon gesprochen haben: Beide sind durch den Sonar ausgeschaltet worden, waren vollkommen hilflos. Das Erlebnis verfolgt sie immer noch.«
Gestaltwandler hielten Mediale für arrogant, doch Lara wusste auch um die Arroganz ihrer eigenen Gattung, vor allem was körperliche Stärke anging.
Die Erkenntnis, dass eine dieser Stärken, das besonders gute Hörvermögen, sich als schmerzhafte Schwäche erweisen konnte, war sicher ein Schock gewesen. »Wie bist du darauf eingegangen?«
»Ich habe ihnen zugehört. Meistens genügt es, einfach mal darüber zu reden.« Sie nahm die Tasse, die Lara ihr hinhielt, und sog den köstlichen Duft des Tees ein. »Dann habe ich ihnen gesagt, dass sie, da sie nun ihre Schwäche kennen, Gegenmaßnahmen ergreifen können.«
Lara setzte sich auch an den Tisch und gab sich ebenfalls dem köstlichen Aroma ihres Tees hin. »Sehr gut. Dadurch gelingt es ihnen, wieder die Kontrolle zu übernehmen.« Das war bei dominanten Wölfen sehr wichtig.
»Ich glaube, es klappt, aber ich habe ihnen versichert, dass sie jederzeit zu mir kommen können, wenn es nötig ist.«
»Was für ein Glück, dass du dich für die Arbeit im Rudel entschieden hast.« Lara mochte die junge Krankenschwester sehr. »Und was Verabredungen angeht … hast du dich mal bei den Raubkatzen umgesehen? Ich will nämlich nicht, dass jemand aus einer anderen Gegend verrückt nach dir wird und dich uns ausspannt.«
Bevor Lucy etwas antworten konnte, öffnete sich die Eingangstür und der Wirbelwind Marlee kam hereingestürzt und warf sich in Laras Arme. »Ich verhungere! Gibt es Kuchen?«
Lachend umarmte Lara das Mädchen. »Ein wenig Obst wird dich bis zum Abendessen über die Runden bringen.«
Keineswegs verlegen nahm sich Marlee einen Apfel und umarmte dann Lucy. »Hi, Lucy. Bleibst du zum Essen? Willst du dir mein Projekt ansehen?«
»Ja, bleib doch«, sagte Lara. »Ich hätte Lust zu kochen, und du könntest mir dabei helfen.«
Es wuchs sich zu einer kleinen Party um sieben aus. Einer von Tobys Freunden durfte bei ihnen essen, und Walker brachte eine Zwölfjährige mit, deren Eltern erst spät von der Arbeit außerhalb des Reviers zurückkommen würden.
Als sie um den Tisch herum saßen, streckte Laras Gefährte die Hand aus und strich ihr liebevoll über die Wange. Die Wölfin rieb sich wohlig von innen an der Haut. »Hallo«, flüsterte sie.
Er hob ihr Kinn und küsste sie zur Freude der Kinder. Als alle etwas auf dem Teller hatten, bemerkte sie, dass Walker Toby und Marlee beobachtete. Marlee kicherte mit dem Mädchen, das Walker mitgebracht hatte, und die Jungen unterhielten sich mit Luca über eine Wendung in einem Film, der gerade rausgekommen war. Alle waren bester Laune, doch in Walkers Blick zeigte sich derselbe Schmerz, den sie auch schon an dem Tag, nachdem sie Gefährten geworden waren, dort gesehen hatte, als Toby Marlee herumgewirbelt hatte. Noch vor der Abkehr vom Medialnet musste etwas passiert sein, von dem sie nichts wusste.
»Walker?« Sie legte die Hand auf seinen Oberschenkel. »Was bedrückt dich?«
Er nahm ihre Hand in seine. »Wenn ich Marlee lachen sehe«, sagte er so leise, dass nur sie es hören konnte, »dann erinnere ich mich manchmal an die Zeit, als sie gar nicht wusste, was es heißt, glücklich zu sein. Sie kannte nur den Schmerz.« Er sah den bis über beide Ohren grinsenden Toby an, und noch immer lag derselbe Schmerz in seiner Stimme. »Und nach Kristines Selbstmord stand es so schlimm um Toby, dass ich Angst hatte, wir würden den Sohn meiner Schwester auch verlieren.«
Es tat ihr weh, Walker so traurig zu sehen. Sie verschränkte ihre Finger mit seinen, »sprach« durch das Band, durch ihre Verbindung zu ihm, hüllte ihn in ihre Liebe ein, in die Freude über ihren Bund, in das Glück, das ihre Wölfin in den Kindern spürte. Der Schatten verschwand aus seinem Blick, aus dem nun tiefe Freude sprach.
Sie würde ihn nicht drängen, ihr noch mehr zu enthüllen, nicht heute Abend. Sie würde ihn lieben und der Traurigkeit mit Zuneigung und Lust begegnen. Wenn er dazu bereit war, würde er ihr schon alles enthüllen – inzwischen verband sie ein so starkes Vertrauen, dass sie nicht mehr fürchtete, das Herz dieses unglaublichen Mannes vielleicht niemals ganz zu kennen.
Vielleicht brauchte er noch mehr Zeit, vielleicht musste sie noch mehr Geduld haben … es lag ja noch ein ganzes Leben vor ihnen.
Um Mitternacht erwachte Walker an Laras Seite. Er konnte sich nicht vorstellen, jemals wieder eine Nacht ohne sie zu verbringen. Allein der Gedanke löste unglaublichen Schmerz aus. Das war überraschend für jemanden, der lange allein in seinem Bett gelegen und ein selbstgenügsames Leben geführt hatte, doch Walker wollte es gar nicht anders haben. Wollte für alle Zeit Laras warme Haut spüren, ihre Hand auf dem Herzen, ihre Locken unter dem Kinn.
Vorsichtig beugte er sich über sie, strich leicht über die zarte Ohrmuschel. Lara war so wunderbar, so sanft. So gut. Deshalb war sie Heilerin. Selbst einem Feind, selbst einem Mitglied des Rates hätte sie geholfen, obwohl ihr natürlich bewusst war, dass derjenige auch sie hätte töten können.
So war sie nun einmal.
Deshalb brauchte sie ihn auch. Denn er war nicht so gut. Er würde alles tun, um sie zu schützen, würde Blut vergießen und sogar töten. Lara wusste, dass er töten konnte, sie begriff, dass er andere Moralvorstellungen hatte als sie, liebte ihn aber dennoch.
Womit hatte er sie bloß verdient, diese leidenschaftliche Liebe, diese warmherzige Großzügigkeit? Bis zum letzten Atemzug würde er dafür kämpfen, sie zu behalten. Lara gehörte ihm.