8
Sanft schob er eine Strähne zur Seite, die sie im Schlaf kitzelte, und musste lächeln, als sie die Nase rümpfte und wieder einschlief. Das tat sie immer, wenn er eine Strähne wegstrich – und es gefiel ihm sehr, dass er das wusste. Wie er auch wusste, dass sie seufzen und sich ihm zuwenden würde, wenn er zärtlich über ihren Hals strich. Er spürte den Druck ihrer Finger auf seiner Brust, und Begierde flammte in ihm auf, obwohl sie erst vor zwei Stunden voller Leidenschaft Körperprivilegien miteinander geteilt hatten.
Mit der rauen Fingerspitze strich er über die zarte Haut unter dem Träger ihres Nachthemds. Er wusste, dass es kratzte, zog sich aber nicht zurück, denn Lara hatte ihm sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie die Berührung seiner Hände mochte. Sanft schob er den Träger nach unten und küsste die heiße Haut – der Sucht nach ihrem köstlichen Duft würde er sich bis zum Ende seines Lebens mit Freuden hingeben.
Schläfrig fuhr sie mit der Hand in sein Haar und zog ihn an sich, als er unter dem kurzen Satinhemd über ihren Schenkel strich. Seit Walker das Medialnet verlassen hatte, hatte er die verschiedensten Dinge gespürt, doch jedes Mal, wenn er Lara berührte, stellte er fest, dass es noch weit mehr zu erleben und zu erforschen gab.
Er küsste ihren Hals, die pulsierende Halsschlagader, spürte die feste Brust in seiner Hand.
»Ahh.« Sie hielt den Atem an, dann sagte sie heiser: »Nicht aufhören.«
Er strich mit dem Daumen über die Brustwarze. »Früher habe ich zwar gewusst, wie ein solcher Akt vonstattengeht«, flüsterte er an ihren Lippen, »aber richtig verstanden habe ich es nie.« Es konnte ganz leicht oder sehr intensiv sein, weich oder wild … es gab so viele Variationen und Gefühlszustände, die jedes Mal etwas vollkommen Neues ergaben.
Heute Nacht war es langsam und ein wenig spielerisch.
Sie griff fester in sein Haar und küsste ihn weich und lustvoll. »Weißt du, was ich besonders sexy finde? Die Pyjamahosen, die du trägst.« Ihre Fußsohle strich über die dünne blaue Baumwolle mit den feinen schwarzen Streifen.
Er wusste genau, wann sie ihn auf den Arm nahm, und biss in ihre Unterlippe. In ihr Lachen hinein sagte er: »Die sollen verhindern, dass unser jüngstes Kind einen Schock erleidet, wenn es nach einem schlimmen Traum zu uns ins Bett flüchtet.« Im Gegensatz zu den ersten Wochen ihrer Abkehr vom Medialnet hatte Marlee nur noch selten Albträume, aber sie war noch nicht völlig frei von den Verletzungen, die das Medialnet in ihrer Psyche hinterlassen hatte. Nach einem solchen Traum lief sie sofort zu Walker. Deshalb war die Schlafzimmertür des Nachts nie verschlossen – nur wenn Walker die Fernbedienung drückte, was er eben getan hatte.
Lara küsste seinen Nacken und öffnete die Schenkel. »Sie wächst in einem Gestaltwandlerrudel auf.« Er spürte ihre Zähne am Hals. »Möchte wetten, es stört sie kein bisschen.«
Wahrscheinlich hatte Lara recht. Gestaltwandler achteten zwar persönliche Freiräume und nahmen sich bei Unbekannten auch keine flüchtigen Körperprivilegien heraus, doch Nacktheit galt als natürlicher Zustand, eine logische Folge der Tatsache, dass junge wie alte Gestaltwandler nach der Verwandlung nackt waren.
»Nun«, murrte er. »Mich würde es aber stören.«
Lara lachte, er spürte ihren heißen Atem. »Mein schüchterner Liebling.«
Er zog sie an seine Lippen, trank ihr Lachen und schob die Hand über ihren Nabel auf den Spitzenbesatz des Höschens. Dann küsste er sie so lange, bis sie feucht wurde und er ihre Erregung roch. Doch er behielt das langsame Tempo bei, bis sie den Unterleib ungeduldig gegen seine Hand presste.
Sie ließ sich das Höschen ausziehen, seufzte zufrieden, als er sich auch auszog. Dann beugte er sich erneut über ihren Mund, und sie rieb die halb entblößten Brüste an seinem Oberkörper. Sie zu küssen war eine seiner größten Freuden. Das Nachthemd war ihr bis zur Taille hochgerutscht, und sie schlang die Beine um seine Hüften.
Ganz weich umfing sie ihn, nahm ihn in Besitz. Er musste nur seine Erektion dorthin bringen, wo sie heiß und feucht auf ihn wartete. »Ja?«, fragte er.
»Oh bitte.« Ihr Becken hob sich.
Erschauernd stieß er ganz in sie hinein, stützte sich mit einem Arm ab, schob mit der anderen Hand die Träger ihres Nachthemds vollends herunter und strich über die bloßen Brüste. Sie stöhnte auf, krallte sich in seine Schultern und hieß ihn in sich willkommen. »Es fühlt sich so gut an, wenn du in mir bist.«
Ihre Worte waren ebenso betörend wie die sanft massierenden Scheidenmuskeln.
Er küsste ihren Mund, den Hals, die Brüste, biss leicht zu, kitzelte sie mit der Zunge und bewegte sich langsam und leicht in ihr. Sie waren erst seit Kurzem zusammen, doch er spürte genau, was sie brauchte, vergaß nie, was ihr Lust bereitete.
»Du denkst nach«, beschwerte sie sich.
Er zwickte mit den Zähnen die empfindliche Brustwarze, ließ von ihr ab, als sie nach Luft schnappte. »Nur ganz kurz.« Denn bald würden die Empfindungen zu stark werden.
»Du weißt doch, dass mich das wahnsinnig macht.« Sie stöhnte leise auf, als er sich langsam zurückzog und ebenso langsam wieder in sie hineinglitt.
»Hmmm.« Wieder schob er eine Hand nach unten und berührte sie dort, wo es ihr am meisten Lust bereitete. Sie hatte es ihm leise verraten, als er sie darum gebeten hatte, denn sie versagte ihm nie etwas. »Ist das besser?«
Ihr Körper wurde steif, und dann entlud sich die Lust in ekstatischen Wellen, zog ihn mit sich. Er biss die Zähne zusammen, hielt sich zurück – heute wollte er es nicht schnell –, und als sie ganz weich und nachgiebig in seinen Armen wurde, küsste er sie ganz lange und streichelte sie, bis die Erregung langsam abebbte.
Schwere Lider hoben sich über im Dunkeln glühenden Augen. »Ich nehme an, diese Geduld ist ein Nebeneffekt der Kontrolle, die du im Medialnet besessen hast«, murmelte sie und küsste ihn.
Er drückte sie an sich und hielt den Atem an, als sie eine besonders empfindliche Stelle am Hals leckte. »Möglicherweise.«
Er spürte, wie sie lächelte. »Ich Glückspilz.«
Er sah in die noch leicht abwesenden Augen und flüsterte: »Nein, ich bin der Glückliche.«
Dann hielt er ihre Augen mit seinem Blick fest, während er langsam in sie hineinstieß, sie ihn an sich zog, bis sich die Wolfsaugen erneut vor Lust verschleierten und ein Sturm der Leidenschaft sämtliche Synapsen in ihm kurzschloss.
Er kam mit ihr, fiel dann seitlich aufs Bett, die Schenkel über ihren Beinen, den Arm über ihren Brüsten, das Gesicht ihr zugewandt. Das Atmen fiel ihm schwer, doch da Lara dasselbe Problem zu haben schien, war er es zufrieden, verschwitzt und glücklich neben ihr zu liegen.
Glücklich.
Das falsche Wort zum falschen Zeitpunkt brachte erneut die schmerzhaften Erinnerungen zurück, die schon am Abendbrottisch aufgetaucht waren.
Zärtliche Finger in seinem plötzlich verspannten Nacken. »Walker?«
Die Vergangenheit drängte sich hervor, er musste mit aller Macht dagegen ankämpfen. »Was einmal war, soll die Gegenwart nicht verderben.«
Lara drückte gegen seine Schultern, bis er sie so weit freigab, dass sie ihn anschauen konnte. »Wir sind stärker als die Erinnerungen, mächtiger als aller Schmerz.« Ein strahlendes Lächeln. »Wir sind Gefährten, eine Familie.«
Die einfachen und doch kraftvollen Worte ließen den Damm brechen, doch es dauerte noch eine ganze Weile, bis er über die schrecklichen Erinnerungen sprechen konnte. Lara drängte ihn nicht. Sie schmiegte sich nur an ihn, hielt ihn fest, als wüsste sie, dass er ihre Berührung mehr als je zuvor brauchte.
»An dem Tag, als der Befehl zur Rehabilitation kam«, sagte er schließlich mit rauer Stimme, »hatte Yelene schon die Koffer gepackt, als ich das Haus betrat, denn sie wollte nicht, dass ihre Gene mit meinen untergingen.« Deshalb hatte sie auch ihr ungeborenes Kind abgetrieben. »Sie wollte gerade Marlee und Toby in der Schule anrufen, damit sie nach Hause kamen.« Scharfkantig schnitten die Worte in seine Kehle.
»Schon gut«, sagte Lara beunruhigt. »Du musst es nicht erzählen, wenn es so wehtut.«
Er streichelte ihr Haar, suchte Halt in ihrer Wärme und Herzlichkeit. »Doch, ich muss.« Denn sie musste ihn trotz der Fehler, die er begangen hatte, akzeptieren, trotz der Schmerzen, die diese Fehler hervorgerufen hatten. »Yelene wollte beiden Kindern sagen, sie sollten ihre Sachen für wohltätige Zwecke spenden, da sie nach der Rehabilitation sowieso nur noch als Gemüse dahinvegetieren würden und keine Verwendung mehr dafür hätten.«
In Laras Augen stand abgrundtiefes Erschrecken. »Das ist kein Silentium, das ist pure Grausamkeit.«
Walker spürte, wie der Zorn sie schüttelte. »Als wäre sie nie ihre Hüterin gewesen, hätte nie geschworen, für sie zu sorgen.« Genauso war es, damals hatte er es nicht fassen können.
Lara knurrte. »Für Heilerinnen ist es nicht leicht zu töten, aber falls diese Frau je vor mir steht, reiße ich ihr das Herz bei lebendigem Leibe raus.«
Er deckte sie mit seinem Körper zu, rieb seine Wange an ihrer und sprach das Schlimmste endlich aus. »Ich selbst habe Yelene zu meiner Partnerin gemacht, habe sie als Mutter für meine Kinder ausgesucht.« Er war sorgfältig vorgegangen, hatte die medizinischen Befunde der Kandidatinnen gelesen, Hintergrundrecherchen betrieben, die Persönlichkeitsprofile verglichen, ehe er sich für Yelene entschieden hatte.
Und doch hatte er versagt, hatte die ihm anvertrauten Kinder nicht beschützen können.
»Das werde ich mir nie vergeben.« Tiefes Bedauern wühlte wie scharfe Messer in seinem Inneren. »Marlees Blick, als sie bemerkte, dass ihre Mutter sie verlassen hatte – er war so schrecklich verletzt und trostlos. Und Toby verstummte vollkommen, als ihm seine zweite Mutter innerhalb kurzer Zeit abhandenkam. Das habe ich zu verantworten.«
»Du darfst dich von dem Bösen in ihr nicht auffressen lassen«, sagte seine Gefährtin und nahm sein Gesicht in beide Hände, zwang ihn so, in bernsteinfarbene Wolfsaugen zu schauen. »Du gehörst nicht zu den Hellsichtigen, die in die Zukunft sehen können, hast dich in der Situation nach bestem Wissen und Gewissen entschieden.«
Er spürte ihre Krallen, als die Wölfin an die Oberfläche kam. »Es war allein Yelenes Feigheit. Sie hätte standhalten sollen und ist stattdessen geflohen. Du aber hast dein Leben aufs Spiel gesetzt und alles in deiner Macht Stehende getan, um deine Familie zu schützen. Daran sollest du denken, nicht an die Frau, die ihre eigene Haut retten wollte und damit alles verloren hat.«
Walker wollte etwas sagen, doch Lara schüttelte den Kopf. Die nächsten Worte klangen sehr bestimmt. »Du musst dir vergeben.« Ein Befehl, nichts anderes. »Denn sonst werden unnötige Schuldgefühle dein Glück vergiften. Und noch etwas: Die Kinder folgen dir. Wenn du nicht ganz ins Licht trittst, werden sie es auch nicht tun.«
Sie hatte recht, zitternd legte er seine Stirn an ihre. »Sie sollen unartig sein«, flüsterte er. »Sollen Widerworte geben und bockig und trotzig sein.« Die beiden benahmen sich so gut, dass er Angst hatte, sie fürchteten sich immer noch vor Zurückweisung. »Wenn das geschieht, glaube ich vielleicht, dass alles in Ordnung ist.«
Laras Lächeln traf ihn tief ins Herz. »Das geschieht schon, keine Angst. Hab Vertrauen in ihre Stärke und unsere Liebe.« Sie zog die Krallen ein und liebkoste seine Wange. »Schließlich haben sie Sienna als Vorbild.«
Seine Nichte war in ihrer Jugend ein richtiger Teufelsbraten gewesen, wenn man Aisha glauben wollte, die ein Herz für den besagten Teufelsbraten entdeckt hatte, als Sienna zur Strafe für ihre Missetaten zum Abwaschen in die Küche abkommandiert worden war. »Sie werden sich mächtig anstrengen müssen, um auf das gleiche Strafmaß zu kommen.« Er hatte es Sienna gegenüber nie zugegeben, doch bei manchen Nummern, die sie abgezogen hatte, hatte er innerlich stolz gelächelt.
»Ich setze auf Marlee«, sagte Lara. »Die hat etwas von einem Teufelsbraten in sich. Meine Mutter behauptet, es brodele nur so unter der Oberfläche.«
Walker rieb sich das Kinn. »Ich habe läuten hören, dass man auf die Stillen besonders achtgeben sollte.« Das hatte Lara vor nicht allzu langer Zeit mit von Lustschreien heiserer Stimme zu ihm gesagt. »Mein Favorit ist Toby.«
»Alles klar, Mr Lauren.« Krallen auf seinem Rücken, doch ein sanftes Lächeln auf ihren Lippen. »Schon gut. Lass die Vergangenheit los. Damit verbindet dich nichts mehr.«
Eigentlich war er zu schwer für sie, doch nun ließ er sich erschauernd auf sie fallen. Sie legte Arme und Beine um ihn, strich ihm durchs Haar. »Schon gut, mein Liebling, alles ist gut.«
Mit allen Sinnen umarmt, mit der Wärme seiner Gefährtin im Herzen folgte er ihrem Befehl, zerbrach die letzte rostige Kette, die ihn an das Leben vor seiner Abkehr vom Medialnet kettete, und tat den ersten Schritt auf der Straße der Versöhnung.