7.

Connor

Am nächsten Nachmittag kommt der Mann von der Anti-Umwandlungs-Front, drei Tage später, als mit Connor verabredet. Er ist ungepflegt, korpulent und schweißnass.

»Dabei ist es noch nicht mal Sommer«, sagt Connor. Bis zum glühend heißen Sommer von Arizona dauert es nur noch wenige Monate. Die AUF müsste so langsam zu Potte kommen, wenn sie es nicht mit lauter wütenden Kids zu tun bekommen will. Oder besser gesagt mit denen, die diese Hitze überleben.

Das Gespräch findet in einem ausrangierten Präsidentenflugzeug statt, das früher dem Admiral als Quartier diente und nun nur noch als Konferenzraum genutzt wird. Der Mann stellt sich als Joe Rincon vor. »Nenn mich Joe. Bei der AUF geht es formlos zu.« Er setzt sich an den Konferenztisch und zieht Block und Stift heraus, um Notizen zu machen. Gleich am Anfang signalisiert er mit einem Blick auf die Uhr, dass er lieber woanders wäre.

Connor präsentiert ihm eine lange Liste von Beschwerden aus allen möglichen Ecken des Friedhofs. Warum werden so wenig Lebensmittel geliefert? Wo bleiben die Medikamente, die sie angefordert haben? Wie steht es mit Ersatzteilen für Klimaanlagen und Stromgeneratoren? Warum werden sie nicht benachrichtigt, ehe ein Flugzeug mit Neuankömmlingen landet – und warum sind es überhaupt so wenige? Mittlerweile treffen gerade mal fünf oder zehn Neue auf einmal ein, während es früher gut und gerne fünfzig waren. Da es dauernd Probleme mit dem Lebensmittelnachschub gibt, ist das zwar eine Erleichterung, aber Connor macht sich trotzdem Sorgen. Wenn der Widerstand kaum noch flüchtige Wandler findet, müssen die JuPos oder, schlimmer, die Teilepiraten, sie zuerst gefasst haben.

»Was ist los mit euch? Warum reagiert die AUF nicht auf unsere Anfragen?«

»Kein Grund zur Beunruhigung«, erwidert Rincon. Bei Connor schrillen sämtliche Alarmglocken, denn er hat nie gesagt, dass er beunruhigt ist. »Im Moment wird noch umstrukturiert.«

»Noch? Uns hat niemand gesagt, dass überhaupt etwas umstrukturiert wird. Was meinst du damit?«

Rincon wischt sich mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn.

»Wirklich, kein Grund zur Beunruhigung.«

Im Verlauf des vergangenen Jahres hat Connor die Anti-Umwandlungs-Front besser kennengelernt, als ihm lieb ist. Als flüchtiger Wandler musste er darauf vertrauen, dass die AUF wie eine gut geölte Rettungsmaschinerie funktionierte – aber dem war leider nicht so. Gut funktionierte nur der Friedhof. Dafür sorgte früher der Admiral, und heute kümmert sich Connor darum, der in seine Fußstapfen getreten ist.

Die Schwäche der AUF hätte ihm schon auffallen müssen, als sie den Vorschlag des Admirals, Connor zu seinem Nachfolger zu machen, auf Anhieb akzeptierte, statt einen erfahreneren Erwachsenen auf diese Stelle zu setzen. Wenn man bereit war, einem Teenager die Verantwortung für die größte Sammelstelle flüchtiger Wandler zu übertragen, konnte etwas nicht stimmen.

Es gab eine verrückte Zeit, in der alle paar Tage eine Maschine mit Jugendlichen auf dem Friedhof landete. Mehr als zweitausend Wandler lebten dort, und die AUF schickte ihnen in schöner Regelmäßigkeit alles, was sie brauchten. Dann, nach der Verabschiedung des U-17, wurde Connor angewiesen, sofort alle Siebzehnjährigen zu entlassen, also einen großen Prozentsatz der Friedhofsbewohner. Doch er entschied, die Jugendlichen erst nach und nach wegzuschicken, damit die nahe gelegene Stadt Tucson nicht mit einem Schlag von neunhundert obdachlosen Teenagern überschwemmt wurde. Die Aufforderung, diese Jugendlichen alle auf einmal gehen zu lassen, hätte für ihn ein weiteres Zeichen für die Führungsschwäche innerhalb der AUF sein müssen.

Connor entließ die Siebzehnjährigen im Verlauf von zwei Monaten, doch die AUF reduzierte den Nachschub sofort, als wären diese Jugendlichen plötzlich nicht mehr ihr Problem. Nach der Entlassung der Siebzehnjährigen, dem Weggang von Jugendlichen, die an Arbeitsstellen vermittelt wurden, sowie derer, die wegen der Nahrungsmittelknappheit abgehauen waren, war die Zahl der flüchtigen Wandler auf dem Friedhof auf etwa siebenhundert zurückgegangen.

»Wie ich sehe, habt ihr einen hübschen Garten angelegt, und Hühner habt ihr auch, oder?«, stellt Rincon fest. »Ihr müsst ja mittlerweile Selbstversorger sein.«

»Ganz und gar nicht. Die Grüne Zeile deckt nur ein Drittel unseres Nahrungsbedarfs, und da uns die AUF nicht genug liefert, mussten wir sogar schon Lastwagen ausrauben, die mit Lebensmitteln auf dem Weg nach Tucson waren.«

»Oje«, sagt Rincon. Das ist alles: »Oje.« Er kaut auf seinem Stift herum.

Connor, der noch nie sonderlich viel Geduld hatte, hat es satt, um den heißen Brei herumzureden. »Hast du mir jetzt noch etwas Nützliches mitzuteilen, oder wolltest du mir nur die Zeit stehlen?«

Rincon seufzt. »Im Grunde ist es so, Connor: Wir glauben, der Friedhof ist aufgeflogen.«

Connor kann nicht fassen, was dieser Idiot ihm da erzählt. »Natürlich ist er aufgeflogen! Ich habe euch doch gesagt, dass er aufgeflogen ist! Die JuPos wissen von uns. Seit ich hier die Führung übernommen habe, sage ich euch, dass wir umziehen müssen!«

»Ja, wir arbeiten daran, aber bis es so weit ist, können wir nicht weiter wertvolle Ressourcen in eine Einrichtung stecken, der jeden Augenblick eine Razzia der JuPos droht.«

»Soll das heißen, ihr lasst uns hier verrotten?«

»Das habe ich nicht gesagt. Du hast ja alles gut im Griff. Und mit etwas Glück tauchen die JuPos gar nicht hier auf …«

»Mit etwas Glück?« Connor springt auf. »Widerstand hat doch nichts mit Glück zu tun! Wir erwarten Taten! Aber was tut ihr denn schon? Ich schicke euch Pläne für die Infiltration von Ernte-Camps und die gewaltlose Befreiung von Wandlern, damit die Leute nicht abgeschreckt werden und das Ganze nach hinten losgeht – und alles, was ich von der AUF zu hören bekomme, ist: ›Wir arbeiten daran, Connor‹, oder: ›Wir denken darüber nach, Connor.‹ Und jetzt erzählst du mir, ich soll auf das Glück hoffen? Wozu, zum Teufel, ist die AUF eigentlich da?«

Für Rincon ist das anscheinend das Stichwort, das Gespräch zu beenden.

»He, ich bin nur der Überbringer der Nachricht – lass es nicht an mir aus!«

Doch das bringt das Fass zum Überlaufen. Connor schlägt »Nenn-mich-Joe«-Rincon Rolands Faust ins Gesicht. Er trifft ihn am Auge, und als der Mann gegen die Wand geschleudert wird, spricht aus seinem Blick keine Verachtung, sondern nur die pure Angst, Connor könnte noch nicht genug haben. So viel zur Gewaltfreiheit. Connor weicht ein paar Schritte zurück.

»Das war meine Nachricht«, sagt er. »Bring sie den Leuten, die dich geschickt haben.«


Auf dem Friedhof steht eine Boeing 747 ohne Tragflächen, die wie jedes andere Flugzeug entkernt, anschließend aber mit Trainingsgeräten ausgestattet wurde. Sie wird als FitBo bezeichnet, doch einige nennen sie auch den »Boxring«, weil es dort so viele Schlägereien gibt.

Connor geht in die FitBo, um seinen Frust loszuwerden.

Er drischt auf den großen Sandsack ein wie auf einen Gegner, den er gleich in der ersten Runde k.o. schlagen will. Dabei stellt er sich die Gesichter der Jugendlichen vor, die ihn an diesem Tag genervt haben, und derjenigen, die immer eine Ausrede dafür finden, dass sie nicht tun, was sie tun sollten. Und er lässt auch gleich seine Wut über Leute wie Rincon aus, sämtliche JuPos, mit denen er es je zu tun hatte, und die ständig lächelnden Berater im Ernte-Camp, die ihnen vormachten, für die Wandler gäbe es nichts Besseres als die Umwandlung. Hin und wieder sieht er auch die Gesichter seiner Eltern vor sich, denn sie haben die Maschinerie, die ihn hierhergeführt hat, überhaupt erst in Gang gesetzt. Wenn er an sie denkt, kann er den Boxsack gar nicht hart genug treffen, und gleichzeitig macht ihm seine unbändige Wut ein schlechtes Gewissen.

Die Schläge seiner linken Hand sind nichts im Vergleich mit denen der rechten. Von seinem Unterarm starrt ihm die Hai-Tätowierung entgegen, ein Tigerhai, hässlicher als jedes echte Exemplar. Connor hat sich mittlerweile daran gewöhnt, aber mögen wird er ihn nie. Die Farbe des Haars, das auf diesem Arm wächst, ist dichter und dunkler als das auf dem anderen. Er ist hier, sagt sich Connor. Roland ist hier, mit jedem Schlag, den ich mit dieser Hand ausführe. Und das Schlimmste daran ist, dass die Schläge guttun – als freute sich sein Arm daran.

Sobald sich Connor der Hantelbank zuwendet, machen ihm die Kids, die dort trainiert haben, Platz – das ist der Vorteil, wenn man der Chef ist. Er legt noch einmal fünf Pfund auf beiden Seiten nach. Das tut er jeden Tag, und jeden Tag hasst er diese Übung am meisten, denn nirgends wird der Unterschied zwischen dem linken und dem rechten Arm deutlicher als beim Bankdrücken. Der Arm, mit dem er geboren wurde, hat immer Schwierigkeiten, die Stange anzuheben. Connor kann nicht leugnen, dass er immer noch gegen Roland kämpft.

»Soll ich dir mit der Hantel helfen?«, fragt jemand hinter ihm. Connor dreht den Kopf und sieht einen Jungen, den alle nur Starkey nennen.

»Ja, klar, danke.« Er setzt zum ersten Durchgang an. Sein natürlicher Arm tut bereits weh, aber er will nicht nachgeben. Doch nach sieben Wiederholungen muss Starkey ihm helfen, die Langhantel wieder abzulegen. Starkey deutet auf den Hai auf seinem rechten Arm. »Hast du den nach Happy Jack gekriegt?«

Connor setzt sich auf, reibt sich die brennenden Muskeln und starrt die Tätowierung an. »Der war schon auf dem Arm.«

»Ich meinte ja auch den Arm«, sagt Starkey. »Ich denk mir, wenn einer, der so gegen die Umwandlung ist, den Arm eines Wandlers hat, dann war das wahrscheinlich nicht freiwillig. Ich wüsste echt gern, was da passiert ist.«

Connor lacht, weil ihn bisher niemand so offen danach gefragt hat. Es ist geradezu eine Erleichterung, darüber zu reden.

»Da war dieser Typ, ein echt harter Kerl. Einmal hat er sogar versucht mich umzubringen, aber er hat es nicht durchgezogen. Jedenfalls war er der Letzte, der im Happy Jack umgewandelt wurde. Ich war als Nächstes dran, da haben die Klatscher das Schlachthaus in die Luft gesprengt. Ich habe einen Arm verloren und bin mit dem hier wieder aufgewacht. Glaub mir, ich hab’s mir nicht ausgesucht.«

Starkey, der gut zugehört hat, nickt. »Dann ist der so was wie eine Tapferkeitsmedaille, Mann«, sagt er. »Trag ihn mit Stolz!«

Connor bemüht sich darum, alle Jugendlichen, die es auf den Friedhof verschlägt, ein bisschen näher kennenzulernen, damit sie sich nicht vorkommen wie eine Nummer, die nur darauf wartet, eingefangen und umgewandelt zu werden. Was weiß er über Starkey? Sein Charakter und sein Lächeln sind schwer zu deuten. Er hat lockiges rotes Haar, nicht von Natur aus, wie am dunklen Haaransatz zu erkennen ist. Starkey ist kompakt – schon fast bullig, wie ein Wrestler – und wirkt aufgrund seines Selbstbewusstseins größer, als er ist. Auf der Flucht soll er einen oder zwei JuPos umgebracht haben, aber das sind nur Gerüchte.

Connor erinnert sich noch an den Tag, an dem Starkey ankam. In jeder Gruppe von Neuankömmlingen ist mindestens ein Jugendlicher, der am liebsten sämtliche Ernte-Camps in die Luft sprengen würde. Wahrscheinlich wünschen sich das alle, aber die meisten Kids sind bei ihrer Ankunft zu verängstigt, um es laut hinauszurufen. Diejenigen, die es doch tun, erweisen sich später als Problemfälle oder als Streber. Starkey dagegen hat sich seit seiner Ankunft vor etwa einem Monat stark zurückgehalten. Er ist in der Kantine zur Essensausgabe eingeteilt, und abends erfreut er alle, die Spaß daran haben, mit kleinen Zaubertricks. Connor fällt seine erste Nacht auf der Flucht wieder ein. Damals fand er Unterschlupf bei einem Lastwagenfahrer, der ihm seinen transplantierten Unterarm zeigte, der Arm eines Wandlers, der alle möglichen Kartentricks beherrschte.

»Du musst mir mal ein paar von deinen Zaubertricks zeigen, Starkey.«

Starkey schaut ihn überrascht an. »Kennst du hier alle beim Namen?«

»Nur die, die einen Eindruck hinterlassen. Komm, wir tauschen«, sagt Connor. »Ich halte dir die Hantel.« Sie wechseln die Position und Starkey müht sich mit dem Gewicht ab, schafft aber mit Ach und Krach nur zwei Wiederholungen.

»Ich gebe auf.«

Starkey richtet sich auf und sieht Connor unverwandt an. Die meisten Menschen können Connor nicht länger in die Augen sehen. Seine Narben, vielleicht auch sein Ruf, flößen ihnen Angst ein. Starkey aber wendet den Blick nicht ab. »Stimmt es, dass du beinahe gefasst worden wärst, weil du ein gestorchtes Baby gerettet hast?«

»Ja«, sagt Connor. »Nicht einer meiner hellsten Momente.«

»Warum hast du’s dann gemacht?«

Connor zuckt die Schultern. »Kam mir in dem Moment halt sinnvoll vor.« Er will es mit einem Lachen abtun, aber Starkey lacht nicht.

»Ich war ein gestorchtes Baby«, sagt er.

»Das tut mir leid.«

»Nein, ist schon gut. Aber ich habe Respekt vor dem, was du gemacht hast.«

»Danke.« Draußen ruft jemand nach Connor, als ob gleich die Welt untergehen würde; Connor kennt diese Tonlage. »Die Pflicht ruft. Mach’s gut, Starkey.« Als er den Flieger verlässt, geht es ihm ein bisschen besser.

Sobald er weg ist, legt Starkey sich auf die Hantelbank und macht mit denselben Gewichten zwanzig Wiederholungen, ohne auch nur einen einzigen Schweißtropfen auf der Stirn.


Nach Sonnenuntergang beruft Connor ein Treffen seines inneren Zirkels ein, einer siebenköpfigen Truppe, die Hayden das »Allerheiligste« getauft hat. Sie treffen sich in Connors Flieger am Nordende des Mittelgangs, nicht in der alten Präsidentenmaschine, wo noch immer der Gestank von Nenn-mich-Joe, dem Mann vom Widerstand, in der Luft hängt.

Es war nicht Connors Idee, einen eigenen Privatjet für sich in Anspruch zu nehmen, ebenso wenig wie es seine Idee war, eine blaue Tarnuniform zu tragen. Beides hat Trace vorgeschlagen, es soll das Bild vom furchtlosen Anführer stärken.

»Was für eine bescheuerte Armee trägt denn blaue Tarnuniformen?«, hat Connor gemeckert, als Trace die Idee vorbrachte.

»Die ist für Luftangriffe mit dem Raketenrucksack«, erklärte ihm Trace. »Hat zwar noch niemand probiert, aber in der Theorie funktioniert es.«

Ziel war es, Connor von den anderen abzusetzen. Der Admiral hatte seine Tapferkeitsmedaillen zur Schau gestellt, und Connor brauchte etwas, das seinem Führungsstil entsprach, wie immer der auch aussehen mochte. Er war nicht allzu begeistert von der Idee, den Friedhof zu leiten wie ein Militärlager, doch der Admiral hatte die militärische Struktur bereits eingeführt.

Jemand hatte vorgeschlagen, dass Connor die alte Präsidentenmaschine übernehmen sollte, doch die Air Force One entsprach eher dem Stil des Admirals. Stattdessen richtete er sich in einem kleinen, schlanken Privatjet ein, den er vom Rande des Friedhofs an das Nordende des Mittelgangs schleppen ließ.

Hin und wieder hört Connor die Kids grummeln. »Schau ihn dir an, lebt wie ein König, während der Rest von uns nur einen Schlafsack bekommt.«

»Das liegt in der Natur der Sache«, ruft ihm Trace immer wieder in Erinnerung. »Zum Respekt gehört auch immer ein bisschen Abneigung.«

Connor weiß, dass er recht hat, aber deshalb muss er es noch lange nicht gut finden.

Die Mitglieder des Allerheiligsten sind fast alle pünktlich. Im Passagierraum des Privatjets machen sie es sich in den exklusiven Ledersesseln bequem – sie genießen den Luxus weit mehr als Connor.

Sechs von sieben sind da. Risa, die Chefsanitäterin, würde nur in Connors Flugzeug kommen, wenn sie sich allein hineinrollen könnte – und eine Rollstuhlrampe gibt es nicht.

Trace, der immer als Erster da ist, ist Sicherheitsbeauftragter und Connors strategischer Berater.

Hayden kümmert sich als Chef des ComBoms um Computer und Funk, verfolgt die Nachrichten, hört die Polizeifrequenzen ab und ist für die Kommunikation mit dem Widerstand verantwortlich. Er betreibt außerdem einen Radiosender für die Yolos, dessen Signal kaum weiter reicht als einen Kilometer. Er nennt ihn »Radio Free Hayden«.

Die Dritte im Bunde ist ein kräftiges Mädchen, das alle Bam rufen und das für die Essensausgabe zuständig ist. Eigentlich heißt sie Bambi, aber wer sie so nennt, landet umgehend bei Risa im Sanitätsflieger.

Drake kommt von einem Bauernhof und ist Chef für Nachhaltigkeit, eine etwas übertriebene Bezeichnung für den Leiter der Farm in der Grünen Zeile, die Connors Idee war. Die Nahrung, die dort produziert wird, hat schon mehr als einmal dem Hunger die Spitze genommen, wenn die Nahrungsmittellieferungen der AUF wieder einmal zu klein ausfielen oder völlig ausblieben.

Neben Drake sitzt John, der Kaugummi kaut und dauernd mit den Beinen zuckt; er ist für Reparaturen und Müllbeseitigung zuständig.

Ashley schließlich behauptet von sich, »menschenorientiert« zu sein. Sie kümmert sich ständig um »Probleme« – und da so gut wie jeder Jugendliche, der umgewandelt werden sollte, Probleme hat, hat sie wahrscheinlich von allen am meisten um die Ohren.

»Also, worum geht’s?«, fragt Bam. »Ich hab noch zu tun.«

»Erstens«, beginnt Connor, »habe ich heute mit dem AUF-Typen gesprochen. Wir müssen davon ausgehen, dass sich nicht viel ändert.«

»Mehr von nix ist immer noch nix«, sagt Drake.

»Genau. Wir wissen schon eine Weile, dass wir auf uns allein gestellt sind, aber jetzt ist es offiziell. Damit müssen wir klarkommen.«

»Aber was ist mit Vorräten und dem ganzen Kram, den wir uns nicht aus den Flugzeugen holen können?« Johns Beine schlottern nun noch heftiger.

»Wenn wir aus dem Büro kein Geld bekommen, müssen wir kreativ werden.« Kreativität ist nur ein netteres Wort für Diebstahl. Connor musste schon Kids bis nach Phoenix schicken, damit sie auf kreative Weise Sachen beschaffen konnten, die ihnen von der AUF nicht geliefert wurden, Medikamente beispielsweise oder auch mal einen Schweißbrenner.

»Ich habe gerade erfahren, dass am nächsten Dienstag ein neuer Jet geliefert wird«, wirft Hayden ein. »Bestimmt finden wir beim Ausschlachten eine Menge Sachen, die wir brauchen können: Kühlwasserkompressoren, hydraulische Dingenskirchen und anderen technischen Krempel.«

»Ist der Gepäckraum wieder voller Yolos?«, fragt jemand.

»Kein Flugzeug ohne Überraschungseier«, erwidert Hayden. »Hab allerdings keine Ahnung, wie viele es diesmal sind.«

»Ich hoffe, es sind nicht wieder Särge«, stöhnt Ashley. »Könnt ihr euch vorstellen, was für Albträume die Kids hinterher hatten?«

»Oh bitte, Särge sind ja so was von out«, erklärt Hayden. »Bierfässer sind im Kommen.«

»Noch wichtiger ist jetzt ein anständiger Fluchtplan«, sagt Connor. »Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die AUF uns rettet, wenn die JuPos meinen, sie bräuchten Frischfleisch.«

»Warum hauen wir nicht einfach ab?«, fragt Ashley, »und suchen uns etwas Neues?«

»Es ist nicht so leicht, mit siebenhundert Jugendlichen umzuziehen – wir hätten jeden einzelnen JuPo in Arizona auf den Fersen. Haydens Team hat die aktuelle Bedrohungslage sehr gut im Blick und kann uns vor einer Razzia zumindest warnen – aber wenn wir keine Ausstiegsstrategie entwickeln, sind wir trotzdem im Arsch.«

Bam wirft Trace, der bei solchen Treffen nie besonders viel sagt, einen bösen Blick zu. »Was meint er denn?«

»Ich meine, du solltest tun, was Connor dir sagt«, gibt Trace zurück.

Bam schnaubt. »Du redest wie ein dämlicher Armee-Muskelprotz.«

»Luftwaffe«, sagt Trace. »Merk dir das.«

»Der springende Punkt ist doch«, funkt Connor dazwischen, bevor Ashley eine Rede über Wutmanagement schwingen kann, »dass wir uns überlegen müssen, wie wir hier zur Not schnell rauskommen.«

Anschließend geht es noch um Einzelheiten des Friedhofsmanagements. Connor fragt sich, wie der Admiral wohl Diskussionen über den Vorrat von Damenbinden gemeistert hätte, während er ständig eine Razzia durch die JuPos fürchten musste. »Vor allem musst du lernen, zu delegieren«, hat Trace ihm eingeschärft, und das ist auch der eigentliche Grund für dieses Treffen.

»Ihr könnt jetzt alle gehen«, erklärt Connor schließlich, »bis auf Bam und John. Wir müssen noch ein paar Sachen bereden.«

Die anderen gehen, und Connor lässt John draußen warten, während er unter vier Augen mit Bam spricht. Connor hat sich immer gescheut, anderen die unangenehme Wahrheit zu sagen. Schließlich hat er sich auch schon ziemlich oft anhören müssen, dass er nichts taugt und dass die Umwandlung für ihn wohl die beste Lösung wäre.

Bam steht da, die Arme angriffslustig verschränkt. »Also, was gibt’s?«

»Erzähl mir von dem verdorbenen Hackbraten.«

Bam zuckt gleichgültig die Schultern. »Was soll damit sein? Der Generator für einen der Kühlschränke ist kaputtgegangen. Ist jetzt repariert.«

»Wie lange war der Strom weg?«

»Weiß nicht.«

»Du hattest also keine Ahnung, wie lange das Ding ohne Strom war, und trotzdem hast du das Essen, das drin war, ausgegeben?«

»Woher soll ich denn wissen, dass die Leute kotzen? Die haben es doch gegessen, ist doch ihr Problem.«

Connor stellt sich den Boxsack vor und ballt die rechte Hand zur Faust. Da fällt sein Blick auf den Hai, und er zwingt sich, die Faust wieder zu öffnen. »Über vierzig Kids waren mehr als zwei Tage lang krank – und wir haben Glück, dass nicht noch mehr passiert ist.«

»Ja, klar. Ich pass auf, dass so was nicht mehr passiert.« Bam bringt das in einem so provozierenden Tonfall vor, dass sich Connor lebhaft vorstellen kann, wie sie mit ihren Lehrern geredet hat, mit ihren Eltern, mit den JuPos und allen anderen Autoritätspersonen in ihrem Leben. Ausgerechnet er muss nun eine dieser Autoritätspersonen sein.

»Es gibt kein nächstes Mal, Bam. Tut mir leid.«

»Du willst mich loswerden, nur weil mal was schiefgegangen ist?«

»Niemand will dich loswerden«, beschwichtigt Connor. »Aber du bist ab heute nicht mehr für die Küche zuständig.«

Sie starrt ihn lange hasserfüllt an und sagt schließlich: »Na gut. Zur Hölle mit dir. Ich brauch diesen Scheiß eh nicht.«

»Danke, Bam.« Connor hat keine Ahnung, wofür er sich bedankt. »Schick mir doch John herein, wenn du rausgehst.«

Bam tritt die Luke mit dem Fuß auf und stürmt hinaus. Draußen baut sie sich vor John auf, der nervös gewartet hat und sich bei ihrem Anblick ängstlich duckt.

»Geh nur rein«, knurrt Bam. »Er feuert dich.«


An diesem Abend trifft Connor Starkey wieder, der unter der Tragfläche des Freizeitfliegers Zauberkunststücke für ein paar Yolos vorführt.

»Wie macht er das nur?«, rufen die Kids, wenn er Armreife und Uhren vom Handgelenk verschwinden und in anderer Leute Taschen wieder auftauchen lässt. Als Starkey fertig ist, spricht Connor ihn an.

»Du bist ziemlich gut. Aber als derjenige, der hier das Sagen hat, muss ich dich einfach fragen, wie du das machst.«

Starkey grinst. »Ein Zauberer verrät nie seine Geheimnisse, nicht einmal dem, der das Sagen hat.«

»Hör mal.« Connor kommt gleich auf den Punkt. »Ich habe etwas mit dir zu bereden. Ich habe beschlossen, im Allerheiligsten ein bisschen aufzuräumen.«

»Zum Besten aller, hoffe ich.« Starkey fasst sich an den Bauch. Connor muss lachen. Der Kerl ist offensichtlich schnell von Begriff.

»Wärst du gern für die Küche verantwortlich?«

»Ich liebe Essen«, gibt Starkey zu. »Und das sage ich nicht nur so dahin.«

»Glaubst du, du kommst mit einem dreißigköpfigen Team zurande und kannst dreimal am Tag Essen auf den Tisch bringen?«

Starkey wedelt mit der Hand und zaubert aus dem Nichts ein Ei herbei, das er Connor reicht. Den Eiertrick hat Connor schon ein paar Minuten vorher gesehen, aber in diesem Zusammenhang ist er unschlagbar.

»Wunderbar«, sagt Connor. »Zum Frühstück brauchst du einfach nur siebenhundert davon herbeizaubern.« Schmunzelnd geht er seines Weges. Starkey wird die Küche bestimmt so organisieren, dass alles glattgeht.

Diesmal ist sich Connor sicher, dass er die richtige Entscheidung getroffen hat.

Neal Shusterman - Vollendet Band 2 - Der Aufstand
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