Gottes neuer Versuch

Man stelle sich vor, Kaiser Augustus wäre vor zweitausend Jahren auf die verrückte Idee gekommen, eine neue Weltreligion aus dem Boden zu stampfen, eine Religion, die sein Reich und alle folgenden Reiche überdauert. Wie hätte Augustus das angestellt?

Wahrscheinlich hätte er seinen tüchtigsten Beamten mit der Planung und Realisierung beauftragt. Dieser hätte vermutlich sofort entschieden, der Standort für dieses neue religiöse Unternehmen könne nur Rom sein. Und Augustus hätte genickt.

Anschließend hätte der römische Spitzenbeamte in den Legionen des Kaisers nach einem jungen, edlen, gut aussehenden, siegreichen Helden gesucht und diesen systematisch auf seine Rolle als Gottessohn vorbereitet. Nach Abschluss der Ausbildung wäre die Ankunft des Sohnes Gottes öffentlichkeitswirksam inszeniert worden.

Der siegreiche Held wäre mit Glanz und Gloria in Rom eingeritten, und die Hauptstadt der Supermacht hätte alles aufgeboten, was damals aufzubieten war: den Kaiser von Rom, die Senatoren, die schönsten Frauen von Rom, die Dichter, Philosophen, die Gladiatoren und die Legionen des Kaisers. Tonnen von Konfetti wären verbraucht worden, wenn es Konfetti damals schon gegeben hätte, und der Kaiser hätte ergriffen genickt.

Hofberichterstatter hätten das Ereignis Monate vorher angekündigt und danach überall im Reich publik gemacht. Der Gottessohn wäre im ganzen Imperium gefeiert und verehrt worden, Münzen mit seinem Bild wären geprägt, Statuen, Stelen und Büsten überall aufgestellt, Wundergeschichten über ihn verbreitet worden – und beim Untergang Roms wäre seine Religion mit untergegangen, denn immer wäre sie nur Menschenwerk gewesen und nicht Gotteswerk.

Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs aber hatte sich für ein unbekanntes Kaff namens Bethlehem als Religionsstandort entschieden. Weit weg von Rom, in einer der fernsten Provinzen startete Gott seinen neuen Versuch.

Dabei fehlte ihm offenbar auch jegliches Gespür für Glamour. Statt eines siegreichen Helden schickte er der Welt ein Kind, das Kind eines unbekannten Zimmermanns und dessen Verlobter – eine Frau, die unterwegs gebären muss, ein Paar auf der Flucht vor König Herodes, ohne Geld für ein Hotel. Als Schauplatz für die Geburt seines Sohnes wählte Gott einen Stall weitab vom Weltgeschehen, als Staffage einen Ochsen und einen Esel sowie ein paar hinterwäldlerische Hirten mit Schafen. Jeder Nadelgestreifte hätte sofort gesagt: Vergiss es, daraus kann nie etwas werden.

Gott aber blieb sich einfach nur treu. Wie er schon bei Abraham mit einem einzigen Menschen sein Werk begann, so setzt er auch jetzt mit Jesus auf einen einzigen Menschen. Wie er schon Abraham unter einfachen Leuten, Nomaden, Halbnomaden, Hirten und Bauern gesucht und gefunden hatte, so findet er jetzt in Maria, der Frau eines Zimmermanns, die Mutter, die Jesus gebären soll.

Weil er schon bei der Wahl seines Volkes nicht unter den tüchtigen Völkern der Römer, Griechen, Ägypter, Babylonier, Hethiter, Phönizier oder Chinesen fündig wurde, sondern unter den Fronarbeitern in den Steinbrüchen Ägyptens, konnte der Mensch, mit dem Gott jetzt einen neuen Versuch startete, nicht in einem Kaiserpalast, umgeben von Höflingen, zur Welt kommen, sondern wurde in einem Stall geboren, umgeben von Hirten.

Gottes Personalpolitik ist prinzipiell anders als jene, die in weltlichen Unternehmungen als erfolgreich gilt. Als der Prophet Samuel in Gottes Auftrag durch Israel reiste, um den Posten des Königs zu besetzen, wurde ihm gesagt, ein Mann namens Isai habe die Söhne, die dafür infrage kämen. Sieben Söhne führt ihm Isai vor, einer tüchtiger als der andere, aber an den achten, David, hat keiner gedacht. Den jüngsten und kleinsten, den nach allen herkömmlichen Maßstäben falschen Mann, der zur falschen Zeit am falschen Ort die Schafe hütet, den wollte Gott damals als König haben.

Nun also Jesus. Er wird am Kreuz enden und seine Kirche auf Petrus bauen, der ihn verraten wird, noch ehe der Hahn kräht. Trotzdem wird diese Kirche siegen. Sie wird sogar so siegen, dass sie die Macht einer ganzen Epoche an sich reißen kann und darüber zu einer prunkenden Großorganisation degeneriert. Ein feistes, grobschlächtiges Mönchlein aus der sächsischen Provinz wird Gott dieser heruntergekommenen Weltmacht entgegenschicken, ein Nobody namens Martin Luther wird die Weltmacht erbeben lassen und wieder einigermaßen auf Kurs bringen.

Immer fängt Gott klein an, immer handelt er im Verborgenen, weitab vom Weltgeschehen, unter kleinen Leuten. Nie probiert er es in den Zentren der Macht, religiösen Hochburgen, unter Hohepriestern und Königen, weil er weiß: Dort sind Selbstüberschätzung, Zynismus und Arroganz stets so weit fortgeschritten, dass kein Raum mehr da ist für sein Eingreifen. Dort hat das Neue keine Chance.

Ist das Neue dann da, trifft es auf den geballten Widerstand der ganzen Welt und den Spott der Mächtigen. Das Neue, das von Gott kommt, erscheint seltsam anstößig und abgrundtief fremd, so fremd, wie Gottes Wille nun mal ist, immer war und immer sein wird.

Diese Erfahrung steht nun dem Kind bevor, das in seiner Krippe im Stall von Bethlehem liegt und nicht ahnt, dass es nur wenige Jahre Zeit haben wird, das anstößig-fremdartig Neue bekannt zu machen und auf der Welt zu etablieren.

Aber es wird ihm gelingen. Noch zweitausend Jahre nach seiner Geburt werden sich die Menschen fragen, was dieser Jesus eigentlich wollte und wer er denn war. Auch das hat damals niemand geahnt, nicht seine Eltern, nicht die Hirten im Stall, nicht der Hohe Rat in Jerusalem, nicht das Volk Israel und nicht der Kaiser in Rom.