Leseprobe zu Volker Backert, DAS HAUS VOM NIKOLAUS:
Freitag, 16:00 Uhr / Coburg
Der Sex mit dir war auch schon mal besser, dachte Kriminalkommissar Charly Herrmann. Langsam zog er seine Unterhose hoch. Vielleicht sollten wir uns eine Zeit lang nicht mehr treffen.
Er spürte ihren Blick in seinem Rücken und trat, nur mit schwarzem Slip und dünnem Goldkettchen bekleidet, auf den kleinen Balkon des Apartments hinaus.
Flirrende Julihitze lag über Coburg.
Die Luft stand bleiern-schwül in der Senke zwischen Festungsberg und Fachhochschule. Immer wieder wehten einzelne Klangfetzen aus der Innenstadt herauf; kurze, ekstatische Trommelwirbel, akustische Vorboten des Coburger Samba-Festivals, das in wenigen Stunden auf dem Schlossplatz beginnen würde.
Hundert Sambagruppen aus aller Welt; zweihundertfünfzigtausend Besucher in Coburg an den nächsten drei Tagen.
»Schauen Sie sich diese Relation an!«, quäkte der Samba-Pressesprecher aus dem kleinen blauen Plastikradio auf dem Fensterbrett. »Zweihundertfünfzigtausend Besucher bei zweiundvierzigtausend Einwohnern, da müssten zur Loveparade nach Berlin glatt vierundzwanzig Millionen kommen!«
Provinzielles PR-Gelaber, dachte Charly, kein Wort über die enorme Belastung der Polizei: Überstunden, Extraschichten, zusätzliche Bereitschaftspolizei; in Coburg herrscht wieder für zweiundsiebzig Stunden Ausnahmezustand. Aber das interessiert keinen Schwanz, für die Arschlöcher in den VIP-Pavillons ist Sicherheit genauso selbstverständlich wie das Gratisgläschen Caipirinha …
Er setzte sich. Sofort klebte der sommerlich aufgeheizte Plastikstuhl an seinen nackten Oberschenkeln. Angewidert erhob er sich, hielt inne und ließ sich mit einem mürrischen Seufzer wieder zurückfallen. Bloß nicht zurück ins Schlafzimmer, keine Diskussionen riskieren über »Zusammenziehen« oder »gemeinsame Zukunft«. Unwirsch griff er nach einem zerknitterten Lucky-Strike-Päckchen, das neben dem Boulevardblatt »fz – Frankenzeitung« auf dem runden Tischchen vor ihm lag.
Nur ein paar Züge paffen, kein echter Rückfall.
Es kam, wie er erwartet hatte.
»Ich dachte, du hast aufgehört?«
Lautlos war sie hinter ihn getreten, stützte sich mit warmen Händen auf seine Schultern. Er spürte ihre schweren, nackten Brüste an seinem kurz geschorenen Hinterkopf. Ein letzter, gieriger Zug, dann drückte er die halb gerauchte Lucky in den verwitterten roten Plastikaschenbecher.
»Du solltest hier nicht so nackt herumlaufen.«
»Auf meinem Balkon?« Sie lachte, presste sich neckisch-provozierend noch enger an ihn. »Wer soll mich denn hier sehen?«
»Bis zum Block dort drüben sind es keine hundert Meter. Es gibt Ferngläser – und es gibt genügend Psychopathen, auch bei uns in Franken.« Charly hielt ihr die »Frankenzeitung« vor die Nase:
»Erlangen: Noch keine Spur von der ›Berch-Bestie‹.«
»Ach … du meinst, wegen dem Mord auf der Berch-Kerwa neulich?«
Ihre Auffassungsgabe war deutlich schwächer entwickelt als ihre Oberweite, musste sich Charly, nicht zum ersten Mal, insgeheim eingestehen.
»Mord ist gut – der hat die Frau regelrecht zerfetzt, zwölf Messerstiche in Hals und Rücken!«
»Ach du Scheiße!« Schaudernd ging sie in die Knie, verbarg ihre Brüste hinter seiner Stuhllehne. Ihr Kinn wanderte auf seiner Schulter entlang.
Charly schwieg. Er spürte, wie ihre Wange immer näher kam. Gleich würde das Thema »Viertagebart« hochkochen. Lässig spielte er seinen letzten Trumpf aus: »Die war fei auch Bedienung – genau wie du!«
Ärgerlich riss sie sich los und stapfte zurück in die Wohnung.
Charly unterdrückte ein kurzes, heftiges Gähnen.
Noch drei Stunden bis zur Samba-Eröffnung.